Sittenwidrigkeit der Verknüpfung von Miet- und Servicevertrag im betreuten Wohnen
Tatbestand:
Die G. Gesellschaft mbH (im Folgenden: G.) bot Betreutes Wohnen ("Service-Wohnen") in ihrerseits angemieteten Wohnungen an.
Die Beklagte mietete eine solche Wohnung durch schriftlichen Vertrag mit der G. vom 9. Oktober 1998. Wie in dem Mietvertrag
vorgesehen, schloss sie ferner am 8. Juli 1999 einen Servicevertrag mit der Klägerin. Darin versprach die Klägerin verschiedene
Betreuungsleistungen, unter anderem die Unterhaltung eines Bereitschaftsdienstes für den Notfall, Beratungs- und Informationsdienste
sowie Besprechungsangebote. Die Dienste sollte die Beklagte mit einem monatlichen Pauschalbetrag von 200 DM entgelten. Weiter
war in dem Servicevertrag bestimmt:
"... Zusammen mit dem Mietvertrag bildet der Servicevertrag die Basis für diese Partnerschaft ...
1. Mit Wirkung vom 01.08.1999
2. wird für die Dauer des zeitgleich mit der G. abgeschlossenen Mietvertrages für oben genannte Wohnung dieser Servicevertrag
gültig ...
5. Bei einer Kündigung endet der Service-Vertrag mit Beendigung des Mietvertrages mit der G. für die oben genannte Wohnung
..."
Die Beklagte war mit den Leistungen der Klägerin nicht zufrieden und hielt die Pauschale für überteuert; sie kündigte den
Servicevertrag mit der Klägerin. Daraufhin kündigte die G. den Mietvertrag, in dem es unter anderem hieß:
"§ 4 Mietdauer und Kündigung
(1) Das Mietverhältnis beginnt am 01.02.1999. Es wird für unbestimmte Zeit abgeschlossen ...
(2) Der Vermieter wird von sich aus das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Er kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen
das Mietverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn berechtigtes Interesse des Vermieters
eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig macht. Der Mieter erkennt an, dass der Vermieter ein berechtigtes Interesse
daran hat, daß die Wohnung für 'Service-Wohnen' zur Verfügung steht. Aus diesem Grund wird ausdrücklich vereinbart, daß das
Mietverhältnis unter der auflösenden Bedingung steht, daß zwischen dem Mieter und der [Klägerin] der Service-Vertrag abgeschlossen
wird. Dieser Service-Vertrag und seine Fortdauer sind konstitutiver Bestandteil dieses Vertrages. Wird dieses Service-Verhältnis
nicht eingegangen oder aber aus welchen Gründen auch immer beendet, kann der Vermieter nach § 565a, Abs. 2,
BGB unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist im Rahmen seines Betriebsbedarfs zur Garantie der Fortführung des "Service-Wohnens"
in diesem Gebäudekomplex das Mietverhältnis zum nächstmöglichen Termin kündigen.
Der Mieter erkennt hiermit die Abhängigkeit des Bestandes des Mietverhältnisses vom Bestand des Service-Vertrages ausdrücklich
an."
Sodann "nahm" die Beklagte die Kündigung des Servicevertrages "zurück"; das Mietverhältnis mit der G. wurde fortgesetzt.
Ab Januar 2002 verweigerte die Beklagte der Klägerin die Service-Pauschale zunächst gänzlich; später entrichtete sie 45 EUR
monatlich statt der in dem Servicevertrag vereinbarten 200 DM (= 102,26 EUR) pro Monat.
Die Klägerin macht mit der Klage den - betragsmäßig unstreitigen - Rückstand in Höhe von 2.728,28 EUR nebst Zinsen geltend.
Amtsgericht und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
die Beklagte ihr Begehren, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der von den Parteien geschlossene Servicevertrag sei durch die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung nicht beendet worden.
Die Beklagte habe den Servicevertrag nicht unabhängig von dem Mietvertrag kündigen können. Der zum Zwecke des Betreuten Wohnens
geschlossene Mietvertrag zwischen der Beklagten und der G. und der zwischen den Parteien geschlossene Servicevertrag seien
als ein einheitliches Rechtsgeschäft anzusehen, das nur insgesamt habe gekündigt werden können. Die "Koppelung" der Verträge
sei nicht sittenwidrig. Sie habe dem von allen Beteiligten erkannten und gewollten Ziel gedient, den Mietern eine Wohnung
mit "Grundbetreuung" zu verschaffen.
Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass die G. auf die Kündigung des Servicevertrages mit der Kündigung des
Mietvertrages reagiert habe. Denn die Beklagte habe die Kündigung des Servicevertrages "zurückgenommen". Die Partner des Miet-
wie des Servicevertrages hätten sich zumindest konkludent über die Fortsetzung der jeweiligen Rechtsverhältnisse geeinigt,
indem sie die Verträge tatsächlich fortgeführt hätten.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
Aufgrund des Servicevertrages kann die Klägerin von der Beklagten Zahlung der rückständigen Servicepauschalen (2.728,28 EUR)
zuzüglich Zinsen verlangen.
1. Der Servicevertrag ist nicht deshalb nichtig, weil er gegen die guten Sitten verstieß (§
138 Abs.
1 BGB).
a) Rechtlich bedenklich könnte nur sein, dass Miet- und Servicevertrag aneinander "gekoppelt" sind: Der - der Beklagten im
Mietvertrag vorgeschriebene (§ 7 Abs. 1 Satz 1 des Mietvertrages) - Servicevertrag mit der Klägerin sollte "für die Dauer
des ... mit der G. abgeschlossenen Mietvertrages ... gültig" sein (Nr. 2 des Servicevertrages); bei einer Kündigung sollte
der Servicevertrag "mit Beendigung des Mietvertrages mit der G." enden (Nr. 5 des Servicevertrages). Spiegelbildlich hieß
es in dem Mietvertrag, dass "von der Aufrechterhaltung dieses Service-Verhältnisses das Mietverhältnis abhäng(e)" (§ 7 Abs.
1 Satz 2 des Mietvertrages). Der Mietvertrag stehe unter der "auflösenden Bedingung ..., dass zwischen dem Mieter und [der
Klägerin] der Service-Vertrag abgeschlossen wird" (§ 4 Abs. 2 Satz 4 des Mietvertrages); der "Servicevertrag und seine Fortdauer"
seien "konstitutiver Bestandteil" des Mietvertrages (§ 4 Abs. 2 Satz 5 des Mietvertrages). Werde das Service-Verhältnis beendet,
sei die Vermieterin G. berechtigt, das Mietverhältnis (unter gewissen weiteren Bedingungen) nach § 565a Abs. 2
BGB a.F. zu kündigen (§ 4 Abs. 2 Satz 6 des Mietvertrages).
b) Diese Bindung des Mietvertrages an den Fortbestand des Servicevertrages hatte zur Folge, dass sich die Beklagte bloß mit
der - wohl nur ausnahmsweise zu erlangenden - Zustimmung der G. von dem mit der Klägerin geschlossenen Servicevertrag lösen
und den Mietvertrag mit der G. ohne Servicevertrag oder unter Abschluss eines neuen Servicevertrages mit einem anderen Anbieter
fortsetzen konnte. Die Einschränkung des Kündigungsrechts benachteiligte die Beklagte indessen nicht unangemessen (vgl. LG
Kiel WuM 2003, 572, 573; a.A. Wiek in Hannemann/Wiek, Handbuch des Mietrechts 2. Aufl. 2003 S. 1246).
aa) Das von der G. angebotene - und von der Beklagten akzeptierte - Betreute Wohnen ("Service-Wohnen") war von vornherein
auf die Unterstützung der gesundheitlich und altersbedingt beeinträchtigten Mieter durch ein vertragsabschlussbereites drittes
Unternehmen ausgerichtet (vgl. die Präambel des Mietvertrages). Ein bestimmtes Unternehmen, die Klägerin nämlich, sollte die
für das Betreute Wohnen unerlässlichen Grundleistungen bereitstellen und die Mieter sollten gehalten sein, sich - für die
Dauer des Mietvertrages - an dieses Unternehmen vertraglich zu binden. Die "Koppelung" von Miet- und Servicevertrag diente
dem Interesse des Diensteanbieters und des Vermieters an einer verlässlichen Kalkulation des angebotenen Betreuten Wohnens
(vgl. Thier NZM 2003, 264, 266); sie lag indes auch im Interesse der betagten Mieter an einer zuverlässigen Versorgung. Hätten sie sich einseitig von
dem Servicevertrag überhaupt lossagen oder, unter Umständen mehrfach, das die Grundleistungen bereitstellende Unternehmen
wechseln können, dann wäre ihre stetige Grundbetreuung zumindest gefährdet gewesen. Das Konzept des Betreuten Wohnens beruhte
aber gerade auf dem Angebot von Miete und (Grund-)Betreuung.
bb) Durch die "Koppelung" des Servicevertrages an den Mietvertrag werden die Mieter, was die Gefahr einer Schlechterfüllung
des Servicevertrages anlangt, nicht rechtlos gestellt.
Zwar wird ihnen dadurch, dass bei einer Kündigung der Servicevertrag erst mit der Beendigung des Mietvertrages endete (Nr.
5 des Servicevertrages), in praxi die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung des Servicevertrages (§§
620,
621 BGB) nahezu verwehrt. Den Mietern bleibt aber die außerordentliche Kündigung allein des Servicevertrages unbenommen, wenn nur
die Fortsetzung des Servicevertrages, auch unter Berücksichtigung der Tragfähigkeit des Gesamtkonzepts, für sie untragbar
(§
626 BGB) ist.
Für den Fall, dass die im Servicevertrag versprochenen Leistungen nicht ordnungsgemäß erbracht werden, stehen den Mietern
im Übrigen dienstvertragliche Rechte zu Gebote. Für von dem Dienstverpflichteten vertretbar nicht oder in unbrauchbarer Form
geleistete (nicht nachholbare) Dienste braucht der Dienstberechtigte die Vergütung nicht zu zahlen (vgl. §§
614,
320,
326 Abs.
1 BGB; Staudinger/Richardi,
BGB 2005 §
611 Rn. 557 i.V.m. Rn. 546 f). Hat der Dienstverpflichtete die Unmöglichkeit der Dienstleistung zu vertreten, kommt ferner, wie
bei jeder sonstigen schuldhaften Pflichtverletzung des Diensteerbringers, ein Schadensersatzanspruch des Dienstberechtigten
in Betracht (§
280 Abs.
1 i.V.m. §
283 BGB; vgl. Staudinger/Richardi aaO. Rn. 548).
Die (formular-)vertragliche Bindung des Servicevertrages an den Fortbestand des Mietvertrages und umgekehrt verstößt nicht
gegen §
138 BGB. Sie wäre im Übrigen auch nicht als unangemessen im Sinne des §
307 Abs.
2 Nr.
1 BGB (i.V.m. Art. 229 § 5 Satz 2
EGBGB) zu beurteilen.
2. Der Servicevertrag ist nicht durch Kündigung beendet worden. Zwar hat die Beklagte den Servicevertrag gekündigt. Die Parteien
haben aber die Wirkungen der Kündigung wieder aufgehoben.
Sämtliche Beteiligte, die Parteien und die G., haben sich, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, später geeinigt, beide
Verträge - wie ungekündigt - fortzusetzen. Die Revision vermag die vorgenannte Feststellung nicht zu erschüttern. Die Beklagte
"nahm" die Kündigung des Servicevertrages ausdrücklich "zurück"; sie beendete den mit einem anderen Anbieter geschlossenen
Servicevertrag und ließ sich - wenn auch nur unter Zahlung einer "geminderten" Service-Pauschale - die Bereitstellung der
Grundbetreuung durch die Klägerin weiter gefallen. Nach eigenem Vorbringen nahm sie das Vertragswerk mit der Klägerin erneut
auf bzw. ließ es weiterlaufen. Im Einverständnis mit der G. blieb die Beklagte in der Wohnung und zahlte ersichtlich weiter
den Mietzins. Bei dieser Sachlage war die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, die Beteiligten hätten sich zumindest stillschweigend
auf die - unterbrechungslose - Fortsetzung der jeweils geschlossenen Verträge verständigt, nicht etwa rechtsfehlerhaft, sondern
nahe liegend.