Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Mit Urteil vom 30.4.2020 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen
teilweiser Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich ausschließlich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund nicht hinreichend bezeichnet.
Der Kläger macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht
(§
103 SGG), weil das LSG einem kurz vor der mündlichen Verhandlung mit Schreiben vom 24.4.2020 gestellten Beweisantrag, von Amts wegen
erneut ein ärztliches Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet einzuholen, nicht gefolgt ist. Soweit der Kläger in diesem
Kontext auf seinen wiederholten Antrag einer Begutachtung nach §
109 SGG hinweist, lässt dies eine eigenständige Rüge der Verletzung dieser Vorschrift nicht erkennen. Anderenfalls wäre die Beschwerde
aber auch insoweit unzulässig, denn nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des §
109 SGG gestützt werden.
Ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 30.10.2018 - B 13 R 59/18 B - juris RdNr 7). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen,
dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zugrunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung
des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu §
162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 23). Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer
diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser
Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel
beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Dem genügt die Beschwerdebegründung vom 30.7.2020 nicht.
Die Amtsermittlungspflicht sieht der Kläger verletzt, weil das LSG seinem Beweisantrag zu der Frage, "ob durch die psychische
und Verhaltensstörung durch Cannabinoide, schädlicher Gebrauch F12.1", die "dem Behandlungsbericht des Klinikum am W vom 03.06.2019
zu entnehmen ist, noch ein dauerhafter Arbeitseinsatz … möglich ist im Umfang von 6 Stunden und mehr im Hinblick auf leichte
Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt" nicht nachgekommen ist. Insoweit habe er ausdrücklich auf den Behandlungsbericht
dieses Klinikums vom 3.6.2019 verwiesen, in dem er sich vom 23.5.2019 bis 3.6.2019 wegen rezidivierender depressiver Störung,
gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, in teilstationärer Behandlung befunden habe. Dabei sei ein positives
Drogenscreening auf THC und Kokain erfolgt. Drogen konsumiere er weiterhin, was zu einem massiven Konflikt mit seiner Ehefrau
führe. Es sei davon auszugehen, dass dies seine Leistungsfähigkeit erheblich herabsetze und in Kombination mit bestehenden
psychiatrischen Erkrankungen vollständig aufhebe. Zu Unrecht habe das LSG den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, dass
bezüglich der aufgeworfenen Fragen kein Klärungsbedarf bestehe.
Der Kläger hat damit nicht schlüssig dargetan, dass das LSG diesem Antrag ohne eine iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG "hinreichende" Begründung nicht gefolgt ist. Für die Frage, ob ein hinreichender Grund für die unterlassene Beweiserhebung
vorliegt, kommt es darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten war, den Sachverhalt zu den von dem Beweisantrag erfassten
Punkten weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 SB 47/10 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 14/18 B - juris RdNr 8). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet, wenn
die vorhandenen Gutachten iS von §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
412 Abs
1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen
ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG Urteil vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 9). Ein derartiger Sachverhalt wird aus der Beschwerdebegründung des Klägers nicht erkennbar. Vielmehr gibt er an, dass die
seinen Rentenantrag ablehnende Entscheidung der Beklagten auf einem "ärztlichen Rehaentlassbericht" beruht habe. Erster Instanz
sei durch das SG ein nervenärztliches Gutachten eingeholt worden, wonach er (der Kläger) noch mindestens sechs Stunden täglich leichte körperliche
Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Dies sei durch ein im Berufungsverfahren erstattetes weiteres
Gutachten eines Arztes für Neurologie und Psychiatrie bestätigt worden. Dass diese Gutachten grob mangelhaft gewesen sind,
hat der Kläger nicht behauptet.
Es ist anhand der Beschwerdebegründung auch nicht erkennbar, dass die sachlichen Voraussetzungen, von denen die Sachverständigen
bei Erstattung ihres Gutachtens ausgingen, zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG nicht mehr zutreffend gewesen wären. Hierzu
hätte dargelegt werden müssen, welche Diagnosen und Befunde den erstatteten Gutachten zugrunde lagen und dass sich in Bezug
hierauf aus dem Behandlungsbericht des Klinikums am W vom 3.6.2019 wesentlich neue Gesichtspunkte ergeben. Aber selbst wenn
davon auszugehen wäre, dass der Drogenkonsum des Klägers, der nach seinen in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Angaben
gegenüber dem Klinikum am W bereits im Oktober 2018 begonnen hatte, erstmals während der dortigen Behandlung diagnostiziert
worden ist, wäre eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend bezeichnet. In diesem Fall hätte es dem Kläger
oblegen, in der Beschwerdebegründung darzustellen, welche Einschränkungen seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit
mit dem Drogenkonsum einhergehen, die noch keinen Eingang in die früheren Gutachten finden konnten bzw gefunden haben. Die
unbestimmte Vermutung ("geht davon aus") einer aufgehobenen Leistungsfähigkeit ohne jede konkrete Angabe, dass und in Bezug
auf welche Anforderungen sich die Leistungsfähigkeit gegenüber den eingeholten Gutachten verschlechtert hat, genügt hierfür
nicht.
Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.