Sozialversicherungsbeitragspflicht für eine Tätigkeit als Dolmetscherin
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob die Klägerin in
ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1. vom 1.4.2010 bis 31.10.2011 aufgrund Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht
unterlag.
Die Klägerin und ihr als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. tätiger Ehemann unterzeichneten einen Arbeitsvertrag mit Datum
vom 26.3.2010, nach dem die Klägerin ab 1.4.2010 als Dolmetscherin mit einer Arbeitszeit von 20 Wochenstunden und einer monatlichen
Bruttovergütung iH von 900 Euro für die Beigeladene zu 1. tätig werden sollte. Am 14.5.2010 wurde die Klägerin rückwirkend
mit Versicherungsbeginn ab 1.4.2010 bei der Beklagten als Beschäftigte angemeldet. Am 2.6.2010 beantragte sie die Mitversicherung
ihres Ehemanns, der als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. kein Gehalt bezog und am 30.4.2010 einen Herzinfarkt erlitten
hatte. Ab Juli 2010 wurde das Gehalt der Klägerin regelmäßig auf ein Konto überwiesen, bis dahin erhielt sie entsprechende
Barauszahlungen. Am 12.7.2010 beantragten die Eheleute bei der Beklagten die Erstattung von Kosten für medizinische Leistungen
zugunsten des Ehemanns der Klägerin iH von 18.561,94 Euro.
Nach Ausstellung einer Mitgliedsbescheinigung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2010 gegenüber der Klägerin fest,
dass sie nicht der Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung
unterliege und wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.4.2011).
Das SG hat die dagegen sowie auf Feststellung von Versicherungspflicht gerichtete Klage nach Befragung der Klägerin, ihres Ehemanns
und des damaligen Steuerberaters der Beigeladenen zu 1. sowie Beiziehung von Unterlagen der Staatsanwaltschaft abgewiesen,
da erhebliche Zweifel am Vorliegen eines ernsthaft gewollten und tatsächlich umgesetzten Arbeitsverhältnisses beständen (Urteil vom 15.12.2016). Das LSG hat die Berufung nach Befragung eines anderen Geschäftsführers der Beigeladenen zu 1. unter Bezugnahme auf die erstinstanzliche
Entscheidung zurückgewiesen, da die verbleibenden Zweifel zulasten der Klägerin gingen (Beschluss vom 23.11.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG). Die Klägerin hat keinen der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Revisionszulassungsgründe hinreichend dargelegt oder bezeichnet (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Mit dem Vorbringen der Klägerin, das LSG habe gegen ihr Recht auf rechtliches Gehör verstoßen, wird ein Verfahrensmangel
iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nicht hinreichend bezeichnet.
Wird die Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig
dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen
kann. Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf die Verletzung der §§
109,
128 Abs
1 Satz 1
SGG gestützt werden kann (§
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 2
SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §
103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist
(§
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 3
SGG).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin macht geltend, der Zurückweisung der Berufung
durch Beschluss gemäß §
143 Abs
4 SGG (gemeint wohl §
153 Abs
4 SGG) sei ein Anhörungsschreiben vom 19.10.2020 vorausgegangen, mit welchem der Senat seine Absicht mitgeteilt habe, die Berufung
zurückweisen zu wollen. Eine substantiierte Stellungnahme sei ihr jedoch nicht möglich gewesen. Dazu habe es an Hinweisen
auf die rechtlichen Gesichtspunkte und Bedenken gefehlt, die das LSG zu der beabsichtigten Entscheidung veranlassten. Erst
aufgrund eines solchen Hinweises hätte sie (die Klägerin) bestätigen können, dass sie im Jahr 2010 Projekte vervollständigt
und Übersetzungen gefertigt habe.
Eine Gehörsverletzung ist damit nicht dargelegt. Nach §
153 Abs
4 Satz 1
SGG kann das LSG, außer in den Fällen des §
105 Abs
2 Satz 1
SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht
erforderlich hält. Die Beteiligten sind nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG vorher zu hören. In der Anhörungsmitteilung muss das Gericht zum Ausdruck bringen, dass eine Zurückweisung der Berufung in
Betracht kommt, die Gründe hierfür müssen den Beteiligten aber grundsätzlich nicht mitgeteilt werden (vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 12/17 B - juris).
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Anhörungspflicht nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG liegt vor, wenn die Entscheidung auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen die Beteiligten
sich nicht äußern konnten (sog Überraschungsentscheidung, BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190; BVerfG vom 8.2.1994 - 1 BvR 765/89 ua - BVerfGE 89, 381, 392; vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26), oder wenn das LSG seine Pflicht verletzt hat, das Vorbringen der Beteiligten in seine Erwägungen miteinzubeziehen (BVerfG vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f). Daraus folgt jedoch weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, die endgültige
Beweiswürdigung bereits darzulegen. Das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung
erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten
würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die
richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Die Bewertung der
im Verfahren insgesamt vorliegenden Tatsachen und Beweise ist grundsätzlich eine tatrichterliche Aufgabe. Ein Hinweis ist
lediglich geboten, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter
nicht zu rechnen brauchte (vgl BSG vom 30.8.2017 - B 14 AS 12/17 B - juris RdNr 4; BSG vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 26 mwN).
In der Beschwerdebegründung werden keine die Entscheidung des LSG tragenden Gesichtspunkte bezeichnet, mit denen ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte oder zu denen sich die Klägerin nicht hätte äußern können. Vielmehr
wendet sich die Klägerin in der Beschwerdebegründung gegen das vom LSG gewonnene Ergebnis der Beweiswürdigung von Unterlagen,
welche sie zuvor selbst an das Gericht übersandt hatte. Die konkrete Bewertung dieser Unterlagen im Rahmen der Beweiswürdigung
oblag allein dem LSG. Die Klägerin legt nicht dar, warum ein vorheriger Hinweis auf die zu erwartende Bewertung geboten gewesen
sein soll.
2. Ein Grund für die Zulassung der Revision iS von §
160 Abs
2 SGG kann der Beschwerdebegründung auch insoweit nicht entnommen werden, als ausgeführt wird, das LSG habe den Sachverhalt nicht
oder nicht ausreichend gewürdigt und rechtliche Fehleinschätzungen, insbesondere eine unzulässige Beweislastumkehr vorgenommen.
Damit wird weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) dargelegt noch eine Abweichung von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und auch kein Verfahrensfehler bezeichnet (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Eine vermeintliche Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall vermag die Zulassung der Revision nicht zu begründen. Zur
Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss vielmehr dargelegt werden, welche Rechtsfrage sich ernsthaft
stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im
allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit)
ist (stRspr; vgl nur BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN). Im Übrigen kann - wie bereits dargelegt wurde - mit der Beschwerde nicht die Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG gerügt werden (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.