Kostenerstattung für Klima-Heilbehandlungen am Toten Meer
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet unter einer schweren chronischen Form der Neurodermitis. Deshalb
übernahm die Beklagte die Kosten für Klima-Heilbehandlungen am Toten Meer in verschiedenen Jahren, sowohl vor 2017 als auch
danach. Die Beklagte lehnte einen auf eine ärztliche Verordnung gestützten erneuten Kostenübernahmeantrag vom 16.1.2017 aufgrund
von Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ab (Bescheid vom 14.2.2017; Widerspruchsbescheid vom 15.8.2017). Während des Widerspruchsverfahrens beschaffte sich der Kläger eine Klima-Heilbehandlung am Toten Meer (verbindliche Buchung
am 18.4.2017, Behandlungszeitraum 13.5. - 17.6.2017, 5978 Euro einschließlich der Kosten für ein Einzelzimmer). Das SG hat die Klage auf Erstattung der Kosten abgewiesen, weil es im Inland ausreichende alternative, auch ambulante Behandlungsmöglichkeiten
gebe. Der Kläger sei noch nicht austherapiert. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG entsprechend dem Hilfsantrag die Beklagte
unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, den Antrag des Klägers auf Erstattung der Kosten unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Der Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung ergebe sich aus §
18 Abs
1 Satz 1
SGB V. Der "Kann"-Anspruch sei nicht auf Fälle beschränkt, in denen eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im EU/EWR-Inland
überhaupt nicht zu erlangen sei. Er bestehe auch, wenn eine Behandlung zwar dort erfolgen könne, die begehrte Behandlungsmaßnahme
aber den im EU/EWR-Ausland praktizierten anderen Methoden aus medizinischen Gründen eindeutig überlegen sei. Es sei dabei
auf den Einzelfall abzustellen. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Auch ergebe sich hinsichtlich des "Ob" angesichts
der Schwere der Erkrankung und der geringen Wirksamkeit inländischer Behandlungsansätze eine Ermessensreduzierung auf null.
Es verbleibe aber ein Ermessen bei der Höhe der zu übernehmenden Kosten. Dies gelte sowohl für die eigentliche medizinische
Behandlung als auch für die weiteren Kosten iS des §
18 Abs
2 SGB V. Das LSG hat allerdings keine Gründe gesehen, von der bisherigen Praxis der Beklagten abzuweichen, die Kosten aller medizinisch
zweckmäßigen und ausreichenden Maßnahmen der Behandlung (ärztliche Beratung, Diagnostik, Therapie, Medikamente, physikalische
Therapie) mit Unterkunft (Zweibettzimmer mit Bad/Dusche, WC) und Verpflegung für fünf Wochen sowie die Kosten der An- und
Abreise zu übernehmen. Dies schließe eine Eigenbeteiligung in Gestalt von Zuzahlungen wie im Inland ebenso ein, wie die zulässige
Beschränkung auf die Kosten eines Doppelzimmers, soweit letzterem keine neuen medizinischen Gesichtspunkte entgegenstünden
(Urteil vom 20.1.2022).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Bezeichnung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) und der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.
Eine erfolgreiche Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) erfordert, dass ein anwaltlich oder sonst rechtskundig vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen
Verhandlung gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (stRspr; vgl nur BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Es muss insbesondere ein für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbarer Beweisantrag bezeichnet werden können, dem
das LSG nicht gefolgt ist (stRspr; vgl zB BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 222/18 B - juris RdNr 12 mwN). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn
ein Beteiligter - wie hier der Kläger - in der Berufungsinstanz nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten
war. Aber auch ein unvertretener Beteiligter muss dem Tatsachengericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht
(vgl BSG vom 12.5.2020 - B 12 KR 1/20 B - juris RdNr 10). Der Beschwerdeführer muss dies in der Beschwerdebegründung darlegen (vgl BSG vom 28.5.2013 - B 5 R 38/13 B - juris RdNr 8).
Der Kläger trägt in der Beschwerdebegründung lediglich vor, das Berufungsgericht habe die Gegebenheiten seiner Behandlung
und Unterbringung vor Ort in Israel nicht genügend aufgeklärt. Wenn es dies getan hätte, hätte es erkannt, dass er keinen
"Einzelzimmerzuschlag" auf eigene Kosten zu tragen habe. Vor Ort sei er direkt in das C Hotel gebracht worden, ohne dass er
dieses Hotel eigens gewünscht hätte. Dabei handele es sich um einen riesigen "Hotelkasten", der keine Einzelzimmer, sondern
als billigste Zimmerkategorie sogenannte Standard-Doppelzimmer habe. Das seien Zimmer, in denen einfach nur ein Doppelbett
stehe. Ihm sei solch ein Zimmer zugewiesen worden. Bei dem sogenannten Einzelzimmerzuschlag, welchen die Beklagte nach Ansicht
des Berufungsgerichts in ihrer Ermessensentscheidung nicht berücksichtigen müsse, handele es sich rechtlich um einen Aufpreis,
den der Hotelbetreiber für einen in einem Doppelzimmer nicht vorhandenen zweiten Gast erhebe. Damit zeigt der Kläger aber
nicht auf, dass und ggf wann und unter welchen Umständen er dem LSG bis spätestens vor Schluss der mündlichen Verhandlung
deutlich gemacht hat, dass er wegen des Einzelzimmerzuschlags noch einen Ermittlungsbedarf sehe.
2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 -
1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Der Kläger formuliert die Rechtsfrage,
"ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Patient*innen von ihrer Krankenkasse die Kostenerstattung für ihre Unterbringung
in einem Hotel verlangen können, wenn sie, wie der Kläger, dort ein Zimmer ohne einen Mitbewohner haben"?
Er trägt dazu vor, mit der Nichtzulassungsbeschwerde solle lediglich erreicht werden, dass die Revision zugelassen werde,
soweit das Berufungsgericht den Einzelzimmerzuschlag zwar in die von der Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung für
die Kostenübernahme der Klimaheilbehandlung einbeziehen wolle, aber zugleich entschieden habe, dass er von der Beklagten nicht
zu tragen sei. Der Kläger legt damit weder dar, warum es sich bei der auf seinen individuellen Fall zugeschnittenen Frage
um eine solche von grundsätzlicher Bedeutung handeln soll, noch zeigt er auf, dass Klärungsbedarf zur Reichweite des Anspruchs
auf Übernahme weiterer Kosten einer Krankenbehandlung außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum nach §
18 Abs
2 SGB V besteht. Insbesondere geht er nicht darauf ein, warum die von einem Versicherten veranlassten, aber nicht vermeidbaren weiteren
Kosten iS des §
18 Abs
2 SGB V immer in voller Höhe von der Krankenkasse zu tragen sind. Er setzt sich insoweit mit dem Wortlaut der Regelung und ihrer
Entstehungsgeschichte sowie mit der Rechtsprechung und Literatur zu §
18 Abs
2 SGB V und zu den allgemeinen Voraussetzungen einer Ermessensreduktion auf null nicht auseinander.
Das gesamte Vorbringen des Klägers wendet sich gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils in seinem individuellen
Fall, soweit es um die Kosten des Einzelzimmerzuschlags geht. Die Frage, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden
hat, ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (stRspr; BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B - juris RdNr 6).
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.