Herabsetzung eines Grads der Behinderung nach Heilungsbewährung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin wehrt sich gegen die Herabsetzung ihres Grads der Behinderung (GdB).
Bei der Klägerin war mit Bescheid vom 30.7.2015 ab Februar 2015 ein GdB von 70 festgestellt für die Funktionsbeeinträchtigungen
1. Zustand nach mehrfachen gynäkologischen Operationen, Wundheilungsstörungen, Narbenkorrekturen und Darmträgheit (Einzel-GdB
50),
2. seelisches Leiden mit somatischen und Schmerzstörungen (Einzel-GdB 30) und 3. Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule (Einzel-GdB
20).
Nach medizinischen Ermittlungen und Anhörung der Klägerin setzte das beklagte Land den GdB mit Wirkung von Februar 2019 auf
50 herab, weil sich die zu 1. festgestellte Funktionsstörung gebessert habe (Bescheid vom 18.1.2019; Widerspruchsbescheid vom 10.4.2019).
Das SG hat die dagegen erhobene Klage nach weiteren medizinischen Ermittlungen abgewiesen. Insbesondere die Wundheilungsstörungen
der Klägerin hätten sich gebessert (Gerichtsbescheid vom 11.12.2020).
Mit Urteil vom 15.4.2021 hat das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Wie sich aus den eingeholten Befundberichten
ergebe, seien im Vergleich zu früheren Jahren ihre gynäkologischen Gesundheitsstörungen und Narbenbeschwerden in den Hintergrund
getreten. Für eine Höherbewertung ihrer Darmbeschwerden fehle es an einer Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes und an der
Notwendigkeit besonderer Diätkost. Auch das im Jahr 2015 mit einem Einzel-GdB von 30 bewertete seelische Leiden ließe sich
nach Durchsicht der beigezogenen Unterlagen nicht mehr feststellen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie macht geltend, das LSG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung verfehlt die gesetzlichen Anforderungen, weil sie
den allein behaupteten Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet hat (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie diejenige der Klägerin darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf
dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§
103 SGG), so muss sie zunächst einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht
gefolgt ist. Dafür muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten
Punkte Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung
und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache. Diese ist möglichst präzise und bestimmt zu benennen, und es ist zumindest
hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur ein solcher Vortrag versetzt die Vorinstanz in die Lage,
die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ausreichend zu begründen. Unbestimmte oder unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme
nahezulegen (BSG Beschluss vom 29.4.2020 - B 9 V 33/19 B - juris RdNr 5 mwN). Darüber hinaus ist mit der Nichtzulassungsbeschwerde darzulegen, warum das Gericht objektiv gehalten gewesen ist, den Sachverhalt
weiter aufzuklären und den beantragten Beweis zu erheben. Denn die Wendung "ohne hinreichende Begründung" in §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (BSG Beschluss vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B - juris RdNr 10 mwN).
Solche Darlegungen enthält die Beschwerde nicht. Ihr Hinweis auf den Berufungsschriftsatz vom 17.12.2020 bezeichnet keinen
substantiierten Beweisantrag. Der darin enthaltene Satz: "Eine Änderung des Zustandes nach mehrfachen gynäkologischen Operationen
in der Zeit vom Erlass des Bescheides 30.07.2015 bis zum Erlass des Aufhebungsbescheides vom 18.01.2019 ist nicht eingetreten,
Beweis: medizinisches Sachverständigengutachten" enthält keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag im vorgenannten Sinne.
Denn damit hat die Klägerin keine hinreichend bestimmten Tatsachen behauptet, sondern lediglich pauschal vorgetragen, ihr
Gesundheitszustand sei weiterhin unverändert. Vielmehr hat sie nur das aus ihrer Sicht gewünschte Verfahrensergebnis als Schlussfolgerung
aus möglichen Beweisergebnissen mitgeteilt, ohne jedoch - wie erforderlich - hinreichend präzise und detailliert anzugeben,
aus welchen Tatsachen dieses Ergebnis herzuleiten und mit sachverständiger Hilfe zu beweisen war. Der vom LSG zu beurteilende
Gesamt-GdB der Klägerin setzt sich aus mehreren Einzel-GdB verschiedener Funktionssysteme iS des von Teil A Nr 2 Buchst e
der (in der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung geregelten) Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zusammen. Daher hätte ein hinreichend präziser Beweisantrag sich auf eine oder
mehrere genau bezeichnete Gesundheitsstörungen beziehen, deren Entwicklung darlegen und unter Beweis stellen müssen. Die Beschwerde
versucht zwar, diesen Vortrag nachzuholen, indem sie nunmehr auf eine angebliche Chronifizierung der bei der Klägerin in der
Vergangenheit diagnostizierten depressiven Störung abstellt. Dieser nachgeschobene Vortrag im Beschwerdeverfahren kann indes
die fehlende Bestimmtheit des Beweisantrags beim LSG nicht heilen.
Unabhängig davon legt die Beschwerde auch nicht hinreichend substantiiert dar, warum das LSG von seinem Rechtsstandpunkt objektiv
zu der beantragten Beweiserhebung gehalten gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat zum einen darauf abgestellt, die Klägerin
habe seit 2017 bei der behandelnden Frauenärztin keine Angaben zu gynäkologischen Beschwerden mehr gemacht, sondern sich dort
lediglich zur Kontrolle und zur Vorsorge vorgestellt. Wundheilungsstörungen, die zuvor in die Festsetzung eines höheren GdB
eingeflossen waren, seien nicht mehr Gegenstand der Behandlung gewesen. Hinsichtlich der Darmerkrankung der Klägerin ließen
die medizinischen Unterlagen weder eine Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes noch die Notwendigkeit besonderer Diätkost
iS von Teil B Nr 10.2 VMG erkennen, die eine Höherbewertung rechtfertigen könnten. Auch ein erhebliches seelische Leiden der
Klägerin konnte das LSG nach Durchsicht der beigezogenen Unterlagen (wie dem Reha-Entlassungsbericht von August 2018) nicht
mehr feststellen. Das Berufungsgericht hat seinem Urteil demnach die Annahme einer Besserung des Gesundheitszustands der Klägerin
in zwei der drei Funktionsbereiche zugrunde gelegt, auf die sich die ursprüngliche Feststellung des Gesamt-GdB gestützt hatte.
Daraus hat das LSG in der von §
152 Abs
3 Satz 1
SGB IX vorgeschriebenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen dieser gesundheitlichen Beeinträchtigungen
(vgl BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 29) - wie vor ihm der Beklagte und das SG - einen niedrigeren Gesamt-GdB abgeleitet. Auf diesen maßgeblichen Rechtsstandpunkt des LSG geht die Klägerin nur unvollständig
ein. Sie konzentriert sich auf die nach ihrer Ansicht erfolgte Verschlimmerung ihrer seelischen Erkrankung im Funktionssystem
"Gehirn einschließlich Psyche" (vgl Teil A Nr 2 Buchst e iVm Teil B Nr 3 VMG). Sie setzt sich dagegen nicht näher mit der gegenteiligen Einschätzung ihrer seelischen Gesundheit durch das LSG und insbesondere
nicht mit dessen Begründung für den niedrigeren Gesamt-GdB auseinander. Das LSG hat sich aber insoweit maßgeblich nicht allein
auf den nach seiner Einschätzung gebesserten seelischen Zustand der Klägerin, sondern darüber hinaus auch auf eine Besserung
im Funktionssystem "Verdauung" (vgl Teil A Nr 2 Buchst e iVm Teil B Nr 10 VMG) gestützt. Damit fehlt es insgesamt an einer hinreichenden Darlegung, warum das LSG von seinem Rechtsstandpunkt objektiv zu
der von der Klägerin beantragten Beweiserhebung gehalten gewesen wäre.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.