Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 30 und des Vorliegens der dauernden Einbuße der
körperlichen Beweglichkeit (dE).
Zugunsten der 1973 geborenen Klägerin hatte noch das Versorgungsamt H mit Bescheid vom 19. Februar 1996 bestandskräftig den
GdB mit 20 wegen einer Missbildung der linken Brust festgestellt.
Am 14. Dezember 2012 beantragte die Klägerin bei dem nunmehr zuständigen Beklagten die Neufeststellung ihres Behindertenstatus
und zwar rückwirkend ab Januar 2010. Der Beklagte lehnte den Antrag nach medizinischen Ermittlungen mit Bescheid vom 25. April
2013 ab, wobei er eine Aufbauplastik der Brust links (Einzel-GdB: 20) und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB:
10) berücksichtigte. Mit ihrem Widerspruch hiergegen machte die Klägerin die eingangs genannten Feststellungen geltend, wobei
sie neben der Aufbauplastik der Brust links und Reduktion der Brust rechts eine Funktionsbehinderung der Lendenwirbelsäule
(LWS) und insoweit auch eine außergewöhnliche Schmerzsymptomatik geltend machte. Der Beklagte wies den Widerspruch nach weiteren
medizinischen Ermittlungen durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2014 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 27. Februar 2014 Klage erhoben, wobei sie die eingangs genannten Feststellungen mit Wirkung
ab dem 14. Dezember 2012 geltend gemacht hat.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt bei Dr. B vom Hormon- und Kinderwunschzentrum (keine Vorstellung dort nach
dem 30. November 2011), dem Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. B(letzte Vorstellung dort am 12. Juli 2007), dem Orthopäden
H (letzte Vorstellung dort am 17. November 2011), der Allgemeinmedizinerin R und der Gynäkologin Dr. B (keine Behandlung seit
2007).
Das Sozialgericht hat bei dem Facharzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr.
S ein sozialmedizinisches Gutachten vom 22. Oktober 2015 eingeholt, das dieser nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am
6. Oktober 2015 erstellt hat und in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB sei bei der Klägerin mit 40 festzustellen
wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB:
Aufbauplastik der Brust links bei fast vollständigem Fehlen der Brustanlage, Korrektur der Reduktionsplastik rechts, mehrfach
durchgeführte operative Behandlung (30);
Kniegelenkverschleiß beidseits, Kniescheibenverrenkung rechts 1989 mit operativer Versorgung, Knorpelschaden der Rückseite
der Kniescheibe (20; starker Wert);
Verschleiß der Wirbelsäule, Bandscheibenleiden, Nervenreizungen, Wirbelsäulenfunktionsstörungen, Kreuzbein-Darmbein-Gelenk-Blockade
rechts (10);
Kunstlinsenimplantation beidseits bei Linsentrübung (10).
Der GdB von 40 sei erst ab Datum der jetzigen Begutachtung festzustellen. Für die Zeit davor fehle es insbesondere in Bezug
auf das Kniegelenksleiden an aktenkundigen Befunden.
Der Beklagte hat eine fachchirurgische Stellungnahme zu den Gerichtsakten gereicht, nach der dem Gutachten nicht zu folgen
sei. So werde im Untersuchungsbefund das kosmetische Ergebnis nach Aufbauplastik der Brust links und Reduktionsplastik rechts
als "optimal" bezeichnet, die Brüste seien symmetrisch, Narben kaum sichtbar und die Mamillen seien gleich groß und symmetrisch.
Auch der Kniegelenksbefund weise weder Narben noch Reiben in den Kniegelenken auf. Es fänden sich hier weder ein Druck- noch
ein Bewegungsschmerz, noch eine Instabilität oder auch nur ansatzweise Reizerscheinungen. Die Beweglichkeit sei für Streckung/Beugung
beidseits mit 0-0-140° vollkommen regelrecht, so dass dem Gutachter weder in der Höherbewertung der Brust- noch in der Feststellung
einer Kniegelenksbehinderung gefolgt werden könne.
Dr. S hat hierzu auf Aufforderung des Gerichts unter dem 16. März 2016 ergänzend wie folgt Stellung genommen: Es liege eindeutig
ein relevanter Knorpelschaden an der Rückseite der Kniescheibe vor. Dieser sei nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen
auch ohne Einschränkung der Bewegungsfähigkeit mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Hier sei durchaus von einem Einzel-GdB
von "schwach" 20 auszugehen. Darüber hinaus liege eine Knorpelschädigung im Bereich des linken Kniegelenkes vor. Hier sähen
die versorgungsmedizinischen Grundsätze auch bei Fehlen einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit vor, dass ein Einzel-GdB
von 20 durchaus zuerkannt werden könne. Schließlich entspreche die Bewertung der Funktionsstörungen der Brust den versorgungsmedizinischen
Grundsätzen. Zwar sei bei der Klägerin ein optisch hervorragendes Ergebnis erzielt worden. Jedoch werde das Fehlen einer Brustanlage
mit dem vollständigen Verlust einer Brustdrüse gleichgesetzt. Daraus folge der GdB von 30.
Auch zu der ergänzenden Stellungnahme von Dr. S hat der Beklagte eine fachchirurgische Stellungnahme zu den Gerichtsakten
gereicht, wonach die Einschätzungen des Sachverständigen weiterhin nicht nachvollziehbar seien.
Durch Urteil vom 6. Dezember 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei nicht begründet. Denn
die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB als 20 und der dauernden Einbuße ihrer körperlichen
Beweglichkeit. Die Erkrankung im Bereich der Brust sei hier maximal mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Insoweit sei
der Einschätzung des Sachverständigen nicht zu folgen. Denn nach Nr. 14.1 der versorgungsmedizinischen Grundsätze werde ein
prothetisch unversorgter einseitiger Verlust der weiblichen Brust mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Nach erfolgter Aufbauplastik
gelte jedoch ein Bewertungsrahmen von 10 bis 30. Ein GdB von 30 wäre nur bei einem deutlich suboptimalen Operationsergebnis
gerechtfertigt, eine leichte Asymmetrie ohne sonstige Komplikationen bedinge lediglich einen Einzel-GdB von 20. Dr. S indes
beschreibe bei der Klägerin ein inspektorisch optimales Ergebnis. Die Brust sei in Form, Größe und Lage beiderseits weitestgehend
angeglichen. Die Mamillen seien korrekt sitzend und in etwa gleich groß, die Narben kaum sichtbar. Lediglich beim Anheben
der Brust zeige sich rechts etwas mehr als links eine abgeblasste breite Narbe. Komplikationen wie Lymphödeme, Bewegungseinschränkungen
der oberen Extremitäten, Narbenreizungen oder eine Kapselfibrose würden von Dr. S nicht beschrieben. Auch eine Dislokation
des Implantats sei seit der Austauschoperation im Jahr 2001 nicht mehr aufgetreten. Die von der Klägerin vorgetragenen Spannungsgefühle
und Narbenschmerzen - insbesondere bei Wetterwechsel - sowie die gelegentlichen Schmerzen in der linken Schulter seien als
typische Begleiterscheinungen einer im Übrigen optimal gelungenen Aufbauplastik innerhalb des Bewertungsrahmens nicht erhöhend
zu berücksichtigen. Der aktuelle Einzel-GdB von 20 sei nach alledem bereits großzügig angesetzt.
Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule und des Beckens seien nach Nr. 18.9 und 18.10 der versorgungsmedizinischen
Grundsätze mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Es bestünden hier leichte Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule, eine
Bandscheibenvorwölbung L4/5 sowie ein chronisches lumbales Syndrom mit rezidivierenden, in die Beine ausstrahlenden Schmerzen.
Bei der Untersuchung durch den Sachverständigen sei die Wirbelsäule insgesamt frei beweglich, neurologisch unauffällig und
bis auf einen leichten Klopf- und mittelgradigen Druckschmerz im Bereich der LWS schmerzfrei gewesen. Nach dem Befundbericht
der Hausärztin erfolge auch keine dauernde spezifische Schmerzbehandlung, sondern lediglich eine bedarfsweise Schmerzmedikation
mit Ibuprofen 400 bis 800 in der kalten Jahreszeit. In den Sommermonaten sei die Klägerin schmerzfrei. Insoweit seien die
Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule noch als leichtgradig einzustufen und mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Die rechtsseitige Kreuzbein-Darmbein-Blockade gehe noch nicht mit einer signifikanten Funktionsbeeinträchtigung des Beckenrings
einher und habe daher keine GdB-erhöhende Wirkung.
Die Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke rechtfertige ab dem Begutachtungszeitpunkt maximal einen Einzel-GdB von 10.
Zwar würden nach den gutachterlichen Feststellungen bei der Klägerin Knorpelschäden an beiden Kniegelenken vorliegen. Jedoch
liege ein radiologischer Nachweis ausgeprägter Knorpelschäden nicht vor. Zudem hätten im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung
weder Bewegungseinschränkungen noch Anhaltspunkte für anhaltende Reizerscheinungen oder Instabilitäten bestanden. Lediglich
beim Verschieben der Kniescheibe sei ein beiderseitiges schmerzhaftes Knirschen bzw. Reiben aufgetreten. Zudem habe die Klägerin
gelegentliche Blockierungen angegeben, habe bisher jedoch selbst noch keinerlei Behandlungserfordernis in Form einer weitergehenden
Diagnostik oder Schmerzbehandlung ihrer Kniebeschwerden gesehen.
Der Einzel-GdB von 20 für das Brustleiden sei durch die weiteren Einzel-GdB von je 10, insoweit sei auch eine Kunstlinse beidseitig
mit einem solchen Einzel-GdB zu bewerten, nicht zu erhöhen. Auch die Voraussetzungen für die Feststellung einer dauernden
Einbuße der körperlichen Beweglichkeit lägen nicht vor. Insoweit führten geringe funktionelle Auswirkungen einer Gesundheitsstörung,
die lediglich einen GdB von 10 bedingten, nicht zu einer solchen Einbuße. Daher folge aus den Funktionsbeeinträchtigungen
der LWS und der unteren Extremitäten hier kein Anspruch auf die begehrte Feststellung. Ein solcher folge auch nicht aus dem
Brustleiden, weil sich hieraus keine Einschränkungen im Bereich der oberen Extremitäten ergeben würden.
Gegen das ihr am 16. Dezember 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Dezember 2017 Berufung eingelegt, mit der sie
ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft hat. Sie hat ärztliche Atteste der Orthopäden Aß vom 3. April 2018 und Dr. F vom
15. März 2018 zu den Gerichtsakten gereicht.
Der Senat hat bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. R ein orthopädisches Sachverständigengutachten vom 22.
August 2018 eingeholt, das dieser aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 16. Juli 2018 erstattet hat und in dem
er zu der Einschätzung gelangt ist, der GdB der Klägerin betrage 20 aufgrund folgender Funktionsbeeinträchtigungen und Einzel-GdB:
Aufbauplastik der Brust links bei Polandsyndrom, Reduktionsplastik rechte Brust (20),
Knorpelschäden beider Kniegelenke II. bis III. Grades mit belastungsabhängigen Reizerscheinungen (20),
lumbales Facettengelenkssyndrom, Fehlstatik, Muskelreizerscheinungen bei Dysbalancen (10),
Kunstlinsenimplantation beidseits (10).
Im Wesentlichen hat der Sachverständige zu den orthopädischen Leiden ausgeführt, dass die beidseitigen Knorpelschäden II.
bis III. Grades mit belastungsabhängig häufig wiederkehrenden, aber nicht dauerhaft anhaltenden Reizerscheinungen und freier
Bewegungsfunktion (Streckung/Beugung rechts wie links 0-0-140°) mit einem Einzel-GdB von 20, die leichten Funktionsstörungen
und geringen funktionellen Auswirkungen im Bereich der LWS mit einem Einzel-GdB von 10 und Beschwerden im Bereich der linken
Schulter bei möglicher Armhebung bis 140° bei bestehender endgradiger Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit ausreichend
sicherer muskulärer Ansteuerbarkeit und Führung und ohne entzündliche Reaktionen oder Instabilitäten mit keinem Einzel-GdB
zu bewerten seien.
Die Klägerin meint, da die Behinderungen im Bereich der Brüste und der Kniegelenke unterschiedliche Organsysteme beträfen,
ergäben die Einzel-GdB von je 20 den Gesamt-GdB von 30.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom
25. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2014 zu verurteilen, für sie einen GdB von 30 sowie
das Vorliegen der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit ab dem 14. Dezember 2012 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt auch nach den weiteren Ermittlungen des Senats die mit der Berufung angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts.
Die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakte, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen
wird, haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 25. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2014 ist rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 30 und des Vorliegens
der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit.
Die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch liegen nicht vor, wonach der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eintritt. Denn hier ist nach dem Bescheid des Versorgungsamts H vom 19. Februar 1996 keine wesentliche Änderung eingetreten.
Der GdB bei der Klägerin ist weiter mit 20 ohne Merkzeichen "dE" festzustellen.
Nach §
152 Abs.
1 Satz 1 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX) in seiner seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung (entsprechende Regelung zuvor in §
69 Abs.
1 Satz 1
SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung fest.
Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind seit dem 1. Januar 2009 die in der Anlage zu § 2 VersMedV vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten "versorgungsmedizinischen Grundsätze" zu beachten, die durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I Seite
249), 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928), vom 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124), vom 28. Oktober 2011 (BGBl. I Seite 2153) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I Seite 2122) sowie durch Gesetze vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I Seite 3234), vom 17. Juli 2017 (BGBl. I Seite 2541) und vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I Seite 2652) Änderungen erfahren haben.
Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Grundsätzen als Grad der Behinderung in Zehnergraden zu bestimmen. Für die Bildung
des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach §
152 Abs.
3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander
zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen
Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob
und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von
einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen
zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen
dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen
Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich
nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von
20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr.
3 d) aa) - ee) der Anlage zu § 2 VersMedV).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der GdB bei der Klägerin für die Zeit ab dem 14. Dezember 2012 nicht höher als mit 20 zu
bewerten. Hiervon ist nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. S und Dr. R auszugehen, die jeweils auf ambulanten Untersuchungen
der Klägerin sowie einer kritischen Würdigung der sonstigen medizinischen Unterlagen beruhen und die sowohl auf der Grundlage
der herrschenden medizinischen Lehre als auch im Einklang mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen erstattet worden sind.
Soweit der Senat mit seiner Bewertung von der des Sachverständigen Dr. S abweicht, ist dies zulässig. Denn die Bemessung des
GdB ist in drei Schritten vorzunehmen und grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, wobei das Gericht nur bei der Feststellung
der einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen (erster Schritt) ausschließlich ärztliches Fachwissen heranziehen
muss. Bei der Bemessung der Einzel-GdB und des Gesamt-GdB kommt es indessen nach §
152 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilnahme am Leben in der Gesellschaft an. Bei diesem zweiten
und dritten Verfahrensschritt hat das Tatsachengericht über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände
auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen. Diese Umstände sind in die Anlage zu § 2 VersMedV einbezogen worden (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B - juris).
Die Funktionsbehinderungen im Bereich der Brust sind bei der Klägerin nach Nr. 14.1 der Anlage zu § 2 VersMedV mit einem Einzel-GdB von 20 großzügig und völlig ausreichend bemessen. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Gründe
der angefochtenen Entscheidung, §
153 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Bei der Klägerin liegen weiter Knorpelschäden beider Kniegelenke II. bis III. Grades vor. Diese Überzeugung stützt der Senat
auf die Feststellung der gerichtlichen Sachverständigen, wobei insbesondere das Gutachten von Dr. R in diesem Zusammenhang
besonders aufschlussreich ist. Für die Bewertung dieses Leidens sieht Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV folgende in Betracht kommenden Maßstäbe vor:
Bewegungseinschränkung im Kniegelenk
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geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90)
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einseitig
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0-10
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beidseitig
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10-20
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mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90)
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einseitig
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20
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beidseitig
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40
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stärkeren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-30-90)
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einseitig
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30
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beidseitig
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50
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Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen,
einseitig
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ohne Bewegungseinschränkung
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10-30
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mit Bewegungseinschränkung
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20-40
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Die Bewertung der Funktionseinschränkung der Kniegelenke der Klägerin ist hier nicht am Maßstab einer Bewegungseinschränkung
im Kniegelenk vorzunehmen, weil nach den übereinstimmenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen eine Einschränkung
der Beweglichkeit bei den nach der Neutral-Null-Methode erhobenen Werten namentlich für die Streckung/Beugung (0-0-140°) nicht
vorgelegen hat. Vorliegend ist jedoch auch nicht der Rahmen für die Bewertung von Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen
eröffnet, denn zur Überzeugung des Senats liegen anhaltende Reizerscheinungen nicht vor. Solche haben die gerichtlichen Sachverständigen
nicht festgestellt, Dr. R hat deren Vorliegen ausdrücklich verneint.
Hiervon ausgehend ist keiner der dargestellten ausdrücklichen Bewertungsmaßstäbe eröffnet, was indes nicht zur Folge hat,
dass die bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats tatsächlich bestehenden belastungsabhängig häufig wiederkehrenden, aber
nicht dauerhaft anhaltenden Reizerscheinungen nicht mit einem Einzel-GdB zu bewerten wären. So kann nach dem Schrifttum (Wendler/Schillings,
Versorgungsmedizinische Grundsätze, 8. Auflage 2017, Seite 377) die Bewertung von Knorpelschäden nicht zwingend an anhaltende
Reizerscheinungen gekoppelt werden, was indes nicht den ausdrücklich geregelten Bewertungsrahmen für Knorpelschäden mit anhaltenden
Reizerscheinungen eröffnet. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Ärztliche Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin
(im Folgenden: Beirat) bei dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales den bis 30 reichenden Rahmen, der teilweise von Sachverständigen
als zu hoch kritisiert worden ist, gerade mit Hinweis auf die meist bestehenden anhaltenden Reizerscheinungen verteidigt hat
(Punkt 1.10.10 des Protokolls der Sitzung des Beirats am 25. und 26. November 1998).
Die insbesondere von Dr. R mitgeteilten Funktionseinschränkungen an beiden Kniegelenken sind im Rahmen der gebotenen Gesamtschau
(vgl. Teil B Nr. 1 Satz 2 und Nr. 1 b der Anlage zu § 2 VersMedV) aller ausdrücklich geregelten Maßstäbe für Funktionseinschränkungen des Kniegelenkes in Anlehnung an die skizzierten Bewertungsgrundlagen
mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Dies trägt den Funktionseinschränkungen der Klägerin hinreichend Rechnung, die gegenüber
Dr. R erst nach einer Gehstrecke von 2 km oder Fahrradfahren von länger als 30 Minuten von Schmerzen und Reizerscheinungen
im Bereich der Kniegelenke berichtet hat.
Zusammen mit den weiteren Einzel-GdB von je 10 für die Kunstlinsenimplantation beidseits (bei Visus von je 1,0, vgl. Teil
B Nr. 4.2 der Anlage zu § 2 VersMedV) und ein leichtes Wirbelsäulenleiden (Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV) ergibt sich hier ein Gesamt-GdB von 20. Damit trägt der Senat dem Umstand Rechnung, dass es auch bei leichten Funktionsstörungen
mit einem GdB-Grad von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu
schließen. Soweit die Klägerin auf Urteile des 13. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg hinweist (vom 9. März
2017 - L 13 SB 119/15 - und vom 7. Dezember 2017 - L 13 SB 22/17 - beide bei juris), handelt es sich jeweils um Einzelfallentscheidungen, die auf den vorliegenden Fall nicht zu übertragen
sind. Im Übrigen hat auch der 13. Senat in seiner Entscheidung vom 9. März 2017 darauf hingewiesen, dass nicht jeder GdB von
20 gleichsam automatisch zur Anhebung des Gesamt-GdB führe. Soweit in derselben Entscheidung weiter ausgeführt wird, wirke
sich eine weitere Funktionsbeeinträchtigung (die mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet werde) nicht nur vernachlässigbar negativ
auf die bereits durch das "führende Leiden" gegebene Teilhabebeeinträchtigung aus, müsse dies bei der Bildung des Gesamt-GdB
auch zum Ausdruck kommen, was in aller Regel der Fall sein werde, wenn die jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen verschiedene
Lebensbereiche ohne Überschneidungen beträfen, mag eine Erhöhung durch die mit einem Einzel-GdB von 20 bewertete Behinderung
in dem dortigen Einzelfall angemessen gewesen sein. Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass gerade das Leiden im Bereich
der Brust abgesehen von Narbenschmerzen und Wetterfühligkeit praktisch keine Teilhabebeeinträchtigungen verursacht. Daher
liegt hier kein Fall vor, in dem sich eine weitere Funktionsbeeinträchtigung (Brustleiden) nicht nur vernachlässigbar negativ
auf die bereits durch das "führende Leiden" gegebene Teilhabebeeinträchtigung (Knieleiden) auswirkt.
Der Beklagte hat es auch zu Recht abgelehnt, bei der Klägerin eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne
des §
33b Abs.
2 Nr.
2 b des
Einkommensteuergesetzes (
EStG) festzustellen. Gemäß §
33b Abs.
2 Nr.
2 b EStG erhalten behinderte Menschen bestimmte Pauschbeträge, deren GdB auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt ist,
wenn die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit führt. Bei der Leidensfolge "dauernde Einbuße
der körperlichen Beweglichkeit" handelt es sich gegenüber der Behinderung selbst um ein weiteres gesundheitliches Merkmal
als Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines außerhalb des
SGB IX geregelten Nachteilsausgleichs. Für die Feststellung derartiger gesundheitlicher Merkmale sind die für die Durchführung des
BVG zuständigen Behörden (§
152 Abs.
4 SGB IX) zuständig. Den Nachweis einer Behinderung hat der Steuerpflichtige nach § 65 Abs. 1 Nr. 2a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 2000 zu erbringen bei einer Behinderung, deren Grad auf weniger als 50, aber mindestens 25 festgestellt ist, durch eine Bescheinigung
der nach §
152 Abs.
1 SGB IX zuständigen Behörde auf Grund eines Feststellungsbescheids nach §
152 Abs.
1 SGB IX, die eine Äußerung darüber enthält, ob die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt
hat oder auf einer typischen Berufskrankheit beruht (vgl. BSG, Urteil vom 26. Februar 1992 - 9a RVs 2/9 - juris).
Der skizzierte Regelungszusammenhang erhellt, dass eine Feststellung der dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit
nur in Betracht kommt, wenn ein GdB von mindestens 25 - wegen §
152 Abs.
1 Satz 5
SGB IX also 30 - vorliegt, was hier wie dargelegt nicht der Fall ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG nicht vorliegt.