Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale der außergewöhnlichen Gehbehinderung (aG) und für
das Merkzeichen T bei schwerer Hüftgelenksarthrose, weiteren psychischen, orthopädischen und internistischen Leiden und einer
Adipositas permagna.
Der 1942 geborenen Klägerin wurde 1997 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer zuerkannt. Mit Bescheid des Beklagten
vom 5. März 1998 wurden der Grad der Behinderung der Klägerin mit einem Betrag von 70 und das Vorliegen der gesundheitlichen
Voraussetzungen einer erheblichen Gehbehinderung (Merkzeichen G) festgestellt. Die Klägerin benutzt etwa seit Mitte 2000 einen
Rollator. Sie beantragte im August 2003 die Neufeststellung wegen Verschlimmerung bestehender Behinderungen und Hinzutretens
neuer Behinderungen. Der Beklagte holte den Befundbericht der behandelnden Orthopäden, der behandelnden Nervenärztin und des
behandelnden Internisten sowie eine gutachterliche Stellungnahme des praktischen Arztes B ein. Er lehnte mit Bescheid vom
1. Dezember 2003 eine Neufeststellung ab. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen RF, aG und T seien nicht
erfüllt.
Ihren Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass sich ihr Gesundheitszustand seit März 1998 wesentlich verschlimmert
habe und, weil sie nicht mehr Treppen steigen könne, in eine andere Wohnung umgezogen sei. Sie habe große Probleme, einen
Parkplatz in der Nähe zum Hauseingang zu finden und warte teilweise stundenlang, bis ein Parkplatz frei werde. Nach Verlassen
des Autos auf dem Weg zum Hauseingang müsse sie sich auf den vor dem Haus stehenden Betonklötzen zum Ausruhen setzen. Die
Möglichkeit, den Telebus zu nutzen, habe sie als große Erleichterung empfunden. Ärzte, die nur über Treppen zu erreichen gewesen
seien, habe sie wechseln müssen. Zur Begründung ihres Widerspruchs reichte die Klägerin das Attest ihrer behandelnden Orthopäden
(Dr. T und Dr. Dr. Z) vom 14. Dezember 2003 ein. Diese unterstützten den Widerspruch der Patienten bezüglich der Merkzeichen
aG und T.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2004 zurück; aus Gründen der Vollständigkeit und Klarheit
wurden die Funktionsbeeinträchtigungen neu bezeichnet. Die Voraussetzungen, unter denen die begehrten Merkzeichen aG und T
festgestellt werden könnten, lägen bei der Klägerin nicht vor. Während des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin reichte
die Klägerin verschiedene Atteste ihrer behandelnden Ärzte, den Bescheid ihrer Krankenkasse vom 23. Juni 2004 über die Kostenübernahme
für die Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung und die Kostenübernahme für einen Rollator vom 14. Januar 2005 ein. Das Sozialgericht
holte Befundberichte bei der behandelnden Nervenärztin Dr. P vom 1. März 2006, bei den behandelnden Orthopäden vom 24. Februar
2006, bei der behandelnden Urologin W vom 23. Februar 2006 und vom Hausarzt der Klägerin, dem Facharzt für Allgemeinmedizin
S, vom 3. Mai 2006 ein. Mit Bescheid der zuständigen Pflegekasse vom 21. Februar 2006 aufgrund der Begutachtung vom 14. Februar
2006 wurde der Klägerin Pflegegeld für die Pflegestufe I ab 1. Dezember 2005 bewilligt. Der Beklagte veranlasste die sozialmedizinische
Begutachtung durch Dr. W vom 30. Januar 2007. Daraufhin erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 1. März 2007 einen GdB von
90 ab August 2003 an und stellte die gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen B und G fest. Es wurden folgende Funktionsbeeinträchtigungen
festgestellt (dabei folgte der Beklagte der sozialmedizinischen Gutachterin; die Beträge in den Klammern geben die jeweiligen
Einzel-GdB nach dem Gutachten an):
a) psychische Behinderung (50) b) Coxarthrose beiderseits, beginnender Kniegelenksverschleiß bds, Fußfehlform (60) c) Fehlform
der Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen und Reizerscheinungen, Osteoporose (30) d) Polyarthrosen der Fingergelenke,
Heberden-Bouchard-Arthrose (20) e) chronische Gastritis, Nierensteine (10) f) Blasenschwäche (10) g) Diabetes mellitus (10)
h) Funktionsbehinderung des Schultergelenkes (10).
Mit Urteil vom 31. Juli 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Von den unstreitig bei der Klägerin anerkannten Behinderungen
würden sich auf die Gehfähigkeit letztlich nur die Behinderungen zu b) und c) auswirken. Nach den Ausführungen der Gutachterin
sei es der Klägerin möglich, mit Hilfsmitteln durchaus noch mehr Schritte zu laufen und auch Treppenstufen zu steigen als
das dem für die Berechtigung ausdrücklich genannten Personenkreis, welchem die Klägerin gleichgestellt werden wolle, in der
Regel objektiv und zumutbar möglich sei. Die von der Klägerin empfundenen großen Schmerzen und Beschwerden bei der Fortbewegung
seien in ganz erheblichem Umfang nicht behinderungsbedingt, sondern auf das der starke Übergewicht der Klägerin zurückzuführen.
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG seien deshalb nicht erfüllt. Weil der Klägerin das Merkzeichen aG nicht zustehe
und ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht erkennbar
sei, seien auch die Voraussetzungen für das Merkzeichen T nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erfülle
die Klägerin nur insoweit, als ihr ein GdB von mindestens 80 zustehe. Die Klägerin sei jedoch objektiv nicht ständig von der
Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen behinderungsbedingt ausgeschlossen. Die Kammer folge insoweit der engen Auslegung
des BSG.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren mit ihrer Berufung weiter. Sie hat verschiedene Atteste ihrer behandelnden Ärzte vorgelegt.
Ihr wurde durch ihre Krankenkasse am 12. Oktober 2007 ein Faltrollstuhl bewilligt. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung
vorgetragen, sie könne inzwischen nur noch etwa drei bis fünf Meter gehen und brauche dann eine Pause wegen der Anstrengung
und der Schmerzen. Auch Stehen sei ihr nur noch für max 2,5 bis 3 Minuten möglich. In ihrer Wohnung stehe deshalb im Flur
ein Drehsessel, auf dem sie sich ausruhe, wenn sie sich in der Wohnung bewege. Wenn sie stürze, könne sie sich nicht mehr
allein aufrichten.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend den Rechtsstreit für die Zeiträume vor dem 3. Dezember
2009 sowie hinsichtlich des Merkzeichens RF für erledigt erklärt.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2004 in der Fassung des Bescheides vom 1. März 2007 zu ändern, den Beklagte zu verpflichten,
für die Klägerin die gesundheitlichen Merkmale der außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen aG) und für das Merkzeichen
T mit Wirkung vom 3. Dezember 2009 festzustellen.
Der Beklagte hält das Urteil für zutreffend und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den Befundbericht der behandelnden Orthopäden vom 19. August 2007 eingeholt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsakten
des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin für das nunmehr noch anhängige Klagebegehren hat Erfolg. Die Klägerin ist außergewöhnlich gehbehindert
und erfüllt die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Fahrdienstes nach der Telebus-Verordnung.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen aG ist §
69 Abs
4 SGB IX. Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung
für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche
Gehbehinderung iS des §
6 Abs
1 Nr
14 StVG oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "aG"
einzutragen ist (§ 3 Abs 1 Nr 1 Schwerbehindertenausweisverordnung). Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO (neu bekannt gemacht am 26.01.2001, BAnz 2001, Nr 21, S 1419, zuletzt geändert am 2009-07-17, BAnz Nr. 110, S 2598) und D
3b Anlage zur Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert iS des §
6 Abs
1 Nr
14 StVG, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines
Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte,
Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außer Stande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur
eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte,
die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen
sind (D 3b Anl-VersMedV).
Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur
unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder
Hilfe fortbewegen kann (BSG, Urteil vom 29.03.2007, B 9a SB 1/06 R, RdNr 17 f m w N). Schwierigkeiten bereitet hierbei der
Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und
einzelne Vertreter dieser Gruppen - bei gutem gesundheitlichem Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und
optimaler prothetischer Versorgung - ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines Nichtbehinderten erreichen können (BSG ebd
m w N). Auf die individuelle prothetische Versorgung der aufgeführten Behindertengruppen kann es aber grundsätzlich nicht
ankommen. Denn es liegt auf der Hand, dass solche Besonderheiten angesichts des mit der Zuerkennung von aG bezweckten Nachteilsausgleiches
nicht als Maßstab für die Bestimmung der Gleichstellung herangezogen werden können. Vielmehr muss sich dieser strikt an dem
der einschlägigen Regelung vorangestellten Obersatz orientieren; dies ist §
6 Abs
1 Nr
14 StVG (BSG, Urteil vom 29.03.2007, B 9a SB 1/06 R, RdNr 17 m w N). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Parkraum für diejenigen Schwerbehinderten
geschaffen werden sollte, denen es unzumutbar ist, längere Wege zu Fuß zurückzulegen (vgl BT-Drucks 8/3150, S 9 f in der Begründung
zu §
6 StVG). Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu
stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG aaO RdNr 17 m w N). Nach D 3c Anl-VersMedV erfolgt eine Gleichstellung
insbesondere dann, wenn ein Rollstuhl nicht nur verordnet wurde, sondern der Betroffen auch ständig auf ihn angewiesen ist,
weil er sich sonst nur mit fremder Hilfe oder unter großer Anstrengung fortbewegen kann.
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Wie der 9. BSG-Senat bereits in seinem Urteil
vom 10. Dezember 2002 (B 9 SB 7/01 R) ausgeführt hat, lässt sich ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren.
Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen
straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich
außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich
ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (BSG, Urteil vom 29.03.2007, B 9a SB 1/06 R, RdNr 18).
Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich
für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt.
Auch soweit die o g großen körperlichen Anstrengungen festzustellen sind, kann nicht allein auf eine gegriffene Größe wie
die schmerzfrei zurückgelegte Wegstrecke abgestellt werden (BSG ebd RdNr 19). Unabhängig von der Schwierigkeit, eine solche
Wegstrecke objektiv, fehlerfrei und verwertbar festzustellen, ist die Tatsache, dass ein Betroffener nach einer bestimmten
Strecke eine Pause machen muss, lediglich Indiz für eine Erschöpfung. Für die Zuerkennung des Merkzeichens aG reichen jedoch
nicht irgendwelche Erschöpfungszustände aus. Sie müssen in ihrer Intensität vielmehr gleichwertig mit den Erschöpfungszuständen
sein, die Schwerbehinderte der in D 3b Anl-VersMedV einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Gradmesser hierfür kann die Intensität
des Schmerzes bzw der Luftnot nach dem Zurücklegen einer bestimmten Wegstrecke sein (BSG ebd RdNr 19). Ein solches Erschöpfungsbild
lässt sich u a aus der Dauer der erforderlichen Pause sowie den Umständen herleiten, unter denen der Schwerbehinderte nach
der Pause seinen Weg fortsetzt. Nur kurzes Pausieren - auch auf Großparkplätzen - mit anschließendem Fortsetzen des Weges
ohne zusätzliche Probleme ist im Hinblick auf den von den Vergleichsgruppen gebildeten Maßstab zumutbar (BSG ebd).
Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der
die medizinischen Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt werden. Denn für das Merkzeichen aG gelten gegenüber G nicht
gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG aaO RdNr 21). Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium
aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens aG herleiten (BSG ebd RdNr 22). Abgesehen davon, dass es keine empirischen
Untersuchungen zur durchschnittlichen Entfernung zwischen gesondert ausgewiesenen Behindertenparkplätzen und den Eingängen
zu Einrichtungen des sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens gibt, greift die alleinige Ausrichtung auf Behindertenparkplätze
(Zusatzzeichen 1020-11, 1044-10, 1044-11 StVO) zu kurz. Denn daneben werden nach Abschnitt I Nr 1 zu § 46 Abs 1 Nr 11 VwV-StVO weitere umfangreiche Parkerleichterungen, wie zB die Ausnahme vom eingeschränkten Halteverbot, gewährt (BSG aaO RdNr 22).
Das BSG hat allerdings geklärt, dass in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkte schwerbehinderte Menschen
sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen müssen und dass die für aG geforderte große körperliche Anstrengung
dann gegeben sein dürfte, wenn die festgestellte Wegstreckenlimitierung auf 30 m darauf beruht, dass der Betroffene bereits
nach dieser kurzen Wegstrecke erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann (BSG, Urteil vom 29.03.2007,
B 9a SB 1/06 R, RdNr 24 m w N). Das BSG geht für den Fall, dass der Betroffene sich nur langsam und selbst mit Hilfe des Rollators
nur über maximal 30 m am Stück fortbewegen kann und danach eine Pause einlegen muss, wobei er sich auf den Rollator setzt,
und wenn darüber hinaus beim Gehen Schmerzen und Unsicherheiten auftreten, davon aus, dass der Betroffene in seiner Gehfähigkeit
in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt ist (BSG, Urteil vom 29.03.2007, B 9a SB 1/06 R, RdNr 24). Dass die Einschätzung der
Gehfähigkeit überwiegend auf den subjektiven Angaben des Betroffenen beruht, braucht keinen Verfahrensfehler darzustellen.
Allerdings ist sodann weiter zu klären, ob der Betroffene sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen
kann wie die in D 3b Anl-VersMedV genannten Personen.
Das BSG hat überdies inzwischen geklärt, dass ein erhebliches Übergewicht nicht zu den Faktoren gehört, die keinen Bezug zu
einer Behinderung haben und daher bei der Beurteilung des Gehvermögens unberücksichtigt bleiben (BSG, Urteil vom 24.04.2008,
B 9/9a SB 7/06 R, RdNr 14) Die funktionellen Auswirkungen einer Adipositas permagna sind nicht nur bei Einschätzung eines
aus anderen Gesundheitsstörungen folgenden GdB (erhöhend) zu berücksichtigen, sondern auch insoweit, als sie zu einer Einbuße
der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen (BSG ebd m w N). Dieser zum Merkzeichen G ergangenen Rechtsprechung ist auch
für das besondere gesundheitliche Merkmal der außergewöhnlichen Gehbehinderung zu folgen. Dies folgt aus dem funktionenorientierten
Charakter der Anerkennung der Behinderungen und der Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche, d h die Feststellungen haben
sich nicht an den Ursachen sondern an den Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu orientieren (vgl zum
GdB: BSG, Urteil vom 30. September 2009, B 9 SB 4/08 R RdNr 30, sog "finale" Betrachtung).
Insofern ist durch das Inkrafttreten des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen (UN-Konvention-RMBeh - BGBl II 2008 Nr 35, S 1419 ff) am 26. März 2009 (BGBl II vom 23.07.2009, Nr 25, S
812) keine Änderung eingetreten. Danach zählen zu den Menschen mit Behinderungen Menschen, die langfristige körperliche, seelische,
geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen
und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können (Art 1 Satz 2 UN-Konvention-RMBeh). Auch danach kommt es
auf die Ursachen der Beeinträchtigungen nicht an. Vielmehr ist die Behinderung von der ausdrücklichen Zielstellung der Konvention
her zu bestimmen, der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft aller Menschen unter Gewährleistung
eines würdevollen Lebens, ohne dass hierbei eine langfristige gesundheitliche Beeinträchtigung einen Unterschied machen darf.
Welche Bereiche als besonders teilhaberelevant anzusehen sind, gibt die UN-Konvention-RMBeh selbst vor. Dazu gehören ua die
Zugänglichkeit (Art 9), das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit (Art 17) und auf Gesundheit (Art 25), Recht
auf Bildung (Art 24), Freizügigkeit (Art 18), die unabhängige Lebensführung (Art 19), die persönliche Mobilität (Art 20),
die Meinungsäußerung und der Zugang zu Informationen (Art 21) und das Recht auf Arbeit und Beschäftigung (Art 27). Als jüngeres
unmittelbar geltendes Bundesrecht zwingt die UN-Konvention-RMBeh mit ihrem Normprogramm ihre Maßstäbe der Auslegung von §§
2 und
69 SGB IX auf. Weil nicht vom gesundheitlichen Defizit sondern von der Teilhabeförderung her zu denken ist, können die Folgen einer
Adipositas für die Teilhabe nicht dazu führen, dass ein behinderungsrechtlicher Status versagt bleibt. Gerade bei erheblichen
Mobilitätseinbußen (Art 20 UN-Konvention-RMBeh) infolge einer Adipositas permagna können sowohl der Behindertenstatus wie
auch behinderungsrechtlich vorgesehene Nachteilsausgleiche nicht damit abgelehnt werden, die Teilhabebeeinträchtigung resultiere
aus einer Fettleibigkeit. Eine unterschiedliche Behandlung allein nach der Ursache einer Teilhabebeeinträchtigung wird durch
die Konvention ausgeschlossen (Diskriminierungsverbot Art 5 Abs 1, 2). Damit wird indes der bisherige Ansatz der Rechtsprechung
und des Verordnungsgebers rechtlich untermauert, dass die Folgen einer Adipositas permagna behinderungsrechtlich von Bedeutung
sind (vgl auch B 15.3 Anl-VersMedV). Auch die UN-Konvention-RMBeh erwartet das Leistungen zur gesundheitlichen Förderung (Art
25) und Rehabilitation (Art 26) frühest möglich einsetzen. Dies soll allerdings vorhandene Nachteilsausgleiche bei bestehenden
Behinderungen nicht ausschließen.
Die Klägerin ist aufgrund der Schwere ihrer Leiden in ihrer Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt. Bei ihr
bestehen eine schwere beidseitige Hüftgelenksarthrose (links stärker) bei beginnendem Kniegelenksverschleiß bds und Fußfehlform,
Fehlform der Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen und Reizerscheinungen und Osteoporose, eine Funktionsbehinderung
der Schultergelenke (links mehr als rechts) und eine Adipositas permagna. Die psychische Behinderung der Klägerin ist wesentlich
für die Fettleibigkeit. Daneben bestehen Polyarthrosen der Fingergelenke, Heberden-Bouchard-Arthrose, chronische Gastritis
und Nierensteine, Blasenschwäche und ein Diabetes melittus. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Dr. W vom 30. Januar
2007. Die sozialmedizinische Gutachterin der Beklagten hält die Beschwerden der Klägerin für nachvollziehbar. Die von ihr
festgestellten Bewegungseinschränkungen der Hüftgelenke entsprächen den von den behandelnden Orthopäden vermerkten und zeigten
eine gegenüber der Vorbegutachtung von 1998 deutlich stärkere Einschränkung. Dies gelte ebenso für die Kniegelenke. Die Beschwerden
lägen vorrangig in den haltenden Bänder-Muskeln, die fettdurchsetzt seien. Die Kraft der Muskeln reiche daher nicht, die Körperlast
- insbesondere beim Treppensteigen - anzuheben, zumal die arthrotisch veränderten Gelenke schmerzen würden. Diese Schwäche
gelte auch für die Haltemuskulatur der Wirbelsäule. Diese Feststellungen der Gutachterin sind unstreitig. Die Gutachterin
bestätigt in der Sache sowohl die ärztliche Bewertung durch die behandelnden Orthopäden, wie auch die Angaben der Klägerin
selbst.
Allerdings hat die Gutachterin die Bedeutung der Adipositas permagna für die Behinderung und den daraufhin vorzunehmenden
Nachteilsausgleichen verkannt. Das Zusammenwirken der sonstigen orthopädischen Behinderungen und der schweren Adipositas,
welche wesentlich durch die psychische Erkrankung der Klägerin bedingt ist, müssen bei der Feststellung der Behinderung und
dem dadurch veranlassten Nachteilsausgleich berücksichtigt werden. Auch die Gutachterin des Beklagten hält die von der Klägerin
geschilderten Beschwerden für nachvollziehbar. Sie stellt im Übrigen auch die über die bloße Gewichtsbelastung der Adipositas
permagna bei der Fortbewegung hinausgehenden Auswirkungen auch auf das Gewebe des Halte- und Muskelapparates dar. Der Senat
geht deshalb mit den behandelnden und von der Gutachterin letztlich bestätigten behandelnden Orthopäden davon aus, dass die
Klägerin nur unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln lediglich sehr kurze Strecken kleinschrittig zurücklegen kann (max 20 m -
Attest vom 17.05.2005 und Befundbericht vom 24.02.2006). Die Hausärztin bestätigt mit ihrem Attest vom 19. November 2007 den
Befund und verweist auch im Hinblick auf die diabetische Polyneuropathie und massive Lymphödeme auf den unsicheren und schleppenden
Gang sowie auf die Sturzgefahr. Die Schwere des Leidens der Klägerin ist angesichts dieser weitgehend übereinstimmenden Befunde
belegt. Auch die aktuellen Angaben der Klägerin erscheinen vor dem Hintergrund ihrer früheren, gutachterlich und ärztlich
bestätigten Angaben glaubhaft. Weitere Ermittlungen waren nicht veranlasst.
Die Klägerin muss sich beim Gehen regelmäßig körperlich besonders anstrengen, weil ihr das Gehen selbst sehr schwer fällt
und sie bereits nach einer sehr kurzen Wegstrecke von wenigen (jedenfalls max 20 m) erschöpft ist und neue Kräfte sammeln
muss, bevor sie weitergehen kann. Die beim Gehen schon nach wenigen Schritten eintretende Erschöpfung ist gleichwertig mit
den Erschöpfungszuständen, die Schwerbehinderte der in D 3b Anl-VersMedV einzeln aufgeführten Gruppen erleiden. Dies folgt
aus der besonderen physischen Belastung ebenso wie aus den besonderen, arthrotisch bedingten Schmerzen der für das Gehen wesentlichen
Hüft- und Kniegelenke. Wegen der Schulterbeschwerden kann die Klägerin dies nicht hinreichend durch die Verwendung von Unterarmstützen
kompensieren, schon das Stehen fällt ihr schwer. Dieser Zustand besteht bei der Klägerin schon seit längerem (vgl Bewilligung
der Fahrkosten zur ambulanten Behandlung durch die Krankenkasse).
Bei der Klägerin sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichnes T erfüllt. Voraussetzung für das Merkzeichen
T ist nach § 1 Abs 1 Satz 2 der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes (BerlFahrdienstVO), dass das
Merkzeichen aG, ein mobilitätsbedingter Grad der Behinderung von mindestens 80 und Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen
gegenüber dem Versorgungsamt nachgewiesen werden. Berechtigt nach Maßgabe des § 3 (befristete Berechtigung bis zum Abschluss
des Verwaltungsverfahrens) sind außerdem Personen, die erstmalig beim Versorgungsamt das Merkzeichen T beantragen und dem
Antrag eine Bescheinigung beifügen, aus der hervorgeht, dass eine Krankenkasse oder ein anderer Leistungsträger aufgrund einer
ärztlichen Verordnung die Kosten für einen Rollstuhl oder für einen Rollator übernommen hat (§ 1 Abs 2 BerlFahrdienstVO).
Aus dem Vorliegen der Voraussetzungen der außergewöhnlichen Gehbehinderung folgt auch das Vorliegen der ersten der drei Voraussetzungen
des Merkzeichens "T". Unter Berücksichtigung der schweren beidseitigen Hüftgelenksarthrose bei beginnendem Kniegelenksverschleiß
bds und Fußfehlform (Einzel-GdB 60), Fehlform der Wirbelsäule mit degenerativen Veränderungen und Reizerscheinungen und Osteoporose
(Einzel-GdB 30), der Funktionsbehinderung der Schultergelenke (links mehr als rechts), des Diabetes mellitus mit Sensibilitätsstörungen
in den unteren Extremitäten und der Adipositas permagna ergibt sich ein mobilitätsbedingter GdB von 80. Es besteht auch eine
Fähigkeitsstörung beim Treppensteigen, wie die Gutachterin der Beklagten gezeigt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt den anteiligen Erfolg der Rechtsverfolgung. Der Senat hat für die erledigten Streitgegenstände die ursprünglichen
Erfolgsaussichten berücksichtigt.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs
2 SGG).