Nur tatsächlich verfügbares Einkommen ist auf den Bedarf des Grundsicherungsberechtigten anrechenbar
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von März bis Mai 2012.
Die 1957 geborene Klägerin betrieb ein Bauträger-Unternehmen in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (G. GmbH) als Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin. Der GmbH-Geschäftsführervertrag vom 24. Juli 2009 sah ein festes
Jahresgehalt für die Geschäftsführung von 13.200 Euro vor, das in zwölf gleichen Raten zum Ende der Kalendermonate zahlbar
war. Die GmbH verfügte auf dem Geschäftskonto über einen Kontokorrentkredit mit einer Kreditlinie von 100.000 Euro. Diese
Kreditlinie war Mitte des Jahres 2011 in erheblichem Maße in Anspruch genommen. Am 31. Juli 2011 schloss die Klägerin zudem
mit der C. GmbH einen Arbeitsvertrag über eine geringfügige Beschäftigung.
Am 12. September 2011 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Sie benötige für die nächsten Monate die Grundsicherung, weil ihre Firma aufgrund säumiger Zahlungen einer Bauherrin nicht
in der Lage sei, ihr ein Gehalt zu zahlen. Es handele sich aber nur um eine Überbrückung. Im Rahmen des Antragsverfahrens
machte die Klägerin umfangreiche Angaben zum wirtschaftlichen Stand der GmbH.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2011 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag vom 12. September 2011 ab. Im Rahmen eines Eilverfahrens
vor dem Sozialgericht Hamburg (S 51 AS 3314/11 ER) erteilte der Beklagte der Klägerin unter dem 17. Oktober 2011 einen Darlehensbescheid über Leistungen vom 1. September
2011 bis zum 29. Februar 2012 in Höhe des Bedarfs. Mit Schreiben vom 2. Februar 2012 beantragte die Klägerin die Überprüfung
des Darlehensbescheids vom 17. Oktober 2011 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Firma könne ihr erst nach Fertigstellung eines bestimmten laufenden Bauvorhabens wieder ein Gehalt zahlen. Die in den
letzten Monaten nicht gezahlten Gehälter könnten derzeit in keinem Fall nachgezahlt werden. Die Leistung sei deswegen als
Beihilfe statt als Darlehen zu gewähren. Mit Bescheid vom 28. Februar 2012 lehnte der Beklagte die Abänderung des Bescheides
vom 17. Oktober 2011 ab und wies den Widerspruch der Klägerin vom 17. März 2012 mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2012
zurück. Das war Gegenstand des Klageverfahrens S 22 AS 1641/12 (s.u.).
Mit Schreiben vom 12. Februar 2012 beantragte die Klägerin erneut Leistungen beim Beklagten. Im Betreff des Schreibens war
u.a. aufgeführt: „Weiterbewilligung für 3 Monate“. Das laufende Bauvorhaben habe sich verzögert. Die Einnahmen aus den Bauraten
würden weiterhin zur Bezahlung der Handwerker und der laufenden Betriebskosten benötigt. Ein Gewinn werde erst nach Abschluss
erzielt. Erst dann werde die Zahlung des Geschäftsführergehaltes wieder aufgenommen werden können. Daher müsse sie eine Verlängerung
der Leistung um drei Monate beantragen. Sobald das Bauvorhaben fertig sei, könne sie selbst wieder für ihren Unterhalt sorgen.
Dem Antrag waren umfangreiche Unterlagen zum wirtschaftlichen Stand der GmbH beigefügt. Der Soll-Kontostand des Geschäftskontos
der GmbH betrug zum 1. März 2012 -77.012,12 Euro, am 31. Mai 2012 -91.461,63 Euro und am 31. August 2012 -93.192,91 Euro.
Die an die Vermieterin zu zahlenden Wohn- und Heizkosten der Klägerin betrugen monatlich 537,65 Euro, die monatlichen Wasserabschläge
28,- Euro. Von dem Arbeitgeber der geringfügigen abhängigen Beschäftigung erhielt die Klägerin folgende Zahlungen auf ihr
Konto: 82,89 Euro am 9. März 2012, 129,19 Euro am 10. April 2012 und 192,- Euro am 8. Mai 2012. Aus den Verdienstbescheinigungen
ergibt sich, dass Abschläge auf die abgerechneten, höheren Lohnbeträge gezahlt wurden.
Mit Bescheid vom 27. März 2012 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin vom 12. Februar 2012 ab. Mit den nachgewiesenen
Einkommensverhältnissen sei die Klägerin nicht hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin unter dem 3. März 2012 Widerspruch (gemeint war offensichtlich April, Eingang 5.
April). Die GmbH habe zuletzt kein Gehalt gezahlt und sei dazu vor Fertigstellung des laufenden Bauvorhabens auch nicht in
der Lage. Mit Widerspruchsbescheid W 4408/12 vom 27. April 2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin sei als Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin
der GmbH in der Lage, das seitens der GmbH geschuldete Geschäftsführergehalt auszuzahlen. Die Klägerin könne sich nicht auf
den erheblichen Schuldenstand auf dem Geschäftskonto berufen. Dieser sei von September 2011 mit einer Höhe über 98.000,- Euro
nach aktuellem Stand auf etwa 80.000,- Euro reduziert worden. Vor einer Schuldentilgung sei die Klägerin zunächst auf die
Sicherstellung ihres Lebensunterhalts zu verweisen.
Am 25. Mai 2012 hat die Klägerin Klage gegen den ablehnenden Überprüfungsbescheid für den Zeitraum vom 1. September 2011 bis
29. Februar 2012 und gegen die Ablehnung des Antrags vom 12. Februar 2012 für die Zeit ab 1. März 2012 erhoben. Der letztgenannte
Streitgegenstand wurde vom Sozialgericht mit Beschluss vom 20. Juni 2012 vom Verfahren S 22 AS 1641/12 abgetrennt und bildet den Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens.
Die Klägerin hat ausgeführt, dass der Kreditrahmen bis zur Fertigstellung des Bauvorhabens noch einmal komplett ausgeschöpft
werden müsse und somit weiterhin kein Geld an sie gezahlt werden könne. Eine Verpflichtung dahingehend, jedes Guthaben der
Gesellschaft sofort aus der Gesellschaft wieder abzuziehen oder gar die verbliebene Betriebsmittelkreditlinie allein zum Zwecke
der Weiterzahlung des Geschäftsführergehalts vollkommen auszuschöpfen, stelle nicht nur einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtlichen
Treuepflichten, sondern unter Umständen sogar ein strafbares Verhalten im Sinne von §
15a Abs.
4 InsO dar. Ein vermeintlicher Gewinn der GmbH könne schon rechtlich nicht ihrem eigenen Einkommen gleichgestellt werden, weil die
Vermögensmassen der GmbH und ihrer Person rechtlich zu trennen seien. Bei den Gesellschaftsanteilen handele es sich auch nicht
um verwertbares Vermögen. Dies ergebe sich aus den derzeitigen Schwierigkeiten der GmbH. Die Klägerin hat im Gerichtsverfahren
umfangreiche Unterlagen zur Geschäftsentwicklung der GmbH eingereicht. Dazu gehört insbesondere eine Aufstellung über sämtliche
Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben im Zeitraum. Eine Lebensversicherung sei im Jahr 2009 in Höhe eines Betrages von 26.000
Euro beliehen worden. Bezüglich des Einkommens aus der geringfügigen abhängigen Beschäftigung trägt die Klägerin vor, soweit
die abgerechneten Beträge die überwiesenen Beträge überstiegen, seien diese in bar ausgezahlt worden: Im März 2012 insgesamt
370,- Euro, im April 2012 insgesamt 250,- Euro und im Mai 2012 100,- Euro.
Die Fa. G. GmbH wurde am 2. Juni 2016 wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht (www.online-handelsregister.de).
Mit Urteil vom 6. November 2019 hat das Sozialgericht den Beklagten zur Erbringung von Leistungen an die Klägerin verurteilt.
Gegenstand des Leistungsantrags der Klägerin sei von Anfang an nur die Leistungsgewährung für drei Monate ab dem 1. März 2012
gewesen. Dies ergebe sich bereits aus Betreff und Wortlaut der Antragsschreiben. Nur im Rahmen dieses Antrags habe der Beklagte
seine (ablehnende) Entscheidung treffen können.
Die Klage sei begründet. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Monate
März 2012 bis Mai 2012 als Zuschuss, und zwar für März 2012 in Höhe von 665,34 Euro, für April 2012 in Höhe von 716,30 Euro
und für Mai 2012 in Höhe von 782,05 Euro. Das anzurechnende Einkommen der Klägerin decke in den betroffenen Monaten den Bedarf,
der 939,65 Euro betrage (Regelbedarf 374,- Euro, Wohn- und Heizkosten 537,65 Euro, Wasserabschläge 28,- Euro), nicht. Im März 2012 habe die Klägerin ein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung in Höhe von 442,89 Euro (82,89 Euro Kontogutschrift,
360 Euro bar) erzielt. Abzusetzen sei der Grundfreibetrag gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100,- Euro sowie der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 3 SGB II in Höhe von 68,58 Euro, so dass sich ein anzurechnender Betrag von 274,31 Euro ergebe. Das Erwerbseinkommen liege zwar über
400,- Euro, so dass Absetzungen gem. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis Nr. 5 SGB II über den Grundfreibetrag hinaus möglich seien. Die freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, welche die
Klägerin 2011 teilweise noch gezahlt habe, seien im Streitzeitraum aber nicht mehr gezahlt worden. Daraus ergebe sich der
Leistungsbetrag von 665,34 Euro. Im April 2012 habe die Klägerin ein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung in Höhe von 379,19
Euro erzielt (129,19 Euro Kontogutschrift, 250 Euro bar). Abzusetzen sei der Grundfreibetrag gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100,- Euro sowie der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 3 SGB II in Höhe von 55,84 Euro, so dass sich ein anzurechnender Betrag von 223,35 Euro und ein Leistungsbetrag von 716,30 Euro ergäben.
Im Mai 2012 habe die Klägerin ein Einkommen aus abhängiger Beschäftigung in Höhe von 297,- Euro (192 Euro Kontogutschrift,
105 Euro bar) erzielt. Abzusetzen sei der Grundfreibetrag gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100,- Euro sowie der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 3 SGB II in Höhe von 39,40 Euro, so dass sich ein anzurechnender Betrag von 157,60 Euro ergebe. Daraus folge ein Leistungsanspruch
von 782,05 Euro.
Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit als Gesellschafterin und Geschäftsführerin der GmbH sei nicht anzurechnen. Ein
Überschuss der GmbH sei nicht entstanden, unabhängig davon, ob die Geschäftsentwicklung für den vom Leistungsantrag der Klägerin
umfassten dreimonatigen Zeitraum bis zum 31. Mai 2012 oder für den gesetzlich vorgesehenen Bewilligungszeitraum von sechs
Monaten bis zum 31. August 2012 betrachtet werde. Der Kontostand des Geschäftskontos der GmbH habe am 1. März 2012 -77.012,12 Euro betragen, am 31.Mai 2012 -91.461,63 Euro
und am 31. August 2012 -93.192,91 Euro. Der Schuldsaldo habe sich also in jedem Fall erhöht. Der Kontostand sowie die Bewegungen auf dem Geschäftskonto könnten als
Maßstab für die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben herangezogen werden, da die Klägerin Privatkonto und Geschäftskonto
sauber getrennt geführt habe und nichts dafür spreche, dass nicht sämtliche Einnahmen und Ausgaben der GmbH über das Geschäftskonto
gelaufen seien. Die aus den Kontoauszügen ersichtlichen Bewegungen deckten sich zudem in den wesentlichen Punkten mit der
von der Klägerin selbst erstellten Übersicht über die Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben und die daraus resultierenden
Kontostände.
Unerheblich sei dabei, dass vom Geschäftskonto Zahlungen auf das Privatkonto der Klägerin geleistet worden seien (Telefonkostenerstattung,
Kilometergeld, ab Juni ggf. auch Geschäftsführergehalt). Es sei auch unerheblich, dass die Klägerin im Streitzeitraum über
einen Anspruch auf Zahlung des Geschäftsführergehalts in Höhe von monatlich 1.100,- Euro brutto verfügt habe. Denn nach Auffassung
des Gerichts sei die Klägerin mit ihrer Ein-Personen-GmbH existenzsicherungsrechtlich als Einheit zu behandeln. Zahlungen
und Ansprüche zwischen der Klägerin und der GmbH seien deswegen vor dem Hintergrund des § 3 Alg II-V wie Einlagen bzw. Entnahmen von Einzelkaufleuten zu behandeln. Sie seien für die Einkommensermittlung gemäß § 3 Alg II-V unerheblich, weil es sich weder um Betriebseinnahmen noch um Betriebsausgaben handele. Dies entspreche der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.8.2013 – B 14 AS 1/13 R). Im Bereich des Existenzsicherungsrechts sei nämlich die Gleichbehandlung von Selbstständigen ohne ausreichendes Einkommen
im Sinne von Art.
3 Abs.
1 GG ausschlaggebend. Die für Selbstständige geltende – besondere – Form der Einkommensermittlung, also der Bewertung der wirtschaftlichen
Fähigkeit, sich kurzfristig selbst durch Aufbringung des eigenen Lebensunterhaltes zu helfen, unterscheide sich bei Einzelselbstständigen
ohne Kapitalgesellschaft nicht in einer Weise von Einzelselbstständigen mit allein gehaltener und geführter Kapitalgesellschaft,
die grundlegende Unterschiede rechtfertigen würde. Daraus folge, dass die Klägerin mit der Obliegenheit konfrontiert werde,
dem Betrieb den Überschuss, soweit er zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlich sei, zu entziehen, gleichgültig, ob
in Form einer Geschäftsführervergütung oder in Form einer Ausschüttung. Vertragliche Vereinbarungen seien dabei existenzsicherungsrechtlich
ohne Bedeutung. Eine Einzelselbstständige mit Ein-Personen-GmbH könne sich nicht auf eine Einstellung der Geschäftsführer-Vergütung
berufen, selbst wenn dem eine (Teil-)Kündigung, ein Gesellschafterbeschluss usw. zugrunde liege. Umgekehrt aber könne die
Klägerin nicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die GmbH verwiesen werden, wenn die GmbH keinen Überschuss i.S.v.
§ 3 Alg II-V erziele. Aus einem Anspruch der Klägerin, die als Einheit mit der GmbH behandelt werde, gegen die GmbH – existenzsicherungsrechtlich
also: gegen sich selbst – könnten keine bereiten Mittel generiert werden.
Den vorstehend ermittelten Leistungsansprüchen stehe zu berücksichtigendes Vermögen nicht entgegen. Der Wert der Lebensversicherung
der Klägerin könne zu Beginn des Streitzeitraums höchstens 3.172 Euro (Auszahlungsbetrag 2016) betragen haben. Dieser Betrag
liege erheblich unter dem Vermögensfreibetrag der 1957 geborenen Klägerin gemäß § 12 Abs. 2 SGB II.
Im Verfahren S 22 AS 1641/12 betreffend den Zeitraum von September 2011 bis Februar 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen mit dem gleichen Begründungsweg,
allerdings war in jenem Zeitraum der Minussaldo des GmbH-Kontos abgeschmolzen und damit eine auskömmliche Gewinnsituation
gegeben.
Gegen das ihm am 18. Dezember 2019 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 17. Januar 2020 Berufung eingelegt. Er bestätigt
den vom Sozialgericht errechneten Bedarf der Klägerin; ihre Einnahmen seien für den März 2012 allerdings um 10 Euro höher
anzusetzen, da sie nicht 360 Euro, sondern 370 Euro in bar eingenommen habe. Richtig sei auch die Annahme des Sozialgerichts,
dass die GmbH zeitraumbezogen keinen Gewinn erzielt habe. Jedoch habe die Klägerin über ein Einkommen von monatlich 1.100
Euro als Geschäftsführergehalt verfügt. Sie habe Zugang zum Geschäftskonto gehabt und die GmbH sei infolge der bestehenden
Kreditlinie durchgehend in der Lage gewesen, das Gehalt zu entrichten. Anderenfalls komme es zu einem Vermögensaufbau bei
der GmbH und damit bei der Klägerin selbst. Steuerrechtlich sei das Unterlassen der Zahlung des Geschäftsführergehaltes als
verdeckte Einlage und damit als Gewinnerhöhung anzusehen. Der Umstand, dass das Gehalt aus der Kreditlinie hätte bezahlt werden
müssen, schade nicht. Das sei vielmehr branchenüblich; überdies seien kreditfinanzierte Betriebsausgaben nicht anzusetzen,
und da die GmbH erhebliche Ausgaben über die Kreditlinie finanziere, habe sie bei dieser Betrachtung erhebliche Gewinne erzielt.
Schließlich vermenge das Sozialgericht die verschiedenen Einkommensarten der Klägerin und saldiere unzulässig.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. November 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte Bezug
genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 27. Januar 2022 waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung bleibt im Wesentlichen ohne Erfolg.
I.
Die Berufung des Beklagten ist statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz –
SGG) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden.
II.
Die Berufung ist aber ganz überwiegend unbegründet. Das Sozialgericht hat der Klage weitgehend zu Recht stattgegeben. Der
Senat verweist auf die Begründung des angefochtenen Urteils, der er – bis auf die Korrektur unter 2. – folgt.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Urteil des Sozialgerichts vom 6. November 2019 der Bescheid des Beklagten
vom 27. März 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 3. April 2012; es geht um Leistungsansprüche der Klägerin nach dem SGB II vom 1. März 2012 bis zum 31. Mai 2012 aufgrund des Leistungsantrags vom 12. Februar 2012. Das hat bereits das Sozialgericht
zutreffend bestimmt.
1.
Zu Recht hat das Sozialgericht den Bedarf der Klägerin mit monatlich 939,65 Euro festgestellt.
2.
Dem stehen Einkünfte der Klägerin aus dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis bei der C. GmbH gegenüber. Auch der Senat
berechnet diese Einkünfte anhand der Kontogutschriften auf dem Privatkonto der Klägerin bei der S.-Bank sowie deren Auflistung
von Bareinnahmen. Die Kontogutschriften sind vom Sozialgericht zutreffend erfasst worden, die Bareinkünfte zulasten des Beklagten
und Berufungsklägers aber im Monat März mit nur 360 Euro statt – richtig – 370 Euro. Insoweit ist die Entscheidung des Sozialgerichts
zu korrigieren; das Einkommen aus abhängiger Beschäftigung betrug in diesem Monat insgesamt 452,89 Euro (82,89 Euro Kontogutschrift,
370 Euro bar), abzusetzen war der Grundfreibetrag gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II in Höhe von 100,- Euro sowie der Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 3 SGB II in Höhe von 70,58 Euro, so dass sich ein anzurechnender Betrag von 282,31 Euro ergibt und damit angesichts des Bedarfs von
939,65 Euro ein Leistungsanspruch der Klägerin in Höhe von 657,34 Euro. Die Bareinkünfte der Klägerin im April und Mai 2012
hat das Sozialgericht wiederum zutreffend bzw. nicht zulasten des Berufungsklägers unrichtig angesetzt.
3.
Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb der Klägerin sind nicht zu verzeichnen. Zwar wären die Gewinne der GmbH der Klägerin auch
ohne Gesellschafterbeschlüsse über die Ausschüttung von Gewinnen als Einnahmen zuzuordnen. Denn die Klägerin war in ihrer
Stellung als alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin als selbstständig Tätige anzusehen. Sie konnte aufgrund ihrer
Position in der GmbH uneingeschränkt über die zugeflossenen Mittel verfügen. Die Ausübung eines Gewerbes in der Konstruktion
einer bestimmten Gesellschaftsform darf nicht zu einer privilegierten Stellung des Unternehmers gegenüber sonstigen Selbstständigen
führen (so auch LSG Baden-Württ., Urteil vom 23.2.2016 – L 9 AS 2108/13; für den Alleingesellschafter einer Kommanditgesellschaft und Geschäftsführer einer Komplementärgesellschaft vgl.
BGB, Urteil vom 22.8.2013 – B 14 AS 1/13 R).
Es sind allerdings in dem maßgeblichen Zeitraum keine Gewinne entstanden, wie das Sozialgericht zutreffend anhand des Geschäftskontos
der GmbH dargelegt hat. Der Einwand des Beklagten, die Aufwendungen der GmbH dürften wegen der Kreditfinanzierung nicht abgesetzt
und daher allein die Einkünfte betrachtet werden, greift nicht durch: Zwar hatte die GmbH eine Kreditlinie von 100.000 Euro
und schöpfte diese durchgehend, wenn auch nicht stets in vollem Umfang aus; jedoch war das Geschäftsmodell nicht darauf angelegt,
Aufwendungen über Kredite zu finanzieren und über die gewinnträchtige Geschäftstätigkeit den Kredit zurückzuführen, sondern
diente die Kreditlinie lediglich als Puffer und wurden die betrieblichen Aufwendungen über die Abschlagszahlungen der Kunden
aufgefangen.
Diese Sichtweise ist auch nicht dem Einwand ausgesetzt, dass aufgrund der Betrachtung eines kurzen defizitären Zeitraums der
GmbH Verluste abgenommen würden, die nicht der wahren finanziellen Situation entsprächen. Vielmehr ist auch unter Einbeziehung
des Zeitraums bis Ende August 2012 kein Gewinn entstanden, worauf bereits das Sozialgericht hingewiesen hat, und ist der Zeitraum
von sechs Monaten vor dem hier gegenständlichen Bewilligungszeitraum (vgl. § 3 Abs. 5 Alg II-VO) bereits in der Weise berücksichtigt
worden, dass wegen der dort erwirtschafteten Überschüsse ein Leistungsanspruch vom Sozialgericht verneint wurde.
4.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist nicht etwa das vereinbarte, aber nicht ausgezahlte Geschäftsführergehalt von monatlich
1.100 Euro als Einkommen der Klägerin anzusetzen. Das Sozialgericht hat es zu Recht als Kehrseite der oben beschriebenen einheitlichen
Betrachtung von Ein-Mann-Gesellschaft und Gesellschafter/Geschäftsführer angesehen, dass bloße Ansprüche des Gesellschafters
gegen die Gesellschaft unbeachtlich sind und es vielmehr allein auf die Gewinnsituation der Gesellschaft ankommt – die Verluste
erlitt, s.o. Auch der Senat sieht dies als konsequent und richtig an; umgekehrt würde Einkommen auch nicht lediglich in Höhe
eines vereinbarten Geschäftsführergehaltes zugrunde gelegt werden können, wenn die Gesellschaft deutlich profitabler wäre.
Allenfalls bei tatsächlicher Auszahlung des vereinbarten Gehalts – was der Überziehungsrahmen des Geschäftskontos noch hergegeben
hätte – dürfte es als Einkommen der Klägerin zu betrachten sein. Fehlt es aber an einer solchen Auszahlung und damit an der
tatsächlichen Zurverfügungstellung der entsprechenden Mittel, würde es die Anrechnung bloß „fiktiver“ Einkünfte bedeuten,
wenn der Gehaltsanspruch (gegen sich selbst) als Einkommen angesehen würde. Das widerspräche dem grundlegenden Blickwinkel
des Grundsicherungsrechts, die tatsächliche Möglichkeit des Hilfebedürftigen zur Bedarfsdeckung zu berücksichtigen. Danach
ist Einkommen nur, was tatsächlich verfügbar ist, also bereitsteht und bedarfsbezogen verwendet werden kann (siehe nur Söhngen,
in: jurisPK-SGB II, § 11 Rn. 26, Stand 7/21). Entsprechend hat auch das LSG Baden-Württemberg (a.a.O.) im dortigen Fall trotz vereinbarten Geschäftsführergehalts
insoweit keine Einkünfte angerechnet, weil die Gesellschaft nicht in der Lage war, das Gehalt auszuzahlen (juris, Rn. 37 a.E.).
Vielmehr könnte der Beklagte allenfalls nach § 34 SGB II überprüfen, ob die unternehmerische Entscheidung eines Alleingesellschafters, sich kein Geschäftsführergehalt auszuzahlen,
vorsätzlich und ohne wichtigen Grund die Leistungsgewährung herbeigeführt hätte. Mit dem unterlassenen Ausschöpfen einer Kreditlinie
könnte das aber kaum begründet werden, und dass etwa wenig später außerhalb des Bewilligungszeitraumes die Gehaltszahlung
nachgeholt worden wäre, ist vorliegend nicht ersichtlich. Vielmehr ist das Geschäftskonto durchgehend im hohen Minussaldo
stecken geblieben und die GmbH im Jahr 2016 wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden.
5.
Nach allem sieht der Senat, anders als der Beklagte meint, auch keine unzulässige Saldierung von verschiedenen Einkommensarten,
wenn Gehaltsanspruch und Gewinnsituation der Gesellschaft im Zusammenhang gesehen werden. Es ist wie ausgeführt gerade Konsequenz
der Einheitsbetrachtung von Gesellschaft und Alleingesellschafter, dass keine verschiedenen Einkommensarten vorliegen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass der Beklagte ganz überwiegend unterlegen ist.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil es am Vorliegen von Zulassungsgründen fehlt.