Grad der Behinderung und Merkzeichen G
Weigerung, sich Nachuntersuchungen zu stellen
Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt einen höheren Grad der Behinderung, die Zuerkennung des Merkzeichens "G" und will sich zukünftig einer
Nachuntersuchung nicht stellen.
Die am xxxxx 1975 in O., U., geborene Klägerin beantragte am 21. Dezember 2009 die Zuerkennung eines Grades der Behinderung
(GdB) sowie der Merkzeichen "G" und "Rf", und zwar "aus steuerlichen Gründen" rückwirkend ab 1. Januar 2009. Mit Bescheid
vom 31. März 2010 stellte das seinerzeit örtlich zuständige Versorgungsamt Hamburg einen GdB von 30 unter Berücksichtigung
einer psychischen Störung mit einem Teil GdB von 20, einer Fibromyalgie sowie eines Fuß- und Knieleidens ebenfalls mit einem
Teil GdB von 20 fest. Die Feststellung der begehrten Merkzeichen komme nicht in Betracht, weil dies erst ab einem GdB von
50 vorgesehen sei. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, stimmte der Einschätzung hinsichtlich der psychischen Störung
mit einem Teil-GdB von 20 zu, meinte aber, ihre Leiden im orthopädischen Bereich seien zu gering bewertet. Insoweit sei hinsichtlich
der Wirbelsäule ein Teil-GdB von 40 angemessen, für ihre Gelenkbeschwerden ein weiterer Teil-GdB von 30. Zusätzlich seien
noch die Fibromyalgie mit einem Teil-GdB von 50 und ein Hautleiden mit einem Teil-GdB von 30 zu berücksichtigen. Deshalb müssten
die Merkzeichen "G" und "RF" und insgesamt ein die GdB von 80 festgestellt werden. Das Versorgungsamt Hamburg wies den Widerspruch
mit Bescheid vom 25. Juni 2010 zurück. Es seien nach wie vor lediglich eine psychische Störung mit einem Teil-GdB von 20 und
die Fibromyalgie sowie das Fuß- und Knieleiden mit einem Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen. Ein Hautleiden, ein Wirbelsäulenleiden
und eine chronische Nebenhöhlenentzündung mit Verengung der Nasengänge könnten nicht berücksichtigt werden, da sie für sich
allein keinen Teil-GdB von wenigstens 10 bedingten.
Daraufhin hat die Klägerin mit anwaltlicher Vertretung fristgerecht Klage erhoben, mit der sie ausdrücklich begehrt hat, bei
ihr einen GdB von mindestens 80 festzustellen. Sie hat im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass weiterhin die erfolgte Anerkennung
der Leiden auf dem orthopädischen Fachgebiet diese nicht ausreichend berücksichtigten. So sei ihr gesamtes Leben durch die
Bewegungseinschränkung im Schultergelenk rechts und an der Wirbelsäule geprägt. Dies gelte auch hinsichtlich der Bewegungseinschränkung
beider Knie. Längere Strecken könne sie nur mit dem Gehstock bewältigen. Wegen der schmerzhaften Bewegungseinschränkung des
Ellenbogens links durch eine Ellenbogenarthrose benötige sie Hilfe beim Anziehen bzw. es dauere das Anziehen länger als bei
nicht behinderten Menschen. Auch das Hautleiden in Gestalt einer Akne vulgaris und ihre Leiden auf dem Hals-Nasen-Ohren-ärztlichen
Fachgebiet seien unzureichend berücksichtigt worden.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte angefordert. Das Versorgungsamt Hamburg
hat nach deren sozialmedizinischer Auswertung mit Bescheid vom 3. Dezember 2010 einen GdB von 60 mit Wirkung ab Antragstellung
anerkannt. Dabei hat es zusätzlich eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung mit einem Teil GdB von 10, Hautveränderungen
ebenfalls mit einem Teil GdB von 10, eine Erkrankung der Haltungs- und Bewegungsorgane in Gestalt einer Kollagenose mit einem
Teil GdB von 50 und eine solche der Wirbelsäule mit einem Teil GdB von 20 berücksichtigt. Weiter heißt es in dem Bescheid,
hinsichtlich der Kollagenose sei eine Nachprüfung im Dezember 2012 vorgesehen, weil bei dieser nach ärztlicher Einschätzung
möglicherweise noch eine Änderung mit Auswirkungen auf die Höhe des GdB zu erwarten sei.
Nachdem die Klägerin ihr Begehren auf Feststellung eines GdB von 80 aufrechterhalten und sie mit Blick auf die Inaussichtnahme
einer Nachuntersuchung in dem Bescheid vom 3. Dezember 2010 behauptet hat, dass die Anerkennung der Kollagenose zu Unrecht
nicht unbefristet erfolgt sei, hat das Sozialgericht sie auf dem orthopädischen Fachgebiet durch den Facharzt für Orthopädie,
Rheumatologie und Unfallchirurgie Dr. W. untersuchen und schriftlich begutachten lassen. Dieser ist aufgrund seiner am 12.
Januar 2011 sowohl auf dem rheumatologischen als auch auf dem orthopädischen Fachgebiet durchgeführten Untersuchung zu dem
Ergebnis einer Verdachtsdiagnose einer chronisch-entzündlichen Gewebeerkrankung (Kollagenose) mit ausgeprägter sekundärer
Schmerzwahrnehmungsstörung (Fibromyalgie), einer beginnenden Verschleißerkrankung der Knie- und Hüftgelenke sowie einer schmerzhaften
Funktionseinschränkung der Wirbelsäule in zwei Abschnitten ohne objektivierbares Korrelat gelangt und hat den GdB für seine
Fachgebiete auf 50 eingeschätzt. Auf das schriftliche Gutachten vom 12. Januar 2011 wird ergänzend Bezug genommen. Des Weiteren
hat das Sozialgericht die Klägerin durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. am 14. Juni 2012 untersuchen
und schriftlich begutachten lassen. Diese hielt wegen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode,
einen Teil-GdB von 20 auf ihrem Fachgebiet und unter Berücksichtigung des Vorgutachtens von Dr. W. einen GdB von 60 für gegeben.
Auf das schriftliche Gutachten wird ergänzend Bezug genommen.
Durch Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2013 hat das Sozialgericht die mittlerweile wegen Umzuges der Klägerin im Wege des gesetzlichen
Beklagtenwechsels gegen den gegenwärtigen Beklagten gerichtete Klage abgewiesen und sich hierbei im Wesentlichen auf die eingeholten
Gutachten bezogen. Durch die Mitteilung der Inaussichtnahme einer Nachuntersuchung im Bescheid vom 3. Dezember 2010 sei die
Klägerin nicht beschwert. Die Vergabe des Merkzeichens "G", welches zusätzlich geltend gemacht werde, sei nicht Gegenstand
des Klageverfahrens geworden. Auf die dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 30. Januar 2013 zugestellte
Entscheidung wird ergänzend Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 20. Februar 2013 Berufung eingelegt, mit der sie erneut einen zusätzlichen Teil-GdB für eine Herz-/Kreislauferkrankung,
einen Teil-GdB von 20 für eine Erkrankung des Sehorgans, einen GdB von 70, die Feststellung des Merkzeichens "G" und - sinngemäß
- den Verzicht auf eine Nachuntersuchung begehrt. Ergänzend weist sie auf ein Bluthochdruckleiden hin, welches durch Messprotokolle
dokumentiert werde. Auf die die Berufung ergänzenden Schriftsätze vom 27. November 2013 und vom 27. Februar 2014 wird Bezug
genommen.
Dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag zu entnehmen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides
des Versorgungsamts Hamburg vom 31. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2010 und in der Fassung
des Neufeststellungsbescheides vom 3. Dezember 2010 zu verpflichten, bei ihr einen GdB von 70 und das Merkzeichen "G" festzustellen
sowie von einer Nachuntersuchung abzusehen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält nach erneuter medizinischer Bewertung durch seinen sozialmedizinischen Dienst die Leiden der Klägerin mit einem GdB
von 60 zutreffend bewertet, wie dies auch die medizinischen Sachverständigen bereits ausgeführt hätten. Für eine Höherbewertung
mit Blick auf die Hypertonie sei kein Raum, weil hierfür nach der Versorgungsmedizinverordnung weitere objektivierbare Parameter
herangezogen werden müssten, für deren Vorliegen es keine Anhaltspunkte gebe. Auf die Stellungnahme des sozialmedizinischen
Dienstes des Beklagten vom 30. Januar 2014 wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens
der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§
105 Abs.
2,
143, 144, 151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)), über die der Berichterstatter mit Blick auf die Zustimmung beider Beteiligter allein und ohne mündliche Verhandlung entscheiden
kann, hat keinen Erfolg.
Der Bescheid des Beklagten ist in der aktuellen Fassung nicht zu beanstanden. Ein höherer GdB als 60 steht der Klägerin nach
dem Gesamtergebnis des Verfahrens und hier vor allem mit Blick auf die sachverständigen Äußerungen von Dr. W. und Dr. P. nicht
zu. Insoweit sieht das Gericht gemäß §
153 Abs.
2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
zurück. Die Entscheidung berücksichtigt sämtliche geltend gemachten Leiden der Klägerin und bewertet diese entsprechend der
nach §
69 Abs.
1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX) auch im Schwerbehindertenrecht geltenden, nach § 30 Abs. 16 Bundesversorgungsgesetz erlassenen Rechtsverordnung "Anlage Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zur Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV)) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, 2412) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I 2122). Die VG
gilt - ebenso wie das zuvor bereits bei den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
und nach dem Schwerbehindertenrecht" (herausgegeben vom Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung bzw. Bundesministerium
für Arbeit und Soziales, hier: Ausgaben 2004, 2005 bzw. 2008 - AHP 2004/2005/2008) der Fall war - im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. Urt. vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 R - für die AHP sowie Urt. vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B - für die VersMedV) in der jeweils aktuellen Fassung (vgl. BSG, Urt. vom 7. April 2011 - B 9 VJ 1/10 R) als so genanntes antizipiertes Sachverständigengutachten. Deshalb durfte das Sozialgericht die von den Ärzten der Klägerin
erhobenen und von ihnen mitgeteilten Befunde unter Anwendung der Vorgaben der VG dort einordnen und hiervon ausgehend die
Überprüfung des Bescheides vornehmen, ohne seine Sachkunde zu überschreiten.
Soweit die Klägerin mit der Berufung erneut auf ihr Bluthochdruckleiden hinweist, hat sich hierzu ebenfalls bereits das Sozialgericht
umfassend geäußert. Im Übrigen folgt das Berufungsgericht der hierzu für die Beklagte abgegebenen ergänzenden sozialmedizinischen
Stellungnahme der Dr. V., die sich ebenfalls im Rahmen der Vorgaben der VG hält und wonach das Fehlen zusätzlicher Parameter
in Gestalt von Organbeteiligungen, mehrfach erhöhter diastolischer Blutdruckwerte und einer entsprechenden Leistungsbeeinträchtigung
eine Bewertung mit einem Teil-GdB von 20 (Teil B Nr. 9.3 VG) ausreichend erscheinen lässt.
Die begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Feststellung des Merkzeichens "G" kann schon deshalb nicht ausgesprochen werden,
weil die Klägerin das Rechtsmittel der Klage ausdrücklich auf die Zuerkennung eines höheren GdB beschränkt hat. An dem entsprechenden
Erklärungsgehalt der Klagschrift besteht namentlich deshalb kein Zweifel, weil diese durch einen Rechtsanwalt verfasst wurde.
Damit ist der in Rede stehende Bescheid bestandskräftig geworden und bindet beide Beteiligte nach §
77 SGG.
Durch die in dem angegriffenen Bescheid in Gestalt des Neufeststellungbescheides vom 3. Dezember 2010 enthaltene Ankündigung,
eine Nachuntersuchung veranlassen zu wollen, ist die Klägerin nicht beschwert und die Klage ist bereits unzulässig. Diese
Ankündigung ist nicht Teil des Verfügungssatzes dieses Bescheides und beschränkt diesen auch sonst nicht, auch nicht in zeitlicher
Hinsicht. Vielmehr zuerkennt dieser Dauerverwaltungsakt einen GdB von 60 solange, bis er durch einen Neufeststellungsbescheid
ersetzt wird. Soweit die Klägerin mit diesem Teil ihres Begehrens sich gleichsam vorbeugend gegen die Einleitung eines Neufeststellungsverfahrens
wehren will, fehlt es an den qualifizierten Voraussetzungen vorbeugenden Rechtschutzes. Denn es gibt keinen Anhaltspunkt dafür,
dass die Klägerin ihrer Rechte verlustig ginge, wenn sie insoweit auf den regelmäßigen, d.h. nachträglichen Rechtschutz gegen
einen etwaigen Neufeststellungsbescheid verwiesen wäre. Wenn die Klägerin in diesem Zusammenhang auch darauf hinweist, dass
ihr wegen der zunächst unbefristeten Feststellung des GdB auch der Schwerbehindertenausweis unbefristet auszustellen sei,
dann erlaubt sich das Gericht den Hinweis auf § 6 Abs. 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwAwV). Danach sind Ausweise für schwerbehinderte Menschen stets für die Dauer von längstens 5 Jahren zu befristen. Lediglich
in den Fällen, in denen eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht zu erwarten ist, kann nach § 6 Abs.
2 Satz 2 SchwAwV der Ausweis unbefristet ausgestellt werden. Eine solche Entscheidung stünde im Ermessen der Beklagten. Auch
sie ist aber jedenfalls nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Denn zu einer Befristung oder Nichtbefristung des Ausweises
äußert sich der Bescheid vom 3. Dezember 2010 ebenfalls nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG nicht vorliegen.