Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung bei Meldeversäumnissen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Eintritt eines zweiten Meldeversäumnisses mit seinen Folgen, § 31 Abs. 2 S. 1, 2, Abs, 3 S.
3 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).
Mit Bescheid vom 26.02.2009 bewilligte die Beklagte dem in Bedarfsgemeinschaft mit einer Partnerin lebenden Kläger für den
Zeitraum vom 01.04.2009 bis 30.09.2009 Grundsicherungsleistungen nach § 20 SGB ll, für Mai 2009 reduziert um 32,00 EUR mtl.
als Folge des mit bestandskräftigem Bescheid vom 05.02.2009 festgestellten Meldeversäumnisses vom 14.01.2009. Am 10.03.2009
lud die Beklagte den Kläger zu einem Termin vom 19.03.2009 schriftlich ein. In der datentechnisch gespeicherten Dokumentation
zu diesem Vorgang heißt es auszugsweise "Betreff: Einladung mit RFB zugesandt Einladung (erste Einladung) mit RFB zum 19.03.2009
...". Das Original dieser Einladung konnte von der Beklagten nicht mehr vorgelegt werden. In einem dem Sozialgericht vorgelegten
Simile-Nachdruck zu dem dokumentierten Einladungsvorgang heißt es u.a. "Erste Einladung ... bitte kommen Sie am ... in die
... wenn Sie ohne wichtigen Grund dieser Einladung nicht Folge leisten, wird Ihr Arbeitslosengeld II um 10 % der für Sie nach
§ 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) maßgebenden Regelleistung für die Dauer von drei Monaten abgesenkt ...". Dem Simile-Nachdruck
beigefügt sind weitere Hinweise dahin, dass bei einer Verletzung der Meldepflicht das Arbeitslosengeld II um 10 % der maßgeblichen
Regelleistung und bei wiederholten Verletzungen der Meldepflicht um den Prozentsatz abgesenkt wird, der sich aus der Summe
des Prozentsatzes der vorangegangenen Minderung und zusätzlichen 10 % ergibt.
Am 18.03.2009 erschien der Kläger, nicht dagegen am 19.03.2009. Zu der daraufhin mit Schreiben vom 20.03.2009 vorgenommenen
Anhörung zur beabsichtigten Absenkung seiner Leistungen äußerte der Kläger im Schreiben vom 06.04.2009, er habe am 19.03.2009
viel zu erledigen und kein Geld für eine Fahrkarte gehabt. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2009 den
Eintritt eines zweiten Meldeversäumnisses am 19.03.2009 einhergehend mit einer Absenkung der dem Kläger zustehenden Regelleistung
um 20 % (63,00 EUR mtl.) für die Zeit vom 01.05.2009 bis 31.07.2009 fest. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 23.04.2009
Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2009 unter Erläuterung der aus ihrer Sicht bestehenden
Sach- und Rechtslage zurückwies. Am 28.10.2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht erhoben und in der mündlichen Verhandlung
vom 18.10.2010 beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Sanktionsbescheides vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14.10.2009 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger ungekürzte Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.06.2009
bis 31.07.2009 zu zahlen.
2. für den Fall einer Klageabweisung, die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 18.10.2010 hat das Sozialgericht die Berufung abgewiesen und weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen
die Berufung zugelassen. Auf die Begründung des Urteils wird Bezug genommen.
Gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil vom 18.10.2010 hat der Kläger am 02.11.2010 Beschwerde eingelegt und gerügt,
die Entscheidung des Sozialgerichts weiche vom Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.02.2010 - B 14 AS 53/08 R - ab. Auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 29.10.2010 wird Bezug genommen. Mit Beschluss vom 01.10.2010
hat das Landessozialgericht die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts zugelassen.
In einem am 20.12.2010 durchgeführten Erörterungstermin haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Der Kläger beantragt nach seinem erkennbaren Interesse,
das Urteil des Sozialgerichts vom 18.10.2010 abzuändern und
den Bescheid der Beklagten vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 aufzuheben, sowie die Bescheide
vom 15.04.2009, 15.05.2009 und 29.05.2009 insoweit abzuändern, als darin für den Zeitraum vom 01.05.2009 bis 31.07.2009 auf
Grundlage des Bescheides vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 eine Absenkung der Grundsicherungsleistungen
des Klägers um 63,00 EUR mtl. umgesetzt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§
124 Abs.
2,
155 Abs.
3,
4 SGG). Es handelt sich um einen Rechtsstreit ohne besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art, den zu-grundeliegenden
Rechtsfragen ist grundsätzliche Bedeutung nicht beizumessen (zu den Voraussetzungen für eine Einzelrichterentscheidung insoweit
zuletzt Urteil des BSG vom 18.05.2010 - B 7 AL 43/08 R - mwN).
Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 sowie die weiteren Bescheide
vom 15.04.2009, 15.05.2009 und 29.05.2009, insoweit sie die mit Bescheid vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14.10.2009 festgestellte Minderung des Leistungsanspruchs des Klägers im Zeitraum vom 01.05.2009 bis 31.07.2009 umsetzen,
sind rechtswidrig und daher aufzuheben. Hierüber ist im Rahmen einer reinen Anfechtungsklage zu entscheiden, da bei Aufhebung
der genannten Bescheide dem Kläger die mit Bescheid vom 26.02.2009 bewilligten Ansprüche wieder ungemindert zustehen.
Über den Bescheid vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 hinaus sind auch die Änderungsbescheide
vom 15.04.2009, 15.05.2009 und 29.05.2009 Gegenstand des Verfahrens, da die Beklagte mit diesen Bescheiden die sich aus dem
angefochtenen Bescheid vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 ergebenden leistungsrechtlichen
Änderungen umgesetzt hat (vgl. Urteil des BSG vom 18.02.2010 - B 14 AS 53/08 R -).
Der Bescheid vom 09.04.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2009 sowie die weiteren Bescheide vom 15.04.2009,
15.05.2009 und 29.05.2009 im genannten Umfang sind rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die vorgenommene Teilaufhebung
des Bewilligungsbescheides vom 26.02.2009 nach § 40 Abs. 1 S. 2 SGB II iVm §
330 Abs.
3 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch -Arbeitsförderung - (
SGB III), 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltung und Sozialdatenschutz - (SGB X) in der Verwirklichung des Absenkungstatbestandes nach § 31 Abs. 2, Abs. 3 S. 1, 3 SGB II nicht vorliegen. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die
bei dem Erlass des Bewilligungsbescheides vom 26.02.2009 vorgelegen haben, ist nicht eingetreten, weil es für die festgestellte
Absenkung um 20 % der maßgebenden Regelleistung nach § 20 SGB II an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung im Sinne des
§ 31 Abs. 2 SGB II fehlt. Hiernach bedarf es einer schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen der Nichtwahrnehmung eines
Meldetermines.
Die Anforderungen an Inhalt und Formulierung der Rechtsfolgenbelehrung hat das Bundessozialgericht unter Anknüpfung an vorhandene
Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer rechtmäßigen Rechtsfolgenbelehrung vor Eintritt von Sperrzeittatbeständen nach
dem
SGB III dahin konkretisiert, dass die Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für ihre Wirksamkeit konkret, richtig, vollständig
und verständlich sein muss sowie dem Arbeitslosen zeitnah im Zusammenhang mit dem geforderten Verhalten erläutern muss, welche
unmittelbaren und konkreten Auswirkungen auf seinen Leistüngsanspruch drohen (BSG a.a.O.).
Diesen Anforderungen genügt die dem Kläger erteilte Rechtsfolgenbelehrung bezüglich der Meldeaufforderung zum 19.03.2009 schon
deshalb nicht, weil sie inhaltlich falsch ist. Denn die erteilte Rechtsfolgenbelehrung ist nach eindeutiger Formulierung sowohl
in dem datentechnisch gespeicherten Beratungsvermerk vom 10.03.2009 ("Erste Einladung") als auch nach den im Simile-Nachdruck
für das Sozialgericht angegebenen Prozentsatz der drohenden Absenkung von 10 % eine Rechtsfolgenbelehrung für das erste Meldeversäumnis.
Dieser Mangel wird nicht geheilt durch die - wiederum: nach dem Simile-Ausdruck - beigefügte Rechtsfolgenbelehrung, in der
mehrere gesetzliche Tatbestände einer Verletzung der Meldepflicht mit ihren Folgen erläutert werden. Denn erforderlich ist
eine konkrete Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben auf den Einzelfall, sodass die Aushändigung eines Merkblattes mit abstrakt-generellem
Inhalt nicht ausreicht (BGS a.a.O. mwN zur Absenkung nach § 31 Abs. 1 SGB II). Im vorliegenden Fall tritt hinzu, dass die
bei sorgfältiger Lektüre der Rechtsfolgenbelehrung zur vorgenommenen Einladung mögliche Erkenntnis, dass es sich um eine zweite
Verletzung der Meldepflicht mit einer drohenden Absenkung um 20 % handeln könnte, zu einem Widerspruch mit dem in der Einladung
selbst genannten Prozentsatz von 10 % führt. Die vorgenommene Rechtsfolgenbelehrung genügt den gesetzlichen Anforderungen
daher nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und trägt dem Erfolg des Klägers Rechnung.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 SGG).