Tatbestand
Streitig ist die Höhe einer großen Witwenrente.
Die 1960 geborene Klägerin ist die Witwe des 1955 in Polen geborenen und am 30.6.2008 in Deutschland verstorbenen X. L. (fortan:
Versicherter). Der Versicherte war in Polen als Hauer/Schlosser beschäftigt. 1982 nahm er seinen ständigen Aufenthalt in der
(damaligen) Bundesrepublik Deutschland und erhielt hier den Vertriebenenausweis "A". Anschließend war er in Deutschland bis
Oktober 2007 als Maschinenbediener beschäftigt. Die Beklagte gewährte ihm ab Februar 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung
auf der Basis von insgesamt 37,9273 persönlichen Entgeltpunkten (pEP). Dabei berücksichtigte sie die in Polen zurückgelegten
rentenrechtlichen Zeiten nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten-
und Unfallversicherung vom 9.10.1975 (im Folgenden: Abk Polen RV/UV 1975). Die aus Polen stammende Klägerin kam - unabhängig
vom Versicherten - im Dezember 1992 nach Deutschland. Sie ist keine Spätaussiedlerin, aber (mittlerweile) deutsche Staatsangehörige.
Der Versicherte und die Klägerin lebten seit etwa 2000 in einem eheähnlichen Verhältnis und heirateten am 20.6.2008.
Nachdem die Beklagte einen Anspruch auf große Witwenrente wegen der nur zehntägigen Ehedauer zunächst abgelehnt hatte, gewährte
sie der Klägerin nach Anerkenntnis im nachfolgenden Klageverfahren (Sozialgericht (SG) Dortmund, Aktenzeichen (Az) S 6 KN 51/09) große Witwenrente in Höhe von (ab Oktober 2008) zunächst EUR 524,23 (Wert des Rechts auf Rente), wobei sich nach Anrechnung
von Erwerbseinkommen ein Zahlbetrag von zunächst EUR 117,85 (ab Mai 2010: EUR 149,65) ergab. Dabei hat die Beklagte für "Zeiten
mit Tabellenwert" (hier: 1.6.74 - 18.10.1982) nur 60% der ermittelten Entgeltpunkte (EP) berücksichtigt und insgesamt 33,7391
pEP zugrunde gelegt (endgültige Feststellung im Bescheid vom 4.5.2010). Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend,
die Beklagte habe bei der Witwenrente die EP des Versicherten für die polnischen Zeiten bis 18.10.1982 nicht auf 60% kürzen
dürfen. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Bei der Berechnung der großen Witwenrente sei auf die Witwe als Berechtigte
(und nicht auf den Versicherten) abzustellen. Da sie erst im Dezember 1992 nach Deutschland gekommen sei, sei auf sie nicht
(mehr) das Abk Polen RV/UV 1975 anzuwenden. Stattdessen sei das (Nachfolge-)Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 8.12.1990 (im Folgenden: Abk Polen SozSich 1990) maßgeblich, das entsprechenden
Besitzschutz für Rentenanwartschaften nicht mehr vorsehe (Widerspruchsbescheid vom 28.6.2010).
Mit ihrer Klage vom 2.8.2010 hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie keine Rente aus eigenen Beitragszeiten, sondern
aus denen des Versicherten beanspruche; dieser habe vor dem maßgeblichen "Stichtag 1.1.1991" seinen ständigen Aufenthalt in
der Bundesrepublik Deutschland genommen und unterfalle dem Abk Polen RV/UV 1975. Auf den Zeitpunkt ihrer Übersiedlung komme
es nicht an, da es nicht um einen Anspruch aus ihrer Versicherung gehe. Die Beklagte greife durch ihre Berechnungsweise in
bereits bestandskräftig festgestellte Ansprüche des Versicherten ein.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten. Durch die Änderung der Rechtslage habe der Gesetzgeber sicherstellen
wollen, dass polnische Abkommenszeiten nur noch nach dem Fremdrentengesetz (FRG) berücksichtigen werden können.
Mit Bescheiden vom 18.1. und 18.7.2012 hat die Beklagte die Witwenrente wegen Änderungen des auf die Rente anzurechnenden
Erwerbseinkommens der Klägerin neu festgestellt.
Das SG hat die Klage unter Bezugnahme auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Saarland (vom 24.6.2004, Az L 4 KN 27/02) abgewiesen: Das Abk Polen RV/UV 1975 sei auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht anwendbar. Deshalb seien die strittigen
in Polen zurückgelegten Beitragszeiten "mit dem Faktor 0,6 zu vervielfältigen", § 22 Abs 4 FRG idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25.9.1996. Die Kürzung der EP aus den polnischen rentenrechtlichen
Zeiten um 40% (= "Vervielfältigung mit dem Faktor 0,6") sei auch nicht nach der Übergangsbestimmung des Art 6 § 4 Abs 5 des
Gesetzes zur Neuregelung des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts und zur Anpassung der Berliner Reichsversicherung an die
Vorschriften des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes und des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz - FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) in der seit 1991 geltenden
Fassung ausgeschlossen. Die Klägerin sei keine Rentenberechtigte, der nach Maßgabe des Abk Polen SozSich 1990 Ansprüche und
Anwartschaften ausnahmsweise noch auf der Grundlage des Abk Polen RV/UV 1975 zustünden. Das am 1.10.1991 in Kraft getretene
Abk Polen SozSich 1990 sei maßgeblich. Nach Art 27 Abs 1 Abk Polen SozSich 1990 gelte für Ansprüche von Personen, die nach
dem 31.12.1990 ihren Wohnsitz in das Hoheitsgebiet des jeweiligen Vertragsstaates verlegt haben, grundsätzlich das Abk Polen
SozSich 1990, mithin also auch für den Rentenanspruch der erst im Dezember 1992 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelten
Klägerin. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift gelte die Stichtagsregelung und damit die in Art 19 Abs 4 Abk Polen SozSich 1990 in Bezug genommene Kürzungsbestimmung des § 22 Abs 4 FRG idF des WFG vom 25.9.1996 für Versicherten- und Hinterbliebenenrenten gleichermaßen (im Einverständnis mit den Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung ergangenes Urteil vom 25.3.2013, der Klägerin zugestellt am 24.4.2013).
Mit ihrer Berufung vom 22.5.2013 trägt die Klägerin ergänzend vor, das Urteil des LSG Saarland, auf das sich das SG maßgeblich stütze, betreffe einen anderen Sachverhalt und andere Rechtsfragen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25.3.2013 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 4.5.2010
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.6.2010 zu verurteilen, ihr ab 1.7.2008 höhere Witwenrente zu gewähren und
dabei mindestens die persönlichen Entgeltpunkte zugrunde zu legen, die dem Bescheid vom 15.5.2008 zugrunde lagen, mit dem
dem verstorbenen Versicherten Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten, die Verwaltungsakten der Beklagten
(betreffend den Versicherten und die Klägerin) sowie die Akten des Vorprozesses vor dem SG Dortmund (Az S 6 KN 51/09) Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 4.5.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
28.6.2010 (§
95 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)) beschwert die Klägerin, weil er rechtswidrig ist, §
54 Abs
2 S 1
SGG. Die Klägerin hat Anspruch auf (höhere) große Witwenrente unter Berücksichtigung weiterer 4,1882 pEP.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (nur) der Bescheid der Beklagten vom 4.5.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 28.6.2010), soweit darin die Höhe des Rechts auf Witwenrente geregelt ist. Die späteren Bescheide vom 18.1. und 18.7.2012
sind entgegen der Auffassung des SG nicht Gegenstand des (Klage-)Verfahrens geworden. Sie ändern oder ersetzen die Regelung zur Höhe des Rechts auf Witwenrente
nicht, sondern regeln in Anwendung von § 31 FRG, in welcher Höhe die Rente nicht zu leisten ist, weil sie ruht (Urteile des Senats vom 28.5.2013, Az L 18 KN 135/12, [...]Rdnr 25, und vom 12.11.2013, Az L 18 KN 206/10, [...]Rdnr 25, jeweils mwN).
Der Senat prüft den Anspruch der Klägerin auf höhere Witwenrente entsprechend ihrem Schlussantrag in zweiter Instanz nur noch
darauf, ob der Berechnung (mindestens) die 37,9273 pEP zugrunde zu legen sind, die der Rente des Versicherten wegen voller
Erwerbsminderung im Bescheid vom 15.5.2008 zugrunde lagen. Diesem maßgeblichen letzten Sachantrag liegt keine Klageänderung
iS von §
99 Abs
1 SGG zugrunde, so dass über deren Zulässigkeit nicht zu befinden ist. Vielmehr hat die Klägerin ihren durchgehend weiterverfolgten
Anspruch auf höhere große Witwenrente nur zulässigerweise (§
99 Abs
3 Nr
2 SGG auf eine Mindesthöhe beschränkt ("gedeckelt"). Darin liegt allenfalls (je nach Berechnung des Werts auf Rente) eine konkludent
erklärte teilweise Klagerücknahme, die den Rechtsstreit insoweit erledigt, §
102 Abs
1 S 2
SGG.
Mit dem so begrenzten Klageantrag greift die Klägerin im Wege der Anfechtungsklage den (wertfeststellenden) Verwaltungsakt
über die Rentenhöhe an, begehrt mit der Verpflichtungsklage die Festsetzung eines höheren Rentenwerts unter Berücksichtigung
der pEP aus dem Bescheid des Versicherten zur Rente wegen voller Erwerbsminderung und mit der Leistungsklage - im Wege der
objektiven Klagehäufung - die Zahlung eines höheren monatlichen Rentenbetrags, §
54 Abs
1 u 4
SGG i.V.m. §
56 SGG (BSG, Urteil vom 20.3.2013, Az B 5 R 2/12 R).
Entgegen der Ansicht des SG ist die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Über die von der Beklagten im Rentenbescheid vom 4.5.2010 zugrunde gelegten
33,7391 pEP (27,2958 pEP aus der allgemeinen Rentenversicherung und 6,4433 pEP aus knappschaftlicher Rentenversicherung) hinaus
hat die Klägerin Anspruch auf Berücksichtigung weiterer pEP in Höhe der Differenz zu den dem Rentenbescheid des Versicherten
vom 15.5.2008 zugrunde gelegten 37,9273 pEP (28,3284 pEP aus der allgemeinen Rentenversicherung und 9,5989 pEP aus der knappschaftlichen
Rentenversicherung), also weiterer 4,1882 pEP.
Der Senat kann für seine Entscheidung über den Klageantrag im Berufungsverfahren offenlassen, ob sich ein solcher Anspruch
bereits daraus ergibt, dass bei der Berechnung der großen Witwenrente der Klägerin die vom Versicherten in Polen zurückgelegten
Beitragszeiten nicht über § 15f FRG, sondern weiter nach dem Abk Polen RV/UV 1975 zu berücksichtigen sind. Dafür spricht entgegen der Auffassung des SG und des LSG Saarland, dass der Anspruch auf Witwenrente kein originärer, auf eigenen versicherten Entgelten beruhender Anspruch
der Witwe, sondern ein vom versicherten Ehemann abgeleiteter Anspruch ist, der ausgefallenen Unterhalt ersetzt und deshalb
- anders als eigene Rentenanwartschaften und -ansprüche - auch nicht dem Schutz des Art
14 Abs
1 Grundgesetz unterfällt (BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1). Damit korrespondiert, dass primäres Regelungsobjekt (als Satzglied: Subjekt) der grundsätzlich hier weiter anzuwendenden
Vorschriften des Art 27 Abs 2 Sätze 1 und 2 Abk Polen SozSich 1990 (vgl dazu im Einzelnen: Urteil des Senats vom 28.5.2013,
Az L 18 KN 135/12 [...]Rdnrn 33ff mwN) Ansprüche und Anwartschaften und nicht etwa (anspruchsberechtigte) Personen sind. Die Regelung besagt
im Kern, dass aufgrund des Abk Polen RV/UV 1975 erworbene Ansprüche und Anwartschaften durch das Abk Polen SozSich 1990 nicht
berührt werden, solange die Personen, die sie erworben haben, auch nach dem 31.12.1990 ihren Wohnsitz beibehalten. Genau das
ist hier der Fall: Der Versicherte hatte bereits 1982 und damit weit vor dem 1.1.1991 (Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich 1990)
seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland genommen und unterfiel damit der Übergangsregelung Art 6 § 4 Abs 5 FANG,
weil er nach Maßgabe des Abk Polen SozSich 1990 Ansprüche und Anwartschaften auf der Grundlage des Abk Polen RV/UV 1975 erworben
hatte. Der so erworbene Bestandsschutz bleibt bestehen. Eine Regelung, nach der er für Hinterbliebene entfällt, fehlt. Dies
wird im umgekehrten Fall - Witwe vor dem 1.1.(7.) 1991, verstorbener Versicherter nach dem 31.12.1990 (30.6.1991) eingereist
(zu den Daten in Klammern s. Art 27 Abs 4 Abk Polen SozSich 1990) - besonders deutlich: Dann müssten auf polnischen rentenrechtlichen
Zeiten basierende EP des Versicherten, der nach seiner Übersiedlung in Deutschland eine vor dem Stichtag in die Bundesrepublik
übergesiedelte Polin geheiratet hat und selbst dem Abk Polen SozSich 1990 unterfällt, bei der Witwenrente von 60% auf 100%
aufgestockt werden, weil die Witwe vor dem 1.1.1991 in die Bundesrepublik eingereist ist. Dies ist erkennbar nicht gewollt,
weil die Witwe selbst vor ihrer Einreise solche nach dem Abk Polen RV/UV 1975 geschützte Anwartschaften gerade nicht erworben
hatte.
Der Anspruch der Klägerin auf Berücksichtigung weiterer 4,1882 pEP zu den von der Beklagten im Bescheid vom 4.5.2010 berücksichtigten
33,7391 EP folgt aus dem Schutz der bei der Rente wegen voller Erwerbsminderung des Versicherten zugrundegelegten pEP für
die Berechnung der Witwenrente der Klägerin, §
88 Abs
2 S 1
SGB VI (s zu dieser Vorschrift Senatsurteil vom 14.2.2012, Az L 18 R 684/11, Rdnr 26).
Nach §
64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag einer Rente, wenn 1. die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten pEP, 2. der Rentenartfaktor
und 3. der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Nach §
66 Abs
2 Nr
2 SGB VI sind bei einer Witwenrente die EP des verstorbenen Versicherten die Grundlage für die Ermittlung der pEP. Nach §
88 Abs
2 S 1
SGB VI sind bei einer Hinterbliebenenrente mindestens die bisherigen pEP des verstorbenen Versicherten zugrunde zu legen, wenn der
verstorbene Versicherte eine Rente aus eigener Versicherung bezogen hat und die Hinterbliebenenrente spätestens 24 Monate
nach Bezug dieser Rente beginnt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Versicherte bezog eine Rente wegen voller
Erwerbsminderung aus eigener Versicherung, und die Hinterbliebenenrente der Klägerin begann nahtlos im Anschluss an den Rentenbezug
des Versicherten.
Eine den Regelungsgehalt (und damit den Normbefehl) des §
88 Abs
2 S 1
SGB VI vorliegend nach allgemeinen (Kollisions-)Rechtsgrundsätzen als lex superior, lex specialis oder lex posterior verdrängende
(Sonder-)Vorschrift existiert nicht (vgl zu einer anderen Konstellation: BSG, Urteil vom 20.3.2013, Az B 5 R 2/12 R Rdnr 18; Senatsurteil vom 14.2.2012, Az L 18 R 684/11, Rdnr 27). Als solche kommen nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Regelungszweck insbesondere nicht Art 27
Abs 1 S 2 und Abs 2 S 1 Abk Polen SozSich 1990 (i.V.m. § 22 Abs 4 FRG) in Betracht (aA ohne nähere Begründung LSG Saarland, Urteil vom 24.6.2004, Az L 4 KN 27/02). Diese (gleichrangigen) Vorschriften sind zunächst nicht später als §
88 SGB VI, sondern kurz zuvor in Kraft getreten. Die Regelung des §
88 Abs
2 S 1
SGB VI ist durch Art 85 Abs 1 RRG 1992 zum 1.1.1992 in Kraft getreten, also zwar in zeitlicher Nähe, aber doch nach Inkrafttreten des Abk Polen SozSich 1990
in Deutschland zum 19.6.1991 (Art 6 des Zustimmungsgesetzes vom 18.6.1991, BGBl II, 741f) bzw Inkrafttreten des bilateralen
Abkommens zum 1.10.1991 (BGBl II, 1072).
Sie enthalten bei genauerer Analyse überdies keine abschließende (Sonder-)Regelung zum Bestandsschutz von pEP bei der Witwenrente
einer nach dem 31.12.1990 (bzw 30.6.1991) aus Polen dauerhaft nach Deutschland gekommenen Person. Es ist bereits nicht erkennbar,
dass sich der Regelungsgehalt beider (Bestands- und damit) Vertrauensschutz gewährenden Vorschriften (teilweise) deckt.
Im Wortlaut des Art 27 Abs 1 u 2 Abk Polen SozSich 1990 ist - anders als in §
88 Abs
2 S 1
SGB VI - von Hinterbliebenen nicht die Rede. Art 27 Abs 2 S 1 Abk Polen SozSich 1990 trifft explizit - wie bereits weiter oben ausgeführt - eine Sonderregelung zu Abs 1 S 2 der Vorschrift
für "die vor dem 1. Januar 1991 aufgrund des Abkommens vom 9. Oktober 1975 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (Abkommen von 1975) von Personen in einem Vertragsstaat erworbenen
Ansprüche und Anwartschaften, solange diese Personen auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses
Vertragsstaats beibehalten". Die Norm stellt - übertragen auf den vorliegenden Fall - damit ausschließlich auf vom Versicherten
erworbene Rechtspositionen ab. Damit korrespondiert (im Wege des Umkehrschlusses) die Formulierung "Ansprüche aus Versicherungszeiten"
in Art 27 Abs 1 S 1 Abk Polen SozSich 1990.
Auch die systematische und historische Auslegung spricht nicht für die Auffassung der Beklagten (und des LSG für das Saarland.
AaO). Weder aus den weiteren Absätzen des Art 27 Abk Polen SozSich 1990 noch aus dem Standort dieser Vorschrift im Normgefüge
ergeben sich Anknüpfungspunkte für die Annahme einer (abschließenden) Sonderregelung für Hinterbliebenenrenten von Polen,
die ihren Wohnsitz in Deutschland genommen haben. Anhaltspunkte dafür, dass der Regelungsgehalt beider Vorschriften in direktem
Zusammenhang steht, finden sich nicht. Allein die Tatsache, dass sich Art 27 Abk Polen SozSich 1990 in einem (in nationales
Recht transformierten) bilateralen Abkommen befindet, führt nicht dazu, dass die darin enthaltenen Vorschriften aus systematischen
Gründen Sondervorschriften zu innerstaatlichen gleichrangigen Gesetzen sind. Auch die Entstehungsgeschichte (der lex posterior)
des §
88 Abs
2 SGB VI weist nicht in diese Richtung. Danach sollte §
88 Abs
2 SGB VI den Schutz von Hinterbliebenenrenten allgemein erweitern: Nach dem bis zum 31.12.1991 geltenden Recht (§ 30 Abs 2 Satz 5,
§ 31 Abs 2 Satz 2, § 45 Abs 2 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz/§ 1253 Abs 2 Satz 5, § 1254 Abs 2 Satz 2, § 1268 Abs 2 Satz 2
Reichsversicherungsordnung) war (nur) der bisherige Rentenzahlbetrag besitzgeschützt. Indem durch die Neuregelung ab dem 1.1.1992 kein Besitzschutz
mehr für den Zahlbetrag, sondern für die pEP gewährt wurde, sollten Hinterbliebene nicht schlechter, sondern besser gestellt
werden. Sie sollten an der Dynamisierung der Rente nach §
65 SGB VI teilnehmen (vgl Begründung zum Gesetzentwurf für das RRG 1992, BT-Drucks 11/4124, 173; BSG, Urteil vom 20.3.2013, Az B 5 R 2/12 R Rdnr 18; Gürtner in: KassKomm,
SGB VI, Stand 2013,§
88 Rdnr 2; Kreikebohm in: Kreikebohm,
SGB VI, 4. Aufl 2013, §
88 Rdnr 2).
Die teleologische Auslegung des §
88 Abs
2 S 1
SGB VI spricht schließlich eindeutig gegen die Nichtanwendung der Vorschrift auf die Witwenrente der Klägerin. Es ist nämlich Sinn
und Zweck der Vorschrift, das Rentenniveau zu sichern, das den erworbenen bisherigen Lebensstandard des Versicherten und seiner
Hinterbliebenen gewährleistet, und das Vertrauen der Hinterbliebenen auf den Fortbestand der existenzsichernden Rentenleistungen
in bisheriger Höhe zu schützen. Rentenanwartschaften und -ansprüche stehen in einem ausgeprägten sozialen Bezug und sind Bestandteile
eines Leistungssystems, dem eine besondere soziale Funktion zukommt. Aus Vertrauensschutzgesichtspunkten und um den Lebensstandard
von Hinterbliebenen auf dem bisherigen Niveau zu sichern, nimmt der Gesetzgeber sogar (Mehr-)Belastungen der Solidargemeinschaft
bewusst in Kauf (BSG, Urteil vom 20.3.2013, Az B 5 R 2/12 R Rdnr 18; Jensch in: jurisPK-
SGB VI, 2. Aufl 2013, §
88 Rdnr 15.1). Widerstreitende Interessen der Versichertengemeinschaft, die der Gesetzgeber iSv Art
3 Abs
1 Grundgesetz (
GG) willkürlich dabei vernachlässigt haben könnte, sind nicht erkennbar. Im Gegenteil ergänzen sich §
88 Abs
2 SGB VI und Art 27 Abs 2 S 1 Abk Polen SozSich 1990 in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich: Beide Vorschriften gewähren Bestands- und Vertrauensschutz
für unterschiedliche Regelungsbereiche. Art 27 Abs 2 S 1 Abk Polen SozSich 1990 schützt (abstrakt) das Vertrauen derjenigen
Personen, bei denen die Überführung ihrer Rentenanwartschaften in das deutsche Rentensystem für die Ausreise (wesentlich mit-)ursächlich
gewesen sein mag, §
88 Abs
2 SGB VI schützt das Vertrauen der Witwe in den Fortbestand des Lebensstandards nach dem Tod des Ehemanns in Fällen, in denen seine
Rente diesen maßgeblich (mit-)geprägt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 S 1, 193 Abs
1 S 1
SGG.
Der Senat hat die Revision wegen der von der Beklagten geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen,
§
160 Abs
2 SGG.