Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld. Streitig ist, ob die Klägerin die Anwartschaftszeit
erfüllt hat.
Die Klägerin war zuletzt vom 01.01.2011 bis zum 30.09.2013 als Heilmasseurin beschäftigt. Aufgrund eines Arbeitsunfalls erhielt
sie vom 30.11.2012 bis zum 07.10.2013 Verletztengeld. Ab dem 08.10.2013 bezog die Klägerin Übergangsgeld und nahm an einem
Reha-Vorbereitungslehrgang teil, der am 12.01.2014 enden und in eine Umschulung zur Kauffrau im Gesundheitswesen, die bis
zum 12.01.2016 geplant war, münden sollte (Bewilligungsbescheid der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege
vom 13.09.2013). Ein Berufsausbildungsvertrag nach dem BBiG lag der Umschulung nicht zugrunde. Aufgrund einer Erkrankung nahm die Klägerin nur bis zum 30.11.2013 an dem Lehrgang teil.
Vom 01.12.2013 bis zur Aussteuerung am 14.04.2015 erhielt die Klägerin Krankengeld von der R-Krankenkasse.
Am 14.04.2015 meldete sich die Klägerin persönlich mit Wirkung zum 15.04.2015 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.
Im Rahmen einer von der Beklagten veranlassten ärztlichen Begutachtung wurde festgestellt, dass die Klägerin ihre bisherige
Tätigkeit nicht mehr ausüben könne, sie jedoch über eine Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten über sechs Stunden verfüge.
Im Rahmen dieses Leistungsvermögens stellte die Klägerin sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung.
Mit Bescheid vom 09.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die
Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil sie in den letzten zwei Jahren vor dem Antrag auf Arbeitslosengeld
weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.
Am 25.01.2016 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Dortmund erhoben. Sie habe einen Anspruch auf Arbeitslosengeld,
weil sie fortlaufend versicherungspflichtig gewesen sei. Die Tatsache, dass sich durch den Bezug des Übergangsgeldes während
der beruflichen Reha eine Lücke von mehr als einem Monat zwischen dem Verletztengeld und dem Krankengeld ergeben habe, sei
rechtlich bedeutungslos. Die berufliche Reha-Maßnahme stehe der Unmittelbarkeit zwischen den beiden Bezugszeiträumen nicht
entgegen. Unmittelbarkeit sei losgelöst von einem zeitlichen Zusammenhang gegeben, wenn der Sachverhalt eine arbeitsförderungsrechtlichen
Kontinuität erkennen lasse.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.2015 zu verpflichten,
ihr Arbeitslosengeld ab dem 15.04.2015 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin sei während des Krankengeldbezugs nicht versicherungspflichtig gewesen, weil sie nicht unmittelbar zuvor versicherungspflichtig
gewesen sei. Daher sei sie in der gem. §
143 Abs.
3 SGB III um 54 Tage zu verlängernden Rahmenfrist vom 20.02.2013 bis zum 14.04.2015 nur während des Verletztengeldbezuges 230 Tage
versicherungspflichtig gewesen.
Mit Urteil vom 25.11.2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt,
weil sie innerhalb der Rahmenfrist nur 230 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Nur der Bezug des
Verletztengeldes begründe gem. §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III ein Versicherungspflichtverhältnis, da die Klägerin unmittelbar zuvor in einem Beschäftigungsverhältnisses als Heilmasseurin
versicherungspflichtig gewesen sei. Der sich anschließende Bezug von Übergangsgeld während der beruflichen Reha begründe ebenso
wie der Krankengeldbezug keine Versicherungspflicht. Die Klägerin sei nicht iSd §
26 Abs.
2 SGB III unmittelbar vor Beginn des Krankengeldbezugs versicherungspflichtig gewesen. Ab Beginn der beruflichen Reha-Maßnahme habe
sich die Klägerin von der Versichertengemeinschaft gelöst. Der Umstand, dass die Klägerin nach 54 Tagen die Maßnahme abgebrochen
habe, sei irrelevant, weil es für die Beurteilung der Abkehr von der Versichertengemeinschaft auf den Maßnahmenbeginn ankomme.
Gegen das am 20.12.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.01.2020 Berufung eingelegt. Sie habe während der Rahmenfrist
360 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Während des Krankengeldbezugs sei sie versicherungspflichtig gewesen,
weil sie unmittelbar davor versicherungspflichtig gewesen sei. Die Teilnahme an der beruflichen Reha-Maßnahme habe nicht zu
einer Abkehr von der Versichertengemeinschaft geführt.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Dortmund vom 25.11.2019 den Bescheid der Beklagten vom 09.11.2015 in Gestalt
des Widerspruchsescheides vom 23.01.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld ab dem 15.04.2015
zu gewähren
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Der angefochtene Ablehnungsbescheid vom 09.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.12.2015, gegen den sich die
Klägerin zutreffend im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage wendet, ist rechtswidrig im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 15.04.2015.
Nach §§
136,
137 Abs.
1 SGB III hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer das für die Regelaltersrente iSd
SGB VI erforderliche Lebensalter noch nicht erreicht hat und arbeitslos ist (§
138 SGB III), sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (§
141 SGB III) und die Anwartschaftszeit (§
142 SGB III) erfüllt hat. Diese Voraussetzungen hat die Klägerin zum 15.04.2015 erfüllt.
Die Klägerin hat sich mit Wirkung zum 15.04.2015 persönlich (§
141 SGB III in der bis zum 31.12.2021 gF) arbeitslos gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt war sie 52 Jahre alt und konnte keine Altersrente
nach dem
SGB VI in Anspruch nehmen. Die Klägerin war arbeitslos iSv §
138 Abs.
1 SGB III. Sie war beschäftigungslos und stand den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung. Zwar konnte die Klägerin ihren
Beruf als Heilmasseurin nicht mehr ausüben. Nach dem von der Beklagten eingeholten ärztlichen Gutachten bestand bei ihr aber
eine Leistungsfähigkeit für leichte Tätigkeiten über sechs Stunden und mehr, im Rahmen dieser Feststellungen war sie bereit,
jede versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung auszuüben (§
138 Abs.
5 SGB III)
Die Klägerin hat auch die Anwartschaftszeit erfüllt.
Nach §
142 Abs.
1 Satz 1
SGB III erfüllt die Anwartschaftszeit, wer in der Rahmenfrist (§
143 SGB III) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beläuft sich nach §
143 Abs.
1 SGB III in der bis zum 31.12.2019 geltenden, für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung auf zwei Jahre und beginnt mit dem Tag
vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Arbeitslosigkeit und Arbeitslosmeldung,
§
137 Abs.
1 Nr.
1 und Nr.
2 SGB III), im vorliegenden Fall also am 14.04.2015. Da in die Rahmenfrist Zeiten des Bezugs von Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden
Maßnahme gem. §
143 Abs.
3 Satz 1
SGB III nicht eingerechnet werden, ist der Zeitraum vom 08.10.2013 bis zum 30.11.2013 nicht zu berücksichtigen. Um diesen Zeitraum
wird die Rahmenfrist verlängert, so dass diese mit dem 21.02.2013 endet.
In diesem Zeitraum stand die Klägerin für mindestens zwölf Monate bzw. 360 Tage (§
339 Satz 1
SGB III) in einem Versicherungspflichtverhältnis.
Der Bezug von Übergansgeld während der beruflichen Rehabilitation begründet allerdings - anders als der Bezug von Übergangsgeld
während einer medizinischen Rehabilitation - gem. §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III keine Versicherungspflicht (bis auf die hier nicht vorliegende Ausnahme des §
25 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 SGB III; dazu BSG Urteil vom 04.03.2021 - B 11 AL 7/19 R), so dass diese Zeit nicht als Versicherungspflichtverhältnis iSd §
142 Abs.
1 Satz 1
SGB III anzuerkennen ist.
Die Klägerin war aber während des Bezugs des Verletztengeldes bis zum 07.10.2013 (230 Tage) nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB II versicherungspflichtig. Sie war zudem auch während des Krankgeldbezugs ab dem 01.12.2013 bis zur Aussteuerung am 15.04.2015
nach §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III versicherungspflichtig. Hiernach sind Personen versicherungspflichtig in der Zeit, für die sie von einem Leistungsträger
Krankengeld beziehen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Leistung versicherungspflichtig waren. Die Unterbrechung von 54
Tagen zwischen dem Ende des Verletztengeldbezuges und dem Beginn des Krankengeldbezuges steht der Unmittelbarkeit iSd §
26 Abs.
2 SGB III nicht entgegen:
Für die in §
26 Abs.
2 SGB III genannten Personen ist kennzeichnend, dass sie, obwohl sie einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht nachgehen,
doch ursprünglich zum Kreis der Versicherungspflichtigen gehört haben oder gehören würden, wenn sie nicht durch besondere
Umstände an einer Beschäftigung und damit an dem Bezug von Erwerbseinkommen gehindert wären. Die Bedeutung der in §
26 Abs.
2 SGB III bezeichneten Voraussetzung, unmittelbar vor dem Ausscheiden aus dem Kreis der Versicherungspflichtigen versicherungspflichtig
gewesen zu sein oder Leistungen nach dem
SGB III bezogen zu haben, liegt darin sicherzustellen, dass von dieser Begünstigung (nur) Personen erfasst werden, die bereits zuvor
einen hinreichenden Bezug zum System der Arbeitslosenversicherung hatten. Der Schutzzweck von §
26 SGB III erfordert deshalb zur Beantwortung der Frage, ob ein unmittelbarer Anschluss zwischen den Leistungen besteht, die Prüfung,
welche besonderen Umstände im Einzelfall zur Unterbrechung geführt haben. Ein Ausschluss aus der Versichertengemeinschaft
ist nur gerechtfertigt, wenn diese Umstände von solchem Gewicht sind, dass sie den Schluss rechtfertigen, die Betroffenen
hätten sich von der Arbeitslosenversicherung abgekehrt. Besonderheiten der in §
26 Abs.
2 SGB III jeweils bezeichneten Lohnersatzleistungen sind in diesem Rahmen zu berücksichtigen. Der Dauer der Unterbrechung kann dabei
als Zeitmoment der geforderten Unmittelbarkeit eine indizielle Bedeutung zukommen, insbesondere wenn sie sich als besonders
lange darstellt (BSG Urteil vom 23.02.2017 - B 11 AL 3/16 R).
Nach diesen Grundsätzen ist eine Unmittelbarkeit zu bejahen. Die Umstände, die zu der Unterbrechung des Versicherungsschutzes
durch die Absolvierung des Reha-Vorbereitungslehrgangs geführt haben, rechtfertigen nicht den Schluss, die Klägerin habe sich
von der Arbeitslosenversicherung abgekehrt:
Die Klägerin hat während der Maßnahme Übergangsgeld nach §
49 ff
SGB VII erhalten. Dies führt - wie dargelegt - zwar nicht zu einer Versicherungspflicht, aber zu der Verlängerung der Rahmenfrist.
Die Arbeitslosenversicherung erkennt also trotz Nichtbestehens einer Versicherungspflicht an, dass es sich bei einer berufsfördernden
Maßnahme mit Übergangsgeld um einen leistungsrelevanten Sachverhalt handelt. Dieser Umstand steht der Annahme einer Abkehr
von der Arbeitslosenversicherung während der Absolvierung einer beruflichen Reha-Maßnahme entgegen. Dagegen lässt sich nicht
mit Erfolg einwenden, eine Einbeziehung von Zeiten der beruflichen Rehabilitation in den Schutzbereich des §
26 Abs.
2 SGB III würde zu einer nicht gerechtfertigten Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes führen, die der Gesetzgeber mit der ausdrücklichen
Herausnahme der beruflichen Rehabilitation aus dem Katalog des §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III nicht gewollt habe. Der Ausschluss von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation - im Gegensatz zu Maßnahmen der medizinischen
Rehabilitation - von der Versicherungspflicht in §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III wird gerade dadurch ausgeglichen und ist dadurch zu rechtfertigen, dass eine Verlängerung der Rahmenfrist erfolgt. Durch
die Erweiterung der Rahmenfrist soll bewirkt werden, dass eine bereits erarbeitete Anwartschaft und die zuvor geleisteten
Beitragszahlungen während der Teilnahme an einer beruflichen Reha nicht verloren gehen. Die Teilnahme an einer beruflichen
Eingliederung soll sich nicht negativ auf eine erworbene Anwartschaft auswirken (SG Berlin Urteil vom 06.12.2019 - S 58 AL 646/19; SG Marburg Urteil vom 26.10.2015 - S 2 AL 114/13; in diesem Sinne auch Brand in Brand,
SGB III, 9. Aufl., §
143 Rn. 4). Hinzu kommt, dass sich ohnehin derjenige, der aus gesundheitlichen Gründen seine ursprüngliche Erwerbstätigkeit aufgeben
musste und für den sich realistische Beschäftigungsmöglichkeiten auf den Arbeitsmarkt nur im Wege einer beruflichen Umschulung
ergeben, in der Regel nicht von dem Ziel einer Rückkehr in das Berufsleben und damit dem System der Arbeitslosenversicherung
abgewendet hat (SG Berlin Urteil vom 06.12.2019 - S 58 AL 646/19; SG Marburg Urteil vom 26.10.2015 - S 2 AL 114/13).
Bei einer anderen Sichtweise würde es der Klägerin vorliegend schließlich in unzulässiger Weise zum Nachteil gereichen, dass
aufgrund eines Arbeitsunfalls die Berufsgenossenschaft für die berufliche Weiterbildung der zuständige Träger gewesen ist
(in diesem Sinne auch SG Marburg Urteil vom 26.10.2015 - S 2 AL 114/13). Wäre die Beklagte selbst der zuständige Träger gewesen, hätte diese der Klägerin Übergangsgeld bzw. Arbeitslosengeld bei
beruflicher Weiterbildung nach den Vorschriften des
SGB III gewähren müssen. Übergangs- und Arbeitslosengeld stellen laufende Entgeltersatzleistungen iSd §
26 Abs.
2 HS 2
SGB III dar (Brand in Brand,
SGB III, 9. Aufl.2021, §
26 Rn. 20). In diesem Fall wäre die Klägerin während des nachfolgenden Krankengeldbezugs gem. §
26 Abs.
2 Nr.
1 SGB III versicherungspflichtig gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Die Revision war gem. §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.