Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Insolvenzgeld streitig.
Der am ________ 1959 geborene Kläger war bereits im Jahr 2011 bei der von Frau M_______ D________ betriebenen Firma M________
tätig. Über das Vermögen der Frau M_______ D________ wurde am _________ 2012 ein Insolvenzverfahren eröffnet (Az.: ____ IN
______/11). Aus diesem Insolvenzereignis erhielt der Kläger seinerzeit Insolvenzgeld für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis
zum 31. Dezember 2011. Der Gewerbebetrieb der Schuldnerin wurde gemäß §
35 Abs.
2 Insolvenzordnung (
InsO) nach Sanierung vom Insolvenzverwalter am 1. Februar 2012 freigegeben, da aufgrund der saisonal schwankenden Transportvolumina
gesicherte Vorhersagen über den Erfolg des Betriebes nicht getroffen werden konnten und das Risiko bestand, dass die Insolvenzmasse
im Falle der Fortführung mit Verlusten belastet werden könne. Am 27. Februar 2014 schloss der Kläger mit der M________ einen
neuen Arbeitsvertrag beginnend mit dem 1. März 2014 als Kurierfahrer.
Am 22. April 2014 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld bei der Beklagten. Er gab an, dass
das Arbeitsverhältnis von der M________ zum 30. April 2014 gekündigt worden sei. Für März 2014 habe er kein Arbeitsentgelt
erhalten.
Über das Vermögen der Frau M_______ D_______ wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Norderstedt am _________ 2014 ein (weiteres)
Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet (Az.: ____ IN _______/14). Dem vorangegangen war ein Antrag auf Eröffnung
des Insolvenzverfahrens durch die A______ N________ vom 19. März 2014.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2014 lehnte die Beklagte die Bewilligung der beantragten Leistung ab. Zur Begründung führte sie aus,
ein erneutes Insolvenzereignis könne nur dann anerkannt werden, wenn die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nach dem ersten
Insolvenzereignis wiederhergestellt worden sei. Dies sei hier nicht der Fall. Über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers
sei erstmals am _________ 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen. Am _________
2014 sei über das freigegebene Vermögen erneut ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Die Arbeitgeberin habe in der Zeit
zwischen den beiden Insolvenzeröffnungen ihre Zahlungsfähigkeit/Kreditwürdigkeit nicht wiedererlangt. Insolvenzgeldrechtlich
müsse es daher bei der Eröffnung vom _________ 2012 als maßgebendes Insolvenzereignis verbleiben. Den hiergegen am 26. Juni
2014 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2014 zurück. Zur Begründung
führte sie im Wesentlichen aus, dass kein neues Insolvenzereignis vorliege. Zwar habe der bisherige Arbeitgeber des Klägers
aufgrund des durch den Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögens erneut tätig werden können, jedoch sei die Zahlungsfähigkeit
und Kreditwürdigkeit nach den Feststellungen des Insolvenzverwalters zu keiner Zeit bis zur erneuten Insolvenzeröffnung wiederhergestellt
worden. Insofern verbleibe es bei dem Insolvenztag __________ 2012 als maßgeblichem Insolvenzereignis für den Widerspruchsführer.
Für ihn sei bereits vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2011 Insolvenzgeld im Rahmen einer Vorfinanzierung gezahlt worden. Da
kein neues anspruchsauslösendes Insolvenzereignis vorliege, bestehe kein weiterer Anspruch auf Insolvenzgeld.
Hiergegen hat der Kläger am 18. November 2014 bei dem Sozialgericht Lübeck Klage erhoben. Er habe in den Jahren 2012 und 2013
bis zum Arbeitsvertrag bei seiner ehemaligen Arbeitgeberin durchgängig bei anderen Arbeitgebern gearbeitet und habe nicht
ahnen können, dass sich seine alte /neue Arbeitgeberin erneut in finanziellen Schwierigkeiten und in Insolvenzgefahr befunden
habe. Es werde bestritten, dass es sich um dasselbe Insolvenzereignis handele und dass die Zahlungsunfähigkeit der Arbeitgeberin
als Insolvenzgrund vom Jahre 2011 bis zum Jahre 2014 und fortlaufend bestehe. Vielmehr würden die unterschiedlichen Aktenzeichen
und die deutliche zeitliche Zäsur gegen einen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang der Insolvenzereignisse, der dem
Zahlungsanspruch aus Insolvenzgeld entgegenstehen könnte, sprechen. Der Insolvenzverwalter C_______ MA______ habe dem Kläger
Gegenteiliges mindestens angedeutet und die Ablehnung des Insolvenzgeldantrages als nicht nachvollziehbar und angreifbar bezeichnet.
Es sei nicht auf das erste Insolvenzereignis abzustellen. Im Jahr 2014 liege ein neues Insolvenzgeld begründendes Insolvenzereignis
vor.
Das Sozialgericht hat Insolvenzakten des Amtsgerichts N_________ beigezogen. Im Termin am 11. November 2016 lag dem Gericht
die Insolvenzakte _____ IN ______/14 vor, die neben den Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakte zum Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gemacht wurde und in die der Klägervertreter zuvor Akteneinsicht genommen hatte - statt der ebenfalls
angeforderten Akte _____ IN _______/11 war eine andere Akte übersandt worden.
Der Kläger hat beantragt,
den Rechtsstreit zu vertagen und ihm Akteneinsicht in die beigezogene Insolvenzakte zu gewähren und darüber hinaus den von
ihm benannten Zeugen Herrn C_______ MA______ zu hören.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sich die Beklagte auf den Inhalt ihrer angefochtenen Bescheide bezogen.
Mit Urteil vom selben Tag hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe keinen
Anspruch auf Gewährung von Insolvenzgeld für die Monate März und April 2014, weil das frühere Insolvenzereignis - hier die
Eröffnung des Insolvenzverfahrens am _________ 2012 - gegenüber dem Eintreten eines weiteren Insolvenzereignisses eine Sperrwirkung
entfalte, welche die Entstehung eines erneuten Anspruchs auf Insolvenzgeld hindere. Die Kammer folge der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG), nach der ein (neues) Insolvenzereignis nicht eintreten könne, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende
Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauere. Auf der Grundlage dieser rechtlichen Maßstäbe vermöge die erneute Eröffnung
des Insolvenzverfahrens am 28. Mai 2014 ein rechtlich beachtliches Insolvenzereignis und damit einen (neuen) Anspruch des
Klägers auf Insolvenzgeld nach §
165 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) nicht zu begründen, weil die Zahlungsunfähigkeit seines früheren Schuldners/Arbeitgebers, auf der die Eröffnung des ersten
Insolvenzverfahrens am _________ 2012 beruht habe (Az.: _____ IN _______/11), bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens
am _________ 2014, ebenso wegen Zahlungsunfähigkeit (Az.: ____ IN ______/14), ununterbrochen fortgedauert habe. Aus den aktenkundigen
Unterlagen, insbesondere den gutachtlichen Stellungnahmen des Insolvenzverwalters, Steuerberater C_______ MA________ vom 4.
Juli 2014 an das Amtsgericht N_________, gehe eindeutig hervor, dass die Schuldnerin nach der Freigabe ihrer betrieblichen
Tätigkeit am 1. Februar 2012 insbesondere im Entgeltbereich wiederum erhebliche Rückstände aufgebaut und auch sonstige laufende
Kosten, nicht habe bezahlen können, weil die erforderlichen Erlöse nicht hätten erzielt werden können. Der Insolvenzverwalter
sei in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 27. Mai 2014 zu der Einschätzung gekommen, dass "die Schuldnerin es nicht
vermocht hat, nach Freigabe des Gewerbebetriebes das Unternehmen zumindest mit einem ausgeglichenen Ergebnis abzuschließen."
Die im Einzelnen von ihm benannten Faktoren, die zur Insolvenz geführt hätten - und die auch von Beginn der erneuten selbständigen
Tätigkeit vorgelegen hätten - hätten dazu geführt, dass liquide Mittel für die Begleichung der laufenden Betriebsausgaben
nicht vorhanden gewesen seien. Die hierzu vom Insolvenzverwalter vorgelegten Zahlen, insbesondere des Verhältnisses von Aktiva
zu Passiva, bestätigten diese Einschätzung. Damit hätten laut Einschätzung des Insolvenzverwalters zwar die Kosten des Insolvenzverfahrens
aus der Masse gedeckt werden können, jedoch voraussichtlich nicht die sonstigen Masseverbindlichkeiten vollständig bezahlt
werden. Die Kreditwürdigkeit habe das Einzelunternehmen der Frau D________ nach den Feststellungen des Insolvenzverwalters
nicht zurückerhalten. Auf Rückstände des Unternehmens aus den Jahren 2012/2013 habe Frau D_______ allenfalls Ratenzahlungen
geleistet. Auch sei das bloße Bestreiten des Klägers hinsichtlich der fehlenden Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit der
Schuldnerin sowohl prozessual, als auch im Angesicht der eindeutigen Aktenlage materiell-rechtlich irrelevant. Einer zeugenschaftlichen
Anhörung des Insolvenzverwalters habe es nicht bedurft, weil seine rechtliche Bewertung des Sachverhalts für die Kammer zu
keinem anderen rechtlichen Ergebnis führe. Die beantragte Akteneinsicht sei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers entsprechend
seinem Antrag unmittelbar vor dem Verhandlungstermin um 10.00 Uhr gewährt worden. Auch deswegen sei eine Vertagung nicht erforderlich
gewesen. In der Sache folge auch kein anderes Ergebnis daraus, dass sich das zweite Insolvenzverfahren (_____ IN _______/14)
auf eine andere Masse beziehe. Zwar bewirke die Erklärung des Insolvenzverwalters nach §
35 Abs.
2 InsO, dass die Einkünfte, die der Insolvenzschuldner von der Erklärung des Verwalters an im Rahmen dieser Tätigkeit erziele, als
Haftungsmasse außerhalb des Insolvenzverfahrens zur Verfügung stünden. In Bezug auf diese Haftungsmasse, an die sich auch
Gläubiger aus vor der Insolvenzeröffnung begründeten Dauerschuldverhältnissen wegen der nach Insolvenzeröffnung entstandenen
Forderungen halten müssten, sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) auch ein gesondertes zweites Insolvenzverfahren
zulässig. Hieraus folge jedoch auch für die hier streitigen, aus der Fortführung der selbstständigen Tätigkeit resultierenden
Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht, dass die Entscheidung in diesem zweiten Insolvenzverfahren unabhängig von der zwischenzeitlichen
Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners ein Insolvenzereignis im Sinne von §
165 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 und
2 SGB III darstelle. Hierzu verweise die Kammer auf die Rechtsprechung in Sachen L 9 AL 278/13, Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 2015 < fälschlicher Weise als Urteil des BSG bezeichnet> und dortigem Verweis auf zahlreiche BSG-Entscheidungen.
Gegen dieses dem Kläger am 5. April 2016 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung vom 5. Mai 2016. Das Sozialgericht
habe ihm nicht ausreichend Zeit zur Akteneinsicht gegeben und der benannte Zeuge sei nicht gehört worden; das Urteil sei verfahrensfehlerhaft
zustande gekommen. Zur Begründung in der Sache trägt er im Wesentlichen vor, dass die M________ aus Sicht des Insolvenzverwalters
kreditwürdig gewesen sei und Fortsetzungsaussicht vorgelegen habe. Das Unternehmen sei zwei Jahre fortgeführt worden. Eine
Kreditierung seitens eines Kreditinstituts sei lediglich wegen des vorangegangenen Insolvenzverfahrens nicht erfolgt. Er beziehe
sich hierzu auf Schreiben des Insolvenzverwalters.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 11. November 2016 sowie den Bescheid vom 3. Juni 2014 in der Fassung vom 18. Oktober
2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Insolvenzgeld für die Monate März und April 2014 einschließlich
gesetzlicher Verzugszinsen zu gewähren.
Der Prozessbevollmächtigte stellt weiter folgenden Antrag (wörtlich):
"Zum Beweis der Tatsache, dass die Insolvenzschuldnerin die Kreditwürdigkeit und (tatsächliche) Zahlungsfähigkeit wieder erlangte
und die auf dem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin/Arbeitgeberin nicht andauerte - im
Sinne einer unternehmerischen Liquiditätslage, die die regelmäßige Bedienung der fälligen Geldschulden im Allgemeinen tatsächlich
möglich machte und über die Bedienung einzelner Verbindlichkeiten hinausging - im Rahmen eines für zwei Jahre fortgeführten
Unternehmens nach Sanierung wiedererlangt hatte und dann erst nach Eintritt der Kreditwürdigkeit und Zahlungsfähigkeit im
o.a. Sinne aufgrund eines Schufa-Eintrags und der Nichtbewilligung einer Insolvenzgeldvorfinanzierung durch die Beklagte in
eine neue Zahlungsunfähigkeit geriet, wird Beweis angeboten durch
1. Zeugnis/sachverständige Auskunft des Insolvenzverwalters C______ MA______,
2. Liquiditätsgutachten eines Sachverständigen, welches die o.a. definierten Begriffe der "Kreditwürdigkeit" und "Zahlungsfähigkeit"
berücksichtigt."
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte stützt die erstinstanzliche Entscheidung. Aus ihrer Sicht liege weder eine unzulässige Verkürzung der gewährten
Akteneinsicht noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtanhörung des Zeugen vor; dies sei aber nicht entscheidungserheblich,
weil der Beschwerdewert der Berufung überschritten sei. Im Übrigen verweise sie auf die Entscheidung des BSG vom 9. Juni 2017 - B 11 AL 14/16 R -, nach der nach Eröffnung eines weiteren Insolvenzverfahrens nicht zwingend die Annahme eines neuen Insolvenzereignisses
im Sinne des §
165 Abs.
1 Satz 1
SGB III geboten sei. Die Gemeinschuldnerin habe ihre Zahlungsfähigkeit nach dem ersten Insolvenzereignis nicht wiedererlangt, dies
ergebe sich aus dem Gutachten des Insolvenzverwalters vom 27. Mai 2015 und seinem Bericht vom 4. Juli 2015 in dem Verfahren
_____ IN ______/14. Der Insolvenzverwalter habe zur Freigabe in dem Verfahren ___ IN ______/11 erklärt, dass eine Erhöhung
der Frachtraten hätte vereinbart werden können, allerdings ohne Gewähr für positive Zahlen. Die Freigabe sei auch zur Abwendung
von Schäden für die Insolvenzmasse erfolgt. Die vom Insolvenzverwalter gewünschte Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte durch
die Beklagte stelle kein Anzeichen für eine vorhergehende Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit der Gemeinschuldnerin dar.
Im Übrigen habe der Insolvenzverwalter im Rahmen der Antragstellung zur InsG-Vorfinanzierung selbst auf die schlechte Kapitalausstattung
hingewiesen. Die Gemeinschuldnerin habe die Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt, was insbesondere auf Defizite in der Person
der Gemeinschuldnerin zurückzuführen sei. Ob das Unternehmen durch einen geeigneten Inhaber erfolgreich hätte geführt werden
können oder ob ein Unternehmer hierfür gute Chancen gehabt hätte, sei für das vorliegende Verfahren nicht entscheidend; vor
diesem Hintergrund seien aber die Äußerungen des Insolvenzverwalters zu bewerten.
Auf die Hinweise des Senats hat der Kläger auf die Stellungnahmen des Insolvenzverwalters an ihn vom 24. Juli 2018 und 21.
September 2018 verwiesen. Eine von Seiten des Senats an den Insolvenzverwalter erbetene Stellungnahme blieb unbeantwortet.
Der Senat hat die Verfahrensakten der beiden Insolvenzverfahren (Az.: ___ IN _____/11 und ___ IN ______/14, Amtsgericht N_________)
beigezogen. Diese Unterlagen waren neben den Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakte Gegenstand der mündlichen
Verhandlung. Auf sie wird wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhobene Berufung ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für die hier streitigen Monate März und April 2014. Das frühere Insolvenzereignis
- hier die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Januar 2012 - bewirkt gegenüber dem Eintreten des zweiten Insolvenzereignisses
am _______ 2014 eine Sperrwirkung, welche die Entstehung eines erneuten Anspruchs auf Insolvenzgeld hindert. Der angefochtene
Bescheid vom 3. Juni 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 16. Oktober 2014 verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Im Ergebnis zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht einen Insolvenzgeldanspruch des Klägers abgelehnt.
Dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Insolvenzgeld wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28. Mai 2014 steht
entgegen, dass es mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Januar 2012 bereits ein Insolvenzereignis im Sinne von §
165 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB III gab, das (auch) einen von der Beklagten bereits erfüllten Anspruch auf Insolvenzgeld nach sich gezogen hatte, ohne dass eine
zwischenzeitliche Zahlungsfähigkeit der M________ eingetreten ist. Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren keine neuen Tatsachen
vorgetragen. Insofern kann auf die Entscheidungsgründe erster Instanz verwiesen werden, §
152 Abs.
3 SGG.
Zur Klarstellung und im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist Folgendes nochmals hervorzuheben:
Ausgangspunkt eines Insolvenzgeldanspruchs nach §
165 SGB III ist das Arbeitsverhältnis. Das erste Arbeitsverhältnis mit der M________ endete mit dem Eintritt des ersten Insolvenzereignisses
im Januar 2012; wegen dieses Insolvenzereignisses hat der Kläger Insolvenzgeld bezogen. Ihm war daher die Zahlungsunfähigkeit
der M_________ auch bekannt. Zwar hat der Kläger dann am 27. Februar 2014 ein neues Arbeitsverhältnis abgeschlossen, aber
wiederum mit der M________ als Arbeitgeberin nach der Freigabeerklärung nach §
35 Abs.
2 InsO. Da das Insolvenzereignis jedoch nicht an ein bestimmtes Vermögen anknüpft, sondern an das Arbeitsverhältnis und die Insolvenz
des Arbeitgebers, kann nach der Rechtsprechung des BSG ein neues arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis solange nicht eintreten, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis
beruhende Zahlungsunfähigkeit noch andauert. Für die Annahme wiedererlangter Zahlungsfähigkeit genügt es danach nicht, wenn
der Arbeitgeber die Betriebstätigkeit fortführt und die laufenden Verbindlichkeiten, wie insbesondere die Lohnansprüche, befriedigt.
Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist vielmehr so lange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden
Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit
endet deshalb nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelnen Zahlungsverpflichtungen wieder nachkommt (ständige Rechtsprechung,
vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2017 - B 12 AL 1/15 R -, juris Rn. 25 m.w.N.). Auch in seiner späteren Entscheidung vom 9. Juni 2017 hat das BSG betont, dass auch bei einer Freigabeerklärung im Insolvenzverfahren nicht auf eine Wiederherstellung der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit
verzichtet werden kann (- B 11 AL 14/15 R -, juris Rn.26). Die Auffassung des Klägers, der nunmehr gestellte Insolvenzgeldantrag betreffe einen anderen Gegenstand,
nämlich das nach §
35 Abs.
2 InsO freigegebene Vermögen, ist zwar insofern zutreffend, als hinsichtlich des nach §
35 Abs.
2 Satz 1
InsO freigegebenen Vermögens aus selbstständiger Tätigkeit ein gesondertes (weiteres) Insolvenzverfahren zivilrechtlich möglich
ist (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2011 - IX ZB 175/10 - juris Rn.7 m.w.N.; BGH Urteil vom 9. Februar 2012 - IX ZR 75/11 - BGHZ 192, 322), ein neues (arbeitsförderungsrechtliches) Insolvenzereignis kann jedoch nicht eintreten, solange die auf einem früheren
Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers noch andauert (BSG Urteil vom 23. Mai 2017 a.a.O.). In Übereinstimmung mit dem Vordergericht geht auch der Senat davon aus, dass die Zahlungsunfähigkeit,
auf der die Eröffnung des ersten Insolvenzverfahrens (Az.: ____ IN _____/11) beruhte, bis zur Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens
(Az.: ___ IN ______/14) fortgedauert hat. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 21. Mai 2014 an das Insolvenzgericht
hat der Insolvenzverwalter die Gründe aufgezeigt, die zur Insolvenz der Sondermasse gemäß §
35 Abs.
2 InsO geführt haben (vgl. dort Seite 14ff). In diesem Zusammenhang werden neben den kaufmännischen Defiziten der Gemeinschuldnerin
auch die hohen Fahrzeugkosten - hohe Anmietungskosten mit hohen Verschleißauffälligkeiten verbunden mit der Notwendigkeit
der Anmietung von Ersatzfahrzeugen - ins Feld geführt. Hierzu heißt es, dass durch die Reparaturkosten monatliche Verluste
aus den Transportaufträgen realisiert wurden. Als weiterer Grund wird das Entnahmeverhalten der Gemeinschuldnerin genannt.
Hierzu führt der Insolvenzverwalter aus: "Nach meinen Ermittlungen sind von der Schuldnerin in dem Zeitraum Februar 2012 bis
Januar 2014 nicht unerhebliche Entnahmen getätigt worden, obgleich das Unternehmen zu keinem Zeitpunkt Überschüsse erwirtschaftet
hat." Als Entnahmen werden für das Jahr 2012 35.542,34 EUR, für das Jahr 2013 18.097,91 EUR und für das Jahr 2014 706,00 EUR,
insgesamt 54.346,25 EUR angegeben. Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Da das Unternehmen der Frau D_________ lediglich
über ein Guthabenkonto verfügte, gingen die Entnahmen zu Lasten der Gläubiger, deren Forderungen nicht beglichen wurden. All
diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Liquidität des Unternehmens nachhaltig negativ beeinflusst wurde und liquide Mittel
für die Begleichung der laufenden Betriebsausgaben nicht vorhanden waren.(..)" Weiter stellte der Insolvenzverwalter bezogen
auf den Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung am 19. März 2014 fest: "Zwar hat die Schuldnerin Zahlungen an ihre Gläubiger
nicht eingestellt, jedoch standen den fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten lediglich Einnahmen aus den
Transportverträgen der Firmen G________ und V________ gegenüber. Lediglich aufgrund stillschweigender Verlängerung von Zahlungszielen
war es der Schuldnerin möglich, den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Auf Rückstände aus den Jahren 2012/2013 leistete
die Schuldnerin allenfalls Ratenzahlungen(..)" Im Bericht gemäß §
156 InsO werden die Geschäftszahlen seit Freigabe dargestellt (siehe dort Seite 7 ff). Für die Jahre 2012 bis 2014 wird ein negativer
Bilanzgewinn von 13.462,00 EUR (2012), 15.760,00 EUR (2013) und 58.335,00 EUR (2014) ausgewiesen. Der Insolvenzverwalter fasst
hier zusammen: "Die Geschäftszahlen verdeutlichen, dass die Schuldnerin es nicht vermocht hat, nach Freigabe des Gewerbebetriebs
das Unternehmen zumindest mit einem ausgeglichenen Ergebnis fortzuführen. Bei außer Acht lassen des Jahres 2014 verbleibt
in den Jahren 2012 und 2013 zumindest ein kumulativer Verlust von 29.222,00 EUR, wobei Abschreibungen für das Jahr 2013 in
diesen Verlusten noch nicht enthalten sind. (...)" Aus diesen Feststellungen wird deutlich, dass die Gemeinschuldnerin nach
Beginn der ersten Insolvenz und nach Freigabe des Sondervermögens zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, das Unternehmen wirtschaftlich
zu führen und die fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Flankiert und erhärtet werden diese Feststellungen durch
die am Tag der Eröffnung des erneuten Insolvenzverfahrens über das freigegebene Vermögen am _______ 2014 bestehenden Insolvenzverbindlichkeiten
in Höhe von 272.017,61 EUR gegenüber einer freien Masse von 104.032,22 EUR (siehe Erläuterungen zur Vermögensübersicht auf
den 28. Mai 2014, Seite 8, 6). Insbesondere durch die Entnahme von Geldmitteln zum Bestreiten des Lebensunterhalts bereits
in 2012 hat die Gemeinschuldnerin dem Unternehmen liquide Mittel entzogen; dies führte zusammen mit den anderen genannten
Faktoren dazu, dass die Gemeinschuldnerin die Zahlungsfähigkeit nicht wiedererlangt hat, sondern vielmehr von dauernder Zahlungsunfähigkeit
im Sinne der Rechtsprechung des BSG auszugehen ist.
Angesichts dieser eindeutigen Feststellungen, die auf den Ausführungen des Insolvenzverwalters in seiner gutachterlichen Stellungnahme
und dem Bericht nach §
156 InsO gegenüber dem Insolvenzgericht beruhen, war der Senat auch nicht gehalten, den Insolvenzverwalter als Zeugen zu vernehmen
oder ein Liquiditätsgutachten einzuholen, denn die Darstellung und Analyse der Entwicklung und finanziellen Situation des
Unternehmens durch den Insolvenzverwalter umfasst ausdrücklich die Zeit ab Beginn der Betriebstätigkeit mit dem freigegebenen
Vermögen nach §
35 Abs.
2 InsO bis zum (zweiten) Insolvenzantrag. Die Tatsache der nicht wieder erlangten Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin ist
nach den oben zitierten eindeutigen Ausführungen des Insolvenzverwalters als bewiesen anzusehen. Der Beweisantrag, die Kreditwürdigkeit
und tatsächliche Zahlungsfähigkeit der Insolvenzschuldnerin im Sinne einer unternehmerischen Liquiditätslage, die die regelmäßige
Bedienung der fälligen Geldschulden im Allgemeinen tatsächlich möglich machte und über die Bedienung einzelner Verbindlichkeiten
hinausging, ist darüber hinaus schon aus formalen Gründen zurückzuweisen. Zum einen, weil er eine rechtliche Wertung beinhaltet,
die nicht vom Zeugen oder Sachverständigen, sondern vom Gericht vorzunehmen ist. Soweit der Kläger im Rahmen seines Beweisantrages
neben der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit auch auf die Wiedererlangung der Kreditwürdigkeit abstellt, ist dem Beweisangebot
aber auch deshalb nicht nachzukommen, da es für die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit auf die Kreditfähigkeit nach der
Rechtsprechung des BSG nicht ankommt (vgl. u.a. BSG vom 23. Mai 2017 a.a.O.). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Gemeinschuldnerin aufgrund eines Schufa-Eintrags und wegen
der Nichtbewilligung einer Insolvenzgeldvorfinanzierung durch die Beklagte in eine neue Zahlungsunfähigkeit geriet. Zum einen
sind schon nach dem Gesetz die Gründe für den Eintritt eines Insolvenzereignisses nicht relevant, zum anderen entbehrt dieser
Beweisantritt der Logik. Denn die Insolvenzgeldvorfinanzierung dient bei finanzieller Schieflage eines Unternehmens der Ermöglichung
einer Arbeitsplatz erhaltenden Sanierung. Dass die Gemeinschuldnerin durch die Nichtbewilligung der Insolvenzgeldvorfinanzierung
erst zahlungsunfähig wurde, verkennt Ursache und Wirkung und ist in keinem Fall positives Anzeichen für eine wiedererlangte
Zahlungsfähigkeit.
Auch ein etwaiges Vertrauen des Klägers auf eine mögliche Wiederherstellung der Zahlungsunfähigkeit seiner früheren Arbeitgeberin
kann nach der Rechtsprechung des BSG keinen erneuten Anspruch auf Insolvenzgeld begründen. Hierzu hat das BSG in seiner Entscheidung vom 9. Juni 2017 (- B 11 AL 14/16 R -, juris) ausgeführt (vgl. Rn. 28ff): "(...) Von einer Unkenntnis von einem Insolvenzereignis im Sinne dieser Regelung <§
165 Abs. 3 SGB III> ist nur auszugehen, solange kein ausreichender Anhaltspunkt vorhanden ist, dass der Arbeitnehmer Kenntnis
von einem vorausgegangenen Insolvenzereignis nach §
165 Abs
1 SGB III hat (Peter-Lange in Gagel, SGB II/SGB III, §
165 SGB III, RdNr 77 f, Stand 12/2014). Wegen der Anknüpfung des geschützten Vertrauens an den tatsächlich gegebenen Umstand eines Insolvenzereignisses
kann nicht allein das Vertrauen eines Arbeitnehmers auf ein etwaiges "Potential" des derzeit zahlungsunfähigen, aber beruflich
weiterhin tätigen Arbeitgebers, also auf möglicherweise in Zukunft zu erwartende Einnahmen, dazu führen, dass ein erneuter
Anspruch auf InsG trotz weiterhin vorliegender Zahlungsunfähigkeit besteht (vgl BSG vom 29. Mai 2008 - B 11a AL 57/06 R - BSGE 100, 282 = SozR 4-4300 § 183 Nr 9, RdNr 15).(..)" Vorliegend hat der Kläger aufgrund des ersten Insolvenzereignisses vom 1. Januar
2012 Insolvenzgeld bezogen, ihm war die seinerzeitige Zahlungsunfähigkeit seiner Arbeitgeberin daher bekannt.
Diese Auslegung und Anwendung des §
165 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB III verstößt auch nicht gegen Vorgaben des europäischen Rechts (vgl. BSG vom 9. Juni 2017 a.a.O. Rn. 30f).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, §
160 Abs.
2 SGG.