Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) darüber, ob die Beklagte den Klägern die Kosten für durchgeführte Kombinationsbehandlungen aus Elektrohyperthermie und dendritischer
Zellimmuntherapie zu erstatten hat.
Die Kläger sind Erben des am __. _______ 1956 geborenen und am 14. März 2016 verstorbenen P____ P1____ (Versicherter), der
an einem inoperablen metastasierten Bronchialkarzinom litt. Der Versicherte ist laut gemeinschaftlichem Erbschein des Amtsgerichts
Greifswald vom 2. Dezember 2016 von seinen Kindern T___, L___ und N___ P1____ zu je einem Drittel des Nachlasses beerbt worden.
Bezüglich des Erbteils von N___ P1____, geb. am __. ________ 2009, ist Testamentsvollstreckung bis zur Vollendung ihres 25.
Lebensjahres angeordnet worden.
Am 7. Januar 2015 beantragte der Versicherte unter Vorlage des Schreibens des F_____________________________________________
__. B________ vom 5. Januar 2015 die Kostenübernahme für eine Kombinationsbehandlung aus Elektrohyperthermie und dendritischer
Zellimmuntherapie. Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 teilte die Beklagte dem Versicherten mit, dass für die Entscheidung eine
medizinische Beratung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) benötigt werde. Sie komme unaufgefordert
auf die Angelegenheit zurück, sobald ihr das Ergebnis vorliege. Der MDK erstattete das Gutachten nach Aktenlage vom 26. Januar
2015. Mit Bescheid vom 17. Februar 2015 (Widerspruchsbescheid vom 12. August 2015) lehnte die Beklagte die begehrte Kostenübernahme
ab. Zur Begründung führte sie aus, es handele sich um eine neue Behandlungsmethode, die nicht von der vertragsärztlichen Versorgung
umfasst sei, weil der Gemeinsame Bundesausschuss keine entsprechende Empfehlung abgegeben habe. Zwar könnten Versicherte mit
einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung nach §
2 Abs.
1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) auch von der vertragsärztlichen Versorgung abweichende Leistungen beanspruchen, wenn für sie eine allgemein anerkannte,
dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht zur Verfügung stehe. Dies setze jedoch voraus, dass eine
nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe, was
auf die dendritische Zelltherapie als experimentelle Behandlungsmethode nicht zutreffe. Ein onkologisch relevantes Temperaturniveau
könne zudem von dem von __. B________ verwandten Onkothermiegerät nicht erwartet werden.
Am 3. Mai 2016 beantragte der Bevollmächtigte des Versicherten ohne Begründung unter Hinweis auf seine Vertretungsbefugnis
und Vorlage einer Vollmacht des Versicherten vom 2. April 2015 die Überprüfung des Bescheides vom 17. Februar 2015. Die Beklagte
wies darauf hin, dass der Versicherte mittlerweile verstorben sei und bat um Mitteilung, ob der Bevollmächtigte auch die Rechtsnachfolger
vertrete. Daraufhin übersandte dieser eine Vollmacht für die Kläger.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2017 (Widerspruchsbescheid vom 22. August 2017) lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides
vom 12. August 2015 ab. Er sei rechtmäßig und es sei von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden.
Die Kläger haben am 22. September 2017 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben. Sie haben vorgebracht, die Voraussetzungen
für eine Kostenübernahme der beantragten Leistung hätten vorgelegen. Deshalb habe die Beklagte die für die vier in Anspruch
genommenen Behandlungszyklen angefallenen Kosten in Höhe von 21.048,79 EUR zu erstatten. Der Versicherte habe an einer lebensbedrohenden
in der Regel tödlich verlaufenden Krankheit gelitten. Schulmedizinische Behandlungsmethoden hätten nicht mehr zur Verfügung
gestanden. Indizien für eine positive Wirkung der dendritischen Zelltherapie auf die beim Versicherten vorliegende Karzinomerkrankung
hätten unzweifelhaft vorgelegen. Dies folge aus theoretischen Erwägungen der Wirkweise der Immuntherapie und aus publizierten
klinischen Daten. Hinsichtlich der Hyperthermiebehandlung habe die Beklagte in renommierten Fachzeitschriften veröffentlichte
Untersuchungsergebnisse für das EHY-2000 Gerät der Firma O________ ignoriert. In der palliativen Situation des Versicherten
sei es Ziel der Behandlung gewesen, die begrenzte Lebenszeit bei möglichst guter Lebensqualität zu verlängern mit dem möglichen
Ziel einer Kuration.
Die Kläger haben schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2017 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 22. August 2017 aufzuheben und die
Beklagte zu verurteilen, den Klägern unter Rücknahme des Bescheides vom 17. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12. August 2015 Behandlungskosten in Höhe von 21.048,79 EUR zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden bezogen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 5. Februar 2020 der Klage teilweise stattgegeben und einen Erstattungsanspruch in Höhe
von 11.407,29 EUR aufgrund des Eintritts einer Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a SGB V für begründet erachtet. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil der Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V auf diejenigen Kosten begrenzt sei, die nach Eintritt der Genehmigungsfiktion, hier ab 12. Februar 2015, entstanden seien.
Ein weitergehender Kostenerstattungsanspruch folge auch nicht aus §
13 Abs.
3 SGB V, dessen Voraussetzungen für im Zeitraum bis zum 11. Februar 2015 in Anspruch genommene Leistungen nicht vorlägen, weil der
Beschaffungsweg nicht eingehalten worden sei.
Gegen das ihr am 18. Februar 2020 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die am 17. März 2020 beim
Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung trägt sie vor: Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts
könne aus der Vorschrift des §
13 Abs.
3a Satz 7
SGB V kein Kostenerstattungsanspruch in der ausgeurteilten Höhe für die in der Zeit vom 12. Februar bis 22. April 2015 selbst beschaffte
Leistung abgeleitet werden. Dabei verkenne sie nicht, dass sie die maßgebliche Fünf-Wochen-Frist tatsächlich überschritten
habe. Allerdings habe das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 26. Mai 2020 - B 1 KR 9/18 R unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, dass die Genehmigungsfiktion in §
13 Abs.
3a Satz 6
SGB V keinen eigenständigen Anspruch auf die beantragte Sachleistung begründe, sondern dem Versicherten nur eine vorläufige Rechtsposition
vermittle. Die nach Fristablauf fingierte Genehmigung eines Antrags auf Leistungen habe nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes.
Durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion werde das durch den Antrag in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren nicht abgeschlossen.
Die Krankenkasse sei weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende
Verwaltungsverfahren abzuschließen. Die durch die Genehmigungsfiktion eröffnete Möglichkeit der Selbstbeschaffung ende, wenn
über den materiell-rechtlichen Leistungsanspruch bindend entschieden worden sei oder sich der Antrag anderweitig erledigt
habe. Die bestandskräftige Entscheidung über den Leistungsantrag vermittele dem Versicherten positive Kenntnis darüber, ob
er die beantragte Leistung beanspruchen könne. Während eines laufenden Widerspruchs- oder Gerichtsverfahren bleibe das Recht,
sich die Leistung selbst zu beschaffen, erhalten, solange der Versicherte gutgläubig sei. Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt
könne ein Erstattungsanspruch daher nur für den Zeitraum vom 12. Februar bis 20. Februar 2015 in Betracht kommen, in dem der
Versicherte Leistungen jedoch nicht in Anspruch genommen habe. Der schriftliche Ablehnungsbescheid vom 17. Februar 2015, welcher
durch die Post übermittelt worden sei, gelte gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, hier also am 20. Februar 2015. An diesem Tag habe der Versicherte
positive Kenntnis darüber erlangt, dass er die beantragte Leistung nicht beanspruchen könne, und sei nicht mehr gutgläubig
gewesen. Zudem sei er vor Entscheidung über den Antrag bereits vorfestgelegt gewesen auf die beantragte Leistung. Insoweit
stütze sie - die Beklagte - sich auf die Entscheidung des BSG vom 27. Oktober 2020 - B 1 KR 3/20 R. Die Konstellation jenes Verfahrens sei mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar. Habe ein Versicherter schon vor Fristablauf
eigenmächtig das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen, sei diese Vorfestlegung, nicht aber die
seitens der Beklagten verstrichene Frist ursächlich für die dem Versicherten entstandenen Kosten. Der Versicherte habe bereits
am 12. Januar 2015 - mithin vor Ablauf der fünfwöchigen Entscheidungsfrist - die erste Behandlung in Anspruch genommen. Er
habe zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass zwei bis drei Impfungen notwendig sein würden, um den Behandlungserfolg bewerten zu
können. In diesem Umfang sei er auf die Behandlung vorfestgelegt gewesen. Die Kosten der streitigen Behandlung seien auch
nicht nach der Vorschrift des §
13 Abs.
3 SGB V zu tragen, deren Voraussetzungen nicht vorlägen. Sie habe weder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht
noch eine Leistung zu Unrecht abgelehnt.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 5. Februar 2020 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend und erwidern: Selbstverständlich sei der Versicherte in allen Phasen des
Verfahrens bei jedem einzelnen Beschaffungsvorgang gutgläubig gewesen. Er habe nicht wissen können, dass er die beantragte
Leistung schlechthin nicht beanspruchen könne. Er sei davon ausgegangen, dass der angefochtene Bescheid vom 17. Mai 2015 rechtswidrig
gewesen sei. Hiervon habe er auch ausgehen dürfen, schließlich sei ihm die Leistung vom behandelnden Arzt empfohlen worden.
Als erbrechtliche Rechtsnachfolger hätten sie einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X stellen können. Sie seien auch berechtigt gewesen, den ausgeurteilten Betrag geltend zu machen. Zwar sei der Versicherte
von ihnen nur jeweils zu 1/3 beerbt worden. Der Erbanteil ihrer jüngeren Schwester N___ P1____ sei hinsichtlich des Anspruchs
auf Rückerstattung von Behandlungskosten gegenüber der DAK jedoch am 3. Februar 2021 an den Kläger zu 1) abgetreten worden,
damit er den Anspruch im eigenen Namen geltend machen könne. Danach mache der Kläger zu 1) aus dem erstinstanzlichen Urteil
einen Betrag von 7.604,86 EUR und die Klägerin zu 2) einen Betrag von 3.802,43 EUR geltend. Dementsprechender Antrag werde
gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten
und die Gerichtsakten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides
vom 15. Juni in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2017 verurteilt, den Klägern unter Abänderung des Bescheides
vom 17. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2015 Kosten in Höhe von 11.407,29 EUR zu erstatten.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine sie begünstigende abändernde Entscheidung des gegenüber dem Versicherten ergangenen
Verwaltungsaktes vom 17. Februar 2017. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 44 Abs. 1 SGB X. Danach soll ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen
werden, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem
Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht
oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Der Senat kann dahingestellt lassen, ob - wie vom Sozialgericht angenommen - die materiell-rechtlichen Voraussetzungen dieser
Norm erfüllt sind. Zweifel am Eintritt der Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs.
3a SGB V sind bereits deshalb gerechtfertigt, weil es hierfür eines hinreichend bestimmten Antrages bedarf. Die Fiktion kann nur dann
greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrages fingierte Genehmigung ihrerseits im
Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (BSG, Urteil vom 27. August 2019 - B 1 KR 36/18 R - juris Rdnr. 19 m.w.N.). Hier hat __. B________ in seinem Schreiben vom 5. Januar 2015, welches dem Antrag des verstorbenen
Versicherten beigefügt war, zwar die Art der beabsichtigten Krankenbehandlung hinreichend bestimmt dargestellt, nicht jedoch
die Anzahl der beabsichtigten Impfungen mit Dendritischen Zellen. So führt er lediglich aus, nach zwei bis drei Impfungen
ließe sich per Computertomographie und infolge des Verlaufes bei hier erhöhtem CEA-Serum-Tumormarker zum Behandlungserfolg
eine ausreichende Aussage treffen. Die Impfintervalle lägen anfänglich bei vier Wochen, später bei sechs Wochen.
Diese Ausführungen können durchaus so verstanden werden, dass zunächst nur die Kostenübernahme für zwei Impfzyklen beantragt
werden sollte und je nach Behandlungserfolg danach weitere Kostenübernahmeanträge folgen würden. Sie können aber auch in dem
Sinne ausgelegt werden, dass mindestens drei oder sogar eine unbestimmte Anzahl von Impfzyklen vom Antrag umfasst sein sollten.
Das ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht überzeugend in Einklang zu bringen. Allein der Umstand, dass aus dem Antrag deutlich
wird, dass die Kostenübernahme offensichtlich für mehrere Impfungen begehrt wurde ("...Hieraus resultieren für jede Impfung
folgende Therapiekosten, deren Einzelfallbedingte Übernahme durch Ihr Haus hiermit erbeten wird: ..."), lässt nicht zwangsläufig
den zuverlässigen Schluss auf die Anzahl der beantragten Impfzyklen zu.
Nach Auffassung des erkennenden Senats steht der Anwendung von § 44 SGB X allerdings ohnehin entgegen, dass die Kläger als Erben im Sinne des §
1922 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) nicht berechtigt waren, ein Überprüfungsverfahren zu initiieren. Ein Überprüfungsbegehren kann grundsätzlich nur vom Leistungsberechtigten
selbst verfolgt werden (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R - Rdnr. 14; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 9. Mai 2019 - L 8 SO 17/17 - Rdnr. 27; SG Lübeck, Urteil vom 9. September 2020
- S 48 R 348/18 - Rdnr. 26, alle in juris). Ist - wie hier - ein Anspruch auf Sachleistung ihm gegenüber bestandskräftig abgelehnt worden
und verstirbt der Versicherte, erlischt der Anspruch. Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen erlöschen nach §
59 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) mit dem Tode des Berechtigten. Aber auch Ansprüche auf Geldleistungen kommen vorliegend nicht in Betracht. Nach §
59 Satz 2
SGB I erlöschen Ansprüche auf Geldleistungen, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein
Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist. Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten war kein Kostenerstattungsanspruch festgestellt
gewesen. Auch ein Verwaltungsverfahren war insoweit nicht anhängig gewesen.
Die Möglichkeit des Wiederaufgreifens der bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung im Erfolgsfall mit Überprüfung im Zugunstenverfahren
nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X steht einem Erlöschen etwaiger Ansprüche auf Geldleistungen nach §
59 Satz 2
SGB I nicht entgegen.
Allerdings fingiert die Rechtsprechung verschiedener Senate des BSG bei der Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts nach § 44 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 2 SGB X auf Antrag eines Rechtsnachfolgers eine rückwirkende Anhängigkeit des Verwaltungsverfahrens im Sinne von §
59 Satz 2
SGB I (BSG, Urteile vom 13. November 1974 - 12 RJ 278/73, 11. August 1983 - 1 RA 53/82, 16. Februar 1984 - 1 RJ 54/83 und 30. März 2017 - B 2 U 15/15 R, alle in juris). Diese Rechtsprechung bezog sich zunächst ausschließlich auf Sonderrechtsnachfolger i.S.d. §
56 SGB I. So hatte es das BSG im Urteil vom 11. August 1983 - 1 RA 53/82 - noch ausdrücklich offen gelassen, ob anderes dann angenommen werden könnte, wenn in Bezug auf die (angeblich zu Unrecht)
nicht oder zu gering festgestellte Sozialleistung eine ausschließlich vermögens- und erbrechtlich zu beurteilende Rechtsnachfolge
(vgl. §
58 SGB I) in Frage käme. Im Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 15/15 R - hat der 2. Senat des BSG - ohne weitere Begründung - die Möglichkeit eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X auch für einen Rechtsnachfolger i.S.d. §
1922 BGB bejaht.
Dem ist das Landessozialgericht Hamburg im Urteil vom 4. Dezember 2019 - L 2 U 40/18, juris, mit gewichtigen Argumenten gestützt auf Stimmen in der Literatur (Dörr, Bescheidkorrektur post mortem in Leistungsfällen
der gesetzlichen Rentenversicherung, SGb 2012, 9 sowie Tannen, Höchtrichterliche Rechtsprechung in der gesetzlichen Rentenversicherung, Besprechung der BSG-Urteile des Ersten Senats vom 16. Februar 1984 - 1 RJ 54/83 und 1 RA 37/83, DRV 1984, 486) entgegengetreten. §
59 Satz 2
SGB I ermächtige Rechtsnachfolger nur zur Fortsetzung eines in diesem Zeitpunkt anhängigen (Leistungs-)Verfahrens und zur Entgegennahme
festgestellter Leistungen; zur Initiierung eines Korrekturverfahrens berechtige das Gesetz weder Sonderrechtsnachfolger noch
Erben nach bürgerlichem Recht. Ein einmal erloschener Anspruch könne nicht wegen eines nach diesem Zeitpunkt gestellten Überprüfungsantrags
wieder entstehen. Darüber hinaus würden in diesem Fall Rechtsnachfolger eines Verstorbenen, dessen Leistungsanspruch bestandskräftig
abgelehnt worden war, bessergestellt als Rechtsnachfolger eines Verstorbenen, über dessen Leistungsanspruch noch gar keine
Entscheidung getroffen worden war. Ein sachlicher Grund hierfür sei nicht erkennbar.
Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung inhaltlich uneingeschränkt an.
Zwar ist das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg auf die Revision der Klägerinnen und Kläger mit Urteil des BSG vom 16. März 2021 - B 2 U 17/19 R, juris, aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen
worden. Auch in dieser Entscheidung hat das BSG die Befugnis von Erben i.S.d. §
1922 BGB bejaht, die Aufhebung bestandskräftiger, lediglich gegenüber dem Verstorbenen ergangener Bescheide gemäß § 44 SGB X beanspruchen zu können. Allerdings lag der Entscheidung eine vom vorliegenden Fall abweichende Sachverhaltskonstellation
zugrunde, weil eventuelle Leistungsansprüche des verstorbenen Versicherten nach der Rechtsauffassung des BSG nicht mit bestandskräftigen Bescheiden ihm gegenüber abgelehnt worden und deshalb ein Verwaltungsverfahren über Leistungen
noch anhängig war, als die Rechtsnachfolge eintrat. Vor diesem Hintergrund kam es auf die Frage, ob auch Rechtsnachfolger
ein Verfahren nach § 44 SGB X initiieren können, nicht streitentscheidend an.
Der erkennende Senat geht davon aus, dass es im Rahmen des §
59 Satz 2
SGB I auf die tatsächliche Anhängigkeit des Verwaltungsverfahrens ankommt und nicht darauf, ob das Verfahren bei korrekter Sachbehandlung
hätte anhängig sein müssen. Insbesondere erscheint es dogmatisch nicht überzeugend, die Zulässigkeit eines wiederaufgreifenden
Verfahrens mit dessen ungewissen potentiellen materiellem Ergebnis - einer rückwirkenden Rücknahme - zu rechtfertigen. Das
wiederaufgreifende Verwaltungsverfahren stellt strukturell und inhaltlich nicht die Fortsetzung des originären Verwaltungsverfahrens
dar.
Vor diesem Hintergrund kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits auch nicht darauf an, ob die Kläger materiell-rechtlich
überhaupt einen Anspruch auf Erstattung von Behandlungskosten nach zivilrechtlichen Vorgaben erben konnten. Sollte es sich
bei der minderjährigen Schwester der Kläger um eine Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne des §
56 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB I handeln, was von den Klägern behauptet wird, wäre ein eventueller Erstattungsanspruch von vornherein nicht in den Nachlass
gefallen, den die Kläger zu je 1/3 geerbt haben. Die Sonderrechtsfolge hat Vorrang gegenüber der gesetzlichen und der gewillkürten
bürgerlich-rechtlichen Erbfolge und ist von dieser unabhängig (BSGE 28,102, 105). In diesem Fall wäre auch die Abtretung des
"Erbanteils" an dem "ererbten Anspruch auf Rückerstattung von Behandlungskosten gegenüber der DAK" an den Kläger zu 1) ins
Leere gegangen, denn ein entsprechender Erbanteil bestünde aufgrund der Sonderrechtsnachfolge nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
154 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Es handelt sich um ein gerichtskostenpflichtiges Verfahren im Sinne des §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG. Danach werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in §
183 genannten Personen gehört. Gemäß §
183 Abs.
1 Satz 1
SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nur für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger,
behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach §
56 SGB I kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Diese Voraussetzung ist
im Falle der Kläger nicht erfüllt.
Die Sonderrechtsnachfolge nach §
56 Abs.
1 SGB I setzt einen fälligen Anspruch auf laufende Geldleistungen voraus, die den in der Vorschrift genannten Personen nacheinander
zustehen, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit des Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich
unterhalten worden sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die genannten Voraussetzungen erfüllen, sind nach Aktenlage
nicht ersichtlich. Entsprechendes Vorbringen ist trotz ausdrücklichem Hinweis des Gerichts nicht erfolgt. Der Kläger zu 1)
ist am __. ____ 1980 geboren, die Klägerin zu 2) am __. ____ 1985. Sie sind erwachsen und befinden sich in einem Alter, in
dem regelmäßig für den eigenen Unterhalt selbst gesorgt wird. Die Kläger wohnen in der P_____str. _ in S___________. Demgegenüber
war nach dem gemeinschaftlichen Erbschein der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Versicherten in Z________. Vor diesem Hintergrund
kann dahingestellt bleiben, ob der von den Klägern geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch überhaupt vom Begriff der laufenden
Geldleistung erfasst sein kann (bestätigend zuletzt BSG, Beschluss vom 1. April 2019 - B 1 KR 1/19 B - juris Rdnr. 8 m.w.N.).
Der Senat hat im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob Erben im Sinne des §
1922 BGB berechtigt sind, ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X zu initiieren, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG zugelassen.
Der Streitwert war gemäß §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 GKG für das Berufungsverfahren in Höhe der vom Sozialgericht tenorierten Geldleistung festzusetzen, deren Zahlung im Berufungsverfahren
im Streit war.