Sozialversicherungspflicht eines GmbH-Gesellschafters bei Stimmrechtsvereinbarung ohne gesellschaftsrechtliche Auswirkungen;
Keine selbstständige Tätigkeit bei gemildertem Weisungsrecht
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als Beschäftigter der Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom 1. September
1991 bis 31. Dezember 2011 in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 2011 in der gesetzlichen
Rentenversicherung, vom 1. Januar 1993 bis 31. Dezember 1997 in der gesetzlichen Krankenversicherung und vom 1. Januar 1995
bis 31. Dezember 1997 in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig war.
Der 1958 geborene Kläger war vom 1. September 1991 bis zum 31. Dezember 1992 und seit Januar 1998 freiwilliges Mitglied der
Beklagten. Vom 1. Januar 1993 bis 31. Dezember 1997 war er dort pflichtversichertes Mitglied. Seit dem 1. September 1991 ist
er bei der Beigeladenen zu 1. bzw. deren Rechtsvorgängerin auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages als Diplomingenieur beschäftigt.
Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1., die L. Systeme in Thüringen GmbH wurde durch Gesellschaftsvertrag am 7. August
1991 gegründet und am 8. April 1992 in das Handelsregister eingetragen. Gegenstand des Unternehmens ist laut Gesellschaftsvertrag
die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Präzisionsgeräten mit elektronischen Steuerungen für Mehrachsenantriebe,
Mess- und Regelsysteme, Lasertechnik und Elektronikservice. Zum Geschäftsführer wurde Dr. G. B. bestellt. Das Stammkapital
der Gesellschaft beträgt 192.000 DM. Von dem Stammkapital übernehmen die L.Systeme GmbH (mit Sitz in G.) 96.000 DM (50 v.H.),
sechs weitere natürliche Personen u.a. der Kläger jeweils 16.000 DM (8,33 v.H.). Nach § 9 des Gesellschaftsvertrages (im Folgenden:
GV) können Gesellschafterbeschlüsse auch schriftlich, fernschriftlich, telegrafisch oder unter Verwendung neuester Telekommunikationstechniken
gefasst werden, wenn sich alle Gesellschafter an diesem Abstimmungsverfahren beteiligen (Absatz 1). Bei Beschlussfassung geben
je volle DM 1.000 nominal eines Geschäftsanteils eine Stimme (Absatz 3). Eine Gesellschafterversammlung ist nur beschlussfähig,
wenn mindestens 75 v.H. des Stammkapitals vertreten sind (Absatz 4). Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen
der einfachen Mehrheit der vertretenen Stimmen. In den in § 8 unter b) - h) aufgeführten Angelegenheiten des GV bedürfen die
Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer Mehrheit von 75 v.H. der vertretenen Stimmen (Absatz 5). Nach § 20 des GV bedürfen
alle das Gesellschaftsverhältnis betreffenden Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern oder zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern
zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform, soweit nicht kraft Gesetzes notarielle Beurkundung vorgeschrieben ist. Das gilt auch
für einen etwaigen Verzicht. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 8. Juli 1998, im Handelsregister eingetragen
am 8. September 1998, wurde die Firma geändert und der GV in § 1 (Firma) neu gefasst. Sie lautet: L. GmbH. Nach § 9 des GV
werden Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen gefasst (Absatz 1 Satz 1). Bei Beschlussfassung geben volle DM 100,00
eines Geschäftsanteils eine Stimme. Eine Gesellschafterversammlung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens 50 v.H. des Stammkapitals
vertreten sind. Soweit in diesem Vertrag oder kraft zwingenden Rechtes nichts anderes bestimmt ist, bedürfen die Beschlüsse
der Gesellschafterversammlung einer einfachen Mehrheit der vertretenen Stimmen. Die in § 8 unter Buchstabe d) bis h) des GV
aufgeführten Beschlussfassungen, die Beschlussfassung über den in § 5 Abs. 5 Ziffer 12 des GV geregelten Fall sowie die Beschlussfassung
im Fall des § 17 des GV bedürfen einer Mehrheit von 75 v.H. der vertretenen Stimmen. Nach § 22 des GV bedürfen alle das Gesellschaftsverhältnis
betreffenden Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern oder zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern zu ihrer Wirksamkeit der
Schriftform, soweit nicht kraft Gesetzes notarielle Form vorgesehen ist. Dies gilt auch für einen etwaigen Verzicht auf das
Erfordernis der Schriftform.
Mit notariellem Vertrag vom 14. Dezember 1999 verkauften die natürlichen Personen und Gesellschafter der Beigeladenen zu 1.
an die weitere Gesellschafterin, die L. L. & E. AG, jeweils einen Geschäftsanteil von 300 DM. Dies führte dazu, dass die L.
L. & E. AG 50,92 v.H. und die natürlichen Personen als Gesellschafter jeweils 8,18 v.H. der Geschäftsanteile hielten. Die
L. L. & E.AG ist durch formwechselnde Umwandlung der L. L. & E.GmbH in Garbsen durch Beschluss der Gesellschafter vom 30.
Juli 1998 mit Feststellung der Satzung entstanden. Sie wurde am 23. September 1998 in das Handelsregister eingetragen. Der
Kläger ist Aktionär der L. L. & E.AG mit Anteilen von 2.750 Stück.
Laut Arbeitsvertrag vom 1. August 1991 zwischen dem Kläger und der L. Thüringen, Gesellschaft für Präzisionssysteme mbH in
Gründung (im Folgenden: L. GmbH) tritt der Kläger am 1. September 1991 in die Dienste der L. GmbH. Er wird als Diplom-Ingenieur
für folgende Bereiche eingesetzt: Entwicklung, Erprobung und Herstellung von Komponenten für Präzision-XY-Koordinatentische,
Messsysteme, CNC-Steuerungen und andere elektronische und mechanische Baugruppen. Die L. GmbH behält sich vor, ihn an anderer
vergleichbarer Stelle einzusetzen, ohne dass eine Verschlechterung der Bezüge eintritt. Die Parteien vereinbarten eine monatliche
Vergütung in Höhe von 3.500 DM. Die Arbeitgeberin verpflichtete sich zur Gewährung von Sonderzahlungen nach dem Tarifvertrag
vom 30. Oktober 1976. Freiwillig gezahlte Weihnachtsgratifikationen und Prämien sollten im Falle der Kündigung zurückgezahlt
werden. Bei erheblicher regelmäßiger Mehrarbeit und bei notwendigen Tätigkeiten an Sonn- und Feiertagen sollte ein besonders
zu vereinbarender Ausgleich erfolgen. Der Kläger verpflichtete sich, alle Kraft in die Dienste der L. GmbH zu stellen, keine
Tätigkeit außerhalb der Firma auszuüben und jede entgeltliche und unentgeltliche Nebenbeschäftigung zur Genehmigung durch
die L. GmbH anzumelden. Die L. GmbH führt für den Kläger die Beiträge an die entsprechende Krankenkasse ab. Er erhält von
L. GmbH die Hälfte der Beiträge bis zur Höchstgrenze des gesetzlichen Arbeitgeberanteils für die Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung.
Ihm werden ein jährlicher Erholungsurlaub von 27 Tagen und eine zusätzliche Vergütung gewährt. Im Krankheitsfall werden die
Bezüge auf die Dauer von sechs Wochen weitergezahlt. Am 12. Februar 1992 schloss der Kläger mit der D. Bank AG zur Sicherung
eines Darlehens der L. GmbH in Höhe von 202.000,00 DM einen Vertrag. Er trat als Sicherungsgeber den der Pfändung unterworfenen
Teil seiner gegenwärtigen und künftigen Ansprüche auf Arbeitsentgelt und sonstige Bezüge an die Bank ab. Am 20. Oktober 1999
schloss er mit dem Freistaat Thüringen, vertreten durch die T. Aufbaubank, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über einen
Schuldbeitritt. Er trat neben der L.Systeme in Thüringen GmbH in das Rückerstattungsschuldverhältnis ein, das sich ergibt,
wenn der Gläubiger vom Zuwendungsempfänger den Investitionszuschuss in Höhe von 850.000 DM zurückfordert und ist anteilig
begrenzt auf 70.833 DM. Mit Darlehensvertrag vom 1. Juli 2000 gewährte er der L. M. & C. GmbH ein bis spätestens zum 31. Dezember
2000 zurückzahlbares Darlehen in Höhe von 8.800 DM. Am 30. August 2007 schloss er mit dem Freistaat Thüringen, vertreten durch
die T. Aufbaubank einen weiteren öffentlich-rechtlichen Vertrag über einen Schuldbeitritt. Er trat neben der L. M. & C. GmbH
in das Rückerstattungsschuldverhältnis ein, dass sich ergibt, wenn der Gläubiger vom Zuwendungsempfänger den Investitionszuschuss
in Höhe von 520.832,00 Euro zurückfordert und ist anteilig begrenzt auf 42.499,89 Euro.
Im September 2005 reichte der Kläger bei der Beklagten den Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines
mitarbeitenden Gesellschafters in der GmbH ein. Er gab u.a. an, er unterliege keinem Direktionsrecht der Arbeitgeberin. Er
könne seine Tätigkeit frei bestimmen und in seinem Verantwortungsbereich Personal einstellen und/oder entlassen. Die Verbuchung
seiner Vergütung erfolge als Lohn/Gehalt; er sei am Gewinn durch die Zahlung von Tantiemen beteiligt. Mit Bescheid vom 20.
Februar 2006 teilte die Beklagte ihm nach Anhörung mit Schreiben vom 18. Januar 2006 mit, er stehe seit dem 7. August 1991
in einem abhängigen und damit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Mit seinem Stimmenanteil habe er keinen
maßgeblichen Einfluss auf die Weisungsgebundenheit gegenüber den anderen Gesellschaftern. Die Tatsache, dass er seine Tätigkeit
frei bestimmen könne und nicht an Weisungen bei Gestaltung seiner Arbeit in Bezug auf Art, Ort und Zeit gebunden sei, sei
kein Indiz für eine selbstständige Arbeit. Diese relativ weisungsfreie Arbeit sei den Tätigkeiten höherer Art eigen und nicht
ungewöhnlich. Die Tätigkeit werde aufgrund einer arbeitsvertraglichen Regelung ausgeübt. Er erhalte unabhängig von der Ertragslage
des Unternehmens eine monatlich gleich bleibende Vergütung. Die Gewinnbeteiligung sei hierbei kein Indiz für eine unternehmerische
Tätigkeit, da sie keinem Wagniskapital entspreche. An die GmbH gewährte Bürgschaften sowie Darlehen begründeten noch keine
selbstständige Tätigkeit bzw. Unternehmereigenschaft; es überwiege die persönliche Arbeitsleistung. Nach einer Gesamtbeurteilung
der Verhältnisse sei festzustellen, dass er seit dem 7. August 1991 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe und
grundsätzlich Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bestehe. Im Widerspruchsverfahren
machte der Kläger geltend, er nehme neben den anderen als Gesellschafter an der Beigeladenen zu 1. beteiligten natürlichen
Personen eine vollkommen gleichberechtigte Stellung ein. Durch den öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 21. September 1998,
die Gewährung von Darlehen, dem Abtretungsvertrag sowie eine Bürgschaft sei er ein echtes Unternehmerrisiko eingegangen. Mit
Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Er übe seine Tätigkeit als Bereichsleiter
bei der L. M. & C. GmbH seit dem 1. September 1991 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus. Es bestehe
seit dem 1. September 1991 Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. In der Krankenversicherung habe
Versicherungspflicht vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 1997 bestanden, seit dem 1. Januar 1995 unterliege er zudem der
Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung.
Im Klageverfahren hat der Kläger ergänzend vorgetragen, sämtliche Beschlüsse seien einstimmig getroffen worden. Dies hätten
er und die anderen natürlichen Personen als Gesellschafter so vereinbart. Mit Urteil vom 25. Januar 2011 hat das Sozialgericht
die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren verweist der Kläger auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren.
Ergänzend trägt er vor, das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. August 2012 (Az.: B 12 R 14/10 R) befasse sich nicht mit Stimmbindungserklärungen, weil es darauf nicht angekommen sei. Anders als in den vom BSG entschiedenen Rechtsstreitigkeiten, habe ihm die Stimmbindungsvereinbarung ermöglicht, ihm nicht genehme Entscheidungen zu
blockieren und damit zu verhindern, dass die Gesellschafterversammlung Beschlüsse fassen konnte. Sie stelle ein einklagbares
und durchsetzbares Recht dar. Ihr komme schuldrechtliche Wirkung zu.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 25. Januar 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2008 aufzuheben und festzustellen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen
zu 1. vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 2011 in der gesetzlichen Rentenversicherung und vom 1. September 1991 bis 31. Dezember
2011 in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nicht versicherungspflichtig war, vom 1. Januar 1993 bis 31. Dezember 1997
in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig war und seit 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 1997 in
der sozialen Pflegeversicherung nicht versicherungspflichtig war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Nachweis einer mündlichen Stimmbindungsvereinbarung sei unerheblich, weil sie jederzeit ebenso habe mündlich aufgekündigt
werden können und dann wieder die Geschäftsanteilsverhältnisse maßgebend gewesen wären.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug
genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. Februar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Januar 2008 ist, soweit er hier
zu überprüfen ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er war vom 1. September 1991 bis 31. Dezember
2011 in der Arbeitslosenversicherung, vom 1. Januar 1992 in der gesetzlichen Rentenversicherung, seit dem 1. Januar 1993 bis
31. Dezember 1997 bis 31. Dezember 2011 in der gesetzlichen Krankenversicherung und in dem streitigen Zeitraum in der Pflegeversicherung
versicherungspflichtig.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist §
7 Abs.
1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts setzt sie voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung
in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer,
Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Allerdings kann dies - vornehmlich bei Diensten
höherer Art - eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist
eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebstätte,
die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets
das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 - Az.: B 12 KR 13/07 R m.w.N., nach juris). Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse sind die rechtlich relevanten Umstände, die
im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt
sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden
ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen
Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen
Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur
der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist.
Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen
ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten
zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen
abweichen. Maßgeblich ist der Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich
zulässig ist. (vgl. BSG, Urteile vom 29. August 2012 - Az.: B 12 KR 25/10 R und Az.: B 12 R 14/10 R m.w.N., nach juris).
Der Kläger war in dem streitigen Zeitraum nicht im eigenen, sondern in einem fremden Betrieb tätig. Alleinige Betriebsinhaberin
war die Beigeladene zu 1. bzw. deren Rechtsvorgänger, die als GmbH ein Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit ist und
deshalb unabhängig von den als Gesellschafter dahinter stehenden juristischen oder natürlichen Personen und deren verwandtschaftlichen
oder wirtschaftlichen Beziehungen betrachtet werden muss. Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Tätigkeit des Klägers für die
Beigeladene zu 1. im Rahmen einer Beschäftigung oder selbstständig ausgeübt wurde, ist der Arbeitsvertrag vom 1. August 1991,
der deren Vertragsverhältnis bestimmte.
Das Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. erlaubt unter Zugrundelegung des "Arbeitsvertrages"
vom 1. August 1991 eine uneingeschränkte Zuordnung zum Typus der abhängigen entgeltlichen Beschäftigung. Dieser hatte sowohl
von seiner Bezeichnung als auch nach seinem Inhalt her ein Arbeitsverhältnis zum Gegenstand. Die Beteiligten hatten die Zahlung
eines festen Gehaltes, die Zahlung von Sonderzahlungen nach dem Tarifvertrag vom 30. Oktober 1976, die Zahlung eines Ausgleichs
bei erheblicher regelmäßiger Mehrarbeit und bei notwendigen Tätigkeiten an Sonn- und Feiertagen, die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen,
die Gewährung von bezahltem Erholungsurlaub, die Zahlung einer zusätzlichen Urlaubsvergütung und eine Entgeltfortzahlung im
Krankheitsfall vereinbart. Hierbei handelt es um typische Regelungen eines Arbeitsvertrages. Auf der Grundlage dieses Vertrages
wurde der Kläger für die Beigeladene zu 1. tätig. Rechtlich relevante Änderungen des schriftlichen Arbeitsvertrages - unabhängig
von der Frage insoweit einzuhaltender Formerfordernisse - hat der Kläger nicht vorgetragen. Den rechtlichen Vereinbarungen
entsprechend hat die Beigeladene zu 1. die an den Kläger ausgezahlten Vergütungen als Betriebsausgaben gebucht und Sozialversicherungsbeiträge
abgeführt.
Eine Selbstständigkeit des Klägers ergibt sich auch nicht daraus, dass er als Gesellschafter an der Beigeladenen zu 1. beteiligt
ist. Er war auch als Gesellschafter in deren Arbeitsorganisation eingebunden. Nach Ziffer 3 des Arbeitsvertrages verpflichtete
er sich, "alle Kraft in die Dienste von L. zu stellen, keine Tätigkeit außerhalb der Firma auszuüben und jede entgeltliche
und unentgeltliche Nebenbeschäftigung zur Genehmigung durch L. anzumelden". Zudem unterlag er als Gesellschafter nach § 17
der GV der L. Systeme in Thüringen GmbH bzw. der L. M. & C. GmbH einem Wettbewerbsverbot. Ihm wurde ein bestimmter Arbeitsbereich
nach Ziffer 1 des Arbeitsvertrages zugewiesenen. Auch nach der eingereichten Stellenbeschreibung vom 26. Juni 2001 untersteht
er als Bereichsleiter Produktentwicklung Elektronik Hardware der Geschäftsführung der Beigeladenen zu 1. Die von ihm selbst
wahrzunehmenden Aufgaben als Inhaber der Stelle werden dort im Einzelnen beschrieben. Sie betreffen nur den von ihm auszufüllenden
Arbeitsbereich und sind daher auf diesen Unternehmensteil beschränkt. Die kaufmännische Leitung der Firma oder die Leitung
sonstiger Unternehmensteile oblag ihm nicht. Für die Leitung dieser Bereiche ist jeweils eine andere natürliche Person als
Gesellschafter eingesetzt; die Geschäftsleitung obliegt Dr. G. B ... Soweit der Kläger vorträgt, ihm seien in seinem Arbeitsbereich
keine Weisungen erteilt worden, ist die Wahrnehmung von Handlungsfreiheiten bei Leistung von Diensten höherer Art geradezu
charakteristisch. Sie werden dennoch im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erbracht, wenn sie - wie hier - fremdbestimmt
bleiben, weil sie in einer von anderer Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebes aufgehen (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - Az.: B 12 R 14/10 R m.w.N., nach juris). Wie weit die Lockerung des Weisungsrechts in der Vorstellung des Gesetzgebers gehen kann, ohne dass
deswegen die Stellung als Beschäftigter entfällt, zeigen beispielhaft die gesetzlichen Sonderregelungen zur Versicherungsfreiheit
von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft in der Renten- und Arbeitslosenversicherung (§
1 Satz 4
SGB VI sowie §
27 Abs.
1 Nr.
5 SGB III), die regelmäßig abhängig beschäftigt sind, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten haben und gegenüber
der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen. Allein weit reichende Entscheidungsbefugnisse eines "leitenden Angestellten",
der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem gemilderten Weisungsrecht unterliegt, machen diesen nicht
schon zu einem Selbstständigen. Selbst wenn dem Kläger in seinem Zuständigkeitsbereich keine Weisungen erteilt worden sein
sollten, führt dies nicht dazu, dass kein Weisungsrecht bestanden hat. Aus der bloß faktischen Nichtwahrnehmung von Aufsichts-,
Kontroll- und Weisungsrechten durch die dazu gesellschaftsrechtlich berufenen Organe - hier der Geschäftsführer der Beigeladenen
zu 1. - kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass dadurch die ihnen zugrundeliegenden Rechte und Pflichten abbedungen
worden sind. Aufgrund der umfangreichen gesellschaftsrechtlichen Verfahrens- und Formvorschriften ist eine "stillschweigende"
Änderung der grundlegenden rechtlichen Verhältnisse der Gesellschaft ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - Az.: B 12 KR 14/10 R, nach juris Rn. 25).
Der Kläger besaß auch keine rechtliche Möglichkeit, auf die konkrete Ausgestaltung der betrieblichen Organisation der Beigeladenen
zu 1. Einfluss zu nehmen. Selbst innerhalb des ihm zugewiesenen Zuständigkeitsbereichs war er, wie bereits ausgeführt, der
Geschäftsführung unterstellt. Die Leitung der Beigeladenen zu 1. war ihm nicht übertragen. Er war nicht zum Geschäftsführer
oder stellvertretenden Geschäftsführer bestellt und als nicht mit einer Sperrminorität ausgestatteter Gesellschafter auch
nicht in der Lage, ihm nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden. Gesellschafterbeschlüsse waren mit Ausnahme der in §
9 Abs. 5 sowohl des GV der L. Systeme in Thüringen GmbH als auch der L. M & C GmbH genannten Geschäfte mit einfacher Mehrheit
zu treffen. Mit einem Stimmenanteil von 8,33 v.H. (bis Dezember 1999) bzw. 8,16 v.H. konnte der Kläger daher keinen Gesellschafterbeschluss
in seinem Sinne alleine durchsetzen bzw. bestimmte Entscheidungen verhindern.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der von ihm behaupteten mündlich geschlossenen Stimmrechtsvereinbarung
mit den hinter der Beigeladenen zu 1. stehenden natürlichen Personen als Gesellschafter. Zweifel bestehen bereits daran, ob
tatsächlich eine rechtlich verbindliche Vereinbarung vorlag oder lediglich eine unverbindliche Absichtserklärung, Entscheidungen
möglichst gemeinsam im Sinne einer kollegialen Zusammenarbeit zu treffen. Im Vorverfahren hat der Kläger eine solche Stimmrechtsvereinbarung
nicht erwähnt. Sie begründet jedenfalls nur eine schuldrechtliche Verpflichtung mit der Folge, dass eine Stimmabgabe in der
Regel auch dann gültig ist, wenn sie entgegen einem wirksamen Stimmbindungsvertrag erfolgt. Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen
kommen ihr mangels entsprechenden Gesellschafterbeschlusses nicht zu (vgl. Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 7. August
2013 - Az.: L 2 R 31/10, Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 24. November 2004 - Az.: 1 U 202/04 - 35, 1 U 202/04 jeweils m.w.N., nach juris). Zudem hätte sie nach § 20 des GV der L. Systeme in Thüringen GmbH bzw. § 22 des GV der L. M.
& C. GmbH der Schriftform bedurft. Dies gilt auch für einen etwaigen Verzicht auf das Erfordernis der Schriftform. Zudem hatte
die L. L. & E.AG nach der Übertragung des Geschäftsanteils von 300 DM durch die natürlichen Personen (Gesellschafter) mit
notariellem Vertrag vom 14. Dezember 1999 an sie mit 50,92 v.H. die Mehrheit der Stimmenanteile bei der Beigeladenen zu 1.
Eine Verhinderung nicht genehmer Gesellschafterbeschlüsse oder die Durchsetzung gewollter Gesellschafterbeschlüsse hätten
die Gesellschafter auch bei einstimmiger Abstimmung nicht erreichen können. Dies gilt auch für die Zeit davor, da sie mit
einem Stimmenanteil von 50 v.H. ebenfalls keine Mehrheit der Stimmenanteile hatten.
Für eine Selbständigkeit spricht auch nicht, dass der Kläger durch die Bürgschaft, das Darlehen und die Schuldbeitritte sowie
durch die Gewährung von Tantiemen ein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Beigeladenen zu 1. hat. Ein für Selbständigkeit
sprechendes "typisches Unternehmerrisiko" wird hierdurch nicht begründet, weil es keinen Zusammenhang mit den laut Arbeitsvertrag
geschuldeten Diensten gibt (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2012 - Az.: B 12 KR 25/10 R, nach juris Rn. 29). Die Bürgschaft, das Darlehen und die Schuldbeitritte waren für die Erfüllung der diesbezüglichen Pflichten
nicht erforderlich. Die Gründe für ihre Bestellung liegen vielmehr außerhalb der Beschäftigung. Bezogen auf seine Tätigkeit
hatte der Kläger gerade kein Unternehmerrisiko zu tragen; denn als Gegenleistung für seine Tätigkeit stand ihm ausweislich
des Arbeitsvertrages vom 1. August 1991 unabhängig vom wirtschaftlichen Ergebnis der Beigeladenen zu 1. ein Anspruch auf monatliche
Vergütung zu, wie dies für Beschäftigte typisch ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Eine teilweise Erstattung aufgrund der Änderung des Bescheids vom 20. Februar 2006 im Widerspruchsverfahren kommt nicht
in Betracht, denn der Kläger war auch insoweit letztlich nicht erfolgreich. Ziel des Klägers war nicht die bloße Beseitigung
der Feststellung der Beklagten, dass eine versicherungspflichtige Tätigkeit vorlag. Er begehrt eine Feststellung dahingehend,
dass eine versicherungspflichtige Tätigkeit ab dem 1. September 1991 nicht vorlag. Dies hat der Kläger weder im Widerspruchsverfahren
noch im gerichtlichen Verfahren erreicht.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.