Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei auslaufendem oder ausgelaufenem Recht
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob die Klägerin bis November 2002 als selbstständige Tagesmutter in
der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.
Mit mehreren Bescheiden stellte der beklagte Rentenversicherungsträger die Versicherungspflicht der Klägerin nach §
2 Satz 1 Nr 1 bis 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) fest, forderte Rentenversicherungsbeiträge nach und legte die zukünftige Beitragshöhe fest. Der Widerspruch der Klägerin
blieb erfolglos. Das Sozialgericht gab der Klage statt und hob die Bescheide der Beklagten mit der Begründung auf, die Tätigkeit
der Klägerin als selbstständige Tagesmutter falle unter keinen, eine Rentenversicherungspflicht begründenden Tatbestand. Auf
die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil
vom 18. Juli 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im genannten Urteil des LSG.
II. Die Beschwerde ist unzulässig, denn die Klägerin hat in der Begründung keinen Zulassungsgrund in der nach §
160a Abs
2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet. Sie ist deshalb in entsprechender Anwendung von §
169 Satz 2 und
3 SGG zu verwerfen.
Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
1. Die Klägerin beruft sich zunächst auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Hierzu muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit)
und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR
3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; BVerwG NJW 1999, 304; vgl auch Bundesverfassungsgericht [BVerfG] SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern
die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen,
den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 31).
Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer verfassungsrechtlichen Frage gilt nichts anderes. Die Begründung darf
sich auch insofern nicht auf eine bloße Berufung auf Normen des Grundgesetzes (
GG) beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten
Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). - Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung
nicht.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie sei im streitgegenständlichen Zeitraum iS von §
8 Abs
1 Nr
1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (
SGB IV) in der bis März 2003 geltenden Fassung (§
8 SGB IV aF) zeitgeringfügig tätig gewesen und deshalb in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungsfrei. Darüber, "in welchem
Umfang Tagesmütter bei der Betreuung weniger bzw nur eines oder zweier Kinder in ihren Kapazitäten ausgelastet" seien, habe
das BSG bisher nicht entschieden. In diesem Zusammenhang misst die Klägerin folgenden verfassungsrechtlichen Fragen grundsätzliche
Bedeutung zu:
"1. Verbietet die verfassungsrechtliche Ansiedlung der elterlichen Erziehungsaufgabe, die Tätigkeit eines Erziehers im Sinne
von §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VI bzw einer Tagesmutter einer quantitativen Tätigkeitsbemessung nach der Zahl der betreuten Kinder zuzuführen zum Zwecke der
sozialversicherungsrechtlichen Feststellung der Grenze zwischen geringfügiger und gewerbsmäßiger Tätigkeit?
2. Gebietet der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz, bei der Anwendung zeitlicher Kriterien für die Feststellung der
Grenzen zwischen geringfügiger und gewerbsmäßiger Tätigkeit, nicht nur auf die Art der Tätigkeit abzustellen, sondern hierbei
auch sich an der Zahl der zu betreuenden Kinder zu orientieren?"
Der Senat kann offen lassen, ob die Klägerin damit hinreichend konkrete Rechtsfragen gestellt hat, über die in einem Revisionsverfahren
zu entscheiden wäre. Denn die Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde folgt jedenfalls aus anderen Gründen.
Die von der Klägerin gestellten Fragen beziehen sich auf §
8 SGB IV aF und damit auf außer Kraft getretenes Recht. Auslaufendes oder ausgelaufenes Recht kann in aller Regel keine grundsätzlichen
Rechtsfragen mehr aufwerfen. Dass noch mehrere gleichartige Streitfälle anhängig sind bzw die zu klärenden Fragen nachwirken
und deshalb ausnahmsweise weiterhin Klärungsbedürftigkeit besteht, hat die Klägerin nicht vorgetragen.
Außerdem gilt: Hinsichtlich der Frage 1 fehlt es an ausreichenden Darlegungen zu ihrer Klärungsfähigkeit, hinsichtlich der
Frage 2 an solchen zur Klärungsbedürftigkeit.
Soweit die Klägerin zunächst die Frage aufwirft, ob die verfassungsrechtliche Ansiedlung der elterlichen Erziehungsaufgabe
eine quantitative Tätigkeitsbemessung der Erziehertätigkeit "verbiete", hat sie nicht dargetan, dass diese Frage für den zu
entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist, dh der Senat über sie in einem Revisionsverfahren sachlich zu entscheiden hätte.
Denn selbst wenn in Übereinstimmung mit der Klägerin angenommen würde, eine entsprechende Differenzierung wäre am Maßstab
des Art
6 Abs
2 Satz 1
GG nicht verboten, ergäbe sich daraus noch nicht, dass eine solche auch "geboten" wäre, das LSG bei seiner Entscheidung also
von Verfassungs wegen im Sinne der Klägerin hätte quantifizieren müssen.
Auf die von der Klägerin aufgeworfene zweite Frage käme es zwar in dem zu entscheidenden Streitfall an, dh sie wäre in einem
Revisionsverfahren zu klären. Jedoch ist hinsichtlich dieser Frage nicht in der gebotenen Weise dargetan, dass ihre Klärung
über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse
erforderlich ist. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer verfassungsrechtlichen Frage reicht der bloße Hinweis auf
die für einschlägig gehaltene Verfassungsnorm und die Behauptung ihrer Verletzung nicht aus. Wird die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache - wie hier - aus einer Verletzung des Gleichheitssatzes durch das Berufungsgericht abgeleitet, so muss die
Beschwerde unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG die Maßstäbe des Gleichheitsgrundrechts aufzeigen
und darlegen, worin sie die für die Gleichheitsprüfung wesentlichen Sachverhaltsmerkmale und die Vergleichsgruppen erblickt.
In der Beschwerdebegründung fehlt jedoch jede Herleitung des von der Klägerin postulierten, sich "an der Zahl der zu betreuenden
Kinder orientierenden" Differenzierungsgebots aus dem Verfassungsrecht. Der Hinweis auf einfachgesetzliche Differenzierungen
in anderen Rechtsbereichen oder bestimmte Vorstellungen in Gesetzgebungsvorhaben ersetzt diese Auseinandersetzung mit dem
Verfassungsrecht nicht.
Auch im Übrigen hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit des von ihr angesprochenen Fragenkreises nicht dargelegt. In seinem
vom LSG in Auszügen wörtlich wiedergegebenen Urteil vom 22. Juni 2005 (B 12 RA 12/04 R = SozR 4-2600 § 2 Nr 2) hat der Senat für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung einen formalen Begriff der Erziehung
zugrunde gelegt und diesen in Ermangelung einer spezialgesetzlichen Einengung des Begriffs als umfassend in dem Sinne verstanden,
dass die Voraussetzungen der Erziehung grundsätzlich bereits als gegeben anzusehen sind, wenn sich der Erziehende und das
Kind in einem gemeinsamen Haushalt aufhalten. Der Senat hat außerdem ausgeführt, dass die im Steuerrecht trotz der unlösbaren
Verflochtenheit des einheitlichen Lebensvorgangs vorgenommene Einschränkung des umfassenden Begriffs der Erziehung dortigen
Differenzierungsbedürfnissen Rechnung trage, im vorliegenden Zusammenhang - des Rentenversicherungsrechts - jedoch ohne Bedeutung
sei. Warum sich aus diesem Urteil des Senats nicht ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung des von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich
herausgestellten Fragenkreises ergeben sollen und damit - insbesondere - nicht auch die Frage nach der Beurteilung der Beschäftigung(szeit)
iS des §
8 SGB IV aF als höchstrichterlich beantwortet gelten kann, hat die Klägerin nicht dargelegt.
2. Einen möglicherweise entscheidungserheblichen Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) hat die Klägerin ebenfalls nicht bezeichnet.
Die Klägerin legt dar, dass das Berufungsgericht auf ihr in der mündlichen Verhandlung am 18. Juli 2006 unterbereitetes Beweisangebot
durch Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Arbeitsleistungsmessungsbereich nicht eingegangen sei. Die
als Verfahrensfehler geltend gemachte Verletzung des §
103 SGG kann gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG nur darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die hierfür maßgeblichen Umstände hat die Klägerin nicht in der gebotenen Weise vorgetragen.
Das LSG ist in seiner Entscheidung erkennbar davon ausgegangen, dass es im Hinblick auf die vom Senat vertretene und von ihm
geteilte Rechtsauffassung zur Auslegung des Begriffs der Erziehung im Zusammenhang der gesetzlichen Rentenversicherung mit
seinen Folgen für die Beurteilung der Beschäftigung(szeit) iS des §
8 SGB IV aF und damit den Versicherungsstatus auf die von der Klägerin erforderlich gehaltene, weitere Unterscheidung danach, wann
und unter welchen Voraussetzungen "die Leistungsfähigkeit bzw Kapazität einer Tagesmutter erreicht" oder diese "voll in Anspruch
genommen" ist, nicht ankommt. Warum sich das LSG vor dem Hintergrund dieser von ihm vertretenen Rechtsauffassung, auf die
es für die Beurteilung eines Verfahrensmangels ankommt, zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen, hat die Klägerin
nicht aufgezeigt. Sollte der Beschwerdebegründung indessen zu entnehmen sein, das LSG habe eine (ganz) andere Rechtsauffassung
vertreten, die es zu der von der Klägerin angeregten Beweiserhebung habe veranlassen müssen, hätte die Klägerin nicht nachvollziehbar
dargelegt, woraus sich eine solche materiell-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts herleitet.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 3 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.