Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung und Umlagen
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Nachforderung von Beiträgen
zur Sozialversicherung und Umlagen für den Zeitraum von Oktober 2012 bis Dezember 2014 iHv 9776,46 Euro anlässlich der Tätigkeit
des Beigeladenen zu 1. (im Folgenden: der Beigeladene).
Der Kläger war im streitigen Zeitraum Einzelunternehmer unter den Firmen "H" und "H und G. Der Beigeladene bezog in dieser
Zeit durchgehend (teilweise mit einer späteren Rückforderung der Leistungen für den Lebensunterhalt) Leistungen nach dem SGB II und war mit Beitragszahlungen des beigeladenen Jobcenters in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung
pflichtversichert. Für die Tätigkeit des Beigeladenen zahlte der Kläger monatlich mit Buchungen im Oktober und November 2012,
Februar bis Juni 2013, August bis November 2013 sowie Januar, April, August, September, November und Dezember 2014 einen Pauschalbetrag
von 165 Euro. Darüber hinaus wurden von Oktober 2012 bis Januar 2015 Zahlungen zwischen 30 und 455 Euro gebucht. In der Summe
ergaben sich Zahlungen an den Beigeladenen für 2012 iHv 916,51 Euro, für 2013 iHv 11.492,25 Euro, für 2014 iHv 10.849,84 Euro
und für 2015 iHv 260 Euro. Hierzu wurden Rechnungen des Beigeladenen für "Hausmeisterdienste" oder "Arbeiten" ggf nebst Zusätzen
unter Angabe der Adresse des Hausobjektes vorgelegt. Im Anschluss an den streitigen Zeitraum war der Beigeladene beim Kläger
angestellt.
Nach einer Betriebsprüfung stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass der Beigeladene aufgrund Beschäftigung
der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung unterliege und forderte Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv 9776,46 Euro
nach (Bescheid vom 14.11.2016; Widerspruchsbescheid vom 28.3.2017). Das SG Halle hat die Bescheide aufgehoben. Zwar habe hinsichtlich der regelmäßigen Hausmeistertätigkeiten ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Dieses sei aber wegen Geringfügigkeit versicherungsfrei gewesen. Die weiteren Tätigkeiten
des Beigeladenen seien aufgrund von Werkverträgen selbstständig erbracht worden (Urteil vom 1.7.2019). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG Sachsen-Anhalt das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es sei von Schwarzarbeit auszugehen (Urteil vom 25.11.2021). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG in entsprechender Anwendung von §
169 Satz 2 und
3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Der Kläger bezeichnet in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde vom 3.2.2022 den allein geltend gemachten Zulassungsgrund
eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG entsprechenden Weise.
Ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (zu den Anforderungen an die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels s exemplarisch BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 4; Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl
2022, Kap IX, RdNr
310 ff). Nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG beziehen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu §
162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen,
dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens
wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn er hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargelegt wird,
sodass das BSG allein anhand der Beschwerdebegründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf
dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß §
62 SGG iVm Art
103 Abs
1 GG. Das LSG beziehe sich in seiner Entscheidung, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestehe, auf verschiedene Aspekte,
auf die es in der mündlichen Verhandlung nicht hingewiesen habe. Eine "Reaktion, Argumentation bzw. Beweisantrag diesbezüglich"
habe daher nicht erfolgen können. Das LSG habe ein Mietverhältnis zwischen Kläger und Beigeladenem als Indiz für ein Beschäftigungsverhältnis
gewertet. Zudem habe es den Verlust von Unterlagen des Beigeladenen dem Kläger angelastet. Die herangezogenen Rechnungen seien
unvollständig. Die durchgeführten Barzahlungen hätten vom Kläger anhand seiner Buchführung nachgewiesen werden können. Unberücksichtigt
sei geblieben, dass der Beigeladene mehrere Auftraggeber gehabt habe. Zu Unrecht sei auch ein Urlaubsanspruch des Beigeladenen
angenommen und gewürdigt worden.
Im Kern rügt der Kläger mit diesem Vorbringen eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) durch eine vermeintliche Überraschungsentscheidung. Von einer Überraschungsentscheidung kann jedoch nur ausgegangen werden,
wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG <Kammer> Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - BVerfGK 19, 377 - juris RdNr 18 mwN). Andererseits liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor, wenn die Problematik bereits Gegenstand von Äußerungen
der Beteiligten des streitigen Verfahrens war (vgl zB BSG Beschluss vom 14.8.2014 - B 13 R 213/14 B - juris RdNr 5; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 12.7.2006 - 2 BvR 513/06 - BVerfGK 8, 376 - juris RdNr 37). Zur Darlegung des Verfahrensmangels eines Gehörsverstoßes in Form einer Überraschungsentscheidung muss der Beschwerdeführer
einer Nichtzulassungsbeschwerde unter Bezugnahme auf den Gang des Gerichtsverfahrens und das Vorbringen der Beteiligten sowie
unter Hervorhebung von Äußerungen des Berufungsgerichts darlegen, dass die Entscheidung des LSG nach dem bisherigen Sach-
und Streitstand von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (vgl BSG Beschluss vom 5.11.2020 - B 9 SB 34/20 B - juris RdNr 7 mwN).
Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nur Erfolg haben, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung
auf einer Verletzung des Art
103 Abs
1 GG beruht, wenn also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beschwerdeführers das Gericht zu einer anderen
Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer
anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte. Aus diesem Grunde ist der Substantiierungspflicht bei der Rüge eines
Verstoßes gegen Art
103 Abs
1 GG nur genügt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und
welche Folgen sich daraus für die angegriffene Entscheidung ergeben hätten (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 12.5.2022 - 2 BvR 354/21 - juris RdNr 8 mwN). Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Der Kläger berücksichtigt nicht hinreichend, dass bereits das SG in seinem Urteil eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen bejaht und eine Versicherungs- und Beitragspflicht nur deshalb
verneint hat, weil es seine Tätigkeiten in einen regelmäßigen, geringfügigen und daher versicherungsfreien Teil und einen
zusätzlichen selbstständigen Teil gesplittet hat. Angesichts dessen zeigt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend auf,
inwieweit die Annahme eines einheitlichen, abhängigen Beschäftigungsverhältnisses durch das LSG gänzlich neu und völlig unerwartet
für den Kläger gewesen sein sollte. Hinsichtlich des Mietverhältnisses zeigt die Beschwerdebegründung nicht die Entscheidungserheblichkeit
auf. Hierzu hätte aber Anlass bestanden, da in den Gründen des angefochtenen Urteils ausdrücklich darauf hingewiesen wurde,
dass sich die mit einem Festgehalt und zusätzlich nach Stunden vergütete Tätigkeit "nach dem streitigen Zeitraum bis zur Gewährung
einer Unterkunft durch ein von dem Kläger geführtes Unternehmen verfestigt" habe (LSG-Urteil Seite 12). Inwieweit das LSG das Mietverhältnis trotz des ausdrücklichen Hinweises, dass dieses erst nach dem streitigen Zeitraum bestand,
entscheidungserheblich berücksichtigt hätte, legt die Beschwerdebegründung nicht dar. Hinsichtlich der behaupteten mehreren
Auftraggeber und der Rechnungen zeigt die Beschwerdebegründung - unabhängig von der auch insoweit fehlenden Darlegung der
Entscheidungserheblichkeit - nicht auf, warum diese Aspekte, insbesondere mit Blick auf den Umstand der wiederholt im Verfahren
thematisierten Unvollständigkeit von Unterlagen (LSG-Urteil Seite 9) neu und überraschend gewesen sein sollen. Bezüglich eines Urlaubsanspruchs kann der Beschwerdebegründung nicht entnommen
werden, inwieweit das LSG einen solchen überhaupt bejaht hat. Die Ausführungen hierzu (LSG-Urteil Seite 13) stehen lediglich im Zusammenhang mit der vom LSG angenommenen "Mehrarbeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses".
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
2, §
162 Abs
3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.