Rentenversicherungsversicherungspflicht einer selbstständigen Aerobic-Trainerin, ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Revision allein darüber, ob die Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung als
Lehrerin versicherungspflichtig ist.
Die Klägerin ist seit dem 1. November 2001 in drei bis fünf verschiedenen Studios als Aerobic-Trainerin tätig. Ihre fachliche
Kompetenz erwarb sie auf autodidaktische Weise und in Wochenendseminaren. Auf Grund der im Rahmen ihres "Antrags auf Feststellung
des sozialversicherungsrechtlichen Status" nach §
7a Abs
1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV) gemachten Angaben stellte die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2002 das Vorliegen von Versicherungspflicht nach "§
2 Satz 1 Nr 1 bis 3" des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) ab 1. November 2001 fest. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind jeweils erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid
der Beklagten vom 17. Juni 2003, Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26. Februar 2004, Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen
>LSG< vom 11. August 2004).
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Der Begriff des Lehrers sei in einem
weiten Sinne zu verstehen und umfasse jede Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Hiervon ausgehend unterliege auch
die Klägerin der Versicherungspflicht. Dies habe sie durch Kopien der Programme der von ihr durchgeführten Kurse der verschiedenen
Studios selbst belegt. So biete das W -Gesundheitsstudio in K - ua eine Betreuung durch den Diplomsportlehrer
und seine ausgebildeten Trainer, die gelenk- und wirbelsäulenschonendes Training garantierten, an. Das Studio O
preise alle angebotenen Kurse mit dem Leitsatz "Schluss mit Rückenproblemen" an. Das Kursangebot des G vom Freizeit-
und Breitensport der TSV habe eine Kursbeschreibung für Aerobic so zusammengefasst: "Schrittkombination
zur Förderung der Kondition und Bewegungsdynamik". Unter Dance Aerobic sei ausgeführt: "Klassische Aerobicschritte werden
mit verschiedenen Tanztechniken verbunden". Gerade Kurse wie Callanetics, Dance-Aerobic und auch Rückentraining seien mit
Übungen verbunden, die sauber ausgeführte Bewegungsabläufe nötig machten, um nicht ihre Wirkung zu verlieren. Es sei senatsbekannt,
dass ein unangeleiteter Fitnesscenterbesucher ein Rückentraining nicht verrichten könne. Hieraus ergebe sich notwendig eine
im weitesten Sinne lehrende Funktion der Klägerin. Unter Anleitung des Aerobic-Trainers erlernten die Kursteilnehmer gezielt
Schrittkombinationen und Bewegungsabläufe. Dafür, dass in den einzelnen Kursen nicht nur Begleitung, sondern Anweisung gesucht
werde, sprächen auch die Kosten von zumindest 25 EUR der jeweiligen Kurse. Schließlich sei ohne Bedeutung, dass die Teilnahme
am Unterricht freiwillig erfolge, Prüfungen fehlten und Zertifikate nicht ausgestellt würden. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit
einer Rentenversicherungspflicht für Lehrer bestünden nicht.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Tatsachengrundlagen, auf die das Berufungsgericht
seine Entscheidung stütze, seien nicht prozessordnungsgemäß festgestellt worden. Insofern werde eine Verletzung von §
103 und §
106 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) sowie von Art
103 des Grundgesetzes (
GG) gerügt. Die Tatsache der Wissensvermittlung durch die Klägerin lasse sich den zitierten Werbebroschüren nicht entnehmen.
Der allgemeine Hinweis auf die Notwendigkeit einer sauberen Ausführung von Übungen erlaube keinen Rückschluss auf das individuelle
Verhalten der Klägerin. Woher senatsbekannt sei, dass ein Rückentraining durch unangeleitete Fitnesscenterbesuche nicht verrichtet
werden könne, werde vom Berufungsgericht nicht offen gelegt. Die Herkunft des - inhaltlich unzutreffenden - Erfahrungssatzes,
dass Kosten von zumindest 25 EUR der jeweiligen Kurse für eine Suche nach Anweisung an Stelle bloßer Begleitung sprächen,
sei nicht offen gelegt. Tatsachengrundlagen für die Feststellung, dass die Kursteilnehmer gezielt Schrittkombinationen und
Bewegungsabläufe erlernen würden und dadurch in die Lage versetzt würden, Muskelpartien systematisch zu trainieren, seien
nicht gegeben. Das LSG hätte darauf hinweisen müssen, dass es allein auf Grund der Prospekte bzw eigener Kenntnis des Senats
zu Schlussfolgerungen kommt. Ein Verfahrensfehler liege darüber hinaus darin, dass sich das Gericht allein auf die Wirbelsäulengymnastik
gestützt und nicht ermittelt habe, wo der Schwerpunkt der Tätigkeit liege. Darüber hinaus fehle es an Darlegungen, welches
Wissen vermittelt werde und worauf diese Wissensvermittlung beruhe. Das LSG wende schließlich §
2 Satz 1 Nr 1
SGB VI falsch an. Reines Vormachen, Nachmachen und Mitmachen ohne Eröffnung eines theoretischen Hintergrundes genüge dem Begriff
des Lehrers nicht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. August 2004, das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26. Februar
2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Auffassung der Klägerin zum Begriff des Lehrers sei unzutreffend. Entgegen
der Revision würden hiervon auch Unterweisungen erfasst, die sich auf körperliche Übungen oder mechanische Tätigkeiten beziehen.
II
Die zulässige Revision der Klägerin erweist sich im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der
Sache an das LSG auch als sachlich begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts reichen derzeit für eine
abschließende Entscheidung über die Rentenversicherungspflicht der Klägerin als selbstständige Lehrerin nicht aus.
Wie der Senat in seiner Entscheidung in der Parallel-Streitsache B 12 RA 6/04 R vom heutigen Tage umfassend dargelegt und ausführlich begründet hat, sind die Voraussetzungen einer Tätigkeit als Lehrer
im hier allein maßgeblichen sozialversicherungsrechtlichen Sinn des §
2 Satz 1 Nr 1
SGB VI bereits dann erfüllt, wenn im konkreten Fall - und nicht nur ausweislich abstrakter Tätigkeitsbeschreibungen oder Berufsbilder
- eine (wenn auch flüchtige) spezielle Fähigkeit durch praktischen Unterricht vermittelt wird. Der Verfolgung weiter gehender
Lernziele bedarf es dagegen ebenso wenig wie der verpflichtenden Teilnahme am Unterricht, der Abnahme von Prüfungen und des
Ausstellens von Zeugnissen oder Bescheinigungen. Unabhängig insbesondere von der Vorbildung des Lehrenden und der Qualität
seiner Lehre geht das Gesetz auch bei diesem Personenkreis typisierend davon aus, dass gerade in seiner Berufsausübung eine
dem versicherungspflichtigen Arbeitnehmer vergleichbare Schutzbedürftigkeit zum Ausdruck kommt. Entgegen dem Vorbringen der
Revision wendet die Beklagte insofern nicht etwa ein hundert Jahre altes Gesetz an, wohl aber fügt sich die geltende Regelung
des 1992 in Kraft getretenen
SGB VI in eine über hundertjährige Rechtstradition ein, die selbstständige Lehrer seit den Anfangszeiten moderner Sozialgesetzgebung
der Rentenversicherungspflicht unterworfen hat.
Das LSG hat seiner Entscheidung zutreffend diesen weiten Begriff des Lehrers im rentenversicherungsrechtlichen Sinne zu Grunde
gelegt, es hat indes bisher keine Tatsachen festgestellt, auf Grund deren der erkennende Senat die Überzeugung gewinnen könnte,
dass seine Voraussetzungen gerade im zur Entscheidung stehenden Fall vorliegen und die Klägerin daher rentenversicherungspflichtig
ist. Sofern sich allerdings die - im Revisionsverfahren wiederholten - eigenen Ausführungen der Klägerin als zutreffend erweisen
sollten und ihre Tätigkeit demzufolge tatsächlich darin besteht, Kurse in den Bereichen musikgestütztes Bewegungstraining,
Fitness- und Krafttraining sowie Training der Ausdauer und Schnellkraft zu organisieren und die Übungsstunden jeweils mit
allgemeinen Anweisungen an die Gruppe zu begleiten, wäre bereits ein derartiger Inhalt ausreichend, die Voraussetzungen einer
Tätigkeit als Lehrer zu erfüllen. Das Berufungsgericht hat dies jedoch nicht selbst festgestellt, sondern sich auf eine Wiedergabe
des Klagevortrags in indirekter Rede beschränkt. Nach §
128 Abs
1 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung, von welchem Sachverhalt
bei der rechtlichen Beurteilung auszugehen ist; das Ergebnis dieses Entscheidungsprozesses und die für die Überzeugungsbildung
maßgeblichen Gründe sind im Urteil anzugeben. Es genügt daher nicht, wenn der Vortrag der Beteiligten nur inhaltlich referiert
wird, ohne dass das Gericht die Aussagen bewertet und mitteilt, inwiefern es sie für zutreffend erachtet, sie sich zu Eigen
macht und daher seiner rechtlichen Überzeugungsbildung zu Grunde legt (vgl entsprechend zur fehlenden Feststellungsqualität
der kommentarlosen wörtlichen Wiedergabe einer Zeugenaussage BSG Urteil vom 26. Oktober 2004, B 2 U 16/04 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, juris-Nr: KSRE039321522).
Soweit das Berufungsgericht seine Entscheidung auf den Inhalt der Programme von Sportstudios gestützt hat, für die die Klägerin
arbeitet, kann sich hieraus der rechtliche Subsumtionsschluss (!), dass sie "zum Kreis der versicherungspflichtigen Lehrer
gehört", nicht ergeben. Dass das LSG zitierten Textpassagen darüber hinaus tatsächliche Schlussfolgerungen entnehmen wollte,
ist nicht erkennbar. Soweit die vorgelegten Programme schließlich aus "objektiver Sicht" auch tatsächliche Angaben enthalten,
beziehen sie sich auf eine Vielzahl von Sachverhalten und sind der Klägerin nicht individuell zuordenbar.
Soweit das Berufungsgericht seiner Entscheidung als "senatsbekannt" zu Grunde legen will, dass Fitnesscenterbesucher ein Rückentraining
nicht ohne Anleitung und Hilfe verrichten können, ein Kurs ohne Erklärung und Anweisung, möglicherweise auch Eingreifen durch
die Klägerin keinen Sinn hätte und hieraus "zwangsweise" auf "eine im weitesten Sinne lehrende Funktion der Klägerin" schließt,
kann hierin eine prozessordnungsgemäße Tatsachenfeststellung ebenfalls nicht gesehen werden. Das LSG durfte seine Entscheidung
hierauf schon deshalb nicht stützen, weil es den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör bereits hinsichtlich seiner Ausgangsbehauptung
nicht beachtet hatte. Da es sich bei den insofern erforderlichen berufskundlichen Erkenntnissen nicht um allgemein gültige
Tatsachen handelt, hätte das LSG seine behauptete Sachkunde nach Inhalt und Umfang darlegen und den Beteiligten Gelegenheit
zur Stellungnahme geben müssen (vgl exemplarisch BSG Urteil vom 5. März 2002, B 2 U 27/01 R, ZfS 2002, 237). Dies ist indes weder schriftlich geschehen noch lässt das Protokoll erkennen, dass ein entsprechender Hinweis in der mündlichen
Verhandlung vom 11. August 2004 erteilt worden wäre. Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen zudem nicht erkennen, ob
es sich bei der Ausgangsbehauptung, dass Fitnesscenterbesucher ein Rückentraining nicht ohne Anleitung und Hilfe verrichten
können, um eine generalisierende bzw typisierende Beschreibung der tatsächlichen Durchführung derartiger Maßnahmen handeln
oder ob es sich - nach dem Wortlaut der Urteilsgründe näher liegend - um eine Beschreibung ihrer ordnungsgemäßen Durchführung
handeln soll. Selbst bei inhaltlicher Richtigkeit seiner (in diesem Fall empirischen) Aussage müsste sich das LSG im ersten
Fall jedenfalls deshalb auf der Grundlage von §
103 Abs
1 SGG zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen, weil sich auf Grund der entgegenstehenden Behauptungen der Klägerin die nahe liegende
Möglichkeit abweichender Verhältnisse im Einzelfall ergibt. Dagegen ist im zweiten Fall wegen des damit verbundenen Kategorienwechsels
ein Rückschluss von der "normativen" Ebene auf die konkret-individuellen tatsächlichen Verhältnisse im Fall der Klägerin von
vornherein ausgeschlossen.
Schließlich fehlt es bisher an allen tatsächlichen Feststellungen, auf die für das Arbeitsfeld der Klägerin eine feststehende
Relation zwischen dem Preis eines Kurses und seinem Inhalt gestützt werden könnte.
Soweit die nunmehr zu treffenden Feststellungen ergeben, dass die Klägerin einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Lehrtätigkeit
nachgeht, wird das LSG zur Frage der Versicherungspflicht noch aufzuklären haben, ob die Klägerin einen versicherungspflichtigen
Arbeitnehmer iS von §
2 Satz 1 Nr
1 SGB VI beschäftigt und die Grenzen einer geringfügigen Tätigkeit (§
5 Abs
2 Satz 1 Nr
2 SGB VI) überschreitet.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des Berufungsgerichts vorbehalten.