Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht
Rüge des Übergehens eines Beweisantrages
Sinn und Zweck der Sachaufklärungsrüge
1. Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne
weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund
derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe
des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des
LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten
Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren
Ergebnis hätte gelangen können.
2. Nach Sinn und Zweck des §
160 Abs.
2 Nr.
3 Hs. 2
SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch
einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts
(§
103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht.
3. Hinweispflichten, die nicht gestellten Beweisanträgen über den Umweg von §§
106,
112 SGG zum Erfolg verhelfen können, existieren nicht.
4. Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen,
sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben.
5. Sieht es dagegen von der Beweiserhebung ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit
helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten.
Gründe:
Mit Urteil vom 9.5.2014 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel.
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 28.8.2014 genügt den gesetzlichen Anforderungen
nicht, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
1. Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne
weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund
derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe
des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des
LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten
Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren
Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen s Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).
Ein anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er
diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das
Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Nach Sinn und Zweck des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch
einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts
(§
103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; Nr 31 S 52).
Diesen aufgezeigten Maßstäben wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es ist nicht ausreichend vorgetragen, dass die
Vernehmung der den Kläger behandelnden Ärzte in mehreren Schriftsätzen beantragt worden sei und dass das LSG im Termin am
9.5.2014 mitgeteilt habe, dass es die Ärzte nicht als Zeugen vernehmen werde. Der Kläger hat an keiner Stelle seiner umfangreichen
Beschwerdebegründung dargelegt, dass er diese Anträge bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten habe bzw
dass das LSG einen Beweisantrag im Urteil wiedergegeben habe.
Ein Verfahrensmangel ist auch nicht deshalb hinreichend bezeichnet, weil er meint, das LSG hätte ihn auf die nicht beabsichtige
Zeugenvernehmung hinweisen müssen. Hinweispflichten, die nicht gestellten Beweisanträgen über den Umweg von §§
106,
112 SGG zum Erfolg verhelfen können, existieren nicht (vgl BSG Beschluss vom 5.5.2010 - B 5 R 26/10 B - Juris RdNr 10 BSG Beschluss vom 24.7.2002 - B 7 AL 228/01 B - Juris RdNr 6). Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen entsprechenden Beweisantrag
herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben. Sieht es dagegen von der Beweiserhebung ab,
so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten
(vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13).
2. Der Kläger hat auch keine Gehörsverletzung (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) hinreichend dargetan. Hierzu trägt er vor, dass sowohl sein Vortrag als auch die von ihm beigebrachten Beweismittel durch
das LSG nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Insbesondere habe sich das LSG nicht mit den vorgelegten ärztlichen
Attesten und weiteren ärztlichen Unterlagen auseinandergesetzt und diese seien auch nicht in die Entscheidung des LSG eingeflossen
(Beschwerdebegründung S 2 ff, 6 ff).
Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur
Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Es sind hier keine Umstände dargelegt, aus denen deutlich wird, dass das
Vorbringen insofern überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht erwogen worden ist (stRspr, vgl nur BVerfGE
47, 182). Im Übrigen entzieht sich dem Senat eine weitere Überprüfung der Behauptung des Klägers, das LSG habe seinen Vortrag und
ärztliche Unterlagen außer Acht gelassen. Denn der Kläger hat versäumt mitzuteilen, auf welche Tatsachengrundlage das LSG
sein Urteil gestützt hat, insbesondere ob und welche medizinischen Unterlagen hierfür maßgeblich gewesen sind. Für den Senat
ist es daher nicht nachvollziehbar, ob das angegriffene Urteil auf den vom Kläger behaupteten Verfahrensmängeln beruhen kann,
dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht.
Sinngemäß greift der Kläger mit diesen Rügen vielmehr die Beweiswürdigung des Gerichts an. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut
von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann ein Verfahrensmangel im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde aber von vornherein nicht auf §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse
oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten bzw zum Gesundheitszustand gehört wie
die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst (§
128 Abs
1 S 1
SGG). Eine eventuelle Verpflichtung zur weiteren Beweiserhebung kann im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein
nur dann erheblich sein, wenn - wie unter 1. aufgezeigt - das LSG im Berufungsverfahren einem Beweisantrag ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist (§
160 Abs
2 Nr
3 letzter Halbs
SGG). Daran fehlt es.
Die Verletzung rechtlichen Gehörs hat der Kläger auch nicht dargetan, wenn er meint, das LSG habe nicht in seiner Abwesenheit
entscheiden dürfen. Obwohl sein persönliches Erscheinen zum Termin angeordnet gewesen sei, habe das LSG in seiner Abwesenheit
über die Berufung entschieden, obwohl er "krankheitsbedingt" und "hinreichend entschuldigt" der mündlichen Verhandlung ferngeblieben
sei (Beschwerdebegründung S 5). Zwar kann und ggf muss ein Termin zur mündlichen Verhandlung gemäß §
202 SGG iVm §
227 Abs
1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden. Ein erheblicher Grund in diesem Sinne liegt vor, wenn der Beteiligte,
dessen persönliches Erscheinen angeordnet war, sich für den Termin begründet entschuldigt hat (stRspr, vgl zB Senatsbeschluss
vom 24.10.2013 - B 13 R 83/13 B - Juris RdNr 13 mwN).
Der Beschwerdebegründung fehlt es jedoch an hinreichender Darlegung, aus welchem konkreten Grund und zu welchem Zeitpunkt
der Kläger seine Verhinderung dem LSG mitgeteilt habe. Dies erschließt sich nicht, wenn auf den "Schriftsatz vom 6.5.2014
und die Atteste vom 5.5.2014 und 29.4.2014" verwiesen wird (Beschwerdebegründung S 5 f), ohne den genauen Inhalt der Atteste
darzulegen. Zwar trägt der Kläger eine Verschlimmerung seiner Depression vor. Er versäumt aber mitzuteilen, ob diese oder
ggf welche andere Erkrankung Grund der Verhinderung am Tag der mündlichen Verhandlung gewesen sei. Im Übrigen fehlt es aber
auch an hinreichender Darlegung des nachvollziehbaren Verfahrensgangs, insbesondere ob das LSG die Anordnung des persönlichen
Erscheinens des Klägers aufrechterhalten oder ob es diese noch vor der mündlichen Verhandlung aufgehoben habe (vgl dazu Senatsurteil
vom 16.12.1993 - 13 RJ 37/93 - Juris RdNr 19). Daher ist auch die Rüge, dass ihm die Möglichkeit der "Parteianhörung" verwehrt worden sei, nicht hinreichend
substantiiert vorgetragen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen.
Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von §
193 SGG.