Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten, Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis, Erfüllung der Wartezeit
Gründe:
I. Der Kläger begehrt eine Rente der Beklagten unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten, ggf nach zusätzlicher Entrichtung
freiwilliger Beiträge.
Der jüdische Kläger wurde 1925 in Shargorod (Transnistrien, damals Ukraine/Sowjetunion) geboren. Seit 1994 ist er israelischer
Staatsbürger und wohnt in Israel.
Im Juli 2002 beantragte er Regelaltersrente (RAR) ab 1.7.1997 unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten vom September
1941 bis April 1943 im Ghetto der Stadt Shargorod. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil Transnistrien weder vom Deutschen
Reich besetzt noch diesem eingegliedert gewesen sei (Bescheid vom 20.5.2003; Widerspruchsbescheid vom 23.3.2004). Mit entsprechender
Begründung hat auch das Sozialgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.2.2005).
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat im Urteil vom 3.2.2006
ausgeführt, der Kläger erfülle die für eine Rentengewährung erforderliche Wartezeit von 60 Monaten nicht, weil bei ihm keine
anrechenbaren Versicherungszeiten vorlägen. Ansprüche nach dem Fremdrentengesetz (FRG) bestünden nicht, weil der Kläger weder Vertriebener sei noch sonst zu dem von § 1 FRG begünstigten Personenkreis zähle. Da der Kläger nach eigenen Angaben dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) nicht angehört
habe, gelte dies auch unter Berücksichtigung von § 17a FRG oder § 20 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22.12.1970
(WGSVG). Auch über das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) sei die Wartezeit nicht erfüllt.
Der Senat folge der auch von den Rentenversicherungsträgern vertretenen Auffassung nicht, dass für die Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten
keine Beziehung des Verfolgten zur deutschen Rentenversicherung während der Verfolgungszeit erforderlich sei. Das ZRBG weite
den Kreis der anspruchsberechtigten Verfolgten nicht aus; sein Anwendungsbereich beschränke sich auf die Bewertung von Beschäftigungszeiten
in einem Ghetto sowie deren Zahlbarmachung ins Ausland. Auf das Entstehen des "Rentenstammrechts" habe es keinen Einfluss.
Jedenfalls seien die Voraussetzungen des § 1 ZRBG nicht erfüllt. Dabei könne dahinstehen, ob die Voraussetzungen des Abs 1
Satz 1 Nr 1 dieser Vorschrift (freier Willensentschluss) erfüllt seien. Zumindest seien die Voraussetzungen nach § 1 Abs 1
Satz 1 Nr 2 ZRBG nicht gegeben, weil im streitigen Zeitraum Transnistrien im Sinne dieser Vorschrift weder in das Deutsche
Reich eingegliedert noch vom Deutschen Reich besetzt gewesen sei. Dies könne der Senat nach Auswertung einschlägiger Quellen
und Literatur aus eigener Sachkunde feststellen.
Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision, mit der der Kläger die fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts sowie
Verfahrensfehler rügt. Er trägt vor, aus der Gesetzesentwicklung, ausgehend von dem Referentenentwurf eines "Gesetzes zur
Zahlbarmachung von Renten aus Ghetto-Beitragszeiten ins Ausland", Stand 18.5.2001, sei abzuleiten, dass das ZRBG eine rentenrechtliche
(Beitrags-)Zeit mit neuen Zugangsvoraussetzungen geschaffen habe. Der Erfüllung der im WGSVG und FRG normierten Voraussetzungen für die Berücksichtigungsfähigkeit von außerdeutschen Beitragszeiten (zB Zugehörigkeit zum dSK)
bedürfe es bei Anwendung des ZRBG nicht. Soweit das LSG festgestellt habe, Transnistrien habe nicht zu den vom Deutschen Reich
besetzten Gebieten gehört, rügt er, dass das LSG nicht seinem Beweisantrag zur Einholung eines geschichtswissenschaftlichen
Gutachtens gefolgt sei und den Beteiligten vorab keine Mitteilung gemacht habe, dass es sich in dieser Frage eigene Sachkunde
beimesse. Des Weiteren bezieht er sich zustimmend auf Ausführungen im Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG)
vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen und des Sozialgerichts
Düsseldorf vom 17.2.2005 sowie unter Aufhebung des Bescheids vom 20.5.2003 idF des Widerspruchsbescheids vom 23.3.2004 zu
verurteilen, dem Kläger unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG, zurückgelegt von September 1941 bis April
1943 im Ghetto Shargorod/Transnistrien, sowie unter Anerkennung von Ersatzzeiten nach §
250 Abs
1 Nr
4 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) - ggf nach Entrichtung von freiwilligen Beiträgen -, ab 1.7.1997 Regelaltersrente zu gewähren.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. 1. Der Senat entscheidet in der sich aus RdNr 58 des Geschäftsverteilungsplans des BSG ergebenden berufsrichterlichen
Besetzung. Er ist hieran weder dadurch gehindert, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 13.7.2007 den Richter am BSG Dr. F.
wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, noch dadurch, dass er die an dem das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss
vom 18.7.2007 mitwirkenden Berufsrichter (ua Vorsitzender Richter am BSG Dr. S. und Richter am BSG Dr. T.) ihrerseits mit
Schriftsatz vom 23.7.2007 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat. Denn dieses Ablehnungsgesuch ist mit Beschluss vom
25.7.2007 zurückgewiesen worden.
Soweit der Kläger die an diesem Beschluss mitwirkenden, sämtlich am Revisionsurteil nicht beteiligten Richter wiederum mit
Schriftsatz vom 25.7.2007 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, hindert dies den Senat nicht an der vorliegenden
Entscheidung in der oa Besetzung. Dies gilt auch dann, wenn - wovon der Senat ausgeht - er bei einem Erfolg des, obwohl andere
Richter betreffenden, Ablehnungsgesuchs jedenfalls zunächst gemäß §
60 Abs
1 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) iVm §
47 der
Zivilprozessordnung nicht befugt wäre, in dieser Besetzung über die Revision des Klägers abschließend zu entscheiden. Denn das Ablehnungsgesuch
vom 25.7.2007 ist unzulässig, weil es lediglich bezweckt, den heutigen Termin zur mündlichen Verhandlung zu verhindern. Es
begründet die angebliche Besorgnis der Befangenheit ausschließlich mit dem offensichtlich haltlosen Vorwurf der Verletzung
rechtlichen Gehörs. Dieser erledigt sich jedoch bereits durch einen Hinweis darauf, dass ein Gericht stets befugt ist, ab
dem Zeitpunkt des Eingangs eines Rechtsschutzgesuchs (hier: des Ablehnungsgesuchs vom 23.7.2007) die Entscheidung hierüber
vorzubereiten und diese zügig zu treffen, sobald die zu berücksichtigenden Unterlagen vorliegen (hier: die einen Satz umfassende
Stellungnahme des Klägers zu den dienstlichen Äußerungen der beteiligten Richter am 25.7.2007 um 11:47 Uhr). Dies gilt im
Übrigen nicht nur dann, wenn Eilbedürftigkeit (hier: wegen der am Folgetag anstehenden mündlichen Verhandlung) besteht. Dann
aber folgt aus den vom Kläger allein geltend gemachten tatsächlichen Umständen, dass der Beschluss vom 25.7.2007 "bereits"
an diesem Tag gegen 10:00 Uhr "in Arbeit" gewesen und dem Kläger "bereits" um 13:30 Uhr per Fax übermittelt worden sei, noch
nicht einmal ansatzweise eine Gehörsverletzung oder gar eine Besorgnis der Befangenheit.
Ebenso wenig war der Senat gehalten, vor Entscheidung über die Revision die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über
die vom Kläger gegen den Beschluss vom 25.7.2007 eingelegte Verfassungsbeschwerde abzuwarten.
2. Die zulässige Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Zu Recht hat das LSG die Klage als zulässig erachtet, auch soweit der geltend gemachte Rentenanspruch hilfsweise durch die
- nicht näher spezifizierte - Entrichtung freiwilliger Beiträge bedingt ist. Dabei kann im gegenwärtigen Verfahrensstadium
offen bleiben, ob der Hilfsantrag in der gestellten Form (auf Erlass eines Grundurteils, mit dem die Beklagte zur Zahlung
einer Rente nach Entrichtung freiwilliger Beiträge verurteilt wird; hierzu BSG 4. Senat vom 12.7.1990, SozR 3-1500 § 54 Nr
3) oder aber lediglich als Antrag auf Feststellung von Ghetto-Beitragszeiten zulässig ist (in diesem Sinne anscheinend BSG
vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R, RdNr 16).
Soweit das LSG den Sachverhalt verfahrensfehlerfrei festgestellt hat, kann nicht beurteilt werden, ob der Kläger Ghetto-Beitragszeiten
iS des § 2 Abs 1 ZRBG zurückgelegt hat. Hierzu müsste er die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 ZRBG erfüllen, also in einem Ghetto
in einem vom Deutschen Reich besetzten oder diesem eingegliederten Gebiet (§ 1 Abs 1 Satz 1 Nr 2 ZRBG) eine Beschäftigung,
die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist (aaO Nr 1 Buchst a) gegen Entgelt ausgeübt haben (aaO Nr 1 Buchst
b; zu weiteren Voraussetzungen s unten).
a) Entgegen den Ausführungen des LSG muss der Kläger über die genannten Voraussetzungen hinaus nicht dem dSK angehört haben.
Dieses Erfordernis ist im ZRBG nicht genannt. Es ist auch nicht etwa deshalb Tatbestandsvoraussetzung einer Ghetto-Beitragszeit
iS des ZRBG, weil bei seiner Anwendung zusätzlich die Voraussetzungen der §§ 20 WGSVG oder 17a FRG erfüllt sein müssten.
Nach § 20 Abs 1 WGSVG stehen bei Anwendung des FRG "den anerkannten Vertriebenen iS des Bundesvertriebenengesetzes vertriebene Verfolgte gleich, die lediglich deswegen nicht
als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt
haben"; nach Abs 2 "wird vermutet, daß die Zugehörigkeit zum dSK eine wesentliche Ursache für das Verlassen des Vertreibungsgebietes
ist". Nach § 17a FRG finden die "für die gesetzliche Rentenversicherung maßgebenden Vorschriften (des FRG) Anwendung (ua) auch auf Personen, die bis zu dem Zeitpunkt, in dem der nationalsozialistische Einflußbereich sich auf ihr
jeweiliges Heimatgebiet erstreckt hat, dem dSK angehört haben, (zusätzlich das 16. Lebensjahr bereits vollendet hatten oder
im Zeitpunkt des Verlassens des Vertreibungsgebietes dem dSK angehört haben) und sich wegen ihrer Zugehörigkeit zum Judentum
nicht zum deutschen Volkstum bekannt hatten".
Auf die genannten Voraussetzungen stellt das ZRBG nicht ab. Nach der Begründung zu § 2 Abs 1 des Entwurfs zum ZRBG (BT-Drucks
14/8583, S 6) reicht es für die Anerkennung einer Ghetto-Beitragszeit vielmehr aus, "wenn die Betroffenen ... glaubhaft machen,
dass sie aus eigenem Willensentschluss in einem Ghetto [iS des § 1 Abs 1 Nr 2] entgeltlich beschäftigt waren, in dem sie sich
zwangsweise aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung aufgehalten haben".
Eine Anwendung des § 20 WGSVG zur Feststellung einer Ghetto-Beitragszeit folgt auch nicht aus § 1 Abs 2 ZRBG, wonach das ZRBG die "rentenrechtlichen Vorschriften des WGSVG" ergänzt. Was hiermit gemeint ist, ergibt sich aus der Begründung zu § 1 Abs 2 des Gesetzentwurfs, den der Bundestag unverändert verabschiedet hat. Dort (BT-Drucks 14/8583, S 6) ist ausgeführt:
Mit der Vorschrift
"wird festgelegt, dass das WGSVG, dessen Teil III [§§ 7 - 22 WGSVG] zugunsten von Verfolgten zusätzliche Regelungen zu den allgemein anzuwendenden Vorschriften
des ...
SGB VI trifft, anzuwenden ist. Bedeutung hat dies insbesondere für die dort zum Leistungsrecht getroffenen Regelungen über die Anrechnung
von Kindererziehungszeiten [§ 12a WGSVG], Berücksichtigung von Anrechnungszeiten [§ 13 WGSVG], die besondere Ermittlung von
Entgeltpunkten für Beitragszeiten [§ 14 WGSVG] und die Bewertung von Verfolgungsersatzzeiten für pflichtversicherte Verfolgte
[§ 15 WGSVG]. Weiterer ergänzender Regelungen bedarf es nicht, zumal die allgemein geltenden Vorschriften des Rentenrechts
im
SGB VI, insbesondere auch diejenigen über die Ermittlung von Entgeltpunkten (zum Beispiel §
256b SGB VI) Anwendung finden. Die übrigen Regelungen des rentenrechtlichen Teils des WGSVG über die Nachzahlung von Beiträgen [§§ 8 - 10a WGSVG] und deren Berücksichtigung im Rahmen des Leistungsrechts [§ 17 WGSVG]
brauchen wegen der in § 2 Abs 1 für die Erbringung von Leistungen ins Ausland fiktiv angenommenen Gleichstellung von Ghetto-Beitragszeiten
mit Bundesgebiets-Beitragszeiten nicht angewendet zu werden." (Unterstreichung und Fundstellen nicht in BT-Drucks 14/8583
aaO)
Hieraus wird zunächst deutlich, dass der Gesetzgeber des ZRBG nicht an eine Anwendung der §§ 18, 19 (dort Abs 2 Buchst a und b zum dSK) WGSVG (Überschrift: "3. Zahlung von Renten ins Ausland") gedacht hat, weil er für ZRBG-Zeiten die Hürden für die Auslandszahlung
der Renten durch § 2 Abs 1 ZRBG beseitigt. Ebenso wenig aber werden von § 1 Abs 2 ZRBG die Vorschriften der §§ 20 - 22 WGSVG (Überschrift: "4. Anwendung des Fremdrentengesetzes") erfasst. Denn § 20 WGSVG hat, wie dargelegt, Bedeutung nur als Ergänzung der Regelungen des FRG. Damit aber hätte nahegelegen, in § 1 Abs 2 ZRBG auch das FRG zu erwähnen, sollten dessen Bestimmungen Anwendung finden. Vom FRG ist jedoch auch in der Entwurfsbegründung nur (aaO S 5) insoweit die Rede, als sie die Rechtslage beschreibt, die zum Entwurf
des ZRBG geführt hat. Hieraus folgt erst recht, dass auch § 17a FRG bei Anwendung des ZRBG nicht zu beachten ist.
Dieses Ergebnis wird auch durch die Überlegung gestützt, dass das ZRBG erkennbar alle Beschäftigten in Ghettos iS des § 1
Abs 1 Nr 2 ZRBG gleich behandeln will (s auch BT-Drucks 14/8583, S 5: "Es kommt nicht darauf an, in welchem vom Deutschen
Reich beherrschten Gebiet die Beitragszeiten zurückgelegt worden sind"). Dem würde jedoch zuwiderlaufen, wenn zwar für Beitragszeiten
aufgrund von Beschäftigungen in Ghettos in den besetzten Gebieten die Zugehörigkeit zum dSK gefordert würde, nicht jedoch
für Beitragszeiten in Ghettos in den eingegliederten Gebieten, weil dort die Reichsversicherungsgesetze galten (vgl insoweit
BSG 5. Senat vom 18.6.1997, BSGE 80, 250, 251 ff = SozR 3-2200 § 1248 Nr 15; Senatsurteil vom 20.7.2005 - B 13 RJ 37/04 R, RdNr 28). Der Gesetzgeber hat ausdrücklich das vorzitierte Urteil des BSG aus dem Jahre 1997 zum Anlass genommen, die
Zahlbarkeit von Renten aus Ghetto-Beitragszeiten im ZRBG zu regeln. Er hat sich mithin an einem Fall orientiert, in dem die
Zugehörigkeit zum dSK keine Rolle spielte. Da die Ausgangslage dieses Falls Grundlage für die Beurteilung aller Beschäftigungszeiten
in einem Ghetto werden sollte, ist auf das Merkmal der Zugehörigkeit zum dSK folgerichtig verzichtet worden.
Überdies widerspräche die Notwendigkeit oftmals zeitraubender Ermittlungen, um die Zugehörigkeit zum dSK selbst mit der insoweit
lediglich erforderlichen Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung: s § 3 WGSVG; dieser Beweismaßstab gilt auch im ZRBG: BT-Drucks 14/8583, S 6 zu § 2) feststellen zu können, dem Anliegen des ZRBG, im
Hinblick auf das Alter der Betroffenen diesen die Leistungen so schnell und unkompliziert (zB ohne generell erforderliche
Entrichtung freiwilliger Beiträge) wie möglich zukommen zu lassen (s BT-Drucks 14/8583, S 5).
Schließlich vermag auch die Gesetzesüberschrift ("Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto")
den Ausschlag nicht zu geben. Ihr könnte man zwar entnehmen, dass nur die "Zahlbarmachung" solcher Rentenansprüche geregelt
werden sollte, die sich bereits aus dem bisherigem Recht ergaben. Hiergegen spricht jedoch der nachfolgende Gesetzestext bereits
dadurch, dass er eigenständig eine neue im Rahmen der Rentenberechnung zu berücksichtigende Zeit ("Ghetto-Beitragszeit": §
2 Abs 1 ZRBG) etabliert und deren Voraussetzungen (in § 1 Abs 1), Bewertung (in § 2 Abs 1 Nr 1) sowie den Rentenbeginn mit
der Berechnung des Zugangsfaktors (in § 3) regelt.
Soweit aus den Senatsurteilen vom 7.10.2004 (BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1), vom 3.5.2005 (BSGE 94, 294 = SozR 4-2600 § 306 Nr 1) oder vom 20.7.2005 (B 13 RJ 37/04 R) etwas Abweichendes entnommen werden könnte, hält der Senat hieran nicht fest.
b) Kommt es jedoch auf die Zugehörigkeit des Klägers zum dSK nicht an, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass er unter
Berücksichtigung einer Ghetto-Beitragszeit, eventueller Ersatzzeiten und ggf nach Entrichtung freiwilliger Beiträge eine Rente
der Beklagten beanspruchen kann.
aa) Freilich ist dem LSG insoweit zuzustimmen, dass der Kläger allein mit Hilfe der allenfalls in Betracht kommenden Ghetto-Beitragszeit
schon deshalb keinen Anspruch auf eine RAR (§
35 SGB VI) hat, weil er damit die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§
50 Abs
1 Satz 1
SGB VI) nicht erfüllen kann. Er macht insoweit lediglich die Zeit zwischen September 1941 und April 1943 geltend. Hiermit aber werden
insgesamt höchstens 20, jedoch keine 60 Monate erreicht. Beitragszeiten in der Sowjetunion oder der Ukraine sind unerheblich,
weil insoweit kein Sozialversicherungsabkommen besteht. Für Beitragszeiten in Israel besteht kein Anhalt; nach den eigenen
Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren (S 18 Rücks BA) liegen solche nicht vor; dies dürfte sich daraus erklären, dass
er erst im Rentenalter (November 1994, 69 Jahre alt) nach Israel ausgewandert ist. Auch mithilfe von Verfolgungsersatzzeiten
(§
250 Abs
1 Nr
4 SGB VI) dürften nach dem gegenwärtigen Streitstand die erforderlichen 60 Monate nicht erreicht werden.
Der Senat kann der Rechtsansicht des 4. Senats des BSG in seinem Urteil vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R) nicht beitreten, wonach ein Rentenanspruch aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten nicht die Erfüllung der Wartezeit voraussetze
(aaO RdNr 50, 65). Es besteht kein Anlass, die der Rechtsansicht des 4. Senats entgegenstehende Rechtsprechung des Senats
(s den Beschluss vom 14.8.2006 - B 13 R 247/06 B, RdNr 5, nicht in Juris) aufzugeben.
Denn die vom 4. Senat insoweit (in RdNr 50) gegebene Begründung hält einer Überprüfung nicht stand. Hierin heißt es, dass
"nach § 1 Abs 3 ZRBG die Entstehung eines Rechts auf Altersrente, soweit sie auf der gleichgestellten Vorleistung von 'Ghetto-Beitragszeiten'
im Sinne des ZRBG beruht, die Erfüllung einer Wartezeit von 60 Monaten nicht voraussetzt (sog Minizeiten-Regelung)."
Dabei wird jedoch der Regelungsgehalt des § 1 Abs 3 ZRBG ("Ein Anspruch auf eine Rente besteht auch, wenn die zur Leistungspflicht
nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente
nicht vorliegt.") in nicht nachvollziehbarer Weise auf die innerstaatliche allgemeine Wartezeit bezogen. In Wahrheit soll
durch diese Regelung jedoch (lediglich)
"ausgeschlossen [werden], dass die in zwischen- und überstaatlichen Vereinbarungen zum Teil getroffene 'Kleinstzeitenregelung'
angewendet wird. Ohne diesen Ausschluss wären Zeiten von kurzer Dauer (zB unter 12 Monaten im Verhältnis zu Israel bzw unter
18 Monaten im Verhältnis zu den USA) nicht durch die deutsche Rentenversicherung, sondern durch den anderen Staat abzugelten"
(BT-Drucks 14/8583, S 6).
Auch in anderer Hinsicht ist eine Begründung für die oa vom 4. Senat vertretene Rechtsmeinung nicht ersichtlich. Eine Fiktion
der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit enthält das ZRBG lediglich in seinem § 3 Abs 2 für den eng begrenzten Anwendungsbereich
der Ermittlung des Zugangsfaktors. Diese Bestimmung macht - neben anderen (§ 3 Abs 1 ZRBG) - aber gleichzeitig deutlich, dass
Ghetto-Beitragszeiten zwar zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Altersrente nach dem
SGB VI beitragen können, jedoch nicht allein als solche, ohne Erfüllung der Wartezeit, zur Rentengewährung führen.
Einer Anfrage beim 4. Senat nach §
41 Abs
3 SGG bedarf es bereits deshalb nicht, weil es sich bei seinen zitierten Ausführungen nicht um einen tragenden Grund handelt. Denn
der 4. Senat geht (aaO RdNr 50) selbst davon aus, dass der Kläger in seinem Fall die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte, weil
er ua bereits 144 Beitragsmonate nach dem FRG aufwies; deshalb sei auf die Problematik der Erforderlichkeit der Wartezeit "nicht näher ... einzugehen".
bb) Falls beim Kläger jedoch eine Ghetto-Beitragszeit anzuerkennen wäre, bestünde für ihn zumindest nach Nr 2 Buchst c des
Schlussprotokolls zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit idF des
Änderungsabkommens vom 7.1.1986 (BGBl II 1986, 863) die Möglichkeit, freiwillige Beiträge zu entrichten, um die allgemeine Wartezeit zu erfüllen. Weitere Einzelheiten sind
daher in diesem Verfahrensstadium nicht relevant.
cc) Der Senat kann seine Entscheidung jedenfalls nicht auf die Feststellung des LSG stützen, das Ghetto der Stadt Shargorod,
in dem der Kläger nach seinem Vortrag iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ZRBG beschäftigt war, habe sich nicht in einem iS der Nr
2 dieser Vorschrift eingegliederten oder besetzten Gebiet befunden. Einigkeit besteht, dass das ursprünglich zur UdSSR gehörende
Transnistrien, in dem Shargorod liegt, im Zuge des Zweiten Weltkriegs nicht dem Deutschen Reich eingegliedert wurde. Das LSG
hat darüber hinaus historische Quellen (ua den sog Vertrag von Tighina vom 30.8.1941) und Literatur dahingehend ausgewertet,
dass das streitige Gebiet im maßgeblichen Zeitraum auch nicht vom Deutschen Reich besetzt war, sondern unter rumänischer Besatzungshoheit
stand. Hiergegen hat der Kläger jedoch zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben.
Das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, in Ausübung seiner Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) seine Überzeugung darüber, ob Transnistrien vom Deutschen Reich besetzt war, nicht im gegenwärtigen Verfahrensstand aufgrund
eigener Sachkunde zu bilden. Zwar ist dies den Gerichten nicht von vornherein verwehrt, wenn sie in den Urteilsgründen darlegen,
dass sie die erforderliche Sachkunde selbst besitzen und worauf diese beruht (BSG vom 2.6.1959, SozR Nr 33 zu §
103 SGG) sowie den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme geben (Senatsurteil vom 6.3.1991, SozR 3-1500 § 62 Nr 4 S 5 mwN).
Insoweit bestehen bereits Zweifel, ob diesen Anforderungen dadurch Genüge getan ist, dass das LSG den Beteiligten mitgeteilt
hat, auf welche Quellen und Untersuchungen es sich stützen wollte, und den Beteiligten Kopien der aus seiner Sicht einschlägigen
Auszüge übersandt hat, ohne gleichzeitig die Tatsachen mitzuteilen, die es diesen Unterlagen entnehmen wollte (vgl BSG vom
25.11.1992 - 2 RU 27/92).
Jedenfalls aber verletzt ein Gericht seine Sachaufklärungspflicht, wenn es eine eigene Sachkunde, wie hier, auf die "Auswertung
der beigezogenen Dokumente" und die "beigezogenen Abhandlungen mehrerer Historiker" stützt und damit "Feststellungen über
die Verhältnisse in Transnistrien" im streitigen Zeitraum trifft (Berufungsurteil Bl 35). Denn damit legt es nicht dar, über
die erforderliche Sachkunde zu verfügen, um entscheiden zu können, ob es alle aussagekräftigen Quellen oder historischen Untersuchungen
beigezogen hat (im Ergebnis ebenso BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R, RdNr 82). Immerhin weist das LSG selbst darauf hin, dass in der Literatur seinen Feststellungen entgegengesetzte Erkenntnisse
mitgeteilt werden, wenn diese auch in den vom LSG ausgewerteten Werken "nicht näher begründet" werden (Berufungsurteil Bl
28).
Insoweit kommt es nicht darauf an, ob, wie das LSG (Berufungsurteil Bl 35) meint, die vom Kläger vorformulierten Fragen in
seinem Beweisantrag auf Einholung eines geschichtswissenschaftlichen Gutachtens (teilweise) unzulässig oder unerheblich waren.
Denn bei einer zugelassenen Revision spielen die Einschränkungen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG keine Rolle.
c) Damit wird das LSG weiter aufzuklären haben, ob und für welchen Zeitraum glaubhaft ist, dass der Kläger aus eigenem Willensentschluss
in einem Ghetto in einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet, in dem er sich zwangsweise aufgrund nationalsozialistischer
Verfolgung aufgehalten hat, entgeltlich beschäftigt (s Senatsurteile vom 7.10.2004, BSGE 93, 214 = SozR 4-5050 § 15 Nr 1, RdNr 37; vom 20.7.2005 - B 13 RJ 37/04 R, RdNr 28 f) war. Dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch könnte auch entgegenstehen, wenn er iS des § 1 Abs 1 Satz 1
aE iVm Satz 2 ZRBG für diese Zeiten bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherung erhielte.
Eine zwingende Prüfungsreihenfolge zu den positiven oder negativen Leistungsvoraussetzungen vermag der Senat dem Gesetz nicht
zu entnehmen. Steht zB fest, dass ein Betroffener im maßgebenden Zeitraum nicht aus eigenem Willensentschluss entgeltlich
beschäftigt war, kann dahingestellt bleiben, wann sein Antrag bei der Beklagten eingegangen ist, und ebenfalls, ob er sich
jemals zwangsweise in einem Ghetto in einem vom Deutschen Reich besetzten Gebiet aufgehalten hat. Sollte den Ausführungen
im Urteil des 4. Senats vom 14.12.2006 - B 4 R 29/06 R (RdNr 83 ff) etwas anderes zu entnehmen sein, so weicht der Senat im vorliegenden Urteil hiervon nicht iS des §
41 Abs
3 SGG ab, weil sich die entsprechenden Ausführungen sowohl des erkennenden als auch des 4. Senats außerhalb der tragenden Gründe
befinden.
Entsprechendes gilt für die Hinweise des vorliegenden Urteils und die Ausführungen im Urteil des 4. Senats vom 14.12.2006
- B 4 R 29/06 R (RdNr 100 ff) zu Einzelheiten der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 ZRBG (Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss
gegen Entgelt). Soweit Ausführungen des 4. Senats im genannten Urteil (zB RdNr 57 ff zur Frage der Anspruchsberechtigung von
Betroffenen im vertragslosen Ausland) - auch - im Fall des Klägers von vornherein nicht relevant sein können, sieht der Senat
von eigenen Darlegungen ab.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des
LSG vorbehalten.