Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung eines Verfahrensmangels; Verletzung
des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Terminverlegung wegen Verhinderung des Prozessbevollmächtigten
Gründe:
I
Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (an Stelle der ihm inzwischen zuerkannten Rente wegen Berufsunfähigkeit).
Den Rentenantrag hat er im September 1999 gestellt; der ablehnende Widerspruchsbescheid erging im Juni 2000; im August 2004
hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat - zum Teil gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) - zwei nervenärztliche Gutachten sowie zwei Gutachten auf lungenärztlichem Fachgebiet (datiert von Juli 2005 bis März 2007)
eingeholt; bis zur Ladung umfassen die Gerichtsakten insgesamt 600 Blatt. Am 28.3.2007 haben die Prozessbevollmächtigten des
Klägers die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 18.4.2007 um 10:30 Uhr erhalten. Mit Fax vom 12.4.2007
hat die sachbearbeitende Rechtsanwältin für den Kläger sinngemäß Terminsverlegung mit der Begründung beantragt, ihr sei die
Ladung nach ihrer Urlaubsrückkehr vorgelegt worden; das SG Hannover habe jedoch (mit Eingang am 14.3.2007) zu einem Termin
mit gleichzeitiger Anhörung eines Sachverständigen am 18.4.2004, 10:00 Uhr geladen. Dennoch sei es ihr möglich, den Termin
am Sitzungstag entweder zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt wahrzunehmen. Hierauf antwortete der Vorsitzende des LSG-Senats
mit Fax vom (Freitag) 13.4.2007, es bestehe auch unter Berücksichtigung des "ohnehin verspäteten" Antrags keine Möglichkeit
zu einer Verlegung der Terminsstunde. Es habe bereits die für 10:00 Uhr terminierte Sache an den Sitzungsschluss verlegt werden
müssen; er bitte für eine anderweitige Terminswahrnehmung Sorge zu tragen. Gegen die Nichtverlegung des Termins legte die
sachbearbeitende Rechtsanwältin mit Fax vom (Montag) 16.4.2007 "Beschwerde" ein, trug die Terminsrolle der Sozietät für den
18.4.2007 vor und legte im Einzelnen dar, dass sämtliche Rechtsanwälte der Kanzlei um die fragliche Uhrzeit "anderweitige,
bereits früher geladene und teilweise auch schon bereits wegen der Ferien und Krankheit umgeladene Gerichtstermine wahrzunehmen"
hätten. Mit Fax vom 17.4.2007 teilte der Senatsvorsitzende mit, dass auch die "Beschwerde" keinen Anlass zu einer anderweitigen
Entscheidung gebe. Bei Zugang der Ladung am 28.3.2007 habe noch keine Verhinderung aller fünf bevollmächtigten Anwälte bestanden;
eine solche sei allenfalls durch die nachfolgende Ladung des Arbeitsgerichts (ArbG) Hannover vom 10.4.2007 bedingt worden.
Hierauf erwiderte die sachbearbeitende Rechtsanwältin per Fax vom selben Tag, eine Verlegung des Termins vor dem ArbG sei
nicht möglich. Zum einen seien Arbeitsgerichtsprozesse regelmäßig eilbedürftig und stets auf kurze Verfahrensdauer angelegt;
insbesondere sei hier schon eine Terminsverlegung erfolgt, wie sich aus der überreichten Ladung ergebe. Die Mandantin des
arbeitsgerichtlichen Verfahrens habe Geld aus einem Arbeitsverhältnis zu erhalten und sei dringend auf das Geld angewiesen.
Da der dort vertretende Anwalt im Übrigen ab 1.5.2007 in Urlaub sei, sei eine Verlegung aus allen diesen Gründen nicht möglich.
Dagegen laufe der Prozess vor dem SG seit 1999.
Zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.4.2007 (Beginn 10:33 Uhr/Ende 10:59 Uhr) ist für den Kläger niemand erschienen.
Zu Protokoll hat der Beklagtenvertreter folgenden Bescheid erlassen: "Die Beklagte lehnt die Gewährung einer Rente wegen voller
oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SBG [so im Original] VI ab, da der Kläger ausweislich der Ergebnisse der im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten nicht die
tatbestandlichen Voraussetzungen für einen solchen Rentenanspruch erfüllt. Dieser Bescheid wird gemäß §
96 SGG Gegenstand des vorliegenden Gerichtsverfahrens."
Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 18.4.2007 zurückgewiesen. Im Urteil wird ausgeführt, die Terminsverlegungsanträge
des Klägers hätten dem Senat auch nach nochmaliger Überprüfung keinen Anlass zu einer Vertagung gegeben. Die Ladung zur mündlichen
Verhandlung sei den Prozessbevollmächtigten des Klägers vor drei Wochen zugegangen; der Termin sei dort am Tage des Eingangs
erfasst und notiert worden, ohne dass ein Verlegungsantrag gestellt worden sei. Dies lasse nur den Schluss zu, dass der/die
damals von der bevollmächtigten Sozietät Beauftragte bei der Erfassung des Termins dazu keinen Anlass gesehen habe. Seinerzeit
seien auch von den fünf Mitgliedern der Sozietät erst vier für gerichtliche Termine am Verhandlungstag eingeplant gewesen.
Soweit erstmalig 46 Stunden vor der Verhandlung geltend gemacht worden sei, dass nunmehr alle fünf Anwälte verhindert seien,
sei das Vorbringen bereits verspätet gewesen. Die gewünschte Änderung der Terminsstunde hätte in Anbetracht des dicht bestückten
bis deutlich in den Nachmittag reichenden Terminplans nur in der Form erfolgen können, dass die Terminsstunde des vorliegenden
Verfahrens mit der eines anderen am Sitzungstag getauscht worden wäre; die dazu erforderlichen Umladungen hätten einen deutlich
längeren zeitlichen Vorlauf benötigt. Darüber hinaus lasse sich eine Verhinderung aller fünf Anwälte, wenn überhaupt, allenfalls
unter Berücksichtigung der vom ArbG Hannover erst am 10.4. verfügten Ladung eines Arbeitsgerichtsverfahrens feststellen. Dementsprechend
hätte es den Bevollmächtigten des Klägers oblegen, beim ArbG um eine entsprechende Terminsverlegung zu bitten. Soweit die
Anwälte des Klägers dem Gebot einer zeitnahen Entscheidung in sozialgerichtlichen Verfahren eine geringere Bedeutung als in
arbeitsgerichtlichen Verfahren beimessen wollten, trage dies den rechtsstaatlichen Vorgaben keine Rechnung. Überdies verdichte
sich mit zunehmender Dauer des Verfahrens die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich
nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (Hinweis auf BVerfG vom 6.12.2004, NJW 2005,
739). Im Urteil wird im Übrigen begründet, warum der Kläger mit seiner Berufung sowohl hinsichtlich seiner begehrten Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit als auch einer Rente wegen voller Erwerbsminderung nach §
43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) neuer Fassung nicht durchdringe.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs. Das LSG hätte dem Verlegungsantrag
stattgeben müssen, jedenfalls aber den Termin vertagen müssen, nachdem der Beklagtenvertreter im Termin einen Verwaltungsakt
nach §
96 SGG erlassen habe, der dem Kläger nicht bekannt gegeben worden sei.
II
Die Beschwerde ist zulässig; sie erfüllt insbesondere die geltenden Darlegungserfordernisse. Sie ist auch begründet. Die angefochtene
Entscheidung beruht auf der Verletzung rechtlichen Gehörs (§
62 SGG).
Das LSG hat bereits dadurch gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen, dass es im Termin vom 18.4.2007 einen neuen,
gemäß §
96 SGG in das Verfahren einzubeziehenden Verwaltungsakt der Beklagten zu Protokoll genommen hat, der notwendigerweise dem Kläger
nicht bekannt gegeben (und damit noch nicht wirksam [§ 39 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch]) war, und hierüber (jedenfalls
inhaltlich) in seinem Urteil entschieden hat. Damit hat es dem Kläger vor seiner Entscheidung jede Möglichkeit genommen, sich
zu diesem Verwaltungsakt, der die Ablehnung der Gewährung von Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung neuen Rechts
betraf, zu äußern.
Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör aber auch versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache
entscheidet, obwohl er gemäß §
202 SGG iVm §
227 Abs
1 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat. Das Gericht ist in einem solchen
Falle verpflichtet, den anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen (BSG vom 10.8.1995, SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2). Zu den erheblichen Gründen iS des §
202 SGG iVm §
227 ZPO gehört auch die Verhinderung des sachbearbeitenden Bevollmächtigten durch einen anderen Gerichtstermin (vgl zB BFH vom 25.4.2002,
BFH/NV 2002, 1182).
Eine Terminsaufhebung ist zwar nach der Rechtsprechung in einem solchen Falle nicht ohne weiteres geboten. Es ist zu prüfen,
ob nicht eine Vertretung durch einen anderen Prozessbevollmächtigten zumutbar ist, insbesondere wenn der bisherige Prozessbevollmächtigte
in einer Sozietät tätig ist. Sofern nicht begründeter Anlass für die Absicht einer Prozessverschleppung besteht, ist im Zweifel
jedoch dem Antrag auf Terminsaufhebung zu folgen. Dies gilt insbesondere, wenn nur das sachbearbeitende Mitglied der Sozietät
Fachanwalt für Sozialrecht ist und bisher kein anderes für die Vertretung zur Verfügung stehendes Mitglied der Sozietät mit
der Sache befasst war (vgl BFH aaO). Für den vorliegenden Fall ist insoweit anzuführen, dass im Berufungsverfahren Gutachten
zweier medizinischer Fachgebiete mit voneinander abweichenden Ergebnissen eingeholt worden waren und dass bei der Entscheidung
über die Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw Erwerbsminderung eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts,
auch zur Revisionszulassung, zu berücksichtigen ist (vgl BSG vom 26.6.2007, SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 12; ferner zur Vertretung
durch einen sozietätsfremden Anwalt auch BSG vom 21.8.2002 - B 9 VJ 1/02 R - Juris, dort RdNr 14).
Bei Anwendung dieser Grundsätze hätte das LSG nicht in der Sache entscheiden dürfen. Diese war beim LSG seit 2004 anhängig.
Zur mündlichen Verhandlung war am 28.3.2007 auf den 18.4.2007 geladen worden. Die sachbearbeitende Bevollmächtigte des Klägers
hat nach Rückkehr aus dem Urlaub am 12.4.2007 einen Verlegungsantrag gestellt, mit dessen Ablehnung sie nicht zu rechnen brauchte.
Angesichts dessen kann dem Kläger nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass ein Sozietätskollege einen gleichzeitigen Termin
vor dem ArbG, zu dem er am 10.4.2007 geladen worden war, wahrgenommen und sich nicht um eine Terminsverlegung beim ArbG bemüht
hat, zumal dieser Termin wiederum auf einen eigenen Antrag auf den 18.4.2007 verlegt worden war.
Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass bei zunehmender Verfahrensdauer sich die mit dem Justizgewährleistungsanspruch
verbundene Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu
bemühen (so, wie vom LSG zitiert, BVerfG vom 6.12.2004, NJW 2005, 739). Dies kann jedenfalls nicht demjenigen entgegengehalten werden, zu dessen Gunsten im sozialgerichtlichen Verfahren der Justizgewährleistungsanspruch
besteht, im vorliegenden Fall also dem Kläger.
Angesichts der Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das sozialgerichtliche Verfahren erübrigt sich ein Eingehen auf die
Frage, welches Vorbringen des Klägers dadurch verhindert wurde, dass er bei der Berufungsverhandlung nicht vertreten war (vgl
BSG vom 26.6.2007, SozR 4-1750 § 227 Nr 1 RdNr 7; BSG vom 25.3.2003 - B 7 AL 76/02 R; BSG vom 11.2.1982, BSGE 53, 83, 85 f = SozR 1500 § 124 Nr 7).
Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach §
160a Abs
5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.