Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, Unterbrechung der Arbeitslosigkeit durch Selbständigkeit als Überbrückungstatbestand,
Selbsthilfeversuch
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit für den Kläger.
Der am 1944 geborene Kläger war bis Oktober 1996 versicherungspflichtig beschäftigt und bezog zuletzt Konkursausfallgeld.
Anschließend war er arbeitslos mit Arbeitslosengeldbezug. Vom 2.1.1997 bis zum 30.8.1998 war der Kläger selbständig tätig
und bezog von der Agentur für Arbeit für die ersten sechs Monate der Selbständigkeit Überbrückungsgeld (§ 55a Arbeitsförderungsgesetz [AFG]). Anschließend war er erneut arbeitslos mit Arbeitslosengeldbezug; nach Erschöpfung des Leistungsanspruchs war er weiterhin
als Arbeitsuchender gemeldet.
Sein Versicherungsverlauf stellt sich im Einzelnen wie folgt dar:
- vom 1.1.1976 bis 7.10.1996 Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung
- vom 8.10.1996 bis 1.1.1997 Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezugs
- vom 2.1.1997 bis 30.8.1998 Selbständigkeit
- vom 31.8.1998 bis 2.1.2001 Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezugs
- vom 3.1.2001 bis 25.4.2004 Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug.
Den im April 2004 gestellten Antrag auf Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 25.5.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.8.2004 ab, weil in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn
nicht mindestens 96 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien; der Zehn-Jahres-Zeitraum verlängere sich nicht um die letzte
Zeit der Arbeitslosmeldung ohne Leistungsbezug; denn die Arbeitslosigkeit habe keine versicherungspflichtige Beschäftigung
unterbrochen, weil der Kläger in der Zeit von Januar 1997 bis August 1998 selbständig tätig gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids verurteilt, dem Kläger
ab 1.8.2004 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren, weil es die Zeit der Selbständigkeit als unschädliche Überbrückungszeit
angesehen hat (Urteil vom 24.11.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil
vom 15.11.2006) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der maßgebliche Zehn-Jahres-Zeitraum verlängere sich beim Kläger
um 42 Monate, weil die Zeit vom 3.10.2001 bis zum 31.7.2004 Anrechnungszeit iS des §
237 Abs
1 Nr
4 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) sei. Der Kläger sei als Arbeitsuchender gemeldet gewesen und habe wegen zu berücksichtigenden Einkommens keine öffentlich-rechtlichen
Leistungen (Arbeitslosenhilfe) bezogen. Die Zeit habe auch eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen; denn bei
der Zeit seiner Selbständigkeit von Januar 1997 bis August 1998 handele es sich um einen "Selbsthilfeversuch" zur Beendigung
der Arbeitslosigkeit, der als Überbrückungszeit in Bezug auf die folgende Arbeitslosigkeit zu sehen sei. Mit dem Versuch,
sich selbständig zu machen, habe der Kläger ein sozialadäquates, von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten gezeigt,
das trotz der Zeitdauer von mehr als sechs Monaten als Überbrückungstatbestand zu werten sei. Das Bundessozialgericht (BSG)
habe bereits "in anderen Konstellationen" Überbrückungstatbestände bei einer deutlich über sechs Monate hinausgehenden Unterbrechung
einer Meldung beim Arbeitsamt angenommen. Überdies sei es einem Versicherten nahezu unmöglich, bereits in sechs Monaten eine
Entscheidung über die Fortführung der Selbständigkeit oder deren Aufgabe und die Rückkehr in die Pflichtversicherung zu treffen;
im Fall der Überbrückung durch Selbständigkeit liege es mithin in der Natur der Sache, dass eine zeitliche Lücke durchaus
20 Monate betragen könne. Dies bestätige auch der Rechtsgedanke des (inzwischen aufgehobenen) §
421 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB III), wonach Versicherte einen Existenzgründungszuschuss für die Dauer von bis zu drei Jahren erhielten, wenn sie versuchten,
durch eine selbständige Tätigkeit die Arbeitslosigkeit abzuwenden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung von §
58 Abs
1 Satz 1 Nr
3 und Abs
2 sowie §
237 SGB VI. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Hinsichtlich des "gescheiterten Selbsthilfeversuchs" habe das BSG (Urteile
vom 16.11.1972, SozR Nr 50 zu § 1259 der
Reichsversicherungsordnung [RVO] und vom 26.6.1975, SozR 2200 § 1259 Nr 8) generell eine zeitliche Begrenzung von sechs Monaten für maßgebend erachtet. Denn dieser Zeitraum sei regelmäßig ausreichend,
um zu überblicken, ob der Selbsthilfeversuch auf überschaubare Dauer Erfolg haben werde; allerdings seien die besonderen Gegebenheiten
des Einzelfalls zu berücksichtigen. Hinzu komme, dass sich in Bezug auf die Anerkennung von längeren Lücken als Überbrückungstatbestände
ergebe, dass es mit zunehmender Dauer der Lücke immer schwerer werde, die erforderliche Verbindung zwischen der davor- und
der dahinterliegenden Zeit herzustellen (Hinweis auf das Senatsurteil vom 1.2.2001 - B 13 RJ 37/00 R - BSGE 87, 269, 274 f = SozR 3-2600 § 58 Nr 16 S 91). Die Lücke müsse außerdem unverschuldet oder durch sozialadäquates Verhalten entstanden
sein. Der Kläger aber hätte sich - nachdem absehbar gewesen sei, dass er mit der Selbständigkeit nicht erfolgreich sein werde
- wieder beim Arbeitsamt arbeitslos melden können. Ggf hätte das LSG über Art und Weise der ausgeübten selbständigen Tätigkeit
sowie den Umfang und die Einkommenssituation sowie deren Entwicklung weitere Ermittlungen anstellen müssen. Soweit das BSG
auch längere Zeiträume als Überbrückungstatbestände anerkannt habe, seien die Fallgestaltungen nicht vergleichbar. Weder zum
Steuerrecht noch zum Arbeitsförderungsrecht könnten Beziehungen derart hergestellt werden, dass sich bei einem missglückten
Selbsthilfeversuch ein längerer Zeitraum rechtfertigen lasse. Insbesondere der Anspruch auf einen längerfristigen Existenzgründungszuschuss
nach §
421 SGB III biete für die Anwendung der rentenrechtlichen Regelung des §
58 Abs
2 SGB VI keine Grundlage.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15.11.2006 sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom
24.11.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II. Auf die Revision der Beklagten waren die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben. Dem Kläger steht Altersrente wegen
Arbeitslosigkeit nicht zu.
Gemäß §
237 Abs
1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, wenn sie vor dem 1.1.1952 geboren sind, das 60. Lebensjahr
vollendet haben, bei Beginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und sechs Monaten
insgesamt 52 Monate arbeitslos waren oder die Arbeitszeit aufgrund von Altersteilzeit iS der §§ 2 und 3 Abs 1 Nr 1 des Altersteilzeitgesetzes
für mindestens 24 Kalendermonate vermindert haben, in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von zehn Jahren um Anrechnungszeiten und
Zeiten des Bezugs einer Rente aus eigener Versicherung, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung
oder Tätigkeit sind, verlängert, und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.
Während der Kläger zum 1.8.2004 die Leistungsvoraussetzungen der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit im Übrigen erfüllt, fehlt
es an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des §
237 Abs
1 Nr
4 SGB VI. Denn der Kläger verfügt im maßgeblichen Zehn-Jahres-Zeitraum nicht über acht Jahre (96 Monate) Pflichtbeitragszeiten. Er
hat zwischen August 1994 und Juli 2004 lediglich zurückgelegt (vgl Versicherungsverlauf vom 12.5.2004, S 18 Rückseite der
Rentenakte):
- Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung
von August 1994 bis Oktober 1996 27 Monate
- Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezugs
von November 1996 bis Januar 1997 3 Monate
- Pflichtbeitragszeiten wegen Arbeitslosengeldbezugs
von August 1998 bis Januar 2001 30 Monate
zusammen also 60 Monate
Die notwendige Anzahl von 96 Monaten mit Pflichtbeiträgen im maßgeblichen Zehn-Jahres-Zeitraum hat der Kläger mithin nicht
erreicht.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen verlängert sich der maßgebliche Zehn-Jahres-Zeitraum beim Kläger nicht um die Zeit vom
3.1.2001 bis 31.7.2004 (42 Monate), in der er arbeitslos ohne Leistungsbezug gewesen ist. Zwar sieht §
237 Abs
1 Nr
4 Halbsatz 2
SGB VI die Verlängerung des maßgeblichen Zeitraums ua durch Anrechnungszeiten vor. Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit sind
gemäß §
58 Abs
1 Nr
3 SGB VI Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einer deutschen Agentur für Arbeit als Arbeitsuchende gemeldet waren
und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen
haben. Nach §
58 Abs
2 SGB VI liegen solche Anrechnungszeiten jedoch nur dann vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit
unterbrochen worden ist. An der Unterbrechung einer solchen versicherten Tätigkeit fehlt es im vorliegenden Fall. In seiner
selbständigen Tätigkeit vom 2.1.1997 bis zum 30.8.1998 unterlag der Kläger nicht der Versicherungspflicht. Die Unterbrechung
einer versicherungspflichtigen Beschäftigung wäre nur gewahrt, wenn sich seine Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug
ab 3.10.2001 noch an die versicherte Beschäftigung bis 7.10.1996 mit nachfolgender Pflichtbeitragszeit wegen Arbeitslosengeldbezugs
bis 1.1.1997 anschloss. An einem solchen Anschluss fehlt es jedoch; denn die dazwischenliegende Zeit der Arbeitslosigkeit
ist nicht als unschädliche Brückenzeit ("Überbrückungstatbestand") zu bewerten.
Das von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestandsmerkmal des Überbrückungstatbestands dient der weiteren Ausfüllung des unbestimmten
Rechtsbegriffs der "Unterbrechung". Es trägt dem Umstand Rechnung, dass dieser Begriff nicht nur eine zeitliche Dimension,
sondern auch einen kausalen Bezug aufweist. Denn ein solches Verständnis entspricht Sinn und Zweck des §
58 SGB VI (bzw der Vorgängervorschriften § 1259
RVO, § 36 des Angestelltenversicherungsgesetzes). Die Regelung soll dem Versicherten einen Ausgleich für bestimmte unverschuldete Beitragsausfälle
(zB wegen Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit) gewähren (vgl Senatsurteil vom 1.2.2001 - B 13 RJ 37/00 R - BSGE 87, 269 = SozR 3-2600 § 58 Nr 16; vgl auch BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 7, SozR 3-2600 § 252 Nr 2 und SozR 2200 § 1259 Nr 94). Mithin
gewährleistet die Überbrückungszeit den Anschluss, dh sie füllt vorhandene Lücken zwischen dem Ende der versicherten Beschäftigung
oder Erwerbstätigkeit (bzw einer Anrechnungszeit) und dem Beginn einer (weiteren) Anrechnungszeit aus, wobei die Zeit selbst
keine Anrechnungszeit ist. Sie gewährleistet lediglich, dass der Zurechnungszusammenhang mit nachfolgenden Tatbeständen rentenrechtlicher
Zeiten bestehen bleibt (BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 20; Senatsurteil vom 11.3.2004 - B 13 RJ 16/03 R - BSGE 92, 241 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3 mit zahlreichen Nachweisen).
Rechtfertigender Grund für die Anerkennung einer Überbrückungszeit ist im Wesentlichen, dass der Versicherte im jeweiligen
Zeitraum noch dem Kreis der Arbeitsuchenden iS des §
58 Abs
1 Satz 1 Nr
3 SGB VI zuzuordnen ist. In die entsprechende Wertung haben Gesichtspunkte einzufließen, die den Schutzzweck der Norm berücksichtigen.
Vor allem kommt es darauf an, ob der Versicherte nach den Gesamtumständen noch dem eine Versicherungspflicht begründenden
aktiven Erwerbsleben zuzurechnen ist, ob also während des Lückenzeitraums ein hinreichender Zusammenhang hiermit besteht.
Eine entsprechende Annahme liegt nahe, wenn die Lücke unverschuldet, also durch vom Versicherten nicht zu vertretende Umstände,
oder durch ein sozialadäquates, insbesondere durch ein von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten entstanden ist (BSGE
92, 241 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3; BSGE 87, 269 = SozR 3-2600 § 58 Nr 16).
Als sozialadäquates Verhalten in diesem Sinne kommt insbesondere der Selbsthilfeversuch zur Abwendung von Arbeitslosigkeit
in Betracht. Das BSG hat in einer Reihe von Entscheidungen den Selbsthilfeversuch durch das Eingehen einer nicht versicherten
Beschäftigung oder das Ausüben einer selbständigen Tätigkeit als "Brückenzeit" gewertet, wenn darin das Bemühen um die Wiedereingliederung
in das Erwerbsleben zum Ausdruck kommt (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 94; BSGE 34, 93 = SozR Nr 44 zu § 1259
RVO; BSG SozR Nr 50 zu § 1259
RVO). Den - etwa sechs Monate dauernden - Versuch eines Arbeitslosen, sich seinen Lebensunterhalt durch Übernahme einer selbständigen
Tätigkeit zu verdienen, hat das BSG in seinen Urteilen vom 8.3.1972 (11 RA 190/71 - BSGE 34, 93 = SozR Nr 44 zu § 1259
RVO) und 16.11.1972 (11 RA 168/72 - SozR Nr 50 zu § 1259
RVO) als unschädlichen Überbrückungstatbestand gewertet und ausgeführt: Erfahrungsgemäß sei ein derartiger Selbsthilfeversuch
nicht selten zum Scheitern verurteilt, weil zunächst einmal alle Voraussetzungen für die erfolgreiche Ausübung der selbständigen
Tätigkeit fehlten. Es bestünden deshalb keine Bedenken, einen Arbeitslosen, der zu einer selbständigen Tätigkeit übergehe,
jedenfalls für eine gewisse Anlaufzeit sogar weiterhin als arbeitslos anzusehen; jedenfalls aber sei die Zeit des "missglückten
Arbeitsversuchs" dann unschädlich, wenn zwischen dem Ausscheiden aus dem Unterstützungsbezug und einer erneuten Arbeitslosmeldung
nicht mehr als etwa sechs Monate lägen. Denn innerhalb eines solchen verhältnismäßig kurzen Zeitabschnitts lasse sich erfahrungsgemäß
stets überblicken, ob der Selbsthilfeversuch Erfolg verspreche oder zum Scheitern verurteilt sein werde.
Allgemein hat das BSG bereits zu anderen Überbrückungstatbeständen als einem Selbsthilfeversuch darauf hingewiesen, dass es
mit zunehmender Dauer der Lücke immer schwerer wird, die erforderliche Verbindung zwischen der davor- und der dahinterliegenden
Zeit der Arbeitslosigkeit herzustellen (vgl BSGE 29, 120 = SozR Nr 22 zu § 1259
RVO). Das Merkmal der Unterbrechung in §
58 Abs
2 SGB VI beinhaltet aber die Erwartung einer Fortsetzung der Erwerbsarbeit in Form einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit
(vgl BSG SozR 2200 § 1259 Nr 28; BSGE 70, 111 = SozR 3-2200 § 1259 Nr 11). Hierauf aufbauend hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 1.2.2001 (BSGE 87, 269 = SozR 3-2600 § 58 Nr 16) darauf abgestellt, dass, ebenso wie bei der von der bisherigen Rechtsprechung für Selbsthilfeversuche
gezogenen Sechs-Monats-Grenze, auch bei einer Pflegetätigkeit erwartet werden kann, dass der Versicherte in dieser Zeit in
der Lage ist, die Dauerhaftigkeit seiner begonnenen Tätigkeit sicher einzuschätzen. Demgemäß ist regelmäßig nach sechs Monaten
die Entscheidung des Versicherten zu erwarten, ob er nunmehr auf Dauer selbständig tätig bleiben, mit anderen Worten: ob er
den "Status" des Arbeitslosen (und nur vorübergehend, versuchsweise selbständig Tätigen) verlassen will oder ob er den Selbsthilfeversuch
als gescheitert betrachtet.
Gegen die in dieser Form feststehende Rechtsprechung des BSG sprechen auch nicht Bestimmungen des Arbeitsförderungsrechts.
Dies gilt sowohl für den vom LSG herangezogenen, inzwischen wieder aufgehobenen §
421 SGB III, der im hier zu beurteilenden Zeitraum ohnehin noch nicht gegolten hat, als auch für die Zwei-Jahres-Frist des § 135 Abs 1 Nr 2 Buchst b AFG (§ 196 Satz 2 Nr 2
SGB III aF), wonach der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erst erlischt, wenn seit dem letzten Tag des Bezugs zwei Jahre vergangen sind,
wenn nur wegen einer selbständigen Tätigkeit kein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bestand (worauf das SG abgestellt hat). Denn Zeiten einer selbständigen Tätigkeit werden im Arbeitsförderungsrecht - je nach Fallkonstellation -
durchaus unterschiedlich behandelt: So bewirkt eine selbständige Tätigkeit direkt im Anschluss an das Ende einer Beschäftigung
(so die Fallgestaltung bei BSG SozR Nr 50 zu § 1259
RVO) den Verlust des auf der Beschäftigung beruhenden Anspruchs auf Arbeitslosengeld bereits nach einem Jahr, weil dann in der
Rahmenfrist von zwei Jahren nicht mehr mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis liegen (§§
123,
124 SGB III); hingegen führt die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit aus dem Bezug von Arbeitslosengeld heraus (so die Fallgestaltung
bei BSGE 34, 93 = SozR Nr 44 zu § 1259
RVO) erst dann zu einem Erlöschen des Anspruchs, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind (§
147 Abs
2 SGB III). Eine Orientierung des Überbrückungszeitraums in der Rentenversicherung an Vorschriften des Arbeitsförderungsrechts, wie
in den Vorinstanzen vorgeschlagen, verbietet sich daher. Jedenfalls kann aus den genannten gesetzlichen Regelungen keine einheitliche
Linie abgeleitet werden, die dafür sprechen könnte, den Überbrückungstatbestand des Selbsthilfeversuchs durch selbständige
Tätigkeit auf die im Falle des Klägers erheblichen 20 Monate (oder länger) auszudehnen.
Ebenso wenig bietet das Steuerrecht Argumente für ein derartiges Vorgehen. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Rechtsprechung
der Finanzgerichtsbarkeit zur Abgrenzung von Liebhaberei und erfolgreicher Selbständigkeit auf einen zehnjährigen Bewertungszeitrahmen
abstelle, kann dies zu keiner anderen Einschätzung des Begriffs der Unterbrechung iS des §
58 Abs
2 SGB VI führen. Das BSG hat bereits wiederholt entschieden, dass die rechtliche Bedeutung eines Begriffs (hier: des Begriffs der
"Unterbrechung") im Steuer- wie im Rentenversicherungsrecht inhaltlich nicht identisch zu bewerten sein muss (vgl Urteile
vom 31.8.2000 - B 4 RA 5/00 R - SozR 3-2600 § 48 Nr 4 und vom 18.6.2003 - B 4 RA 37/02 R - SozR 4-2600 § 48 Nr 2 - beide zum Begriff der "Berufsausbildung"). Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Rechts- und Regelungsbereiche
des Finanz- und gesetzlichen Rentenversicherungsrechts leuchtet dies ohne Weiteres ein: Der Bewertungsrahmen von zehn Jahren
im Finanzrecht zur Abgrenzung von Liebhaberei und erfolgreicher Selbständigkeit dient allein der praktischen Umsetzung des
Steuerrechts, wobei ohnehin eine Neubewertung der Tätigkeit bei geänderten Erkenntnissen nicht ausgeschlossen ist. Auf die
steuerrechtliche Bewertung ausgeübter beruflicher Tätigkeiten kommt es nach der Zweckrichtung des Überbrückungstatbestands
iS des §
58 Abs
2 SGB VI aber nicht an. Die im Steuerrecht geltende Rechtsauffassung bzgl des zehnjährigen Bewertungsrahmens ist daher im Rentenversicherungsrecht
irrelevant.
Unerheblich ist auch, dass das BSG in Einzelfällen von einem länger als sechs Monate dauernden Überbrückungstatbestand ausgegangen
ist (Urteile vom 24.11.1982 - 5a RKn 23/81 - SozR 2200 § 1259 Nr 72 und vom 20.4.1983 - 5a RKn 22/81 - veröffentlicht bei
Juris [bei Bezug von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus]; Urteil vom 30.1.1969 - 5 RKn 133/65 - BSGE 29, 120 = SozR Nr 37 zu § 1251
RVO [Arbeitslosigkeit ohne Meldung bei der Arbeitsverwaltung bei zusätzlich möglicherweise bestehender "Invalidität" in der Nachkriegszeit];
Urteil vom 5.7.1978 - 1 RA 15/78 - SozR 2200 § 1251 Nr 50 [Einarbeitung eines aus Böhmen stammenden Juristen nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft und
anschließender Krankheit in das deutsche Recht durch nicht versicherten Vorbereitungsdienst]; Urteil vom 21.7.1992 - 4 RA 37/91 - veröffentlicht bei Juris [Rückkehr eines illegal aus Polen ausgewanderten Versicherten nach Polen zur Vorbereitung der
Ausreise von Ehefrau und Tochter]). Hierbei handelt es sich um - den Besonderheiten der jeweiligen Fälle, zT der Nachkriegssituation
geschuldete - Einzelfälle, die mit der Selbsthilfesituation des Klägers nicht vergleichbar sind. Diese auch vom LSG erkannten
"anderen Konstellationen" iS von Ausnahmesituationen rechtfertigen es nicht, die Besonderheiten der Fälle außer Acht zu lassen.
Schon gar nicht liegt es "in der Natur der Sache", dass der Versuch, sich selbständig zu machen, auch bei 20-monatiger Lücke
als Überbrückungstatbestand anerkannt werden müsste.
Zu Erwägungen, ob und unter welchen Voraussetzungen von der Sechs-Monats-Frist bei Selbsthilfeversuchen ggf abgewichen werden
sollte, bietet der Fall des Klägers keine Veranlassung. Zwar kommt es bei der Frage des Vertreten-Müssens einer entstandenen
Lücke auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls an (BSG SozR Nr 50 zu § 1259
RVO), wobei Gesichtspunkte der Billigkeit (BSGE 34, 93, 95 = SozR Nr 44 zu § 1259
RVO) und der Sozialadäquanz (BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 7) zu berücksichtigen sind. Etwaige Besonderheiten im Vergleich zur vorgenannten - gefestigten - Rechtsprechung zum Selbsthilfeversuch
durch selbständige Tätigkeit werden im Fall des Klägers jedoch nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung
dessen, dass für einen Erfolg der Klage eine Ausdehnung des unschädlichen Überbrückungszeitraums auf 20 Monate erforderlich
wäre.
Liegt danach beim Kläger in der Zeit vom 2.1.1997 bis zum 30.8.1998 kein unschädlicher Überbrückungszeitraum vor, erfüllt
er die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des §
237 Abs
1 Nr
4 SGB VI - und damit die Voraussetzungen für eine Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit - nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 SGG.