Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Kostenersatz bei sozialwidrigem Verhalten; Ersatzanspruch beim Bezug von Leistungen
während der Verbüßung einer Haftstrafe
Gründe:
I
Der Kläger wendet sich gegen einen Ersatzanspruch, den der Beklagte für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach
dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) geltend macht, die ihm (dem Kläger) und seinen Familienangehörigen während der Verbüßung einer Haftstrafe gewährt worden
sind.
Der 1974 geborene Kläger ist verheiratet und hat zwei 1995 und 2006 geborene Kinder; die Familie lebte bis Januar 2007 in
einer gemeinsamen Wohnung und bestritt ihren Lebensunterhalt im Wesentlichen mit seinem Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung
im Schichtdienst. Der Kläger verbüßte vom 3.1.2007 bis zum 19.12.2008 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen des vorsätzlichen
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (500g Kokain) und des gewerbsmäßigen vorsätzlichen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 24 Fällen (Haschisch) unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Ab dem 1.8.2008
war er dabei als Freigänger bei seinem bisherigen Arbeitgeber beschäftigt, erzielte aber ein niedrigeres Einkommen als vor
seiner Inhaftierung. Die Ehefrau teilte dem Beklagten insoweit mit, dass das Arbeitsentgelt nicht ausgezahlt werde, sondern
der Justizvollzugsanstalt zustehe. Nach der Haftentlassung nahm der Kläger die ursprüngliche Tätigkeit im Schichtdienst wieder
auf.
Auf entsprechende Anträge der Ehefrau bewilligte der Beklagte für diese und die gemeinsamen Kinder Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Bewilligungsabschnitte vom 19.2.2007 bis zum 30.8.2007, vom 1.9.2007 bis zum 28.2.2008, vom 1.3.2008 bis zum 31.7.2008
und vom 1.8.2008 bis zum 31.1.2009; für den zuletzt genannten Zeitraum bewilligte der Beklagte Leistungen auch für den Kläger.
Daneben zahlte er die Beiträge der Ehefrau zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und zur sozialen Pflegversicherung.
Das vom Kläger ab dem 1.8.2008 erzielte Einkommen berücksichtigte er nicht.
Nach seiner Haftentlassung forderte der Beklagte von dem Kläger Ersatz für die ihm, seiner Ehefrau und seinen Kindern gewährten
Leistungen (einschließlich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung und zur sozialen Pflegversicherung)
in Höhe von 23 823,51 Euro (Bescheid vom 30.1.2009). Im Widerspruchsverfahren setzte er den Kostenersatzanspruch auf 23 938,51
Euro fest und wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 1.7.2009).
Die Klage hiergegen hat das Sozialgericht (SG) Augsburg abgewiesen (Urteil vom 23.4.2010). Auf die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit ein Erstattungsbetrag von mehr als 23 538,43 Euro gefordert werde, und
die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.4.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, der
Kläger habe durch den von ihm betriebenen Drogenhandel seine Verhaftung verursacht, dadurch den Verlust seines Erwerbseinkommens
bewirkt, das angesichts der sonstigen geringen Einkünfte der Familie die tragende Säule des Familienunterhalts gewesen sei,
und damit für den Zeitraum bis zum 31.7.2008 die Hilfebedürftigkeit seiner Familie iS des § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II (in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Art 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 [BGBl I 2954]; alte Fassung [aF]) herbeigeführt.
Soweit die Leistungen infolge der Nichtanrechnung des Einkommens des Klägers ab dem 1.8.2008 teilweise rechtswidrig gewährt
worden seien, habe der Kläger durch sein Verhalten die Zahlung von Leistungen an die Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft
entsprechend § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II aF herbeigeführt. Das leistungsverursachende Verhalten sei sozialwidrig, weil keine wirtschaftliche Notwendigkeit bestanden
habe, "um jeden Preis" weiteres Einkommen zu erzielen, schon gar nicht aufgrund einer regelmäßigen illegalen Einnahmequelle.
Der Höhe nach ergebe sich aber ein geringerer Ersatzanspruch.
Mit seiner Revision macht der Kläger die Verletzung von § 34 Abs 1 SGB II aF geltend.
Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. April 2012 zu ändern und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom
23. April 2010 sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli
2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
II
Die zulässige Revision des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat der Beklagte ihm gegenüber einen Ersatzanspruch
für die während seiner Haft an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gezahlten Leistungen nach dem SGB II geltend gemacht. Die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Abs 1 SGB II aF liegen nicht vor, weil es an einem sozialwidrigen Verhalten des Klägers im Sinne der Norm fehlt.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 30.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.7.2009,
soweit der Beklagte damit gegen den Kläger einen Ersatzanspruch in Höhe von (noch) 23 538,43 Euro für die im Zeitraum vom
19.2.2007 bis zum 31.1.2009 an ihn, seine Ehefrau und die beiden gemeinsamen Kinder gewährten Leistungen geltend macht. Hiergegen
wendet sich der Kläger zutreffend mit der (isolierten) Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
2. Ob der angefochtene Bescheid in allen Punkten formell rechtmäßig ist, kann offen bleiben. Der Beklagte war jedenfalls berechtigt,
den Anspruch auf Kostenersatz durch Verwaltungsakt iS des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) geltend zu machen (zur Befugnis zum Erlass des Verwaltungsakts als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung Luthe in jurisPK-SGB X, Stand 1.12.2012, § 31 RdNr 15 ff; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Dezember 2011, K § 31 RdNr 13 ff; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 31 RdNr 5, jeweils mwN). Die Befugnis zum Erlass eines solchen Verwaltungsaktes zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen (sog Leistungsbescheid)
auch gegenüber demjenigen, der nicht selbst Empfänger der Sozialleistungen ist, kommt in den materiellen Regelungen des SGB II ausreichend zum Ausdruck. Nach § 34 Abs 3 Satz 2 SGB II (in seiner alten wie neuen Fassung) steht wegen der entsprechenden Anwendbarkeit der Verjährungsregelungen nach dem Bürgerlichen
Gesetzbuch (
BGB) der Erlass eines Leistungsbescheides der Erhebung einer Klage gleich; die Vorschrift setzt also die Befugnis zum Erlass
eines solchen Verwaltungsaktes voraus (Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2009, § 34 SGB II RdNr 38).
Ungeachtet der Frage, ob der Verwaltungsakt auch im Übrigen formell rechtmäßig war (zu weiteren Verfahrensfragen in diesem
Zusammenhang H. Schellhorn in Gemeinschaftskommentar zum SGB II [GK-SGB II], Stand Januar 2008, § 34 RdNr 39 ff), insbesondere ob der Kläger vor Erlass der angegriffenen Entscheidung gemäß § 24 Abs 1 SGB X zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen ordnungsgemäß angehört bzw ein entsprechender Verfahrensmangel gemäß § 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X durch die Nachholung im Widerspruchsverfahren geheilt worden ist (vgl hierzu nur BSG Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 mwN), ist der Leistungsbescheid des Beklagten vom 30.1.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 1.7.2009 materiell rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
3. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF als einzig denkbare Anspruchsgrundlage liegen nicht vor. Ein Anspruch des Beklagten auf Kostenersatz scheitert daran,
dass der Kläger nicht sozialwidrig im Sinne dieser Norm gehandelt hat. Der Bescheid und die Urteile des SG und des LSG waren deshalb aufzuheben, soweit sie den Kläger nicht begünstigen.
Nach § 34 Abs 1 SGB II aF ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für seine Hilfebedürftigkeit
oder die Hilfebedürftigkeit von Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 1), oder die Zahlung von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts an sich oder an Personen, die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben (Nr 2) ohne wichtigen
Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet (Satz 1). Von der Geltendmachung des Ersatzanspruches
ist abzusehen, soweit sie den Ersatzpflichtigen künftig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach diesem Buch
oder von Leistungen nach dem Zwölften Buch abhängig machen würde (Satz 2).
a) Zutreffend sind der Beklagte und die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der (volljährige) Kläger iS von § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt hat und also als Ersatzpflichtiger
für an diese gezahlte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Betracht kommt. Der Begriff der Bedarfsgemeinschaft
iS des § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF wird durch den in § 7 Abs 3 SGB II umschriebenen Personenkreis definiert. Ein anderes Verständnis des Begriffs der Bedarfsgemeinschaft im Zusammenhang mit §
34 Abs 1 SGB II aF widerspräche seinem Sinn und Zweck (vgl BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 14). Die Eheleute waren auf Grundlage der Feststellungen
des LSG während des gesamten Leistungsbezuges, der dem Ersatzanspruch zugrunde liegt, nicht dauernd getrennt lebend iS des
§
1567 Abs
1 BGB, sodass zwischen ihnen durchgehend eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II bestand (vgl dazu BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R - BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16 RdNr 13 f und BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 23). Vermittelt über diese Partnerschaft bestand - unabhängig davon, ob der Kläger während
der Haft (durchgehend) dem Haushalt der Familie angehörte - auch eine Bedarfsgemeinschaft mit den Kindern, die iS des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II jedenfalls in den Haushalt der Ehefrau aufgenommen waren. Offen bleiben kann, ob eine Trennung der Eheleute Auswirkungen
- und ggf welche - auf die in Rede stehende Ersatzpflicht des Klägers gehabt hätte.
b) Mit den von ihm vorsätzlich begangenen strafbaren Handlungen, die zu seiner Inhaftierung und damit zum Verlust seines Arbeitsplatzes
bzw zu den nur eingeschränkten Verdienstmöglichkeiten während des Freigangs geführt haben, hat der Kläger die Hilfebedürftigkeit
seiner Angehörigen nicht iS des § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II aF herbeigeführt.
Wegen der Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit im Sinne der Nr 1 bzw der Herbeiführung einer Zahlung im Sinne der Nr 2 setzt § 34 Abs 1 Satz 1 SGB II aF als objektives Tatbestandsmerkmal ein sozialwidriges Verhalten des Erstattungspflichtigen voraus. Diese ungeschriebene
und eingrenzende Tatbestandsvoraussetzung ist erforderlich, weil es sich bei § 34 SGB II in gleicher Weise wie bei § 103 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und zuvor § 92a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch
besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit
zu leisten sind (dazu BVerfG Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803; vgl auch Klinge in Hauck/Noftz, SGB XII, Stand Februar 2012, K § 103 RdNr 9). Verschuldensgesichtspunkte spielen bei der Feststellung eines Hilfebedarfs keine Rolle (vgl etwa BSG SozR 4-4200 § 23 Nr 5 RdNr 15; BSG Urteil vom 19.8.2010 - B 14 AS 36/09 R - juris RdNr 17). Dieser Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Deckung des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende
und nicht nur auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht konterkariert werden (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 17 ff). Die "Sozialwidrigkeit" des Verhaltens ist
deshalb auch nicht (erst) eine Frage des Nichtvorliegens eines wichtigen Grundes im Einzelfall (Hänlein in Gagel, SGB II/SGB
III, Stand Juni 2009, § 34 SGB II RdNr 12; anders wohl Grote-Seifert, jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 34 RdNr 26; Hölzer in Estelmann, SGB II, Stand Dezember 2011, § 34 RdNr 29). Diesem Verständnis entspricht schließlich die Entstehungsgeschichte der Norm und die bisherige Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu den Vorgängervorschriften (etwa BVerwG Urteil vom 24.6.1976 - V C 41.74 - BVerwGE 51, 61; BVerwG Urteil vom 10.4.2003 - 5 C 4/02 - BVerwGE 118, 109), wie der 4. Senat im Einzelnen dargelegt hat (BSG aaO).
Das Erfordernis eines nicht nur schuldhaften, sondern objektiv "sozialwidrigen" Verhaltens gilt insbesondere vor dem Hintergrund,
dass der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II - jedenfalls nach dem Wortlaut - der Höhe nach nicht begrenzt ist. Die Notwendigkeit einer einschränkenden Voraussetzung
hat der Gesetzgeber offenbar selbst gesehen. § 34 SGB II ist durch Art 14 Abs 3 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453; Regelbedarfsermittlungsgesetz [RBEG]) mit Wirkung zum 1.4.2011 ausdrücklich als "Ersatzanspruch
wegen sozialwidrigen Verhaltens" bezeichnet worden und dieses Merkmal in den zugrunde liegenden Gesetzesmaterialien ausdrücklich
erwähnt worden (vgl BT-Drucks 17/3404 S 113). Ob wegen der Höhe der möglichen Ersatzansprüche und vor dem Hintergrund ihrer
nunmehr erleichterten Durchsetzung durch Aufrechnung mit laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl § 43 Abs 1 SGB II idF des RBEG) über den Wortlaut hinaus weitergehend Einschränkungen zu machen sind, kann vorliegend offen bleiben.
Zusammenfassend hat der 4. Senat das Tatbestandsmerkmal des "sozialwidrigen Verhaltens" unter Heranziehung der Rechtsprechung
des BVerwG für den Regelungsbereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende dahingehend umschrieben, dass nur ein Verhalten
umfasst wird und damit sozialwidrig ist, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw den Wegfall der Erwerbsfähigkeit
oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw der Leistungserbringung gerichtet war bzw
hiermit in "innerem Zusammenhang" stand oder (3) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 16 und 22).
Dem schließt sich der Senat an. Für die Annahme eines sozialwidrigen Verhaltens ist erforderlich, dass die Existenzgrundlage,
deren Erhalt das SGB II vor allem auch mit aktiven Leistungen schützt, durch das maßgebliche Verhalten selbst unmittelbar beeinträchtigt wird oder
wegfällt. Nicht jedes strafbare Verhalten, das absehbar zu einer Inhaftierung und also regelmäßig zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten
führt, ist damit sozialwidrig. Wenn das strafbare Verhalten nicht zugleich auch den Wertungen des SGB II zuwider läuft, besteht neben der Strafe als solcher für eine (zumindest nach dem Wortlaut des § 34 Abs 1 SGB II aF) zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Haftung im Hinblick auf den dadurch verursachten Wegfall der finanziellen Lebensgrundlage
keine Rechtfertigung. Eine andere Sichtweise widerspricht - wie bereits dargelegt - der vorbehaltlosen Hilfegewährung als
Regelfall.
Entgegen den Grundsätzen des SGB II und damit "sozialwidrig" verhält sich der Betroffene dagegen, wenn es ihm aus eigener Kraft möglich (gewesen) wäre, die Hilfebedürftigkeit
iS des § 2 Abs 1 Satz 1, § 9 Abs 1 SGB II abzuwenden und sein Verhalten diesen Möglichkeiten zuwiderläuft. Der Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist daher nicht in der
Strafbarkeit einer Handlung, sondern darin begründet, dass der Betreffende - im Hinblick auf die von der Solidargemeinschaft
aufzubringenden Mittel der Grundsicherung für Arbeitsuchende - in zu missbilligender Weise sich selbst oder seine mit ihm
in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in die Lage gebracht hat, Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen zu müssen. Verwendet der Leistungsberechtigte etwa erzielte Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts
und wird dadurch die (teilweise) Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, kann dies einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II auslösen, wenn ein anderes Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich abverlangt war (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 57 RdNr 17 f), obwohl ein solches Verhalten regelmäßig keinen Straftatbestand erfüllt. Diesem Verständnis
von "sozialwidrigem Verhalten" entsprechen ferner die in § 31 SGB II genannten Tatbestände, die zur Absenkung bzw des Wegfalls des Arbeitslosengeldes II führen. In den dort genannten Fallgruppen
drückt sich - ähnlich wie im Sozialversicherungsrecht in den §
52 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung -, §§
103 f
Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - und §
101 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird und damit sozialwidrig ist (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 20 f).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Verhalten des Klägers nicht als sozialwidrig iS des § 34 SGB II aF einzustufen. Durch das hier maßgebliche Verhalten des Klägers - den Handel mit Kokain in nicht geringer Menge und das
gewerbsmäßige Handeltreiben mit Haschisch - ist seine berufliche Existenzgrundlage nicht unmittelbar beeinträchtigt worden
oder weggefallen. Die Tat war zwar in verwerflicher Weise darauf gerichtet, die Einkommens- und Vermögenssituation zu verbessern;
die (legale) Beschäftigung als schützenswerte Existenzgrundlage im Sinne des SGB II war aber davon nicht betroffen. Weil es nach den genannten Maßstäben allein darauf ankommt, ob durch das Verhalten selbst
die Existenzgrundlage unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt, liegt kein sozialwidriges Verhalten vor. Aus dem gleichen
Grunde stellt die Verbüßung der Haftstrafe als lediglich mittelbare Folge eines (strafbaren) Verhaltens von vornherein kein
"Verhalten" dar, das für sich genommen als sozialwidrig gelten könnte.
c) Soweit für die Zeit ab dem 1.8.2008 Leistungen nach dem SGB II gewährt worden sind, obwohl Hilfebedürftigkeit wegen des erzielten und der Familie offenbar auch zugeflossenen, aber dem
Beklagten gegenüber nicht angegebenen Einkommens teilweise nicht bestand, kann dieser Sachverhalt gegenüber dem Kläger keinen
Ersatzanspruch auslösen. War schon sein Verhalten, das zum gänzlichen Verlust der Beschäftigung ab dem 3.1.2007 geführt hat,
nicht sozialwidrig, gilt dies auch für die Zeit, in der er während des Freigangs wegen der fehlenden Verdienstmöglichkeiten
durch Schichtdiensttätigkeiten Einkommen nur in geringerem Umfang als vor der Inhaftierung erzielen konnte.
Die fehlerhaften Angaben im Hinblick auf dieses Einkommen, die nach Auffassung des LSG neben der Inhaftierung des Klägers
kausal für die teilweise rechtswidrige Leistungsgewährung waren, sind nach den von den Beteiligten unangegriffenen und den
Senat bindenden Feststellungen des LSG durch die Ehefrau erfolgt. Schuldhaftes Verhalten des Vertreters einer Bedarfsgemeinschaft
(§ 38 SGB II) löst einen Ersatzanspruch gegenüber dem Vertretenen nicht ohne Weiteres aus; im Anwendungsbereich des § 34 Abs 1 SGB II aF, der als quasi-deliktischer Anspruch ausgestaltet ist (vgl bereits BVerwG vom 23.9.1999 - 5 C 22/99 - BVerwGE 109, 331 = juris RdNr 12 mwN), genügt - wie im Anwendungsbereich des §
823 BGB bei natürlichen Personen - unerlaubtes Handeln des Vertreters für die Haftung des Vertretenen nicht. Eine §
831 BGB entsprechende Norm ist im SGB II nicht erkennbar.
Steht mithin ein Fehlverhalten des Klägers (zu dem der Beklagte ohnehin nicht angehört hat) insoweit nicht im Raum, ist unerheblich,
ob und unter welchen Voraussetzungen schuldhaft fehlerhafte Angaben einen Ersatzanspruch nach § 34 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II aF auslösen können. Ob diese Norm - wie das LSG meint - auch (oder gerade) im Falle von rechtswidrig gewährten Leistungen
Anwendung finden kann (zu dieser Problematik Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, Stand April 2008, K § 34 RdNr 34 ff; H. Schellhorn in GK-SGB II, Stand Januar 2008, § 34 RdNr 7; nunmehr § 34a SGB II idF des RBEG) und ob die Geltendmachung eines solchen Ersatzanspruches die vorherige Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen
nach Maßgabe der §§ 45, 48 SGB X voraussetzen würde (verneinend Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 34 RdNr 11a; Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, Stand April 2008, K § 34 RdNr 39 ff; bejahend Hänlein in Gagel, SGB II/SGB III, Stand Juni 2009, § 34 SGB II RdNr 6 f; zu § 92a BSHG, vgl BVerwGE 105, 374), kann offen bleiben.
d) Da der Tatbestand des § 34 Abs 1 SGB II aF nicht erfüllt ist, braucht nicht entschieden zu werden, ob die Höhe des geltend gemachten Ersatzanspruches zutreffend
ermittelt worden ist und insbesondere die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge zu den "gezahlten Leistungen"
iS des § 34 Abs 1 SGB II aF gehören (vgl seit dem 1.4.2011 ausdrücklich § 34 Abs 1 Satz 2 SGB II idF des RBEG; verneinend für die Zeit davor Conradis in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 34 RdNr 14).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.