Neuberechnung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
Der Senat hat - wozu die Beteiligten zuvor angehört wurden - ohne den nach der senatsinternen Geschäftsverteilung zur Entscheidung
mitberufenen Richter am BSG Dr. Schmidt entschieden. Dr. Schmidt war als Richter am LSG im vorinstanzlichen Verfahren an der Übertragung der Berufung
auf die Berichterstatterin (Beschluss vom 20.4.2021) beteiligt. Nach §
60 Abs
1 SGG iVm §
41 Nr
6 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ua dann ausgeschlossen, wenn er in einem früheren Rechtszug
bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat. Ein Beschluss des LSG, in einem Fall des §
105 Abs
2 Satz 1
SGG (Berufung gegen Gerichtsbescheid) die Berufung dem Berichterstatter zu übertragen, ist so eng mit der - hier angefochtenen
- Endentscheidung verknüpft, dass es Sinn und Zweck des §
41 Nr 6
ZPO gebietet, von einer Mitwirkung im Sinne dieser Vorschrift auszugehen. Dr. Schmidt ist deshalb von der Ausübung des Richteramtes
im vorliegenden Beschwerdeverfahren ausgeschlossen.
Den Klägern zu 1. und 2. war wegen der versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerden Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren (§
67 Abs
1 SGG), da sie bis zur Bewilligung von PKH wegen ihrer Mittellosigkeit unverschuldet an der Einhaltung dieser Fristen gehindert
waren. Ob der Klägerin zu 3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde
zu gewähren ist, lässt der Senat offen. Es erscheint zwar zweifelhaft, ob der (nur) anwaltlich versicherte Vortrag zu den
Umständen der Fristversäumnis ausreicht, um von einem glaubhaft gemachten fehlenden Verschulden auszugehen. Die Nichtzulassungsbeschwerden
sind aber schon deshalb unzulässig, weil die Kläger weder den geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung
noch den eines Verfahrensmangels, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, in der gebotenen Weise dargelegt oder
bezeichnet haben (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Die Beschwerden sind daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen
Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Kläger begehren in der Sache eine Neuberechnung
der ihnen gewährten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1.6.2014 bis 30.11.2015, die sie mit Anträgen vom 2.11.2017 geltend gemacht haben. Beklagter und die Vorinstanzen
haben dies unter Hinweis auf die Jahresfrist (§ 40 Abs 1 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X) abgelehnt. Die Kläger formulieren folgende vier Rechtsfragen, denen sie grundsätzliche Bedeutung zumessen:
Handelt es sich bei einem Bescheid über die endgültige Festsetzung von Leistungen für nur einen Monat um einen rechtswidrigen,
nicht begünstigenden Verwaltungsakt …?
Ist ein Bescheid über die endgültige Festsetzung von Leistungen für nur einen Monat und nicht für den gesamten Bewilligungszeitraum
rechtswidrig (…)?
Kann ein Betroffener gegen eine fiktive endgültige Festsetzung von Leistungen gemäß § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II Widerspruch einlegen und wenn ja, wann beginnt die Widerspruchsfrist zu laufen und wie lange dauert sie?
Ist ein Schriftsatz, in dem eine Überprüfung von Bescheiden begehrt und gleichzeitig auch eine endgültige Festsetzung von
Leistungen begehrt wird (weil übersehen wurde, dass die Leistungen gemäß § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II bereits als endgültig festgesetzt gelten) nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz auch als Widerspruch gegen eine bereits eingetretene
fiktive endgültige Leistungsfestsetzung gemäß § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II anzusehen?
Selbst wenn man alle Fragen als grundsätzlich abstrakt beantwortbare Rechtsfragen ansieht, was insbesondere bei der letzten
Frage wegen des engen Einzelfallbezugs zweifelhaft erscheint, ist für keine der Fragen die Klärungsbedürftigkeit und die Entscheidungserheblichkeit
in der erforderlichen Weise dargelegt. Die beiden ersten Fragen beziehen sich auf die Berechtigung des Grundsicherungsträgers,
endgültige Festsetzungen (auch) monatsweise oder nur bezogen auf vollständige Bewilligungsabschnitte vornehmen zu dürfen.
Dabei ist Frage eins nur im Zusammenhang mit Frage zwei überhaupt verständlich. Denn grundsätzlich kann eine endgültige Festsetzung
- wie jeder andere Verwaltungsakt auch - sowohl begünstigend als auch nicht begünstigend und sowohl rechtswidrig als auch
rechtmäßig sein. Welche Klärung durch das Revisionsgericht insoweit vorgenommen werden könnte, erschließt sich nicht. Bezogen
darauf, ob zwingend bestimmte Zeiträume in die endgültige Festsetzung durch Verwaltungsakt einbezogen werden müssen, hätte
die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit indessen jedenfalls eine Auseinandersetzung mit dem durch die Rechtsprechung anerkannten
"Monatsprinzip" erfordert (vgl etwa BSG vom 21.7.2021 - B 14 AS 29/20 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 11b Nr 13 vorgesehen, juris RdNr 31 mwN). Danach erscheint die Berechtigung, (zunächst nur) für einzelne Monate eine endgültige Festsetzung vorzunehmen, naheliegend.
Hiermit befasst sich die Beschwerdebegründung nicht. Dass die beiden ersten Fragen explizit - wie die Kläger ausführen - nicht
Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren und im Schrifttum nicht behandelt werden, kann seinen Grund im Übrigen auch
darin haben, dass die Antworten hierauf nicht zweifelhaft sind.
Auch bezogen auf die dritte Frage fehlt es an einer Auseinandersetzung mit Hintergrund, Systematik und Rechtsschutz bezogen
auf fiktive Regelungen allgemein und im besonderen Regelungszusammenhang des SGB II (ausführlich dazu etwa Kemper in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 41a RdNr 57 ff mwN). Der Hinweis auf eine einzelne Kommentarmeinung allein zur Widerspruchsfrist reicht bei der Komplexität dieser Rechtsfrage
nicht aus.
Was die Frage vier betrifft, die allein bezogen auf den Anwendungsbereich des Meistbegünstigungsgrundsatzes als abstrakt beantwortbare
Frage verstanden werden kann, fehlt schließlich ebenfalls im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit jede Auseinandersetzung mit
Rechtsprechung und Schrifttum zu diesem Grundsatz.
Schließlich ist auch die Entscheidungserheblichkeit aller aufgeworfener Fragen der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
Diese wäre nur dann anzunehmen, wenn es bei einer auf den gesamten Bewilligungsabschnitt bezogenen Neuberechnung der Leistungen
zu weiteren Leistungsansprüchen kommen könnte, wozu nichts vorgetragen ist.
2. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig
darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 §
160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel
beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (stRspr; vgl bereits BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36).
Die Beschwerdebegründung der Kläger wird diesen Darlegungsanforderungen ebenfalls nicht gerecht. Soweit sie eine Verletzung
des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen, führen sie selbst zutreffend aus, dass ein Gericht in den Entscheidungsgründen
nicht auf sämtlichen Vortrag der Beteiligten ausdrücklich eingehen muss. Aus dem Vorbringen der Kläger wird zudem nicht deutlich,
warum es sich hier überhaupt um einen § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II betreffenden Fall handeln könnte, also einen Fall, in dem es nicht um die Nachzahlung von Sozialleistungen geht (vgl zur Systematik des § 40 Abs 1 SGB II nur Löcken in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 40 RdNr 31 f). Die Kläger machen ausdrücklich die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II geltend. Es wird deshalb weder deutlich, womit sich das LSG im Einzelnen hätte auseinandersetzen sollen, noch warum es zu
einem anderen Ergebnis hätte kommen können.
Soweit die Kläger im Übrigen rügen, das SG hätte nicht durch Gerichtsbescheid und das LSG nicht durch den sogenannten "kleinen Senat" entscheiden dürfen, verkennen
sie, dass diese Verfahrensweisen bezogen auf die Entscheidung des SG durch Gerichtsbescheid überhaupt nicht im Beschwerdeverfahren zu überprüfen und ansonsten nur in eng begrenzten Fällen (Willkür,
sachfremde Erwägungen, grobe Fehleinschätzung) verfahrensfehlerhaft sind (vgl nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
153 RdNr 24 ff). Dass ein solcher Fall gegeben war, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen
der Revisionszulassung beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.