Anspruch auf Erstattung von Kosten des Vorverfahrens
Keine Beeinflussung der Entscheidung der Behörde in der Sache durch eine Verletzung der Begründungspflicht bei gebundenen
Entscheidungen wie der Gewährung einer Rente
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für ein isoliertes Widerspruchsverfahren und mittelbar darüber, ob
die Beklagte den der Klägerin erteilten Rentenbescheid ausreichend begründet hat.
Die im Jahr 1958 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagten zunächst erfolglos die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Gegen den ablehnenden Bescheid vom 12.3.2018 erhob sie, vertreten durch einen Rentenberater, Widerspruch und erhielt daraufhin
mit Bescheid vom 4.6.2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt. Die Gestaltung des Bewilligungsbescheids war
neu. Er entsprach im Aufbau und in der Formulierung den seit März 2018 verwendeten standardisierten Texten. Diese waren das
Ergebnis eines von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche
Verwaltung Speyer durchgeführten Reformvorhabens mit dem Ziel, Rentenbescheide unter dem Motto "Erläutern statt berechnen"
leichter verständlich zu gestalten. Dem Bescheid waren die Anlagen "Berechnung der Rente", "Entscheidungen zu rentenrechtlichen
Daten", "Versicherungsverlauf", "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte" sowie "Rente und Hinzuverdienst" beigefügt. Zudem
enthielt der Rentenbescheid den Hinweis, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Auskunfts- und Beratungsstellen der
Deutschen Rentenversicherung und der örtlichen Versicherungsämter sowie die Versichertenältesten für weitere Auskünfte oder
Erläuterungen kostenlos zur Verfügung stünden. Anschriften und weitere Informationen fänden sich im Internet unter www.deutsche-rentenversicherung.de.
Gegen den Bescheid vom 4.6.2018 erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Rentenberater, Widerspruch und führte aus, es fehle
dem Bescheid an wesentlichen Entscheidungsgründen. Ohne die vollständigen Berechnungsanlagen sei eine Prüfung des Rentenbescheids
nicht möglich. Die Beklagte übermittelte daraufhin die beiden Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten" und "Entgeltpunkte
für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten". In der Folge nahm die Klägerin ihren Widerspruch zurück. Ihren zugleich
gestellten Antrag auf Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens lehnte die Beklagte ab. Selbst bei Annahme einer zunächst
unzureichenden Begründung sei dies nach Übersendung der ergänzenden Anlagen unbeachtlich. Darin würden die wesentlichen tatsächlichen
und rechtlichen Gründe, die der Entscheidung über den Rentenanspruch zugrunde lagen, mitgeteilt (Bescheid vom 16.8.2018, Widerspruchsbescheid
vom 17.9.2018).
Das SG hat die Verwaltungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die im Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid
vom 4.6.2018 entstandenen notwendigen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten (Urteil vom 16.6.2020). Das LSG hat die Berufung
der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, aufgrund des Fehlens der Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten"
sowie "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" sei der Rentenbescheid formell rechtswidrig gewesen.
Diesen Mangel habe die Beklagte im Widerspruchsverfahren geheilt, indem sie der Klägerin die beiden Anlagen übersandt habe.
Die Beklagte sei damit zur Erstattung der Kosten des Vorverfahrens nach § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X verpflichtet. Die Vorschrift in § 42 Satz 1 SGB X, wonach die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der unter Verletzung von Vorschriften über die Form zustande gekommen ist, nicht
verlangt werden kann, wenn der Formfehler die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat, sei nicht mehr
anwendbar, wenn ein Formfehler durch Heilung nach § 41 SGB X bereits entfallen sei (Urteil vom 9.6.2021).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 35 Abs 1, § 41 Abs 1, § 42 Satz 1 und § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X. Der Bescheid sei ausreichend begründet gewesen. Der reduzierte Begründungsumfang fördere die Verständlichkeit. Die Ausgangsdaten,
die von den Betroffenen überprüft werden könnten, seien weiterhin Gegenstand des Bescheids und würden im Versicherungsverlauf
umfassend dargestellt. Auch ohne weitere Übersichten zur Berechnung der einzelnen Entgeltpunkte für Beitragszeiten sowie für
beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten könne der im Bescheid erläuterte und in den §§
70 ff
SGB VI festgelegte, für jede Rentenberechnung geltende Berechnungsalgorithmus der persönlichen Entgeltpunkte nachvollzogen und damit
die Höhe der Rente überprüft werden. Selbst bei Annahme eines Begründungsdefizits stehe dem geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch
entgegen, dass die Klägerin nach § 42 Satz 1 SGB X die Aufhebung des Bescheids nicht hätte verlangen können. Es sei offensichtlich, dass der gerügte Formfehler die Entscheidung
in der Sache nicht habe beeinflussen können.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juni 2021 und des Sozialgerichts Cottbus vom 16. Juni 2020
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die im Revisionsverfahren nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin hat keinen Antrag gestellt und sich
auch nicht geäußert.
II
Die Revision der Beklagten ist erfolgreich. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig ergangen und die Klage ist abzuweisen
(§
170 Abs
2 Satz 1
SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens.
1. Die Revision war nach Zulassung durch das LSG statthaft (§
160 Abs
1, Abs
3 SGG) und auch nicht nach §
144 Abs
4 iVm §
165 Satz 1
SGG ausgeschlossen, weil in der Hauptsache über die Kosten eines isolierten Vorverfahrens gestritten wird (stRspr; vgl zB BSG Urteil vom 24.9.2020 - B 9 SB 4/19 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 31 RdNr 11 mwN). Auch darüber hinaus stehen einer Sachentscheidung des Senats keine Verfahrenshindernisse
entgegen. Insbesondere war die Berufung zulässig, nachdem das SG sie in seinem Urteil zugelassen hat (§
144 Abs
2 Nr
1 SGG).
2. Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens
gegen den Bescheid vom 4.6.2018 dem Grunde nach, der mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend zu machen
war (§
54 Abs
1 Satz 1, Abs
4 iVm §
56 SGG). Mit Bewilligung der Erwerbsminderungsrente war das vorangegangene, auf die Gewährung einer solchen Rente dem Grunde nach
gerichtete Widerspruchsverfahren beendet (zur Abhilfe, wenn dem Begehren in vollem Umfang stattgegeben wird, vgl B. Schmidt
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
85 RdNr 2b und §
86 RdNr 3). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin darüber hinaus noch im Klageverfahren die Verpflichtung zur Feststellung
begehrt hat, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war (zu den unterschiedlichen Verfügungssätzen
im isolierten Vorverfahren vgl etwa BSG Urteil vom 20.11.2001 - B 1 KR 21/00 R - SozR 3-1500 § 63 Nr 7 S 10 und zur Geltendmachung im Rahmen einer Verpflichtungsklage vgl BSG Urteil vom 3.7.2020 - B 8 SO 5/19 R - SozR 4-1200 § 44 Nr 10 RdNr 8).
3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens nach § 63 SGB X. Zwar ist § 63 SGB X einschlägig, wenn die Kosten für ein isoliertes Vorverfahren im Streit sind, an das sich in der Hauptsache kein gerichtliches
Verfahren anschloss (vgl dazu ua BSG Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 50/15 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 25 RdNr 15). Die weiteren Voraussetzungen des § 63 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X sind jedoch nicht erfüllt.
Soweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat,
nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen
Aufwendungen zu erstatten. Die Vorschrift bezieht sich ihrem Wortlaut nach zwar nur auf Anfechtungswidersprüche, erfasst jedoch
auch Verpflichtungswidersprüche (vgl BSG Urteil vom 12.6.2013 - B 14 AS 68/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 20 RdNr 14). Ein Widerspruch hat immer dann Erfolg im Sinne des Gesetzes, wenn und soweit ihm die
Behörde stattgibt (vgl BSG Urteil vom 24.9.2020 - B 9 SB 4/19 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 31 RdNr 15 mwN; BSG Urteil vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 § 193 Nr 6 RdNr 30). Nach der dafür maßgeblichen formalen Betrachtungsweise (vgl Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 63 RdNr 21) hatte der Widerspruch gegen den Rentenbescheid vom 4.6.2018 keinen Erfolg, weil dieser weder zur Rentenart, zur
Rentenhöhe, zum Rentenbeginn noch zur Rentendauer geändert wurde (zu den Verfügungssätzen eines Rentenbescheids vgl BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 5 R 8/10 R - BSGE 108, 152 = SozR 4-5050 § 31 Nr 1, RdNr 13; BSG Urteil vom 18.7.1996 - 4 RA 108/94 - SozR 3-2600 § 300 Nr 7 S 26).
Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergibt sich auch nicht aus § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X. Danach sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen auch dann zu erstatten, wenn der Widerspruch
nur deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. Es kann offenbleiben, ob der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X eine förmliche Zurückweisung des Widerspruchs voraussetzt oder auch dann bestehen kann, wenn der Widerspruch für erledigt
erklärt wird. Es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Kausalität der Unbeachtlichkeit der Verletzung von Formvorschriften.
Der Rentenbescheid vom 4.6.2018 war zunächst nicht in allen Punkten hinreichend begründet. Mit Übersendung der Anlagen "Entgeltpunkte
für Beitragszeiten" und "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" ist dieser Formfehler nach § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X geheilt und damit unbeachtlich geworden. Der Widerspruch ist jedoch nicht "nur deshalb" ohne Erfolg geblieben. Die Klägerin
hätte die Aufhebung des Verwaltungsakts auch aus einem anderen Grund nicht beanspruchen können, weil offensichtlich ist, dass
der Begründungsfehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 42 Satz 1 SGB X).
a) Der Inhalt des Bescheids vom 4.6.2018 entsprach nicht in allen Punkten den Anforderungen, die an die Begründung eines Rentenbescheids
zu stellen sind (zur Auslegung von Formularbescheiden durch das Revisionsgericht vgl zuletzt BSG Urteil vom 7.4.2022 - B 5 R 24/21 R - juris RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).
aa) Nach § 35 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt mit einer Begründung
zu versehen. Einer der in § 35 Abs 2 Nr 1 bis 5 SGB X geregelten Ausnahmetatbestände ist nicht erfüllt. Deshalb waren gemäß § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung
bewogen haben. Die Behörde hat die Gründe ihrer Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang dem Betroffenen bekannt
zu geben, dass dieser seine Rechte sachgemäß wahrnehmen kann (vgl BSG Urteil vom 9.3.1994 - 6 RKa 16/92 - juris RdNr 28). Dies folgt aus rechtsstaatlichen Grundsätzen (vgl BVerfG Urteil vom 16.1.1957 - 1 BvR 253/56 - BVerfGE 6, 32, 44 f; BVerfG Beschluss vom 28.2.1979 - 2 BvR 84/79 - BVerfGE 50, 287, 290; BVerfG Beschluss vom 30.8.2017 - 1 BvR 776/14 - juris RdNr 27). Dabei richten sich die Anforderungen an Inhalt und Umfang der notwendigen Begründung nach dem jeweiligen
Rechtsgebiet und nach den Umständen des Einzelfalls (vgl BSG Urteil vom 11.9.2019 - B 6 KA 13/18 R - SozR 4-7610 § 812 Nr 9 RdNr 22; BSG Urteil vom 18.7.2013 - B 3 KR 21/12 R - BSGE 114, 105 = SozR 4-2500 § 275 Nr 14, RdNr 17; BSG Urteil vom 27.6.2012 - B 6 KA 37/11 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 71 RdNr 16; BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 19; BSG Urteil vom 9.9.1999 - B 11 AL 17/99 R - SozR 3-4100 § 119 Nr 18 S 91).
An die Begründung eines Rentenbescheids sind erhöhte Anforderungen zu stellen. Rentenleistungen bestimmen die Existenzgrundlage
der Leistungsberechtigten regelmäßig für einen sehr langen Zeitraum. Sie treten in den weitaus überwiegenden Fällen an die
Stelle eines ganz oder teilweise wegfallenden Erwerbseinkommens und prägen entscheidend die weitere Lebensgestaltung. Für
Rentenbezieher ist neben dem Rentenbeginn und der Rentendauer die Berechnung der Rentenhöhe von existenziellem Interesse.
Die Rentenberechnung macht zudem den Rückgriff auf teilweise weit in der Vergangenheit liegende Zeiträume des oftmals mehrere
Jahrzehnte umfassenden Versicherungslebens notwendig. Auch diesen Aspekt gilt es bei der Bestimmung der gebotenen Begründungstiefe
zu beachten. Das BSG hat bereits für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden, dass ein Leistungsberechtigter in die Lage versetzt
werden muss, anhand der Begründung des Rentenbescheids die Rentenwertfestsetzung zu verstehen und die der Entscheidung zugrunde
liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu überprüfen (vgl BSG Urteil vom 30.8.2001 - B 4 RA 87/00 R - BSGE 88, 274, 279 = SozR 3-5050 § 22b Nr 1 S 6 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 24.6.1982 - 4 RJ 37/81 - SozR 2200 § 1286 Nr 12).
Die Rentenhöhe wird im Rentenbescheid durch den Monatsbetrag ausgewiesen, der sich nach der sog Rentenformel ergibt (§
64, §
63 Abs
6 SGB VI). Hierzu werden die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (§
66 Abs
1 Satz 1
SGB VI), der Rentenartfaktor (§
67 SGB VI) und der aktuelle Rentenwert (§
68 iVm §
69 Abs
1 SGB VI) mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt. Bei dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert handelt
es sich um normativ vorgegebene Rechengrößen. Der Umfang des regelmäßig über viele Jahre hinweg erworbenen Versicherungsschutzes
wird wesentlich von der Summe der über das gesamte Versicherungsleben hinweg erworbenen Entgeltpunkte bestimmt. Ihre Zusammensetzung
und die ihrer Ermittlung im Einzelnen zugrunde liegende Bewertung der jeweiligen rentenrechtlichen Zeiten ist deshalb unverzichtbarer
Inhalt einer hinreichenden Begründung des Rentenbescheids. Diese Berechnungsgrundlagen müssen für einen Rentenberechtigten
ohne spezielle Kenntnisse im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung nachvollziehbar und überprüfbar sein.
Das Gesetz verlangt allerdings nicht, dass der Rentenversicherungsträger den Rentenbescheid in allen Einzelheiten begründet.
Nach § 35 Abs 1 Satz 2 SGB X genügt es, in der Begründung die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer
Entscheidung bewogen haben, ohne dass ein jedes Detail aufgegriffen werden muss. Es besteht insbesondere keine Pflicht der
Behörde, die Berechnung eines konkreten Betrags in allen Einzelheiten mathematisch im Bescheid vollständig darzulegen (zu
Umlagebescheiden im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung vgl BSG Urteil vom 23.6.2020 - B 2 U 14/18 R - juris RdNr 35 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 26.11.2019 - B 2 U 29/17 R - SozR 4-2700 § 183 Nr 3 RdNr 19). In welcher Weise eine interne Dokumentation der Berechnung und der dazu erforderlichen
Daten zu erfolgen hat, um diese etwa im Streitfall nachvollziehbar zu reproduzieren, kann hier offenbleiben.
Die Anforderungen an die Begründung eines Rentenbescheids sind nicht deshalb geringer, weil ein Versicherter nach Vollendung
des 55. Lebensjahres eine Rentenauskunft erhält (§
109 Abs
1 Satz 2
SGB VI). Zwar können die Anforderungen an die Begründungstiefe einer Verwaltungsentscheidung im Einzelfall niedriger sein, wenn
Gesichtspunkte und Umstände auf der Hand liegen oder dem Betroffenen die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen bereits
bekannt sind (vgl BSG Urteil vom 9.3.1994 - 6 RKa 16/92 - juris RdNr 28; BSG Urteil vom 28.10.1976 - 8 RU 28/76 - SozR 2200 § 773 Nr 1 S 2; BVerwG Urteil vom 9.5.1985 - 2 C 16.83 - juris RdNr 26; BVerwG Urteil vom 15.6.1971 - II C 17.70 - BVerwGE 38, 191, 194 = Buchholz 237.5 § 85 Nr 1 = juris RdNr 32). Der Inhalt von Rentenauskünften, insbesondere zu den in §
109 Abs
4 Nr
1 und
2 SGB VI genannten Daten, ist jedoch auf die im Zeitpunkt der Auskunft maßgebliche Sach- und Gesetzeslage bezogen (vgl auch BSG Urteil vom 30.8.2001 - B 4 RA 114/00 R - SozR 3-2600 § 149 Nr 6 S 17). Nach Erteilung der Rentenauskunft können noch Rechtsänderungen erfolgen, die Auswirkungen
auf die Rentenhöhe haben (§
300 Abs
1 SGB VI). Auch werden die in der Rentenauskunft enthaltenen Ausführungen zu Entgeltpunkten aus beitragsfreien und beitragsgeminderten
Zeiten bei Erlass des Rentenbescheids häufig nicht mehr aktuell sein (vgl §
72 Abs
2, §
109 Abs
4 Nr
2 Halbsatz 2
SGB VI). Die Inhalte früher erteilter Rentenauskünfte vermögen deshalb eine ausreichende Begründung im Rentenbescheid selbst grundsätzlich
nicht zu ersetzen.
bb) Nach diesen Maßstäben ist jedenfalls der Versicherungsverlauf ein essenzieller Bestandteil des Rentenbescheids und für
dessen hinreichende Begründung unverzichtbar. Er enthält eine tabellarische Übersicht über die im Versicherungskonto gespeicherten
Daten, die zur Feststellung und Erbringung von Leistungen erforderlich sind (§
149 Abs
1 Satz 2 iVm Abs
3 SGB VI, vgl dazu BSG Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 5/20 R - BSGE 132, 198 = SozR 4-2400 § 26 Nr 5, RdNr 20 f). Aufgelistet werden in chronologischer Reihenfolge alle Pflichtbeitragszeiten, beitragsfreien
und beitragsgeminderten Zeiten, die ein Versicherter in seinem gesamten Versicherungsleben zurückgelegt hat. Anhand des Versicherungsverlaufs
ist der Rentenberechtigte in der Lage, die ihn betreffenden Daten auch für weit in der Vergangenheit zurückliegende Zeiträume
zu überprüfen und deren Einordnung in seiner Erwerbsbiografie nachzuvollziehen. Neben den konkreten Zeiträumen und der Zuordnung
der Kalendermonate enthält der Versicherungsverlauf für Beitragszeiten (§
70 Abs
1 SGB VI) jeweils die der Beitragszahlung zugrunde liegenden Bemessungsgrundlagen. Auch die Klägerin hat als Anlage zum Rentenbescheid
vom 4.6.2018 einen solchen Versicherungsverlauf erhalten und konnte diese in Tabellenform aufgeführten Angaben auf ihre Vollständigkeit
und Richtigkeit überprüfen.
cc) Darüber hinaus ist im Rentenbescheid die für die Rentenberechnung maßgebliche Bewertung der rentenrechtlichen Zeiten -
wenn schon nicht im Einzelnen, so doch in ihren Grundzügen - zu erläutern. Die Beklagte hat im Bescheid vom 4.6.2018 die von
ihr errechnete Summe aller persönlichen Entgeltpunkte (Ost) unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 0,892 in Höhe von
insgesamt 33,1872 angegeben. Ihre Zusammensetzung und die im Einzelnen zugrunde liegende Bewertung der dabei berücksichtigten
rentenrechtlichen Zeiten lassen sich allein anhand der dem Rentenbescheid ursprünglich nur beigefügten Anlagen "Berechnung
der Rente" und "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte" nicht in allen Punkten ausreichend nachvollziehen und überprüfen.
(1) Noch nachvollziehbar ist die Darstellung der Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten. Hierzu hat die Beklagte
in der Anlage "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte" ausgeführt, das versicherte Entgelt werde verglichen mit dem Durchschnittsentgelt
aller Versicherten im selben Kalenderjahr. Die Beklagte hat zwar die durch Rechtsverordnung bestimmten jährlichen Durchschnittsentgelte
(vgl §
69 Abs
2 SGB VI) im Rentenbescheid weder - wie dies in früheren Bescheiden der Fall war - konkret aufgelistet noch darauf hingewiesen, dass
diese für die einzelnen Kalenderjahre in Anlage 1 des
SGB VI aufgeführt sind. Erst in der im Widerspruchsverfahren übermittelten Anlage "Entgeltpunkte für Beitragszeiten" werden die
versicherten Entgelte der Klägerin jeweils in Verhältnis gesetzt zu den entsprechenden Durchschnittsentgelten der einzelnen
Kalenderjahre. Auch ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, inwiefern der Verzicht auf die Information zu den Durchschnittsentgelten
zu der intendierten besseren Verständlichkeit von Rentenbescheiden beitragen kann. Er macht die Begründung des Bescheids aber
noch nicht defizitär. Die Beklagte hat bereits in der Anlage "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte" die Ermittlung der
Entgeltpunkte für Beitragszeiten anhand von mehreren Beispielen veranschaulicht und damit die von ihr angewandten gesetzlichen
Maßstäbe, nach denen die Beitragsbemessungsgrundlage jeweils durch das Durchschnittsentgelt (Anlage 1 des
SGB VI) für dasselbe Kalenderjahr geteilt wird (§
70 Abs
1 SGB VI), noch ausreichend dargestellt. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die angewandten Gesetzesnormen nicht ausdrücklich
genannt wurden (zum Grundsatz der formellen Publizität von Gesetzen vgl BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 13 R 44/09 R - SozR 4-1200 § 14 Nr 13 RdNr 24 mwN; zur fehlenden Angabe der Rechtsgrundlage für eine Rückforderung vgl auch BVerwG Urteil
vom 13.6.1985 - 2 C 56.82 - BVerwGE 71, 354, 358 = Buchholz 235 § 12 BBesG Nr 8 = juris RdNr 26). Letztlich handelt es sich bei der Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten um einen einfachen
Rechenvorgang. Mit den Informationen aus dem Versicherungsverlauf und den dort vermerkten beitragspflichtigen Entgelten konnte
die Klägerin jedenfalls nach einer Recherche der jährlichen Durchschnittsentgelte in öffentlich zugänglichen Quellen (zB im
Internet auf der im Bescheid angegebenen Seite www.deutsche-rentenversicherung.de) selbst prüfen, ob die Entgeltpunkte aus
Beitragszeiten korrekt berechnet worden sind.
Die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe enthält der Bescheid vom 4.6.2018 im Übrigen auch im Hinblick darauf,
dass die Klägerin Beitragszeiten im Beitrittsgebiet zurückgelegt hat. Nach §
254d Abs
1 Nr
1 SGB VI treten Entgeltpunkte (Ost) an die Stelle der ermittelten Entgeltpunkte für Zeiten mit Beiträgen für eine Beschäftigung oder
selbstständige Tätigkeit im Beitrittsgebiet. Der Rentenbescheid enthält zwar wiederum keinen Hinweis auf die Werte der Anlage
10 zum
SGB VI, mit denen der Verdienst aus einer Beschäftigung im Beitrittsgebiet jeweils zu vervielfältigen ist (vgl §
256a Abs
1 Satz 1
SGB VI). Die dort ausgewiesenen Werte sind jedoch unschwer aus öffentlichen Quellen zu ermitteln. Der in der Anlage "Berechnung
der persönlichen Entgeltpunkte" enthaltene Hinweis, dass die Entgelte aus dem Beitrittsgebiet auf das Westniveau angehoben
wurden, und die Bezugnahme auf den ebenfalls als Anlage beigefügten "Versicherungsverlauf" können daher noch als ausreichend
angesehen werden.
Nicht ausreichend begründet ist der Rentenbescheid im Hinblick auf die der Rentenberechnung zugrunde gelegten Entgeltpunkte
(Ost) für die Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung, die die Klägerin im Zeitraum vom 1.7.1983 bis zum 30.9.1987 im
Beitrittsgebiet zurückgelegt hat (zur Berücksichtigung der Erziehung eines vor dem 1.1.1992 geborenen Kindes im Beitrittsgebiet
s §§
249,
249a SGB VI in der vom 1.7.2014 bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung). In der Anlage "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte" hat
die Beklagte zwar die Höhe der auf die Kindererziehungszeiten insgesamt entfallenden Entgeltpunkte (Ost) ausgewiesen, deren
Berechnungsgrundlagen aber nicht näher beschrieben. Aus dem Hinweis "Für diese Zeiten werden weitere Entgeltpunkte ermittelt"
erschließt sich insbesondere nicht, ob Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten in vollem Umfang, dh in Höhe von 0,0833 Entgeltpunkten
für jeden Kalendermonat, oder bei Überschreiten der Höchstwerte nach Anlage 2b nur teilweise berücksichtigt wurden (§
70 Abs
2 Satz 1 und
2 SGB VI). So lässt sich dem Bescheid vom 4.6.2018 die Bewertung der mit Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung belegten Kalendermonate
nicht entnehmen. Soweit aus dem Versicherungsverlauf hervorgeht, dass einzelne Kalendermonate zusätzlich mit Beitragszeiten
belegt sind, kann von einem Rentenberechtigten nicht nachvollzogen werden, in welchem Umfang Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten
berücksichtigt wurden (zur Verfassungsmäßigkeit der Begrenzung der Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten beim Zusammentreffen
mit Pflichtbeitragszeiten aus Beschäftigung vgl BSG Urteil vom 16.10.2019 - B 13 R 14/18 R - BSGE 129, 192 = SozR 4-2600 § 70 Nr 3).
(2) Hinsichtlich der beitragsfreien Zeiten findet sich im Rentenbescheid keine den Begründungsanforderungen genügende Umschreibung,
nach welchem Entscheidungsprogramm die Beklagte dafür Entgeltpunkte ermittelt hat. Ihre Zusammensetzung und die im Einzelnen
zugrunde liegende Bewertung dieser rentenrechtlichen Zeiten ist aus sich heraus nicht verständlich und deshalb auch nicht
überprüfbar.
Die der Klägerin zusammen mit dem Rentenbescheid vom 4.6.2018 übermittelte Anlage "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte"
enthält für beitragsfreie Zeiten (§
54 Abs
4 SGB VI) lediglich die Summe der Entgeltpunkte (Ost) in Höhe von 4,8604. Dazu findet sich in der Anlage nur der Hinweis, dass beitragsfreie
Zeiten im Versicherungsverlauf mit "Arbeitsausfalltage" und "Zurechnungszeit" bezeichnet und entsprechende Entgeltpunkte "unter
Berücksichtigung des Versicherungslebens ermittelt" werden. Weitere Ausführungen zu den Berechnungsgrundlagen der beitragsfreien
Zeiten enthält der Rentenbescheid nicht. Die in §§
71 ff
SGB VI enthaltenen Regelungen werden nicht dargestellt und die einzelnen Rechenschritte der Gesamtleistungsbewertung (Grundbewertung
oder Vergleichsbewertung) auch nicht in Ansätzen wiedergegeben. Insbesondere fehlt eine Begründung dafür, welche der alternativen
Bewertungsweisen (vgl §
71 Abs
1 Satz 2
SGB VI) aus welchen Gründen der Berechnung letztlich zugrunde gelegt wurde. Beitragsfreie Zeiten können einen nicht unerheblichen
Anteil am Versicherungsleben haben und für die Rentenberechnung von erheblichem Gewicht sein. Dies ist auch bei der Klägerin
der Fall. Ihre Entgeltpunkte (Ost) für beitragsfreie Zeiten machen etwa 13 % aller Entgeltpunkte (Ost) aus. Gerade auch vor
diesem Hintergrund wäre der Rentenbescheid vom 4.6.2018 näher zu begründen gewesen.
(3) Auch hinsichtlich des Zuschlags an Entgeltpunkten für beitragsgeminderte Zeiten (§
54 Abs
3 SGB VI) werden die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe nicht mitgeteilt, die die Beklagte dazu bewogen haben, in der
Anlage "Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte" zusätzliche 1,2495 Entgeltpunkte (Ost) auszuweisen. Dass zusätzliche Entgeltpunkte
ermittelt werden, "weil das versicherte Einkommen in beitragsgeminderten Zeiten bei den meisten Versicherten nur gering ist"
und es sich "zum Beispiel" um Zeiten einer beruflichen Ausbildung oder um Beitragszeiten handeln kann, die mit beitragsfreien
Zeiten zusammentreffen, genügt in dieser pauschalen Form als Begründung nicht. Für die Klägerin war nicht nachvollziehbar,
inwiefern die Beklagte die Regelungen in §
71 Abs
2 Satz 1 und
2 SGB VI umgesetzt hat. Die für Zeiten einer beruflichen Ausbildung im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung zu berücksichtigenden besonderen
Regelungen des §
71 Abs
3 Satz 1 Nr
2 SGB VI erschließen sich aus dem Rentenbescheid ebenfalls nicht.
(4) Es bedarf keiner abschließenden Klärung, ob ein Rentenversicherungsträger zumindest Teile der Begründung zur - zweifellos
äußerst komplexen - Rentenberechnung durch einen Hinweis ersetzen kann, dass er auf Nachfrage weitere Informationen erteilen
werde. Um den Rechtsschutz des Betroffenen nicht zu beeinträchtigen, wären dabei insbesondere auch verfahrensrechtliche Besonderheiten
zu beachten (vgl § 41 Abs 3 iVm § 27 SGB X). Voraussetzung hierfür wäre in jedem Fall, dass der Rentenversicherungsträger konkret angibt, zu welchen einzelnen Punkten
der Rentenberechnung er bei einer entsprechenden Nachfrage des Leistungsbeziehers noch vertiefende Informationen nachreichen
würde. Um die genannten Defizite in der Begründung des Rentenbescheids der Klägerin auszugleichen, genügte jedenfalls nicht
der allgemeine Hinweis, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Auskunfts- und Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung,
der örtlichen Versicherungsämter und die Versichertenältesten stünden für weitere Auskünfte oder Erläuterungen kostenlos zur
Verfügung. Auch der generelle Verweis auf "weitere Informationen" im Internet unter www.deutsche-rentenversicherung.de ist
nicht geeignet, fehlende Begründungen im Rentenbescheid zu ersetzen. Die hinreichende Begründung des Rentenbescheids ist eine
Pflicht des Versicherungsträgers; der Rentenberechtigte ist nicht gehalten, sich diese selbst zu erfragen.
Geringere Anforderungen an die Begründungstiefe folgen auch nicht daraus, dass es sich bei der Rentenberechnung anhand der
im Versicherungsverlauf gespeicherten Daten in der Regel um einen automatisierten Vorgang handelt. Zwar wird für den Rechenvorgang
selbst bei fachlich ordnungsgemäßer Programmierung regelmäßig eine geringe Fehleranfälligkeit anzunehmen sein. Dies ändert
aber nichts daran, dass die einzelnen Berechnungselemente, dh die Entgeltpunkte, ihre Zusammensetzung und die im Einzelnen
zugrunde liegende Bewertung der rentenrechtlichen Zeiten für den Betroffenen ohne unverhältnismäßigen Aufwand nachvollziehbar
und überprüfbar sein müssen.
Schließlich vermag auch die Intention der Beklagten, Rentenbescheide leichter verständlich zu gestalten, den reduzierten Begründungsumfang
im Bescheid vom 4.6.2018 nicht vollumfänglich zu rechtfertigen. Auch wenn die Berechnung von Entgeltpunkten für beitragsfreie
und beitragsgeminderte Zeiten zweifellos kompliziert und insbesondere ohne rentenrechtliche Kenntnisse kaum nachvollziehbar
sein mag, lassen sich daraus keine geringeren Anforderungen an die Begründung eines Rentenbescheids ableiten. Im Interesse
der Leistungsberechtigten erfordert die enorme Komplexität der Rentenberechnung umso mehr eine verständliche Begründung. Nur
der umgekehrte Fall, in dem ein Bescheid an einen sachkundigen Personenkreis ergeht, könnte bei Annahme entsprechender Vorkenntnisse
reduzierte Anforderungen an die Begründung rechtfertigen (zu Honorarbescheiden im Vertragsarztrecht vgl BSG Urteil vom 27.6.2012 - B 6 KA 37/11 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 71 RdNr 17 und BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 20).
b) Mit Übersendung der Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten" und "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte
Zeiten" ist der Formfehler nach § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X geheilt worden. Die erforderliche Begründung der Berechnungsgrundlagen wurde damit nachträglich gegeben. Diese Anlagen enthalten
eine umfassende Berechnung der Entgeltpunkte für die unterschiedlichen rentenrechtlichen Zeiten. Sie sind aus sich heraus
nachvollziehbar und überprüfbar.
c) Der Widerspruch ist iS von § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X nicht "nur deshalb" ohne Erfolg geblieben, weil der Fehler nach § 41 SGB X geheilt wurde. Die Klägerin hätte die Aufhebung des Verwaltungsakts auch aus einem anderen Grund nicht beanspruchen können,
weil offensichtlich ist, dass der Begründungsfehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (vgl § 42 Satz 1 SGB X).
Die Heilung des Verfahrensfehlers nach § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X war nicht der einzige Grund für die Erfolglosigkeit des Widerspruchs gegen den Rentenbescheid vom 4.6.2018. Der Widerspruch
wäre auch unabhängig von der Nachholung der Begründung erfolglos gewesen. Insofern fehlt es an der von § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X geforderten Kausalität. Dabei findet § 42 SGB X auch Berücksichtigung, wenn ein Begründungsfehler nach § 41 SGB X geheilt worden ist (anders etwa Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 42 RdNr 10). Dafür spricht nicht zuletzt die in § 42 Satz 2 SGB X normierte Ausnahme, die nur den Anhörungsmangel von der Regelung des Satzes 1 ausnimmt.
Einen Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente hätte die Klägerin aus dem Begründungsfehler nicht herleiten können. Nach
§ 42 Satz 1 SGB X kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung
von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist,
dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Diese Bestimmung ist hier anwendbar, weil nach der
Systematik des Gesetzes auch das Fehlen einer erforderlichen Begründung zu den Verfahrens- und Formfehlern iS des § 42 Satz 1 SGB X zählt (vgl BSG Urteil vom 3.12.1997 - 6 RKa 21/97 - BSGE 81, 213, 215 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23 S 149 f unter Hinweis auf BSG Urteil vom 17.4.1991 - 1 RR 2/89 - BSGE 68, 228, 231 = SozR 3-2200 § 248 Nr 1 S 4 f).
Dass ein etwaiger Begründungsmangel des Rentenbescheids vom 4.6.2018 die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat,
ist offensichtlich. Bloße Begründungsmängel oder Begründungsfehler wirken sich bei gebundenen Verwaltungsakten auf die Rechtmäßigkeit
der Regelung selbst nicht aus und rechtfertigen grundsätzlich nicht deren Aufhebung (vgl BSG Urteil vom 11.9.2019 - B 6 KA 13/18 R - SozR 4-7610 § 812 Nr 9 RdNr 23; BSG Urteil vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R - SozR 4-4200 § 60 Nr 3 RdNr 13 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 11 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9 S 29 mwN; BSG Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 35). So verhält es sich auch bei den gebundenen Entscheidungen über eine Rentengewährung.
Die Regelung des § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X wird bei diesem Verständnis entgegen der Auffassung des LSG auch nicht weitestgehend ausgehöhlt. Ihr Anwendungsbereich wird
dadurch nicht wegen § 42 Satz 2 SGB X nur auf die Heilung von Anhörungsfehlern begrenzt. Kostenerstattungsansprüche aus § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X können darüber hinaus noch in all denjenigen Fällen entstehen, in denen der Behörde ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum
zusteht. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 42 Satz 1 SGB X sind dann regelmäßig nicht erfüllt, weil sich zumeist nicht sicher ausschließen lässt, dass der formelle Fehler sich auf
das Entscheidungsergebnis ausgewirkt hat (vgl etwa BSG Urteil vom 6.5.2009 - B 6 KA 7/08 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 9 RdNr 30 f; BSG Urteil vom 13.5.2020 - B 6 KA 25/19 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 63 RdNr 28).
d) Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch folgt schließlich auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X.
Für eine Analogie ist eine planwidrige Regelungslücke nicht bereits dann gegeben, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt
oder eine gesetzliche Regelung aus sozial- oder rechtspolitischen Erwägungen als unbefriedigend empfunden wird (vgl BSG Urteil vom 18.9.2012 - B 2 U 11/11 R - BSGE 112, 43 = SozR 4-2700 § 90 Nr 2, RdNr 38 mwN und zur gesetzlichen Rentenversicherung BSG Urteil vom 1.6.2017 - B 5 R 2/16 R - BSGE 123, 205 = SozR 4-2600 § 48 Nr 6, RdNr 25). Eine Lücke liegt vielmehr nur dort vor, wo das Gesetz eine Regelung weder ausdrücklich
noch konkludent getroffen hat und es deshalb nach dem zugrunde liegenden Konzept, dem "Gesetzesplan", unvollständig und damit
ergänzungsbedürftig ist (stRspr; BSG aaO mwN). Dafür bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte. Soweit in der Literatur eine entsprechende Anwendung auf die Fälle
des § 42 SGB X mit der Begründung vertreten wird, dem Widerspruchsführer könne es nicht angelastet werden, wenn sein Widerspruch durch Verfahrens-
oder Formverletzung herausgefordert wurde (vgl Roos/Blüggel in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 63 RdNr 27), lässt sich ein solches "Verschuldens- und Veranlassungsprinzip" den Regelungen des § 63 SGB X nicht entnehmen. Im Gegensatz zu §
193 SGG kommt es für den Eintritt der Kostenbelastung der Verwaltung für ein Widerspruchsverfahren ausschließlich auf den Erfolg
des Widerspruchs an. Dieser in § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X normierte Regelfall wird gemäß § 63 Abs 1 Satz 2 SGB X nur für den Fall der Erfolglosigkeit wegen der Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 41 SGB X durchbrochen (vgl BSG Urteil vom 19.6.2012 - B 4 AS 142/11 R - juris RdNr 19). Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Regelung kommt nicht in Betracht (vgl auch Becker in Hauck/Noftz,
SGB X, § 63 RdNr 38, Stand April 2020; Mutschler in Kasseler Komm, § 63 SGB X RdNr 9a, Stand September 2019 und zum Fall einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung vgl BSG Urteil vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 § 193 Nr 6 RdNr 33 ff).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
183 Satz 1 iVm §
193 Abs
1 und 4
SGG.