Gewährung einer Regelaltersrente
Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen
Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin begehrt im zugrunde liegenden Rechtsstreit die Gewährung einer Regelaltersrente.
Die am 1.7.1946 geborene Klägerin war vom 12.9.1966 bis zum 19.5.1978 in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Seitdem
hat sie ihren Wohnsitz wieder in der Türkei. Die Versicherungsbeiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung wurden
ihr erstattet (Bescheid vom 1.9.1978).
Auf Antrag der Klägerin stellte die Beklagte die Zeit vom 1.10.1968 bis zum 28.2.1969 als Kindererziehungszeit für den Sohn
C1 und die Zeit vom 1.8.1970 bis zum 31.1.1972 als Kindererziehungszeit für den Sohn F (Name inzwischen geändert zu: C2) fest
(Bescheid vom 11.2.2020). Die Zeit vom 1.3.1969 bis zum 31.3.1970 sei nicht als Kindererziehungszeit vorzumerken, weil nach dem Ergebnis der angestellten
Ermittlungen, ua einer Auskunft der Klägerin, C1 in dieser Zeit im Ausland erzogen worden sei, während die Klägerin sich weiterhin
in Deutschland aufgehalten habe.
Bereits mit Schreiben vom 24.10.2019 hatte die Klägerin Regelaltersrente beantragt und vorgebracht, sie habe beide Söhne über
fünf Jahre in Deutschland erzogen. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag wegen Nichterfüllung der allgemeinen Wartezeit ab
(Bescheid vom 21.2.2020; Widerspruchsbescheid vom 27.1.2021). Die dagegen erhobene Klage hat das SG abgewiesen (Urteil vom 11.8.2021). In dem von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren hat das LSG mit Schreiben vom 4.11.2021 auf die Absicht hingewiesen,
die Berufung nach §
153 Abs
4 SGG als unbegründet zurückzuweisen. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 17.12.2021 einen Rechtsbehelf gegen das Anhörungsschreiben
eingelegt, der vom Senat verworfen worden ist (Beschluss vom 9.6.2022 - B 5 R 8/22 AR). Die Berufung der Klägerin hat das LSG mit Beschluss vom 16.12.2021 zurückgewiesen. Die Klägerin könne die allgemeine Wartezeit
von fünf Jahren (60 Monate) nur aufgrund der Kindererziehungszeiten erfüllen, die als Beitragszeiten gelten würden. Es seien
jedoch lediglich 47 Monate an Kindererziehungszeiten anerkannt. Aus dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen ergebe
sich nichts Abweichendes, weil die Klägerin keine Beitragszeiten in der türkischen Rentenversicherung zurückgelegt habe.
Die Berufungsentscheidung ist der Klägerin spätestens am 20.1.2022 zugestellt worden. Gegen die Nichtzulassung der Revision
in dieser Entscheidung hat sie mit Schreiben vom 20.1.2022 sinngemäß Beschwerde zum BSG eingelegt. Zudem hat sie mit Schreiben vom 7.3.2022 Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Eine Erklärung zu den persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnissen hat sie vorgelegt.
II
1. Der PKH-Antrag der Klägerin ist abzulehnen. Nach §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1
ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für ein Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet. Die von der Klägerin angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde hat keine solchen Erfolgssausichten. Die Revision
darf gemäß §
160 Abs
2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Prüfung des Streitstoffs
anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin nicht ersichtlich, dass
ein vor dem BSG zugelassener Bevollmächtigter (§
73 Abs
4 SGG) das Vorliegen eines Zulassungsgrunds erfolgreich geltend machen könnte.
a) Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) erfolgreich geltend gemacht werden könnte. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage
aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Derartige Rechtsfragen sind nicht erkennbar. Es ergibt sich aus dem Gesetz,
dass ein Anspruch auf Regelaltersrente die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren voraussetzt (§
35 Satz 1 Nr
2 iVm §
50 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB VI) und dass hierauf die Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet werden (§
51 Abs
1 SGB VI). Hierzu zählen die Monate mit den als Pflichtbeitragszeiten ausgestalteten Kindererziehungszeiten (vgl § 55 Abs 1 Satz 1 iVm §§
56 Abs
1 Satz 1,
2 Nr
1,
177 Abs
1 SGB VI). Dem Gesetz lässt sich auch entnehmen, dass die Anrechnung einer Kindererziehungszeit für einen Elternteil voraussetzt, dass
die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht (§
56 Abs
1 Satz 2 Nr
2 SGB VI). Im Zusammenhang mit der hier allein in Betracht kommenden Erziehung im Inland ist anerkannt, dass der Elternteil, der die
Anrechnung der Erziehungszeit begehrt, und das Kind sich während des fraglichen Zeitraums beide im Inland aufgehalten haben
müssen (vgl zB Fichte in Hauck/Noftz,
SGB VI, K §
56 RdNr 52, Stand der Einzelkommentierung V/19). Dieses Erfordernis wird auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt, die lediglich geltend macht, sie habe beide Kinder
in Deutschland erzogen. Die darin liegende Rüge, die angegriffene Entscheidung sei inhaltlich unrichtig, vermöchte eine Revisionszulassung
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache von vorneherein nicht zu begründen (vgl zB BSG Beschluss vom 4.3.2021 - B 5 R 308/20 B - juris RdNr 7).
b) Ebenso wenig ist nach der Aktenlage zu erkennen, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) vorliegt. Die angefochtene Entscheidung des LSG ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen.
c) Schließlich weist in den vorliegenden Akten nichts auf das Vorliegen eines entscheidungserheblichen Verfahrensmangels hin,
der gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Indem das LSG im Beschlusswege über die Berufung der Klägerin entschieden hat,
hat es von einer in §
153 Abs
4 Satz 1
SGG gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es spricht nichts dafür, dass eine solche Verfahrensweise hier ermessensfehlerhaft
gewesen sein könnte. Das LSG hat die Klägerin auch mit gerichtlichem Schreiben vom 4.11.2021 nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG zu der beabsichtigten Verfahrensweise angehört und sie auf die beabsichtigte Berufungszurückweisung hingewiesen. Zwar ist
die der Klägerin darin gesetzte Frist zur Äußerung bis zum 15.12.2021, was sechs Wochen ab Fertigung des Anhörungsschreibens
entsprochen hat, in diesem Einzelfall möglicherweise zu kurz gewesen. Ausweislich der Mitteilung der Deutschen Post ist das
Anhörungsschreiben erst am 3.12.2021 am Wohnort der Klägerin in der Türkei zugestellt worden. Dieser sind daher weniger als
zwei Wochen zur Abgabe einer Äußerung verblieben (vgl dazu, dass die Äußerungsfrist in der Regel zwei Wochen zuzüglich der Postlaufzeiten nicht unterschreiten darf, wenn das
Berufungsgericht wie hier im Anhörungsschreiben ein bestimmtes Datum vorgibt, BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 15). Gleichwohl ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin die erstrebte Revisionszulassung auf die darin möglicherweise liegende
Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör (§
62 Halbsatz 1
SGG; Art
103 Abs
1 GG) stützen könnte.
Eine nicht in jeder Hinsicht ordnungsgemäß durchgeführte Anhörung nach §
153 Abs
4 Satz 2
SGG stellt eine Gehörsverletzung dar, deren Kausalität für die angegriffene Entscheidung allerdings nicht zu unterstellen ist
(vgl zuletzt BSG Beschluss vom 9.4.2021 - B 13 R 276/20 B - juris RdNr 8 mwN). Eine unvollkommen formulierte Anhörungsmitteilung lässt die in §
153 Abs
4 Satz 1
SGG festgelegten Voraussetzungen für die Befugnis des Berufungsgerichts, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, nicht zwangsläufig
entfallen. Davon kann nur dann die Rede sein, wenn der Fehler den Betroffenen an Vorbringen gehindert hat, welches das Berufungsgericht
hätte veranlassen müssen, von einem Beschluss nach §
153 Abs
4 SGG Abstand zu nehmen (vgl BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 386/07 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 7 RdNr 19; BSG Beschluss vom 18.7.2019 - B 13 R 259/17 B - juris RdNr 14). Weder der Akteninhalt noch das Vorbringen der Klägerin vor dem BSG bieten Anhaltspunkte für Vortrag, der die Vorgehensweise oder die Entscheidung des LSG hätte in Frage stellen können. Insbesondere
wäre es kein neuer oder vertiefter Vortrag gewesen, wenn die Klägerin geltend gemacht hätte, ihre Söhne insgesamt fünf Jahre
in Deutschland erzogen zu haben. Dies hat sie seit der Stellung ihres Rentenantrags durchgehend vorgebracht. Auch in ihrem
Schreiben vom 17.12.2021, mit dem sie gegenüber dem LSG "Widerspruch" gegen die Anhörungsmitteilung eingelegt hat, hat sie
dies lediglich wiederholt.
2. Die von der Klägerin bereits selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG vom
16.12.2021 ist unzulässig. Sie ist daher durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG). Die Beschwerde entspricht schon nicht der gesetzlich geforderten Form, weil sie nicht von einem vor dem BSG zugelassenen Bevollmächtigten (§
73 Abs
2 iVm Abs
4 Satz 1
SGG) eingereicht worden ist.
3. Die auf die Beschwerde bezogene Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von §
193 Abs
1 und 4
SGG.