Anspruch rumänischer Staatsangehöriger auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Leistungsausschluss für Ausländer
Auswirkungen eines Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt auf die Leistungsansprüche
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um existenzsichernde Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts,
wobei namentlich streitig ist, wie sich die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach dem Gesetz
über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – Freizügigkeitsgesetz/EU – (FreizügG/EU) durch den beigeladenen Landkreis als Ausländerbehörde auf die Leistungsansprüche der Antragstellerin und des Antragstellers
auswirkt.
Die 1979 geborene Antragstellerin zu 2. und ihr 2000 geborener Sohn, der Antragsteller zu 1., sind rumänische Staatsangehörige.
Die Antragsteller leben seit mindestens 2014 (Antragstellerin zu 2.) beziehungsweise 2015 (Antragsteller zu 1.) in Deutschland
und waren im Landkreis C-Stadt gemeldet. Die Antragstellerin zu 2. arbeitete zuletzt bis 30. April 2020 als Reinigungskraft.
Die Antragsteller erhielten – zunächst in Bedarfsgemeinschaft mit weiteren Angehörigen – seit 2016 Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von der Antragsgegnerin. Zuletzt bewilligte diese den Antragstellern durch Bescheid vom 15. Oktober 2021 Leistungen für
die Zeit vom 1. Oktober 2021 bis 31. März 2022, und zwar – unter Einschluss erheblicher Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
für die früher mit den weiteren Angehörigen, nunmehr nur noch zu zweit bewohnte Unterkunft – in Höhe von insgesamt monatlich
1.778,30 Euro für Oktober bis Dezember 2021 und 1.784,30 Euro für Januar bis März 2022. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl.
191 ff. der elektronisch übersandten Leistungsakte der Antragsgegnerin, Aktenteil „bg2.pdf“ (im Folgenden: eLA), Bezug genommen.
Durch zwei Bescheide vom 16. Februar 2022 stellte der Beigeladene als Ausländerbehörde gegenüber der Antragstellerin einerseits
und dem Antragsteller andererseits das Nichtbestehen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt fest. Beide seien verpflichtet,
die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Für den Fall, dass der Ausreiseverpflichtung nicht binnen einer Frist von drei
Monaten nach Bestandskraft der jeweiligen Verfügung entsprochen werde, drohte er die Abschiebung an. Auf eLA Bl. 222 ff. und
Bl. 227 ff. wird Bezug genommen. Gegen diese Bescheide erhoben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht, über die noch
nicht entschieden ist.
Nachdem der Beigeladene die Antragsgegnerin über die Verlustfeststellung informiert hatte, hob diese mit einem an die Antragstellerin
zu 2. gerichteten Bescheid vom 23. Februar 2022 den Bewilligungsbescheid vom 15. Oktober 2021 für beide Antragsteller mit
Wirkung ab 1. März 2022 auf. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. a SGB II seien Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht hätten, von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch ausgenommen. Auf Grund der Verlustfeststellungsverfügung vom 16. Februar 2022 seien die Antragsteller daher nicht mehr leistungsberechtigt.
Wegen der Einzelheiten wird auf eLA Bl. 210 f. verwiesen.
Bereits zuvor hatten die Antragsteller am 21. Februar 2022 einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 1. April 2022 gestellt.
Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin durch einen weiteren Bescheid, ebenfalls vom 23. Februar 2022 und ebenfalls unter
Verweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. a SGB II, ab. Insoweit wird auf eLA Bl. 243 f. Bezug genommen.
Gegen beide Bescheide legten die Antragsteller am 10. März 2022 Widerspruch ein, der, soweit ersichtlich, noch nicht beschieden
ist.
Am 17. März 2022 haben die Antragsteller zudem um einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Darmstadt nachgesucht. Zur
Begründung machten sie neben einer fehlenden Anhörung namentlich geltend, dass sie sich seit mehr als fünf Jahren in Deutschland
aufhielten. Die Verlustfeststellung sei nicht bestandskräftig geworden. Gegen diese sei Klage erhoben worden.
Das Sozialgericht hat den Antrag durch den angegriffenen Beschluss vom 30. März 2022 abgelehnt. Die Antragsteller wollten
den Vollzug des Aufhebungsbescheides der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2022 verhindern und darüber hinaus ab dem 1. April
2022 weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch erhalten.
Nach § 39 Nr. 1 SGB II hätten Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Aufhebungsbescheid vom 23. Februar 2022 keine aufschiebende Wirkung. Daher
könne vorliegend vorläufiger Rechtsschutz grundsätzlich zulässigerweise nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) erfolgen. Ein solcher Antrag sei begründet, wenn eine Interessenabwägung ergebe, dass dem privaten Interesse des Antragstellers
an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem (durch die Antragsgegnerin vertretenen) Interesse der Allgemeinheit
an der sofortigen Vollziehung der Vorrang zu geben sei. Dabei sei zu beachten, dass der Gesetzgeber grundsätzlich die sofortige
Vollziehung angeordnet habe (§ 39 Nr. 1 SGB II). Davon abzuweichen bestehe nur Anlass, wenn im Einzelfall gewichtige Argumente für eine Umkehr des gesetzgeberisch angenommenen
Regelfalls sprächen, d.h. besondere Umstände vorlägen, die ausnahmsweise das Privatinteresse des vom Verwaltungsakt Belasteten
in den Vordergrund treten ließen. Ein wesentliches Kriterium bei der Interessenabwägung sei die nach vorläufiger Prüfung der
Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Seien die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar,
d.h. sei der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so sei jedenfalls in Fällen, in denen, wie vorliegend, existenzsichernde
Leistungen in Frage stünden und damit die Wahrung der Würde des Menschen berührt werde, eine Folgenabwägung vorzunehmen, die
auch Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehe.
Unter Anwendung dieser Grundsätze sei das Eilrechtsschutzgesuch der Antragsteller abzulehnen. Es bestünden keine durchgreifenden
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2022. Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei
§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit §
330 Abs.
3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (
SGB III) und § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Im vorliegenden Fall sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse dadurch eingetreten, dass für die Antragsteller durch
die Verfügung der Ausländerbehörde vom 16. Februar 2022 das Nichtbestehen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt worden sei. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II erhielten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens
fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hätten; dies gelte jedoch nicht, wenn der Verlust des Rechts nach
§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt worden sei. Die Antragsteller könnten sich daher nicht mehr auf ein verfestigtes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik
Deutschland berufen.
Dabei sei ausreichend, dass der Verlust der Freizügigkeit wirksam festgestellt worden sei, auf die Bestandskraft der Entscheidung
komme es dagegen nicht an. Das LSG Niedersachsen-Bremen führe hierzu in seinem Beschluss vom 26. Mai 2017 – L 15 AS 62/17 B ER – aus, dass unabhängig von der Frage der Durchsetzbarkeit, die davon abhänge, ob Rechtsmittel eingelegt worden sei (§
7 Abs. 1 Satz 4 FreizügG/EU), bereits die bloße Verlustfeststellung eine Ausreisepflicht begründe (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25.
November 2016 – L 11 AS 567/16 B –; Geyer, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 3; Brinkmann in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 5; vgl. auch Kurzidem in: Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 2016, § 7 FreizügG/EU Rn. 2). Dies entspreche dem Willen des Gesetzgebers. Nach der durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 erfolgten Änderung des § 7 FreizügG/EU entstehe die Ausreispflicht nicht mehr erst dann, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt habe, dass das Recht
auf Einreise und Aufenthalt nicht bestehe, sondern grundsätzlich bereits mit der bloßen Feststellung des Verlustes (BT-Drucks.
16/5065 S. 211). Somit wirke auch schon die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeitsberechtigung einer Verfestigung des
Aufenthaltsrechtes entgegen beziehungsweise der Aufenthalt könne nicht mehr als verfestigt im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II angesehen werden (so auch BT-Drucks. 18/10211 S. 14: „Sollte die Ausländerbehörde allerdings feststellen, dass ein Freizügigkeitsrecht
nach § 2 Absatz 1 FreizügG/EU nicht (mehr) besteht, ist der Aufenthalt nicht mehr verfestigt.“). Infolge der ausländerbehördlichen Verlustfeststellung
vom 16. Februar 2022 – gegen die Klage erhoben worden sei – unterfielen die Antragsteller der Ausschlussreglung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Denn ein durch Klageerhebung nach §
80 Abs.
1 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) eingetretener Suspensiveffekt beseitige nicht die Wirksamkeit der Ordnungsverfügung und damit das Bestehen der Ausreisepflicht
der Antragsteller (vgl. Dienelt, in: Bergmann/ders., FreizügG/EU, 12. Aufl. 2018, § 7 Rn. 18). Dem Suspensiveffekt komme lediglich Vollzugs- und keine Wirksamkeitshemmung zu. Die rechtsgestaltende Wirkung der
Verlustfeststellung auf die nationale Rechtsposition, die durch die Freizügigkeitsvermutung hervorgerufen werde, beende den
rechtmäßigen Aufenthalt. Während des Zeitraums bis zur Entscheidung durch das Gericht sei der Aufenthalt ausschließlich geduldet
und entspreche damit der Rechtsstellung eines ausgewiesenen Ausländers nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – (Dienelt, ebd.).
Dementsprechend könnten sich die Antragsteller nicht mehr auf ein Aufenthaltsrecht im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II berufen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2018 – L 19 AS 1434/18 B ER –, juris, Rn. 20). Eine Überprüfung oder gegebenenfalls Nichtbeachtung aufenthaltsrechtlicher Statusentscheidungen durch
die Leistungsträger habe nicht zu erfolgen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2018 – L 19 AS 1434/18 B ER –, juris, Rn. 22 unter Berufung auf BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 8/13 R –, juris, Rn. 12, so auch SG Darmstadt, Beschluss vom 17. Januar 2019 – S 20 AS 1075/18 ER –). Da bereits die förmliche ausländerrechtliche Verlustfeststellung die Freizügigkeitsvermutung entfallen lasse, komme
es auf den Ausgang der beim Verwaltungsgericht Darmstadt anhängigen Klage der Antragsteller und eines etwaigen Eilverfahrens
letztendlich nicht an. Habe die zuständige Ausländerbehörde eine Verlustfeststellung erlassen und sei diese wirksam (durch
Zugang beim Betroffenen), sei den Sozialleistungsträgern wie auch den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine eigenständige
Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage verwehrt. Denn den Verwaltungsakten der Ausländerbehörden über die Feststellung
des Bestehens wie des Verlusts der Freizügigkeitsberechtigung und über die Feststellung der Ausreisepflicht verbunden mit
einer Abschiebungsandrohung komme Tatbestandswirkung zu, so dass diese ohne Rücksicht auf die materielle Richtigkeit bindende
Wirkung entfalteten. Dies gelte jedenfalls auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155), in dessen Satz 4 nun ausdrücklich hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthalts und der Leistungsberechtigung auf den bloßen
Erlass einer Verlustfeststellung abgestellt werde (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2018 – L 19 AS 1434/18 B ER –, juris, Rn. 21).
Soweit die Antragsteller geltend machten, vor Erlass des Aufhebungsbescheides vom 23. Februar 2022 nicht angehört worden zu
sein, vermöge auch dies keinen Erfolg des Eilrechtsschutzgesuches zu begründen. Nach § 24 Abs. 2 SGB X bestünden verschiedene Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen eine vorherige Anhörung des Betroffenen nicht erforderlich
sei. Im vorliegenden Fall komme insoweit § 24 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 SGB X in Betracht. Danach könne von der Anhörung abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung (wegen Gefahr im Verzug oder)
im öffentlichen Interesse notwendig erscheine. Bei einer Fortzahlung der Leistungen – trotz Verlust des Freizügigkeitsrechts
– würde eine Überzahlung drohen, die wiederum einen Erstattungsanspruch gegen die Antragsteller auslösen würde, so dass eine
sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse notwendig erscheine. Zudem bestehe gemäß § 41 Abs. 1 SGB X auch die Möglichkeit der Heilung von Verfahrensfehlern; dies könne bei unterlassener Anhörung insbesondere dadurch geschehen,
dass ein Beteiligter im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit zur Äußerung erhalte. Eine Nachholung durch die Antragsgegnerin
wäre also noch möglich. Die Antragsteller hätten zudem im Rahmen des Eilverfahrens ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gehabt.
Da es sich im vorliegenden Fall gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit §
330 Abs.
3 Satz 1
SGB III und § 48 SGB X um eine gebundene Entscheidung handele, seien auch keine Ermessenserwägungen der Behörde anzustellen gewesen.
Die gleichen Erwägungen, die eine Aufhebung der bereits bewilligten Leistungen ab dem 1. März 2022 begründeten, stünden auch
einer Weiterbewilligung der Leistungen ab dem 1. April 2022 entgegen. Aufgrund des Verlustes der Freizügigkeit hätten die
Antragsteller keinen Anspruch auf Fortzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Insoweit komme auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 SGG nicht in Betracht.
Der SGB-XII-Leistungsträger sei im vorliegenden Verfahren nicht beizuladen, weil es den Antragstellern ersichtlich darum gegangen sei,
die entzogenen SGB II-Leistungen wieder in Kraft zu setzen und auch weiter zu erhalten (siehe Formulierung des Antrags im Schreiben vom 17. März
2022 und dessen Begründung). Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) hätten die Antragsteller nicht beantragt. Der Eilantrag vom 17. März 2022 sei auf eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Rechtsbehelfs gerichtet gewesen. Sofern die Antragsteller für die Zukunft (ab 1. April 2022) Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch
Zwölftes Buch geltend machen wollten, könne ein entsprechender Antrag bei dem zuständigen Leistungsträger noch gestellt werden.
Auch die Gewährung von Überbrückungsleistungen sei nicht Gegenstand des vorliegenden Eilrechtsgesuchs.
Die Antragsteller haben mit Eingang beim Sozialgericht am 7. April 2022 Beschwerde eingelegt, mit der sie ihre Begehren weiterverfolgen,
hilfsweise Sozialhilfeleistungen und Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz geltend machen. Auf Anfrage des Berichterstatters haben sie mitgeteilt, es treffe zu, dass es nur um Leistungen dem Grunde
nach gehe. Zur Begründung wiederholen sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Es treffe nicht zu, dass eine Beiladung
und Verpflichtung des Sozialhilfeträgers und des Trägers der Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz vorliegend nicht (mehr) möglich sei.
Sie beantragen,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. März 2020
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2022 anzuordnen
und
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch in gesetzlicher Höhe auch für die Zeit ab 1. April 2022 und für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum zu
gewähren;
hilfsweise,
den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen vorläufig Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 SGB XII, hilfsweise Leistungen nach §
2 Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG), in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angegriffenen Beschluss und ihre Bescheide.
Der durch Beschluss des Senats vom 27. April 2022 beigeladene Landkreis beantragt,
die gegen ihn gerichteten (Hilfs-)Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz abzulehnen.
Er hält seine Beiladung und gar eine mögliche Verpflichtung im vorliegenden Verfahren und insbesondere (erst) im Beschwerdeverfahren
für nicht zulässig. Die anwaltlich vertretenen Antragsteller hätten erstinstanzlich ihre Anträge bewusst auf die „große“ Existenzsicherung
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beschränkt. Dies könne nunmehr in zweiter Instanz nicht mehr korrigiert werden; das „hier objektiv gegebene anwaltlich gesteuerte
‚Erschummeln von Vorfahrt über gesperrte Straßen‘“ sei nicht zu dulden.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der – in elektronischer Form
übersandten – Leistungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragsteller ist zulässig und begründet. Für den Leistungszeitraum bis 31. März 2022 ist die aufschiebende
Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Februar 2022 anzuordnen; für den Leistungszeitraum
ab 1. April 2022 ist eine Regelungsanordnung zu erlassen.
1. Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass für die Leistungszeit bis 31. März 2022 ein Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG statthaft ist: Da im Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid die Antragsgegnerin
zur fortdauernder Erbringung der durch Bescheid vom 15. Oktober 2021 bis 31. März 2022 bewilligten Leistungen verpflichtet
bleibt, können die Antragsteller für diesen Zeitraum ihr Rechtsschutzziel, die (Weiter-)Gewährung der laufenden Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts, auf diesem, im Verhältnis zum Erlass einer einstweiligen Anordnung vorrangigen Weg erreichen.
Für die Leistungszeit ab 1. April 2022 ist dagegen, wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, ein Antrag
auf Erlass einer Regelungsanordnung im Sinne von §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG notwendig und daher statthaft, da die Antragsteller insoweit – in Ermangelung einer vorgängigen Leistungsbewilligung durch
die Antragsgegnerin – ein Leistungsbegehren verfolgen.
Die von den Antragstellern entsprechend formulierten Anträge erweisen sich somit ohne Weiteres als statthaft. Ergänzend wird
auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.
Da die Antragsteller bereits mit ihrem Hauptantrag Erfolg haben, muss der Senat der Frage, ob die von Seiten des beigeladenen
Landkreises erhobenen Bedenken gegenüber der Zulässigkeit der zweitinstanzlich formulierten Hilfsanträge durchgreifen, nicht
nachgehen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass der Senat in Fällen wie dem hiesigen regelmäßig die Beiladung des Sozialhilfeträgers
von Amts wegen für notwendig erachtet, wenn nicht ausdrücklich auf die Geltendmachung von Sozialhilfeleistungen verzichtet
wird, so dass von einem „Erschummeln von Vorfahrt“ kaum die Rede sein kann. In Anbetracht der vom Beigeladenen gewählten Formulierungen
sieht sich der Senat im Übrigen zu dem Hinweis veranlasst, dass für den Beigeladenen jedenfalls als Träger der Sozialhilfe
(ebenso wie für den Antragsgegner) der Verwirklichungsgrundsatz (§ 2 Abs. 2 Halbs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner
Teil – [SGB I]) gilt und er daher – von sich aus – auf eine möglichst weitgehende Verwirklichung der sozialen Rechte hinzuwirken
hat: Zu den in diesen Zusammenhang vorgesehenen Instrumenten gehört unter anderem die Beiladung, aber auch die Pflicht zur
Weiterleitung von Anträgen nach §
16 Abs.
2 Satz 1
SGB I im Falle der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers (hier: für die Erbringung existenzsichernder Leistungen) und eine
gegebenenfalls dadurch ausgelöste Leistungspflicht ab dem Zeitpunkt des Antragseingangs bei dem zuerst mit der Angelegenheit
befassten Träger.
2. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §
143, §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt (§
173 Satz 1 Halbs. 1, §
65a Abs.
1, Abs.
4 Nr.
2, §
65d Satz 1
SGG).
3. Die Beschwerde ist schließlich auch begründet.
a) Hinsichtlich des Leistungszeitraums bis 31. März 2022 ist die aufschiebende Wirkung des von den Antragstellern gegen den
Aufhebungsbescheid vom 23. Februar 2022 gerichteten Widerspruchs anzuordnen.
aa) Wegen des Maßstabs für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf der Grundlage von §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des Sozialgerichts, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt.
bb) Anders als das Sozialgericht ist der Senat allerdings im Ergebnis der Auffassung, dass jedenfalls auf Grund einer Folgenabwägung
zu Gunsten der Antragsteller zu entscheiden ist.
(1.) Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides bestehen erhebliche Bedenken. Jedenfalls muss der Ausgang des
Hauptsacheverfahrens insoweit als offen angesehen werden.
(a) Die Antragsgegnerin hat ihren Aufhebungsbescheid zutreffend auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X (i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II) gestützt, also der für zukunftsgerichtete Korrekturen eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgesehenen Vorschrift im
Falle einer wesentlichen Änderung der für die Bewilligung maßgeblichen Verhältnisse. Anhaltspunkte dafür, dass der Bescheid
vom 23. Februar 2022 erst nach dem 1. März 2022, also dem Beginn des Zeitraums, für den die Leistungsbewilligung aufgehoben
wurde, zugegangen wäre, bestehen nicht. Angesichts des erkennbar elektronisch organisierten Versandvorgangs bei der Antragsgegnerin
spricht zudem viel dafür, dass die in der elektronischen Leistungsakte dokumentierte elektronische Versandbestätigung vom
23. Februar 2022 als Anknüpfungspunkt genügt, um auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X eine Bekanntgabe am 26. Februar 2022 zu vermuten. Jedenfalls ein Zugang (spätestens) am 10. März 2022, dem Tag der Widerspruchseinlegung,
steht im Übrigen fest.
(b) Der Senat kann letztlich offenlassen, ob eine Anhörung vorliegend ausnahmsweise verzichtbar war oder ein möglicher Anhörungsmangel
inzwischen geheilt ist.
Ein Absehen von der Anhörung auf der Grundlage von § 24 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 SGB X erscheint dem Senat allerdings bedenklich: Zum einen wäre, wenn die Gefahr einer Überzahlung regelmäßig als ausreichendes
öffentliches Interesse im Sinne dieser Vorschrift anzusehen wäre, die Behörde in allen Fällen laufender Sozialleistungserbringung
vor deren Korrektur zu Lasten eines Leistungsbeziehers von der Anhörungspflicht entbunden, so dass die Vorschrift ihren Ausnahmecharakter
verlöre und man daher eine spezifische gesetzliche Regelung dieser Fallgestaltung erwarten dürfte. Zum anderen müssen Zweifel
an der von § 24 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 SGB X vorausgesetzten Notwendigkeit eines entsprechenden Vorgehens, also eines Absehens von der Anhörung, bestehen, nachdem die
Antragsgegnerin – alternativ – die weitere Leistungsgewährung auf der Grundlage von § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit dem gerade zur Vermeidung von Überzahlungen bis zum verfahrensmäßig korrekten Erlass eines Aufhebungsbescheides
vorgesehenen §
331 SGB III vorläufig hätte einstellen, die Antragsteller durch die Übermittlung eines Anhörungsschreibens hätte bösgläubig machen und
die Leistungsbewilligung dann nach Ablauf der Anhörungsfrist auf der Grundlage von § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit §
330 Abs.
3 Satz 1
SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ebenfalls ab 1. März 2022 hätte aufheben können.
(c) Jedenfalls begegnet die Aufhebung der Leistungsbewilligung in der Sache erheblichen Bedenken. Es muss als zumindest offen
angesehen werden, ob es im März 2022 zu einer wesentlichen Änderung der für die Leistungsbewilligung maßgeblichen Verhältnisse
gekommen ist oder ob den Antragstellern nicht ein Leistungsanspruch doch weiter zustand.
(aa) Nach Auffassung des Senats erfüll(t)en die Antragsteller im März 2022 (und bis heute) die Leistungsvoraussetzungen für
einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II: Sie hielten (und halten) sich in den Altersgrenzen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 7a SGB II. Zweifel an der Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 8 SGB II hat der Senat nicht. Gleiches gilt für die Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit §§ 9 ff. SGB II, auch wenn den Antragstellern durch die Unterstützung von Bekannten offenbar die notwendigsten Mittel zur Verfügung standen;
eine (gar vollständige) Beseitigung der Hilfebedürftigkeit durch diese Mittel ist nicht erkennbar; ob die Mittel, wie von
den Antragstellern behauptet, tatsächlich nur darlehensweise zur Verfügung gestellt wurden, wird gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren
zu prüfen sein.
Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland (und konkret im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin) im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II in Verbindung mit §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I ist nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung zu bejahen.
Nach §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem
Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs,
soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas Anderes ergibt (§
37 SGB I); eine ungeschriebene, nur für einzelne Sozialleistungsbereiche anzunehmende Differenzierung (sog. Einfärbungslehre) ist
grundsätzlich nicht anzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60, Rn. 19).
Maßgeblich für den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts ist, ob der Berechtigte dort den Mittelpunkt seiner Lebensverhältnisse
hat. Dabei kommt es in erster Linie auf die objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnisse im jeweils maßgeblichen Zeitraum
an; das Bestehen eines Aufenthaltsrechts ist keine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts
in Deutschland (vgl. ausführlich auch zum Folgenden BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60, Rn. 17 ff. m.w.N.). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland liegt.
Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll dabei – auch im Sinne einer
Missbrauchsabwehr – ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal
begründet, jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll.
Die Antragsteller leben seit vielen Jahren in Deutschland, ohne dass irgendwelche Anhaltspunkte für eine nur scheinbare Begründung
des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland bestehen. Der gewöhnliche Aufenthalt ist nach summarischer Prüfung zudem nicht auf
Grund der Verlustfeststellung zwischenzeitlich wieder beendet. Der Senat hat bereits grundsätzlich Bedenken, ob ein einmal
begründeter gewöhnlicher Aufenthalt – der bei seiner Begründung ohne Zweifel eine nicht nur vorübergehende und insoweit zukunftsoffene
zeitliche Perspektive aufweisen muss – bereits dann nicht mehr besteht, wenn sich ein Ende abzeichnet und die Zukunftsoffenheit
also wegfällt: So wird man allgemein – und also unabhängig davon, ob es sich um die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts
ins Ausland handelt oder ob es (in anderem Zusammenhang) um eine Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland geht –
selbst bei einem konkret bevorstehenden Umzug kaum davon ausgehen, dass der Betroffene vorübergehend gar keinen Ort des gewöhnlichen
Aufenthalts hat: an dem Zielort noch nicht, an dem (noch) aktuellen Ort des Mittelpunkts der Lebensverhältnisse wegen des
Wegfalls der Zukunftsoffenheit schon nicht mehr.
Jedenfalls aber ist der Senat der Auffassung, dass der aufenthaltsrechtliche Status eines Antragstellers in erster Linie die
Frage betrifft, ob ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II eingreift (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R –, BSGE 113, 60; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. November 2017 – L 8 SO 262/17 B ER –, juris) und jedenfalls ein einmal begründeter
gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht entfällt, wenn der Betroffene (noch) nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
von sich aus ausreist (vgl. so auch Hessisches LSG, Beschluss vom 10. Juli 2018 – L 9 AS 142/18 B ER –, info also 2018, 265, 266; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Februar 2015 – L 2 AS 14/15 B ER –, juris; für einen fehlenden gewöhnlichen Aufenthalt bei Anordnung des Sofortvollzuges der Verlustfeststellung vgl.
auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Oktober 2017 – L 19 AS 1761/17 B ER –, juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Mai 2017 – L 15 AS 62/17 B ER –, juris).
Vorliegend hat der Beigeladene als zuständige Ausländerbehörde zwar gegenüber beiden Antragstellern mit dem jeweiligen Bescheid
vom 16. Februar 2022 das Nichtbestehen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt festgestellt, den Sofortvollzug aber nicht angeordnet.
Die Antragsteller haben sich gegen den Bescheid mit Klage zum Verwaltungsgericht Darmstadt gewandt, über die bisher noch nicht
entschieden ist. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragsteller in absehbarer Zeit die Bundesrepublik
Deutschland von sich aus verlassen wollen.
Der Senat geht daher im Ergebnis und nach summarischer Prüfung davon aus, dass die Antragsteller ihren gewöhnlichen Aufenthalt
im März 2022 und auch weiterhin im Inland hatten und haben.
(bb) Nach wiederum summarischer Prüfung muss es zudem als offen angesehen werden, ob die Antragsteller einem Leistungsausschluss
unterliegen.
Zwar spricht viel dafür, dass sie kein materielles Aufenthaltsrecht (mehr) haben oder allenfalls ein Aufenthaltsrecht zur
Arbeitsuche besteht, so dass insoweit die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes für Grundsicherungsleistungen aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bst. a beziehungsweise Bst. b SGB II vorlagen (und, da namentlich eine zwischenzeitliche Beschäftigungsaufnahme nicht ersichtlich ist und nicht behauptet wird,
weiterhin vorliegen).
Allerdings kommt der Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach der Rückausnahme aus § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 SGB II nicht zum Tragen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer ihren beziehungsweise seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit mindestens
fünf Jahren im Bundesgebiet hat. Davon ist hier nach summarischer Prüfung auszugehen, nachdem auch der Beigeladene in seinen
Bescheiden über die Verlustfeststellung von einer behördlichen Anmeldung und einem durchgängigen Aufenthalt der Antragsteller
im Kreisgebiet seit 2014 beziehungsweise 2015 ausgeht.
Zu § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 SGB II sieht dessen Halbsatz 2 allerdings wiederum eine (Rück-)Rückausnahme für den Fall vor, dass der Verlust des Rechts auf Einreise
und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU festgestellt wurde; ob diese Rückausnahme im konkreten Fall eingreift, muss nach Auffassung des Senats aber jedenfalls als
offen angesehen werden. Anders als bei den Tatbeständen des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, bei denen unmittelbar das materiell-rechtliche Bestehen eines Aufenthaltsrechts maßgeblich ist (vgl. – zur Parallelvorschrift
aus § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII – Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2020 – L 4 SO 91/20 B ER –, juris, Rn. 62), kommt es dabei im Rahmen von § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf den Stand des Verwaltungsverfahrens hinsichtlich der Verlustfeststellung – ungeachtet von deren materieller Rechtsmäßigkeit
– an. Für das hiesige Streitverhältnis ist namentlich entscheidend, ob die Rückausnahme aus § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II bereits mit Erlass des Bescheides über die Verlustfeststellung oder erst mit dessen Bestandskraft (oder der Anordnung des
Sofortvollzugs) und – damit einhergehend – mit dem Entstehen oder erst mit der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht eingreift.
Der Wortlaut der Vorschrift stellt auf die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Sinne von
§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU ab, ohne damit die maßgebliche Frage abschließend zu klären, ob der bloße Erlass eines entsprechenden Bescheides (etwa) nach
§ 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU insoweit ausreicht oder ob ein solcher bestandskräftig oder für sofort vollziehbar erklärt worden sein muss, um die sozialrechtlichen
Konsequenzen aus § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 SGB II auszulösen. Jedenfalls ausgeschlossen erscheint dem Senat ein Verständnis im letztgenannten Sinne nicht (in diesem Sinne
stellen – im Rahmen der Wortlautauslegung – auf die Bestandskraft ab z.B. Leopold, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 – Stand: 29. November 2021 – Rn. 164; Knickrehm, in: dies./Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl. 2021,
§ 7 Rn. 23; dem folgend z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Mai 2020 – L 7 AS 1070/20 ER-B –, BeckRS 2020, 9343 Rn. 12 und Mushoff, in: Rolfs u.a. (Hrsg.), BeckOK SGB – Stand: 1. März 2022 – § 7 SGB II Rn. 42; anders dagg. z.B. Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2020 – L 4 SO 91/20 B ER –, juris, Rn. 61 ff.).
Für das gegenteilige, auch vom Sozialgericht befürwortete Verständnis sprechen allerdings die Materialien, nachdem diese auf
die – bereits mit dem Erlass der Verlustfeststellung entstehende – Ausreisepflicht Bezug nehmen. So heißt es in der bereits
vom Sozialgericht zitierten Begründung zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von
Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155), auf das § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II zurückgeht: „Abweichend hiervon kommen für die von den Leistungsausschüssen nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 (neu) erfassten Personen und ihre Familienangehörigen nun erstmals unter bestimmten Voraussetzungen
auch Leistungen nach dem SGB II in Betracht (vergleiche § 7 Absatz 1 Satz 4 und 5 – neu –). Dies ist allerdings erst nach fünf Jahren der Fall, erst ab diesem Zeitpunkt ist von einer Verfestigung
des Aufenthaltes auszugehen. Die Verfestigung tritt nicht ein oder entfällt, wenn Unionsbürgerinnen und Unionsbürger nach
§ 7 Absatz 1 Satz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/ EU zur Ausreise verpflichtet sind, weil die Ausländerbehörde den Verlust des
Freizügigkeitsrechts nach § 2 Absatz 7, § 5 Absatz 4 oder § 6 Absatz 1 FreizügG/EU festgestellt hat“ (BT-Drucks. 18/10211 S. 14). Dennoch erscheint dem Senat – auch mit Blick auf die nachfolgend noch anzusprechenden
weiteren Auslegungsgesichtspunkte und insbesondere die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – ein Verständnis nicht
zwingend ausgeschlossen, wonach die Rückausnahme aus § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 SGB II erst eingreift, wenn die Verlustfeststellung sich rechtlich nicht mehr „in der Schwebe“ befindet, sondern bindend oder für
sofort vollziehbar erklärt worden ist und die Ausreisepflicht damit auch zwangsweise durchgesetzt werden kann und angesichts
der (erst) dann drohenden zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts dieser nicht mehr als verfestigt angesehen werden kann.
Systematisch hat das Sozialgericht ausführlich und hinsichtlich der ausländerrechtlichen Rechtslage auch nach Auffassung des
Senats zutreffend dargelegt, dass der Verlustfeststellung als feststellendem Verwaltungsakt unabhängig von ihrer Vollziehbarkeit
rechtsgestaltende Wirkungen zukommt und die Ausreisepflicht auch schon vor Eintritt der Bestandskraft entsteht und nur zunächst,
sofern nicht der Sofortvollzug angeordnet wird, (noch) nicht zwangsweise durchgesetzt werden kann. Verschiedentlich wird allerdings
dennoch unmittelbar unter Verweis auf den Suspensiveffekt von Rechtsbehelfen gegen die Verlustfeststellung ein Zugang zu Grundsicherungsleistungen
während des laufenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens bejaht (vgl. z.B. Hessisches LSG, Beschluss vom 10.
Juli 2018 – L 9 AS 142/18 B ER –, info also 2018, 265, 266; Sächsisches LSG, Beschluss vom 20. März 2018 – L 3 AS 73/18 B ER, BeckRS 2018, 4401; LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2019 – L 8 SO 109/19 B ER –, juris Rn. 9; a.A. z.B.
Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 – L 4 SO 160/10 B ER –, juris Rn. 48 f.).
Der Senat teilt diese Auffassung jedenfalls im Ergebnis: Denn vorliegend geht es nicht unmittelbar um die ausländerrechtlichen
Wirkungen der Verlustfeststellung und dagegen gerichteter Rechtsbehelfe und (die Grenzen von) deren Suspensiveffekt, sondern
um die über § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 SGB II vermittelten sozialrechtlichen Konsequenzen einer Verlustfeststellung. Insofern gibt es sicher Gründe, die – unabhängig von
deren Vollziehbarkeit – für einen Gleichlauf von ausländerrechtlicher Ausreisepflicht und Ausschluss des Grundsicherungsanspruchs
sprechen. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens das rechtliche Schicksal
der Verlustfeststellung noch offen ist und die Rechtsordnung den Betroffenen jedenfalls von der zwangsweisen Durchsetzung
der Ausreisepflicht verschont, daher auch für einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen eine nicht für sofort vollziehbare
erklärte Verlustfeststellung verwaltungsrechtlich kein Bedarf besteht. Im Sinne eines umfassenden Verwirklichungsverbots eines
mit Rechtsbehelfen angegriffenen und nicht für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsaktes erscheint daher für diesen Zeitraum
der mittelbare Zwang, der durch den Wegfall der existenzsichernden Leistungen entsteht, bedenklich. Das gilt nur umso mehr,
wenn man einer starken Lesart des bundesverfassungsgerichtlichen Diktums folgt, wonach die Menschenwürde migrationspolitisch
nicht zu relativieren sei und daher migrationspolitische Erwägungen keinen Einfluss auf (die Höhe) existenzsichernde(r) Leistungen
haben könnten (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10 u.a. –, BVerfG 132, 134, Rn. 95).
Von erheblichem Gewicht erscheint dem Senat ein weiteres Argument: Bis zum Erlass einer Verlustfeststellung können Betroffene,
die sich auf § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 SGB II berufen können, ohne Weiteres Grundsicherungsleistungen erhalten, auch wenn ein Recht auf Einreise und Aufenthalt materiell-rechtlich
nicht besteht. Ist – umgekehrt – die Ausreisepflicht vollziehbar, weil die entsprechende Verfügung bindend geworden oder ihr
Sofortvollzug angeordnet ist, haben die Betroffenen Anspruch auf Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG). (Nur) für den „Zwischenstatus“, in dem sich die hiesigen Antragsteller befinden, haben die Betroffenen unmittelbar Zugang
zu keinem Existenzsicherungssystem beziehungsweise nur zu den zeitlich und inhaltlich eng beschränkten Überbrückungsleistungen
nach § 23 Abs. 3 Sätze 3 ff. SGB XII (vgl. zu einer Lösung der hiesigen Problematik über eine sehr weite, auf verfassungsrechtliche Argumente gestützte Auslegung
dieser Vorschrift z.B. Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2020 – L 4 SO 91/20 B ER –, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil
vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18 –, juris, Rn. 63); im Übrigen gelten für Sozialhilfeansprüche die gleichen Grenzen wie
für die vorliegend primär streitigen Grundsicherungsleistungen (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII). Die Antragsteller können auch nicht auf eine sogenannte Verfahrensduldung (vgl. in diesem Sinne Dienelt, in: Bergmann/ders.,
Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 7 FreizügG/EU Rn. 23) und den damit verbundenen Zugang zu Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz zurückgreifen, wenn sich die zuständige Ausländerbehörde – wie hier im Schreiben vom 25. Mai 2022 – dagegen mit dem durchaus
gewichtigen und systematischen stimmigen Argument wehrt, die Duldung als vollstreckungsrechtliches Instrument setze die Vollziehbarkeit
der Ausreisepflicht voraus, die vorliegend gerade noch nicht gegeben sei.
Im Ergebnis wären gerade Betroffene, bei denen die Verlustfeststellung noch umstritten und die Ausreisepflicht noch nicht
vollziehbar ist, von existenzsichernden Leistungen weitestgehend (mit Ausnahme der Überbrückungsleistungen) ausgeschlossen.
Insbesondere die damit einhergehende massive Schlechterstellung gegenüber Personen, die bereits vollziehbar ausreisepflichtig
sind, erscheint dem Senat kaum hinnehmbar.
Ein weiteres kommt hinzu: Käme bereits dem schlichten Erlass der Verlustfeststellung (ausschließende) Tatbestandswirkung für
den Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zu, käme deren Gewährung auch dann nicht in Frage, wenn sich die Verlustfeststellung
im Rahmen ihrer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung und damit im Nachhinein als rechtswidrig erweist. Das erscheint unter
dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes als kaum hinnehmbar (vgl. in diesem Sinne SG Hamburg, Beschluss vom 19. März 2021
– S 62 AS 732/21 ER –, juris, Rn. 22). Geht man dagegen, um dieses Ergebnis zu vermeiden, davon aus, dass gegebenenfalls mit der Aufhebung
der Verlustfeststellung auch der Zugang zu Grundsicherungsleistungen (wieder-)eröffnet wird, und nimmt zudem mit dem Sozialgericht
– richtigerweise – an, dass Sozialgerichte und Sozialleistungsträger zu einer inzidenten Prüfung der Verlustfeststellung nicht
befugt sind, ist ein sozialgerichtliches Verfahren während der andauernden verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht entscheidungsreif;
mehr noch, im Grunde ist schon der Grundsicherungsträger mit Blick auf das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses an
einer endgültigen Entscheidung gehindert. Er hätte daher gegebenenfalls auf der Grundlage von § 41a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorläufige Leistungen zu erbringen (nach einer vorhergehenden endgültigen Bewilligung und erst im Verlauf des Bewilligungszeitraums
ergehender Verlustfeststellung wie im hiesigen Fall: in Verbindung mit § 40 Abs. 4 SGB II). Wegen der funktionalen Äquivalenz der vorläufigen Entscheidung nach § 41a SGB II mit gerichtlichem einstweiligen Rechtsschutz legt auch dies nahe, in entsprechenden Fällen die gerichtlich bewirkte vorläufige
(Weiter-)Gewährung von Grundsicherungsleistungen im Rahmen von §
86b SGG nicht für ausgeschlossen zu halten.
Bereits die sich aus dem Vorstehenden ergebenden Friktionen zwischen Ausländer- und Sozialrecht legen nach Auffassung des
Senats ein enges Verständnis der Rückausnahme aus § 7 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 SGB II nahe. Vor allem aber weist auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Richtung auf das hiesige Ergebnis, auch
wenn das Verfassungsgericht die Fragen, die sich aus § 7 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 Halbs. 2 SGB II (beziehungsweise den entsprechenden sozialhilferechtlichen Regelungen) mit Blick auf das Grundrecht auf Sicherung eines menschenwürdigen
Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) ergeben, bislang nicht abschließend beantwortet hat. In seiner Entscheidung vom 26. Februar 2020 zu einem Vorlagebeschluss,
der die Parallelproblematik zu § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 7 SGB XII zum Gegenstand hatte, hat das Bundesverfassungsgericht (Kammerbeschluss vom 26. Februar 2020 – 1 BvL 1/20 –, juris, Rn. 18) ausgeführt, das vorlegende Gericht mache […] nicht hinreichend deutlich, warum es trotz der Klage gegen
die Verlustfeststellung zwingend an der Anwendung der Rückausnahme nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII [also der Parallelvorschrift zu § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II] gehindert sei. […] Es lege […] nicht hinreichend dar, inwiefern es an einer Auslegung des einfachen Rechts
gehindert wäre, nach der eine Verlustfeststellung (§ 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU) der Rückausnahme nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II beziehungsweise § 23 Abs. 3 Satz 7 SBG XII bei Erfüllung der Fünfjahresfrist jedenfalls dann nicht entgegenstehe, wenn die Verlustfeststellung nicht bestandskräftig
sei. Das Gericht stelle lediglich fest, dass sich im Gesetzestext (wohl des § 7 SGB II) kein Anhaltspunkt dafür finde, dass nur die vollziehbare Verlustfeststellung die Rückausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II sperre und dass § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf der Annahme eines verfestigten Inlandsaufenthaltes beruhe, eine solche Verfestigung aber bereits mit Erlass der Verlustfeststellung
verhindert werde. Zur Begründung seiner Annahme der Verfassungswidrigkeit hätte das Gericht aber vielmehr gerade umgekehrt
darlegen müssen, was einer Gesetzesauslegung zwingend entgegenstehe, nach der eine Verlustfeststellung die Rückausnahme des
§ 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II nicht sperre, solange diese Verlustfeststellung nicht bestandskräftig sei. Soweit das vorlegende Gericht sich an einer solchen
Auslegung durch die von ihm angenommene, auch die Sozialgerichte bindende Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes über die
Verlustfeststellung gehindert gesehen haben sollte, genügten angesichts davon abweichender Rechtsprechung mehrerer Landessozialgerichte
(vgl. nur LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2019 – L 8 SO 109/19 B ER –, juris, Rn. 9 m.w.N.) die Ausführungen
im Vorlagebeschluss nicht, um tragfähig zu belegen, dass § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII bereits bei nicht bestandskräftiger Verlustfeststellung unanwendbar sei.
Diese Ausführungen legen eine sozialrechtsinterne Lösung der Problematik jedenfalls sehr nahe. Die Entscheidung verstärkt
damit unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die vorstehenden Argumente, wonach die Verlustfeststellung, solange sie
mit Rechtsbehelfen angegriffen wird, (zwar ausländerrechtlich bereits Wirkungen entfaltet, aber) den Zugang zu Grundsicherungsleistungen
nicht sperrt. Gerade der damit angesprochene Topos einer verfassungskonformen Auslegung rechtfertigt die vom Senat für richtig
gehaltene Lösung trotz (oder gerade wegen) der in ihrem Rahmen zu Tage tretenden suboptimalen Abstimmung von Ausländer- und
Sozialrecht.
Ein Leistungsausschluss folgt schließlich auch nicht aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II, da die Antragsteller, wie bereits ausgeführt, im gegenwärtigen Verfahrensstadium keinen Zugang zu Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz haben. Die Voraussetzungen von §
1 Abs.
1 Nr.
5 AsylbLG erfüllen sie nicht, denn die Ausreisepflicht ist wegen der aufschiebenden Wirkung der eingelegten verwaltungsgerichtlichen
Klagen nach §
80 Abs.
1 VwGO nicht vollziehbar; die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht ist damit unzulässig.
Die Antragsteller erfüllen zudem auch nicht die Voraussetzungen nach §
1 Abs.
1 Nr.
4 AsylbLG, denn ihnen wurde von der Ausländerbehörde des Antragsgegners keine Duldung nach § 60a AufenthG erteilt; der Beigeladene hat sich hierzu, auch mit Blick auf eine Verfahrensduldung, gerade nicht bereiterklärt. Im hiesigen
Zusammenhang kommt es dabei auf die Frage, ob ausländerrechtlich hierauf – möglicherweise doch – ein Anspruch besteht nicht
an: Wegen der Tatbestandswirkung der (insoweit fehlenden) statusbegründenden Entscheidung der Ausländerbehörde greift § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II nicht ein (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 8/13 R –, juris, Rn. 13; Hessisches LSG, Beschluss vom 29. Juni 2020 – L 4 SO 91/20 B ER –, juris, Rn. 65; Frerichs, in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., §
1 AsylbLG – Stand: 11. Mai 2022 – Rn. 78).
(2.) Angesichts der sich aus dem Vorstehenden ergebenden Bedenken hinsichtlich der Rechtsmäßigkeit des Bescheides vom 23.
Februar 2022 ist auf Grund einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Im Ergebnis überwiegen dabei die Interessen der Antragsteller: Vorliegend stehen existenzsichernde Leistungen in vollem Umfang
im Streit. Angesichts des starken verfassungsrechtlichen Schutzes entsprechender Leistungen durch das Grundrecht auf Sicherung
eines menschenwürdigen Existenzminimums, das auf Art.
1 Abs.
1 in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 GG beruht, sind die damit verbundenen Interessen der Antragsteller von fundamentalem Gewicht. Die Interessen der Antragsgegnerin
beziehungsweise der durch sie vertretenen Allgemeinheit müssen dahinter zurückstehen, auch wenn der Gesetzgeber durch § 39 Nr. 1 SGB II für Aufhebungsentscheidungen den Sofortvollzug als gesetzlichen Regelfall vorgesehen hat.
b) Hinsichtlich des Leistungszeitraums ab 1. April 2022 ist die von den Antragstellern begehrte Regelungsanordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG zu erlassen.
aa) Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Ein solcher Nachteil ist (nur) anzunehmen, wenn einerseits den Antragstellern gegenüber der Antragsgegnerin ein materiell-rechtlicher
Leistungsanspruch in der Hauptsache – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit – zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihnen andererseits
nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch
und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert neben-, vielmehr in einer Wechselbeziehung zueinander,
nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden
Nachteils, dem Anordnungsgrund, zu verringern sind und umgekehrt (vgl. für die st. Rspr. des Hessischen LSG: erkennender Senat,
Beschluss vom 11. Dezember 2019 – L 6 AS 528/19 B ER –, juris, Rn. 31; Hess. LSG, Beschluss vom 29. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER –, info also 2005, 169 und Hess. LSG, Beschluss vom 7. September 2012 – L 9 AS 410/12 B ER –; außerdem Keller, in: Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
86b Rn. 27 ff.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige
Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden
ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund,
auch wenn auf diesen nicht gänzlich verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige
Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung
zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtlich
geschützte Belange der Betroffenen maßgeblich zu berücksichtigen.
bb) Ausgehend von diesen Maßstäben liegen vorliegend die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung vor.
Hinsichtlich des Anordnungsanspruches und namentlich des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II und der sich aus § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II ergebenden Ausnahme zu den Ausschlusstatbeständen aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden. Der notwendige Fortzahlungsantrag (§ 37 SGB II) für den Leistungszeitraum ab 1. April 2022 ist gestellt.
Ein Anordnungsgrund ergibt sich aus denselben Umständen, die hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu einem
Überwiegen der Interessen der Antragsteller gegenüber denen der Antragsgegnerin führen.
cc) Die – von den Antragstellern in das Ermessen des Gerichts gestellte – Dauer der einstweiligen Anordnung ist auf die Zeit
bis Ende August 2022 zu beschränken, schon um der Antragsgegnerin die alsbaldige erneute Prüfung des Standes des verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens hinsichtlich der Verlustfeststellung und von dessen Auswirkungen auf den Leistungsanspruch der Antragsteller ohne
Bindung an die hiesige Entscheidung zu ermöglichen. Zudem hält der Gesetzgeber bei vorläufigen Leistungen im Bereich des Sozialgesetzbuches
Zweites Buch regelhaft eine Bewilligung von sechs Monaten für sachgerecht (vgl. § 41 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II). Hieran orientiert sich der Senat auch bei der Ausübung des ihm bei der Ausgestaltung der einstweiligen Anordnung zustehenden
Ermessens und beschränkt die Zeitdauer der sich aus dem hiesigen Beschluss ergebenden Pflicht zur Leistungsgewährung auf den
sechstmonatigen Zeitraum von März bis August 2022 je einschließlich. Bei unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen
mag die Antragsgegnerin die Erbringung von Leistungen auf der Grundlage einer vorläufigen Entscheidung nach § 41a Abs. 1 Satz 1 SGB II in Erwägung ziehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG und trägt dem vollständigen Obsiegen der Antragsteller Rechnung.
III.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aus §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
114 Abs.
1 Satz 1
ZPO liegen vor: Die Antragsteller können nach ihren glaubhaften Angaben die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen, die Rechtsverfolgung
bietet, wie sich schon aus ihrem Obsiegen in der Sache ergibt, hinreichende Aussichten auf Erfolg und ist schließlich auch
nicht als mutwillig anzusehen.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.