Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Reichweite des Gehörsanspruchs
Gründe
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann. Der Kläger behauptet zwar ua, das Urteil des LSG verletze das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art
101 Abs
1 Satz 2
GG), weil der zuständige Richter - wie erst aus den Entscheidungsgründen des Urteils erkennbar gewesen sei - befangen gewesen
sei und es unterlassen habe, seine Befangenheit anzuzeigen. Der behauptete Verfahrensmangel liegt aber nicht vor.
Nach der gemäß §
60 Abs
1 Satz 1
SGG entsprechend geltenden Regelung der
ZPO über die Ablehnung von Gerichtspersonen kann die Besorgnis der Befangenheit eines Richters im Grundsatz nur in der Weise
geltend gemacht werden, dass ein Ablehnungsgesuch gemäß §
44 ZPO bei dem Gericht, dem der betreffende Richter angehört, angebracht wird. Aus Sinn und Zweck der §§
43 bis
45 ZPO ergibt sich zudem, dass ein Ablehnungsgesuch nur bis zum Erlass der Endentscheidung des Gerichts zulässigerweise angebracht
werden kann, dem der abgelehnte Richter angehört. Denn Art
101 Abs
1 Satz 2
GG gewährleistet nicht nur eine Entscheidung durch den zuständigen Richter, sondern auch, dass dem Richter nicht die notwendige
Neutralität fehlt (BVerfG vom 28.4.2011 - 1 BvR 2411/10). Dieser Zweck ist nach Beendigung der Instanz nicht mehr erreichbar. Ein Ablehnungsgesuch kann dann folglich nicht mehr zulässig
gestellt werden (vgl nur BSG vom 26.4.2021 - B 1 KR 48/20 B - RdNr 9 mwN). Dies gilt selbst dann, wenn der Betreffende den Ablehnungsgrund erst nach Erlass der Endentscheidung des Gerichts, dem der
abgelehnte Richter angehört, erfahren hat (vgl BSG vom 27.1.1993 - 6 RKa 2/91; BSG vom 4.10.1996 - 11 BAr 47/96).
Einen Ablehnungsantrag vor Beendigung der Instanz gestellt zu haben, behauptet der Kläger nicht; der Verlust des Rechts zur
Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit kann auch nicht durch die vom Kläger vorgebrachte Rüge umgangen
werden, der Richter hätte sich gemäß §
60 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
48 ZPO selbst ablehnen müssen (BVerwG vom 3.3.1975 - VI CB 43.74 - Buchholz 310 §
54 VwGO Nr 17). Die Bestimmungen über den Verlust des Ablehnungsrechts nach beendeter Instanz liefen leer, wenn statt dessen die versäumte
Selbstablehnung gerügt werden bzw unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters für das Beschwerdeverfahren mittelbar
Erheblichkeit erlangen könnte (BSG vom 6.2.1991 - 1 RR 1/89 - BSGE 68, 132 = SozR 3-2400; BSG vom 27.1.1993 - 6 RKa 2/91 - juris RdNr 35).
Ausnahmsweise kann aber auch nach Beendigung der Instanz ein Ablehnungsgesuch in zulässiger Weise angebracht werden, wenn
sich erst aus den Entscheidungsgründen Hinweise auf die Befangenheit eines an der Entscheidung mitwirkenden Richters ergeben.
Voraussetzung für die erfolgreiche Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts ist in diesem Fall, dass der Richter
der Vorinstanz tatsächlich und so eindeutig die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen, dass jede andere Würdigung
als die einer Besorgnis der Befangenheit willkürlich erscheint; dann läge zugleich ein Verstoß unmittelbar gegen Art
101 Abs
1 Satz 2
GG vor (BVerwG vom 7.3.2017 - 6 B 53.16 - unter Verweis auf BVerwG vom 21.3.2012 - 6 C 19.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr 412 RdNr 18 und vom 16.4.1997 - 6 C 9.95 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr 382 S 186; BFH vom 30.5.2008 - IX B 216/07 - BFH/NV 2008, 1510 <1511>; BGH vom 11.7.2007 - IV ZB 38/06 - NJW-RR 2007, 1653; BSG vom 18.4.2000 - B 2 U 201/99 B - HVBG-INFO 2000, 1978). Hierfür ist im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts ersichtlich.
Der Kläger trägt insoweit vor, der Richter habe ihm auf Seite 6 der Entscheidung "Standesdünkel" unterstellt, was ein Zeichen
für Ablehnung und Voreingenommenheit sei. Die Verwendung des Begriffs "Standesdünkel" in der Entscheidung des LSG greift der
Kläger zwar zurecht kritisch auf. Die Ausführungen des LSG müssen aber im inhaltlichen Kontext der Entscheidung wie auch unter
Berücksichtigung des gerichtlichen Verfahrens im Übrigen gewürdigt werden und tragen im Ergebnis der vorzunehmenden Gesamtwürdigung
nicht den Schluss, der Richter sei befangen.
Der Kläger beruft sich zur Zulässigkeit der von ihm verfolgten Fortsetzungsfeststellungsklage (§
131 Abs
1 Satz 3
SGG) ua darauf, ihm stehe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes
wegen eines Rehabilitierungsinteresses zu (zur Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage vgl nur BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 19/15 R - BSGE 121, 32 = SozR 4-3250 § 17 Nr 4, RdNr 29 mwN). Zur Begründung hat er schriftsätzlich vorgetragen, er sehe die "Rechtsanwendung des SGB II durch den Beschwerdegegner in vielen Fällen als problematisch - und rechtwidrig" an. "Wer meint, einen während eines Aufbaustudiums
in London in finanzielle Nöte geratenen Juristen und Biologen durchweg wie einen arbeitslosen Taxifahrer mit Migrationshintergrund
behandeln zu müssen, verstößt nicht nur gegen die Grundsätze des SGB II, sondern auch gegen Verfassungsrecht. Insbesondere der Gleichheitssatz sieht vor, dass nicht nur wesentlich Gleiches gleich
zu behandeln ist, sondern eben auch wesentlich Ungleiches ungleich. Und genau darum geht es im Kern: die Verweigerung der
Betrachtung meiner Person als Individuum".
Diesen Vortrag aufgreifend führt das LSG im Rahmen der erforderlichen rechtlichen Würdigung des Vorgetragenen für das behauptete
Rehabilitierungsinteresse auf Seite 6 seines Urteils ua aus, es sei nicht ersichtlich, dass von der bloßen Ablehnung einer
Darlehenszusage eine den Kläger diskriminierende Wirkung ausgehen könne. Soweit dieser bemängele, er könne als promovierter
Jurist und Biologe nicht wie ein "arbeitsloser Taxifahrer mit Migrationshintergrund" behandelt werden, deute dies eher auf
das Vorliegen eines gewissen "Standesdünkels" bei dem Kläger hin, als dass sich daraus ein Hinweis auf eine diskriminierende
"unwürdige" Behandlung ergeben könne. Unabhängig von der Wortwahl im Einzelnen nimmt das LSG in seinen Ausführungen also lediglich
notwendig wertend Bezug auf die Ausführungen des Klägers und prüft diese auf ihre Tragfähigkeit und Schlüssigkeit für das
behauptete Rehabilitierungsinteresse. Berücksichtigt man zudem die weiteren Ausführungen im Urteil des LSG, die sich umfassend,
in der gebotenen Form und detailliert mit dem vom Kläger als stigmatisierend empfundenen Verhalten des beklagten Jobcenters
auseinandersetzen und auch auf den "eindringlichen Vortrag" des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung eingehen (dessen
Verlauf offenbar auch für den Kläger keinen Anlass gegeben hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln), ist
auch unter Berücksichtigung des weiteren Verfahrensablaufs vor dem LSG, ua dem höflich-wertschätzenden und ausführlichen richterlichen
Hinweisschreiben vom 14.4.2020, nichts dafür erkennbar, dass der Richter trotz der Verwendung des Begriffs "Standesdünkel"
in der Sache bei seiner Entscheidungsfindung tatsächlich die gebotene Distanz und Neutralität hat vermissen lassen mit der
Konsequenz, dass jede andere Würdigung als die einer Besorgnis der Befangenheit willkürlich erschiene.
Die weiteren behaupteten Verfahrensmängel hat der Kläger schon nicht ordnungsgemäß dargelegt. Wenn er die Besorgnis der Befangenheit
auch damit begründen will, das Urteil sei bereits vor der mündlichen Verhandlung geschrieben worden und bereits deshalb sei
sein Vortrag in der Verhandlung nicht mehr berücksichtigt worden, benennt er schon keine Anknüpfungstatsachen, auf die sich
diese Behauptung stützen ließe, sondern beschränkt sich auf eine bloße Spekulation. Nichts anderes gilt, soweit der Kläger
meint, die Entbindung des Beklagtenvertreters von seiner Pflicht zum Erscheinen zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor
dem LSG sei geeignet, die Befangenheit des Gerichts zu begründen.
Soweit er vorträgt, das Urteil verletze sein Recht auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG), denn wäre sein Vortrag zur Präjudizialität, zum Rehabilitationsinteresse und zur wesentlichen Grundrechtsbeeinträchtigung
so berücksichtigt worden wie vorgetragen, hätte das Urteil zu seinen Gunsten ausgehen müssen, ist auch damit ein Verfahrensmangel
nicht formgerecht gerügt. Denn nach seinem eigenen Vortrag hat das LSG sein Vorbringen berücksichtigt, wenn auch inhaltlich
nicht in der von ihm für geboten erachteten Art und Weise gewürdigt. Allein der Umstand, dass das LSG der Rechtsauffassung
des Klägers nicht gefolgt ist, begründet aber keinen Gehörsverstoß und auch keinen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires
Verfahren. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Kläger "gehört", nicht jedoch "erhört" wird
(vgl BSG vom 18.12.2012 - B 13 R 305/11 B - und vom 9.5.2011 - B 13 R 112/11 B), dass ihm also inhaltlich gefolgt wird.
Wenn der Kläger zudem meint, das LSG habe die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu
Unrecht verneint, liegt hierin ebenfalls keine ordnungsgemäße Rüge eines Gehörsverstoßes. Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens
ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (stRspr; vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7). Deshalb vermögen die vom Kläger im Beschwerdeverfahren erneut vorgetragenen Beeinträchtigungen wesentlicher Grundrechtspositionen
durch das behauptete Verhalten der Beklagtenmitarbeiter in Wiederholung seines Sachvortrags vor dem LSG die Zulässigkeit der
Revision nicht zu begründen; der Vortrag ist zudem nicht geeignet, einen der Revisionszulassungsgründe des §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG ordnungsgemäß zu bezeichnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.