Anspruch auf Arbeitslosengeld II, Festlegung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung unter Nutzung der Empfehlungen
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge eV
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende
- (SGB II) im Streit.
Die 1959 geborene Klägerin ist alleinstehend und bewohnt eine Ein-Zimmer-Wohnung, die durch zwei Einzelöfen und einen Heizlüfter
im Bad beheizt wird. Für die Wohnung zahlt sie eine Kaltmiete in Höhe von 260 Euro zuzüglich Kosten für Gas in Höhe von 57
Euro monatlich (bis Februar 2005: 48 Euro monatlich; bis einschließlich August 2005: 52 Euro monatlich). Nach dem Bezug von
Arbeitslosenhilfe im Jahr 2004 beantragte sie bei der Beklagten im Oktober 2004 die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg
II). Die Klägerin legte dabei eine Bescheinigung ihrer Hausärztin vor, wonach bei ihr auf Grund eines Diabetes mellitus Diabeteskost
erforderlich sei.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 13. November 2004 ab 1. Januar 2005 Alg II von Januar bis Mai 2005 in
Höhe von 794,56 Euro und für den Monat Juni 2005 in Höhe von 777,16 Euro, wobei die Beklagte zusätzlich zu einem befristeten
Zuschlag nach § 24 SGB II bereits einen monatlichen Mehrbedarf von 25,56 Euro für kostenaufwändige Ernährung berücksichtigte.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass der Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu gering sei und ihr
einschließlich Praxisgebühr und Zuzahlung monatliche Kosten in Höhe von mindestens 50 Euro entstünden. Die Beklagte bewilligte
durch Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2005 daraufhin für die Zeit von Januar bis Mai 2005 monatlich 795,23 Euro und für
Juni 2005 775,18 Euro. Den darüber hinausgehenden Widerspruch wies sie als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat im März 2005 Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben. Sie machte geltend, dass die Regelleistung der Beklagten in unzulässiger Weise zu niedrig bemessen sei, eine Anpassung
des 1997 errechneten Bedarfs sei trotz stetiger Inflation nicht erfolgt. Außerdem seien Stromkosten in Höhe von 11 Euro zusätzlich
zu berücksichtigen, weil sie ihr Bad mit einem Heizlüfter beheize. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat in
seinem Tatbestand weiterhin festgestellt: "Während des Klageverfahrens erfolgten mehrere Änderungsbescheide der Beklagte;
streitgegenständlich ist insoweit nunmehr der Bescheid vom 15.11.2005, mit dem der Klägerin 806,33 Euro für Januar und Februar
2005, 689,26 Euro für März 2005, 810,33 Euro für April 2005, 802,82 Euro für Mai 2005 und 782,72 für Juni 2005 bewilligt wurden.
Mit weiterem Bescheid vom 15.11.2005 wurden für Juli 2005 735,82 Euro und für August 803,35 Euro bewilligt, sowie mit Bescheid
vom 30.11.2005 für die Zeit ab September 2005 bis Mai 2006 743,82 Euro monatlich. Das SG hat am 29.06.2006 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beklagte anerkannt hat, dass der Klägerin für März
2005 gemäß dem Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 795,23 Euro und gemäß dem Bescheid vom 04.03.2005 für Mai 2005 807,56 Euro
und für Juni 2005 784,46 Euro zu gewähren sind. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und ihre Klage
im Übrigen aufrecht erhalten."
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2006 abgewiesen und dabei ausgeführt, die Beklagte habe "in den letzten Fassungen ihrer
Bescheide" Alg II in "zutreffender Höhe bewilligt". Zuzüglich zu der Regelleistung von 345 Euro monatlich und dem befristeten
Zuschlag seien die Kaltmiete von 260 Euro sowie die Gaskosten von 48 Euro (von Januar und Februar 2005), 52 Euro (März bis
Juli 2005), 126,53 Euro (August 2005) und 57 Euro (ab September 2005) zu berücksichtigen. Von den Gaskosten sei jedoch ein
Pauschalbetrag in Höhe von 6,23 Euro monatlich abzuziehen, weil die Kosten der Warmwasserbereitung bereits in der Regelleistung
enthalten seien. Darüber hinaus seien wegen der teilweisen Heizung der Wohnung der Klägerin mit einem Heizlüfter bei einer
Leistung von 2.000 Watt und einer anzunehmenden Betriebsdauer von 30 Minuten täglich zusätzlich monatlich 3,52 Euro zu gewähren.
Darüber hinaus stünden der Klägerin weitere Leistungen der Beklagten nach dem "SG II" nicht zu. Sofern die Klägerin einen Mehrbedarf bei kostenaufwändiger Ernährung geltend mache, habe sie hierauf keinen
gesetzlichen Anspruch. "Denn nach den aktuellen ernährungsmedizinischen Empfehlungen unterscheide sich die bei Diabetes mellitus
empfohlene Basiskost in ihrer Zusammensetzung nicht von der im Rahmen der Primärprävention zur Gesunderhaltung empfohlenen
Ernährungsweise, welche eine normale Vollkost darstelle. Die hierfür empfohlene Vollkost (auch: ausgewogene Mischkost) entspreche
einer gesunden Normalkost, sodass ein finanzieller Mehraufwand nicht entstehe. Eine eigentliche Diabeteskost gebe es demnach
nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr, weil die bei Diabetes mellitus empfohlene Vollkosternährung auch die für jeden Gesunden
empfohlene Ernährungsweise darstelle." Auch sei es heute anders als früher möglich, die empfohlene Vollkost nicht nur in Reformhäusern
zu erhalten, sondern zu geringeren Preisen auch in Lebensmittelläden und -ketten. Auf Grund der Erkrankungen der Klägerin
bestehe auch kein Anspruch auf Mehrkosten wegen Praxisgebühren und Zuzahlungen. Insoweit seien diese Kosten nach den Gesetzesmaterialien
bei der Berechnung des "Regelsatzes" berücksichtigt worden. Die Höhe des "Regelsatzes" sei auch mit den Garantien des Grundgesetzes
(
GG) vereinbar.
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, die sie ua damit begründet hat, die Regelleistung nach dem SGB II sei in verfassungswidriger
Weise zu niedrig bemessen. Außerdem seien auch wegen der Erkrankung höhere Leistungen zu gewähren. Schließlich dürfe bei den
Kosten für die Haushaltsenergie kein Abzug vorgenommen werden.
Das LSG hat durch Urteil vom 15. Dezember 2006 die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: "Die nach den
§§
143 f.
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch
auf höhere Leistungen nach dem SGB II hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher nach §
153 Abs.
2 SGG auf die Ausführungen des SG, welche der Senat sich ausdrücklich zu eigen macht, Bezug genommen." Auch im Hinblick auf den im Berufungsverfahren erfolgten
weiteren Vortrag der Klägerin sei der Senat nicht überzeugt, dass die Höhe der Leistungen nach dem SGB II in verfassungswidriger
Weise zu niedrig bemessen sei. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art
100 GG scheide daher aus. Der vorliegende Fall gebe auch keinen Anlass der Frage einer Darlehensvergütung im Rahmen des § 23 Abs
1 SGB II weiter nachzugehen, denn die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie einen Bedarf habe, der in der Höhe erheblich
von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Insofern werde auf die Entscheidungsgründe des SG verwiesen, wonach ein Mehrbetrag für kostenaufwändige Ernährung nach dem Krankheitsbild der Klägerin nicht gerechtfertigt
sei.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung der §§ 19, 20, 21 Abs 5, 22 SGB II sowie von Art
1 und Art
20 GG. Das LSG habe zunächst rechtsfehlerhaft den Mehraufwand für die Vollkost bestimmt. Auf Seite 3 des LSG-Urteils werde die
Auffassung des SG zur Diät dargestellt und auf Seite 5 des Urteils auf die Ausführungen des SG Stuttgart verwiesen, das seinerseits auf Seite
4 und Seite 5 auf den Leitfaden der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe verweise. Der Gesetzgeber habe hingegen in der Gesetzesbegründung
zu § 21 Abs 5 SGB II auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins abgehoben (Hinweise auf BT-Drucks 15/1516 S 57 zu § 21 Abs 5). Indem sich das LSG über die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG auf den Leitfaden der Sozialdezernenten und das Rationalisierungsschema 2004 berufe, wende das LSG nicht existierende Erfahrungssätze
an und überschreite die Grenzen der freien Beweiswürdigung. Wenn das LSG die Frage der wegen einer Diabetes erforderlichen
Kost für entscheidungserheblich halte, hätte es den Sachverhalt weiter aufklären müssen, wenn es auf Publikationen gestützt
den Anspruch auf einen diabetesbedingten Mehrbedarf wegen fehlender Kostenaufwändigkeit ablehne. Das LSG hätte sich in Anbetracht
der unterschiedlichen medizinischen Auffassungen vielmehr gedrängt fühlen müssen, die unterschiedlichen Positionen in den
Publikationen durch einen medizinischen Sachverständigen aufzuklären. Der Begutachtungsleitfaden der Sozialdezernenten könne
auch nicht als grundsätzlich verwertbare Urkunde angesehen werden. Des Weiteren berufe sich das LSG in seiner Bezugnahme auf
die Entscheidungsgründe des SG auf nicht existierende Erfahrungssätze. Das LSG habe weiterhin durch seine Bezugnahme Kosten der Beheizung des Bades der
Klägerin als nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II erstattungsfähig angesehen, aber die zu übernehmenden Heizkosten verfahrensfehlerhaft
ermittelt. Schließlich habe die Klägerin einen Anspruch auf höhere Regelleistungen. Die Regelleistung nach § 20 SGB II sei
in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2006 und des SG Stuttgart vom 29. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, unter Abänderung ihres Bescheides vom 15. November 2005 der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 2005 höhere
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich hinsichtlich des Mehrbedarfszuschlags für kostenaufwändige Ernährung auf das Rationalisierungsschema 2004
des Bundesverbandes Deutscher Ernährungsmediziner eV.
II. Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das
LSG (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG) begründet.
Es ist allerdings zweifelhaft, ob das Berufungsurteil hinreichende Entscheidungsgründe enthält und von daher einer revisionsrechtlichen
Überprüfung überhaupt zugänglich ist. Dieser Verfahrensmangel wäre von Amts wegen zu beachten (vgl zuletzt Bundessozialgericht
[BSG] Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 4/06 R; BSG SozR 1500 § 136 Nr 10 = NJW 1989, 1758 sowie Urteil des 4b. Senats vom 9. Oktober 1986 - 4b RV 9/86 und des 4. Senats vom 21. Juli 1992 - 4 RA 37/91). Nach §
136 Abs
1 Nr
6 SGG enthält das Urteil "die Entscheidungsgründe". Sie fehlen, wenn und soweit in der Urteilsbegründung selbst oder durch Bezugnahme
gemäß §
153 Abs
2 SGG nicht mindestens die Überlegungen zusammengefasst worden sind, auf denen die Entscheidung über jeden einzelnen für den Urteilsausspruch
rechtserheblichen Streitpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Ob das hier der Fall ist, kann letztlich offen
bleiben, weil es ohnehin an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen fehlt, die eine Überprüfung der Entscheidung des LSG
ermöglichen würden.
Das LSG hat lediglich ausgeführt, dass das SG "die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt" und "ebenso zutreffend ausgeführt" habe, dass die Klägerin keinen
Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II habe. Hieraus wird auch unter Rückgriff auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen
Urteils nicht deutlich, welche Ansprüche auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin gemäß §§ 19 ff SGB
II zustehen. Nach § 19 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Bestandteil des Alg II iS des § 19 Satz 1 SGB II ist mithin
die Regelleistung gemäß § 20 SGB II, Leistungen für Mehrbedarfe gemäß § 21 SGB II, die Leistungen gemäß § 23 SGB II sowie
die angemessenen Kosten der Unterkunft gemäß § 22 SGB II. Für eine revisionsgerichtliche Überprüfung wäre erforderlich gewesen,
dass das LSG angegeben hätte, welcher Zahlbetrag an Leistungen gemäß §§ 19 ff SGB II der Klägerin für welchen Monat bewilligt
wurde und wie sich der Zahlbetrag auf die Einzelansprüche (Regelleistung, Mehrbedarf, Kosten der Unterkunft) verteilt. Auf
Grund der Feststellungen im Tatbestand und der Ausführungen des LSG in den Entscheidungsgründen ist es dem Senat nicht möglich,
im Einzelnen nachzuvollziehen, auf welcher Rechtsgrundlage welche Beträge in welchem Monat bewilligt worden sind. Dies gilt
insbesondere auch, soweit aus dem Tatbestand erkenntlich wird, dass der Klägerin zusätzlich ein Zuschlag gemäß § 24 SGB II
(der nicht als Alg II gilt) bewilligt worden ist. Ebenso wenig wird aus den Entscheidungsgründen des LSG deutlich, wie der
streitige Zeitraum (Streitgegenstand in zeitlicher Hinsicht) bestimmt worden ist. So wird im Tatbestand ein Bescheid vom 30.
November 2005 aufgeführt, der Leistungszeiträume bis Mai 2006 umfasst. Geht man davon aus, dass nur der Bescheid vom 15. Juni
2005 angefochten ist, so wird von ihm immerhin der Leistungszeitraum bis August 2005 geregelt.
Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil auf der Grundlage des LSG-Urteils nicht nachvollzogen werden kann, ob das Berufungsgericht
eine zutreffende Rechtsprüfung der geltend gemachten Ansprüche vorgenommen hat. Dies gilt insbesondere soweit das LSG die
von der Klägerin geltend gemachten Kosten für eine aufwändige Krankenernährung gemäß § 21 Abs 5 SGB II abgelehnt hat. Das
LSG hätte hier im Einzelnen den krankheitsbedingten Mehrbedarf der Klägerin feststellen müssen bzw, wenn es zu einer ablehnenden
Entscheidung kommt, auf den Einzelfall bezogen begründen müssen, wieso der Klägerin auf Grund ihres konkreten Krankheitsfalles
kein Mehrbedarf gemäß § 21 Abs 5 SGB II zusteht. Das LSG referiert hierzu aber lediglich im Tatbestand die Entscheidungsgründe
des SG, wonach nach "aktuellen ernährungsmedizinischen Empfehlungen" die bei Diabetes mellitus empfohlene Basiskost sich nicht von
der normalen Vollkost unterscheide. Das SG ist damit von den Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit zur Anwendung des § 21 SGB II abgewichen, die die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Jahre 1997 zu
Grunde legen. Hiernach wäre für Diabetes mellitus der Stufe I ein monatlicher Mehrbedarf von 25,56 Euro anzuerkennen, der
offensichtlich auch von der Beklagten anerkannt worden ist. Insoweit wäre auch noch zu klären, inwieweit den Entscheidungen
des SG bzw LSG das Verbot der reformatio in peius entgegenstünde.
Der Senat hat in seinen Urteilen vom 27. Februar 2008 (B 14/7b AS 32/06 R und B 14/7b AS 64/06 R) im Einzelnen dargelegt, dass jeweils eine Einzelfallprüfung zu erfolgen hat, wenn der ernährungsbedingte Mehrbedarf nach
Inhalt und Höhe "streitig" bleibt. Den "Empfehlungen des Deutschen Vereins" hinsichtlich der Krankenkostzulagen kommt dabei
keine normative Wirkung zu. Es handelt sich nicht um "antizipierte Sachverständigengutachten", sondern allenfalls um in der
Verwaltungspraxis etablierte generelle Kriterien, die im Normalfall eine gleichmäßige und schnelle Bearbeitung geltend gemachten
Mehrbedarfs im Bereich der Krankenkost erlauben. Durch diese "Empfehlungen" wird jedoch die grundsätzliche Verpflichtung der
Verwaltung und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, den Sachverhalt vom Amts wegen aufzuklären (§
20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch bzw §
103 SGG), nicht aufgehoben. Mithin haben die Instanzgerichte jeweils den genauen krankheitsbedingten Mehrbedarf der Kläger im Einzelnen
aufzuklären. Dies hat das SG ersichtlich nicht getan. Es hat lediglich den Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger
Ernährung (Krankenkostzulagen) gemäß § 23 Abs 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe von 2002 an die Stelle der Empfehlungen
des Deutschen Vereins gesetzt und hat diesen ohne weiteres als alternative "Norm" zu Grunde gelegt. Gerade die offensichtliche
Divergenz der beiden Empfehlungen bzw Leitfäden zeigt, dass diese nicht (mehr) als antizipierte Sachverständigengutachten
zu Grunde gelegt werden können. Bei einer so weit reichenden Frage, inwieweit für Patienten mit Diabetes mellitus I eine Zulage
für Krankenkost gemäß § 21 Abs 5 SGB II zu gewähren ist, kann nicht unter Berufung auf einen irgendwie gearteten "Leitfaden"
oder "Empfehlungen" von weiterer Sachverhaltsaufklärung abgesehen werden. Das LSG ist in einem solchen Fall vielmehr verpflichtet,
den Sachverhalt eigenständig aufzuklären und auf Grund der Umstände des Einzelfalls eigenständig zu prüfen. Eine hinreichende
Darstellung des Sachverhalts bezüglich des Krankheitsbildes und des Krankenkostbedarfs der an Diabetes mellitus leidenden
Klägerin lässt das Berufungsurteil nicht erkennen. Das LSG zitiert bei seiner rechtlichen Würdigung noch nicht einmal korrekt
den vom SG als Norm in Bezug genommenen Begutachtungsleitfaden, sondern verweist in seinem Tatbestand lediglich pauschal auf "aktuelle
ernährungsmedizinische Empfehlungen". In den Entscheidungsgründen wird sodann nicht deutlich gemacht, dass das LSG dem SG genau in diesem Punkt der "mechanischen" Anwendung eines normativ nicht näher qualifizierten Begutachtungsleitfadens folgt.
Soweit das LSG am Ende seiner Entscheidungsgründe auf die Entscheidungsgründe des SG verweist, "wonach ein Mehrbetrag für kostenaufwändige Ernährung nach dem Krankheitsbild der Klägerin nicht gerechtfertigt
ist", bleibt unklar, woher das LSG seine Sachkunde bezieht.
Auch bezüglich der von der Klägerin geltend gemachten Energiekosten gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II wird weder aus dem Sachverhalt
noch aus den Entscheidungsgründen deutlich, in welcher Höhe der Klägerin Energiekosten zugesprochen worden sind. Es bleibt
auch unklar, inwieweit das LSG die Position des SG übernommen hat, das der Klägerin für die Beheizung der Wohnung mit einem Heizlüfter bei einer Leistung von 2.000 Watt und
einer anzunehmenden Betriebsdauer von 30 Minuten täglich zusätzlich monatlich 3,52 Euro zugesprochen hat. Soweit das SG ausgeurteilt hat, dass in der Regelleistung bereits Warmwasserkosten in Höhe von 6,23 Euro enthalten sind, ist dies im Grundsatz
nicht zu beanstanden. Der erkennende Senat hat in seinen Urteilen vom 27. Februar 2008 (B 14/7b AS 32/06 R und B 14/11b AS 15/07 R) im Einzelnen begründet, dass die Kosten der Warmwasserbereitung bereits in der Regelleistung gemäß § 20 SGB II enthalten
sind. Die Höhe der Kosten der Warmwasserbereitung, die in die Regelleistung einfließen, ist mit 6,22 Euro monatlich zu bemessen
(vgl BSG aaO). Ob das LSG diesen Ansatz rechtlich teilt, kann aus den Entscheidungsgründen seines Urteils nicht ersehen werden.
Soweit die Klägerin schließlich geltend macht, dass die Regelleistung bzw die Festsetzung der Regelleistung gemäß § 20 SGB
II als solche verfassungswidrig ist, ist dem nicht beizutreten. Der erkennende Senat ist bereits mehrfach insofern dem 11b.
Senat des BSG gefolgt, der in seinem Urteil vom 23. November 2006 (SozR 4-4200 § 20 Nr 3) entschieden hat, dass keine verfassungsrechtlichen
Bedenken gegen die Höhe der Regelleistung bestehen (vgl hierzu Urteile des erkennenden Senats vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b
AS 62/06 R und vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 32/06 R). Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 7. November 2007 (1 BvR 1840/07) mittlerweile zu erkennen gegeben, dass es die von der Klägerin gegen die Höhe der Regelleistung vorgebrachten Einwände nicht
als durchschlagend ansieht.
Nach alledem wird das LSG festzustellen haben, in welcher Höhe der Klägerin bereits im Einzelnen Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II bewilligt worden sind, welcher streitige Zeitraum zur Prüfung gestellt wird und
welche Kostenfaktoren im Einzelnen zwischen den Beteiligten noch streitig sind.
Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.