Einrede der Verjährung bei der Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung.
Der Kläger zu 1) war Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin zu 2). In der Zeit vom 1. August 1993 bis zum 30. Juni 1999
wurden für ihn Sozialversicherungsbeiträge ua zur Arbeitslosenversicherung entrichtet. Telefonisch teilte die Beigeladene
dem Kläger zu 1) am 22. Februar 1994 die Entscheidung über das Vorliegen seiner Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten-
und Arbeitslosenversicherung mit.
Auf Grund der Insolvenz der Klägerin zu 2) beantragte der Kläger zu 1) im Juli 1999 bei der Beklagten die Bewilligung von
Arbeitslosengeld. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. August 1999 und Widerspruchsbescheid vom 18. November 1999
mit der Begründung ab, der Kläger zu 1) sei in seiner Eigenschaft als Gesellschafter-Geschäftsführer nicht versicherungspflichtig
gewesen. Die Beigeladene stellte mit Bescheiden vom 11. November 1999 und vom 16. Februar 2000 gegenüber der Beklagten fest,
dass der Kläger seit dem 1. August 1993 nicht versicherungspflichtig gewesen sei. Die Feststellung der AOK-Direktion Deggendorf
vom 22. Februar 1994 über das Bestehen von Versicherungs- und Beitragspflicht sei unrichtig gewesen und habe auf einem fehlerhaften
Verwaltungshandeln beruht.
Am 30. November 1999 beantragten die Kläger die Erstattung zu Unrecht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge. Die zunächst
angegangene Beigeladene leitete die Anträge unter Hinweis auf die teilweise Verjährung zuständigkeitshalber an die Beklagte
weiter. Mit Bescheiden vom 21. Februar 2000 stellte die Beklagte fest, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu Unrecht
gezahlt worden seien und setzte den Erstattungsbetrag für die Zeit vom 1. Februar 1994 bis zum 30. Juni 1999 auf 4.734,52
DM fest. Der Erstattungsanspruch sei zwar für die Zeit vom 1. August 1993 bis zum 31. Dezember 1994 verjährt, doch werde die
Einrede der Verjährung für die Zeit ab Februar 1994 nicht geltend gemacht, da die Beitragszahlungen ab diesem Zeitpunkt durch
ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Beigeladenen veranlasst worden seien. Dagegen habe die Beitragszahlung für die Zeit
bis zum 31. Januar 1994 lediglich auf der Unkenntnis der Kläger beruht. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Kläger
wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2000 als unbegründet zurück.
Mit Urteil vom 28. November 2002 hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, auch die in der Zeit vom 1. August 1993 bis zum 31.
Januar 1994 geleisteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu erstatten. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben
(Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts >LSG< vom 25. Juni 2004). Die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Beklagte
sei rechtsmissbräuchlich. Hätte die Beigeladene nicht mit Verwaltungsakt vom 22. Februar 1994 das Bestehen von Versicherungspflicht
beim Kläger zu 1) festgestellt, hätten die Kläger bereits zum damaligen Zeitpunkt einen Antrag auf Erstattung der Beiträge
gestellt.
Mit ihrer vom Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 22. Juni 2005 zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung
von §
27 Abs
2 Satz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (
SGB IV). Sie vertritt die Rechtsauffassung, dass sie berechtigt gewesen sei, die Einrede der Verjährung auch für die Zeiten vor
dem fehlerhaften Verwaltungshandeln der Beigeladenen zu erheben. Der erkennende Senat habe in seiner Entscheidung vom 29.
Juli 2003 (B 12 AL 1/02 R, SozR 4-2400 § 27 Nr 1) offen gelassen, ob ein vorangegangenes fehlerhaftes Verwaltungshandeln unter dem Gesichtspunkt des
venire contra factum proprium die Erhebung der Verjährungseinrede bereits tatbestandsmäßig ausschließe oder aber nur im Rahmen
des vom Versicherungsträger auszuübenden Ermessens hinsichtlich der Einredeerhebung zu berücksichtigen sei. Das Urteil habe
den Grundsatz bestätigt, dass eine Unkenntnis des Berechtigten von einem Anspruch auf Beitragsrückerstattung bei der Verjährung
grundsätzlich unbeachtlich bleiben müsse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Juni 2004 und das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 28. November
2002 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 21. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober
2000 abzuweisen.
Der Kläger zu 1) beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Erhebung der Verjährungseinrede sei grob unbillig. Ohne das fehlerhafte Verwaltungshandeln der
Beigeladenen hätte er die im streitigen Zeitraum geleisteten Beiträge rechtzeitig zurückfordern können. Auf Grund der falschen
Auskunft sei er von seiner Beitragspflicht und seinem Leistungsanspruch im Versicherungsfalle ausgegangen. Es könne keinen
Unterschied machen, ob falsches Verwaltungshandeln erst dazu führe, dass Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet würden
oder aber dass bisher entrichtete Beiträge vor Eintritt der Verjährung nicht zurückgefordert würden.
Die Klägerin zu 2) hat sich im Verfahren vor dem BSG - wie bereits in der Berufungsinstanz - nicht geäußert. Die beigeladene
AOK hat keine eigene Stellungnahme abgegeben.
II
Die auf die Erhebung der Verjährungseinrede als einzigen revisionsrechtlichen Streitgegenstand begrenzte Revision der Beklagten
ist unbegründet.
Im Ergebnis zutreffend hat das LSG insofern das im Ergebnis zutreffende Urteil des SG bestätigt, mit dem dieses die Bescheide der Beklagten vom 21. Februar 2000 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 24. Oktober 2000 abgeändert und die Beklagte zur Erstattung auch der Beiträge für die Zeit vom 1. August 1993 bis 31.
Januar 1994 verurteilt hatte. Der Urteilsausspruch des Berufungsgerichts war schon deshalb zu bestätigen, weil bereits die
Voraussetzungen der Verjährung nicht vorliegen.
Gegenstand der Verjährung ist stets ein "Anspruch" iS von §
194 Abs
1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB), das heißt, das Recht, von einem anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu verlangen. Ein derartiges Recht muss zumindest
entstanden sein. Der hier in Frage stehende Anspruch auf Erstattung "zu Unrecht" entrichteter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
(§
26 Abs
2,
3 SGB IV) konnte jedenfalls nicht entstehen, solange durch den auch im Namen der beklagten Bundesagentur ergangenen Verwaltungsakt
der beigeladenen Krankenkasse vom 22. Februar 1994 für diese bzw die Kläger zu 1) und 2) verbindlich (§
77 Sozialgerichtsgesetz >SGG<) gerade die "Versicherungspflicht" des Klägers zu 1) rückwirkend ab dem 1. August 1993 festgestellt war und damit ein
Rechtsgrund für die jeweilige Tragung von Beiträgen bestand. Dies änderte sich frühestens, als die Kläger durch den Widerspruchsbescheid
der Beklagten vom 18. November 1999 mittelbar von der dieser gegenüber im Schreiben der Beigeladenen vom 11. November 1999
schlüssig verlautbarten Aufhebung des Verwaltungsakts vom 22. Februar 1994 in Kenntnis gesetzt wurden und der neu entstandenen
Rechtslage gemäß am 30. November 1999 die Beitragserstattung beantragten. Erstmals mit dieser Entscheidung der Beigeladenen
als actus contrarius konnten die Voraussetzungen der Beitragsentrichtung entfallen bzw konnte umgekehrt der Anspruch der Kläger
auf Beitragserstattung auf der Grundlage von §
26 Abs
2 SGB IV entstehen und fällig werden bzw geltend gemacht werden (s bereits Urteil des Senats vom 16. April 1985, 12 RK 19/83, SozR 2100 §
27 Nr 3; vgl zur regelmäßigen Koinzidenz von Entstehung und Fälligkeit Heinrichs in Palandt, Kommentar zum
BGB, 65. Aufl, §
271 RdNr 1, entsprechend zur Rechtslage bei Sozialleistungen s § 41 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch).
Die damit erstmals und frühestens im Jahre 1999 entstandenen Erstattungsansprüche der Kläger sind nicht verjährt. Insofern
ist zunächst durch deren schriftlichen Erstattungsantrag vom 30. November 1999 bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den
Widerspruch eine Unterbrechung der Verjährung eingetreten (§
27 Abs
3 Satz 2,
3 SGB IV in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung). Dieselbe Wirkung kam nach §
27 Abs
3 Satz 1
SGB IV iVm §
209 Abs
1 BGB - beide ebenfalls noch in der bis 31. Dezember 2001 geltenden Fassung - der am 24. November 2000 erhobenen Klage der Kläger
zu. Seit dem 1. Januar 2002 ist gemäß § 27 Abs 3 Satz 1 (idF durch Art 6 Nr 3 des Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherungs-Neuregelungs-Gesetzes
vom 21. Juni 2002, BGBl I 2167) iVm §
204 Abs
1 Nr
1 BGB (idF durch Art 1 Abs 1 Nr
3 des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001, BGBl I 3138) das Rechtsinstitut der Verjährungsunterbrechung
durch dasjenige der Hemmung ersetzt. Dies gilt seither gemäß Art 229 § 6 Abs 2 des Einführungsgesetzes zum
BGB auch für die Ansprüche der Kläger.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.