Voraussetzungen für den Mitteleinbehalt zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Einbehaltung von Rechnungsteilbeträgen im Zusammenhang mit der Anschubfinanzierung für Maßnahmen
der integrierten Versorgung.
Die Klägerin ist Trägerin eines nach §
108 SGB V zur Behandlung der Versicherten zugelassenen Krankenhauses. Unter dem 7.4.2004 schrieb die beklagte AOK der Klägerin, sie
habe nunmehr "die technischen Voraussetzungen für den Abschlag für die integrierte Versorgung im Einsatz". Sie habe seit Beginn
des Jahres Verträge zur integrierten Versorgung nach §
140a SGB V abgeschlossen und sei somit berechtigt, den Abschlag in Höhe von 1 % einzubehalten. Um der Klägerin die Möglichkeit der Umstellung
zu geben, werde sie gebeten, ihre Systeme kurzfristig bis spätestens 1.5.2004 umzustellen. Andernfalls würden entsprechende
Beträge automatisch gekürzt. Sie werde die bereits bezahlten Rechnungen betreffend Krankenhausaufnahmen ab 1.1.2004 maschinell
zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend kürzen und über ihr Vorgehen noch informieren.
Die Beklagte hielt sich mit Blick auf ihre Verträge über integrierte Versorgung mit der Saaleklinik/Diakoniekrankenhaus, der
Saaleklinik/Elisabeth-Krankenhaus, der Praxisklinik Sudenburg, dem Diakonissenkrankenhaus Dessau, Hausärzten und Fachärzten
für berechtigt, 71 322,88 Euro von einer unstreitig zu bezahlenden Rechnung der Klägerin aus dem Monat Februar 2005 abzuziehen.
Der Betrag entsprach 1 % der Rechnungssumme der mit der Beklagten abgerechneten Krankenhausfälle der Klägerin aus dem Zeitraum
von Januar bis Ende April 2004 (Schreiben vom 11.2.2005 nebst Einzelaufstellung). Die Beklagte bezahlte deshalb die Sammelrechnung
der Klägerin nur in gekürztem Umfang. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 71 322,88 Euro nebst 4 % Zinsen verurteilt (Urteil vom 28.2.2007). Das LSG
hat die Berufung der Beklagten unter Verschiebung des Verzinsungsbeginns auf die Zeit ab Rechtshängigkeit (21.4.2005) zurückgewiesen:
Die Beklagte habe den Zahlbetrag nicht von Rechnungen der Klägerin "einbehalten", wozu sie allein berechtigt gewesen sei,
sondern die Rechnungen zunächst vollständig beglichen und die Kürzung erst später ohne Rechtsgrundlage geltend gemacht. Sie
habe zudem ermessensfehlerhaft Abzüge in Bezug auf Verträge über integrierte Versorgung vorgenommen, die sie noch gar nicht
abgeschlossen, sondern deren Abschluss sie bloß geplant habe. Eine Teilung der einheitlichen Ermessensentscheidung komme nicht
in Betracht (Urteil vom 17.3.2010).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des §
140d SGB V und der Rechtsgedanken des §
812 BGB. Sie (die Beklagte) habe die zunächst unterlassenen Rechnungseinbehalte für Behandlungen ab Anfang 2004 noch im Februar 2005
geltend machen dürfen. Dass die einschlägigen Verträge erst zum 1.7.2004 geschlossen worden seien, sei unschädlich. Es genüge,
dass sie (die Beklagte) überhaupt im Jahr 2004 Verträge über eine integrierte Versorgung abgeschlossen habe, die im Rahmen
eines Dreijahreszeitraums die Höhe des Einbehalts von 1 % der Abrechnungen rechtfertigten.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. März 2010 und des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Februar
2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der beklagten AOK ist nicht begründet. Der Beklagten stand keine Gegenforderung aus der Einbehaltung
von Mitteln zwecks Anschubfinanzierung von Maßnahmen der integrierten Versorgung im Zeitraum Januar bis Ende April 2004 zu,
die sie gegenüber der unstreitigen Forderung der klagenden Krankenhausträgerin auf Vergütung von Krankenhausbehandlung gemäß
ihrer Sammelrechnung aus Februar 2005 mit Erfolg geltend machen konnte.
1. Der erkennende Senat ist geschäftsplanmäßig für die Sache zuständig, da es sich um einen Leistungserbringerstreit der gesetzlichen
Krankenversicherung handelt. Streitbefangen ist der Anspruch der klagenden Trägerin des Krankenhauses auf Vergütung für Krankenhausbehandlung,
dem die Beklagte angebliche Rechte aus §
140d SGB V entgegenhält. Das unterscheidet den Rechtsstreit von Sachen im Zuständigkeitsbereich des Senats für Vertragsarztrecht, in
denen es um Ansprüche gegen eine Krankenkasse (KK) auf Zahlung einbehaltener Gesamtvergütungsanteile geht (vgl dazu zB BSGE
100, 52 = SozR 4-2500 § 140d Nr 1).
Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin macht den
Anspruch auf weitere Vergütung für die Krankenhausbehandlung zu Recht mit der (echten) Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG geltend (vgl allgemein: BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 §
112 Nr 3; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, RdNr 10; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSG Urteil vom 20.4.2010 - B 1 KR 19/09 R -, zur Veröffentlichung in SozR 4-5562 § 8 Nr 1 vorgesehen, mwN). Die Klägerin hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert
(vgl zur Notwendigkeit BSGE 83, 254, 263 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1; BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2).
2. Gegen den unstreitigen, mit der Sammelrechnung von Februar 2005 geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Krankenhausvergütung
aus §
109 Abs
4 Satz 3
SGB V stehen der Beklagten keine Gegenrechte aus der Anschubfinanzierung für Verträge über integrierte Versorgung für den Zeitraum
Januar bis Ende April 2004 zu. Einzig in Betracht kommt ein Recht auf "Einbehaltung von Mitteln". Teilweise hat die Beklagte
Mittel zur Anschubfinanzierung für Verträge der integrierten Versorgung schon gar nicht "einbehalten" (dazu a). Soweit spätere
Einbehalte erfolgt sind, sind diese als abtrennbarer Entscheidungsteil eigenständig auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (dazu
b). Im Ergebnis war die Beklagte zu den vorgenommenen Einbehaltungen in der Sache nicht berechtigt (dazu c).
a) Die Beklagte kann sich bis zum Zugang ihres Schreibens vom 7.4.2004 bei der Klägerin schon deshalb nicht auf Rechte aus
Anschubfinanzierung zur integrierten Versorgung berufen, weil das Gesetz sie lediglich zum "Zahlungseinbehalt" von Rechnungen
der einzelnen Krankenhäuser ermächtigt. Die Beklagte hat von diesem Recht auf Einbehaltung keinen Gebrauch gemacht, sondern
die Forderungen der Klägerin nach den unangegriffenen und damit für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG
(§
163 SGG) zunächst erfüllt. Die Beklagte kann nachträglich, nach Erfüllung der Forderungen, eine Einbehaltung nicht mehr wirksam geltend
machen.
Nach §
140d Abs
1 Satz 1
SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz
[GMG] vom 14.11.2003, BGBl I 2190) hat jede KK zur Förderung der integrierten Versorgung in den Jahren 2004 bis 2006 jeweils
Mittel bis zu 1 vH von der nach §
85 Abs
2 SGB V an die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) zu entrichtenden Gesamtvergütung sowie von den Rechnungen der einzelnen Krankenhäuser
für voll- und teilstationäre Versorgung einzubehalten, soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach §
140b SGB V geschlossenen Verträgen erforderlich sind.
Das "Einbehalten" von Mitteln umschreibt den Vorgang, dass die KK einen gegen sie gerichteten Anspruch - sei es aus nach §
85 Abs
2 SGB V an die KÄV zu entrichtender Gesamtvergütung, sei es aus abgerechneter Krankenhausbehandlungsvergütung (vgl etwa §
109 Abs
4 Satz 3
SGB V) - als berechtigt ansieht, die hierfür geschuldeten Mittel in Höhe des Einbehalts aber nicht leistet, sondern mit einem Gegenrecht
auf Mitteleinbehaltung zur Anschubfinanzierung aufrechnet und die auf diese Art und Weise "einbehaltenen Mittel" zur zweckgebundenen
Verwendung verbucht (zur Buchung der Mittel siehe Gesetzentwurf eines GMG der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
BT-Drucks 15/1525 S 131 zu Nr 116 [§ 140d]). Das Gesetz benennt mit dem "Einbehalten" von Mitteln nur abgekürzt einen äußeren
Vorgang, qualifiziert aber nicht ausdrücklich die dahinter stehenden rechtlichen Vorgänge. Die Aufrechnung von KKn zur Erfüllung
von Ansprüchen auf Vergütung von Krankenhausbehandlung erfolgt analog §§
387 ff
BGB (vgl BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 §
109 Nr 17, RdNr 11) durch Aufrechnungserklärung.
Ein Verwaltungsakt hat dagegen zwischen den gleichgeordneten KKn und Krankenhäusern zwecks Einbehaltung nicht zu ergehen (aA
Einbehalt als Verwaltungsakt - Dahm MedR 2005, 121, 122; str dagegen für die Verrechnungserklärung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsempfängern
und Sozialleistungsträgern nach §
52 SGB I, vgl hierzu Vorlagebeschluss an den Großen Senat BSG vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R - und BSG Beschluss vom 22.9.2009 - B 4 SF 1/09 S -, anhängiges Verfahren GS 2/10). Entgegen der Auffassung des LSG war die Beklagte nicht etwa gehalten, eine Ermessensentscheidung über die Aufrechnung gegenüber
dem Anspruch der Klägerin aus Krankenhausbehandlung zu treffen. Vielmehr handelt es sich bei der Einbehaltung um eine gebundene
Entscheidung: Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut "hat" die betroffene KK Mittel im gesetzlich vorgegebenen Rahmen
"einzubehalten", soweit die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Im Rahmen dieser gebundenen Entscheidung muss die KK
allerdings eine Prognose hinsichtlich der künftigen Erforderlichkeit der Mittel aufstellen. Allein der prognostische Inhalt
einer Entscheidung macht diese aber noch nicht zu einer Ermessensentscheidung.
Die Ausübung des Einbehaltungsrechts steht der KK nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt frei. Vielmehr muss sie entscheiden,
ob sie eine ihr zugegangene, nach ihrer Überprüfung zu erfüllende Krankenhaus-Rechnung voll begleichen oder stattdessen hiervon
Mittel zur Anschubfinanzierung für eine Maßnahme der integrierten Versorgung einbehalten will. Zur Einbehaltung ist sie zeitlich
nur bis zur vorbehaltlosen Erfüllung der Krankenhausforderung befähigt. Spätere Aufrechnungserklärungen sind unwirksam, denn
sie gehen bei bereits erfolgter Zahlung ins Leere. Will die KK Mittel einbehalten, tritt im Rechtssinne an die Stelle der
eigentlich gebotenen Zahlung zur Schuldtilgung die Erklärung gegenüber dem Gläubiger, die geltend gemachte Forderung in Höhe
der Einbehaltung durch Aufrechnung zu erfüllen. Bezahlt die KK stattdessen die Rechnung vorbehaltlos, macht sie von ihrem
Einbehaltungsrecht gerade keinen Gebrauch. Der betroffene Gläubiger braucht in einem solchen Fall nicht mehr damit zu rechnen,
später noch mit einem Gegenrecht aus der Anschubfinanzierung konfrontiert zu werden. Denn die KK hat bei vorbehaltloser Zahlung
ihr evtl bestehendes Recht auf Einbehaltung nicht ausgeübt. Der Gläubiger darf diese Erfüllung der Schuld durch die KK so
verstehen, dass sie keinen Zahlbetrag zur Anschubfinanzierung einbehalten will. In einem solchen Fall ist es für die KK rechtlich
ausgeschlossen, hinsichtlich der beglichenen Rechnungsposition nachträglich dennoch ein Gegenrecht aus der Anschubfinanzierung
für die integrierte Versorgung geltend zu machen. Die KK hat sich dann entschieden, keine Mittel einzubehalten und ihre Schuld
erfüllt, ohne dass ihr Einbehaltungsrechte aus Anschubfinanzierung verblieben sind.
Anders liegt es dagegen, wenn eine KK den mit der Rechnung geforderten Betrag zwar begleicht, dies aber mit dem Vorbehalt
verknüpft, einen Rechnungsteil zur Anschubfinanzierung wieder zurückzufordern. In einem solchen Fall, der etwa auf den Schwierigkeiten
der Umstellung eines automatischen Buchungsprogramms beruhen kann, weiß der betroffene Gläubiger nämlich im voraus, dass die
KK ihr Einbehaltungsrecht ausüben will, aber - etwa aufgrund technischer Schwierigkeiten - dennoch zunächst den vollständigen
Rechnungsbetrag zahlt. In einem solchen Fall ist die KK berechtigt, im Umfang ihres Einbehaltungsrechts den zunächst gezahlten
Betrag zurückzufordern. Denn sie macht damit von ihrem zuvor erklärten Vorbehalt Gebrauch.
Nach diesen Grundsätzen kann die Revision der Beklagten hinsichtlich desjenigen Zahlbetrags keinen Erfolg haben, der Rechnungen
wegen Krankenhausbehandlung durch die Klägerin betrifft, die die Beklagte vor Zugang ihres Schreibens vom 7.4.2004 bei der
Klägerin bereits beglichen hatte. Denn in diesem Zeitraum hatte die Beklagte nicht von einem Einbehaltungsrecht Gebrauch gemacht
mit der Folge, dass sich die Klägerin auf die ungeschmälerte Erfüllung ihrer Forderungen verlassen durfte. Zu einer späteren
Aufrechnung oder Rückforderung ermächtigt §
140d SGB V indessen nicht, wie dargelegt.
b) Entgegen der Auffassung des LSG darf sich die gerichtliche Prüfung ausgehend davon, dass ein Teil der Aufrechnung schon
mangels "Einbehaltung" im Rechtssinne unwirksam war, nicht auf diesen Teilaspekt beschränken. Die Beklagte traf mit dem Rechnungsabzug
keine unteilbare Entscheidung, sondern erklärte sinngemäß hinsichtlich des gesamten von ihr geforderten Betrages die Aufrechnung.
Das schließt es nicht aus, dass die Aufrechnungserklärung hinsichtlich eines weiteren Teilbetrags wirksam sein kann. Die Absetzungsbeträge
von den Rechnungen der Klägerin, die vor und nach Zugang des Schreibens vom 7.4.2004 erfolgten, können ohne Weiteres unterschieden
werden. Deshalb ist zu prüfen, ob hinsichtlich des Aufrechnungsteils, der Absetzungen von Rechnungen nach Zugang des Schreibens
vom 7.4.2004 bei der Klägerin betrifft, "Einbehaltungen" im Rechtssinne erfolgten und die Voraussetzungen hierfür vorlagen.
Die Beklagte behielt in der Zeit ab Zugang ihres Schreibens vom 7.4.2004 bei der Klägerin - anders als bezogen auf den vorangegangenen
Zeitraum - im Rechtssinne Mittel ein, da sie der Klägerin auf ihre Rechnungen nur unter dem Vorbehalt späterer Rückforderung
leistete. Die Äußerungen der Beklagten waren für die Klägerin nur in diesem Sinne zu verstehen: Sie erklärte der Klägerin
nämlich in dem Schreiben vom 7.4.2004, sie sei zu einem Abschlag von den Krankenhausrechnungen in Höhe von 1 vH wegen der
seit Jahresbeginn geschlossenen Verträge zur integrierten Versorgung berechtigt, bitte um eine Umstellung der Rechnungen bis
spätestens 1.5.2004 und werde bereits bezahlte Rechnungen zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend kürzen. Damit machte die
Beklagte der Klägerin unmissverständlich deutlich, dass sie ab sofort zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung
1 % von Rechnungen der Klägerin einbehalten wollte und die tatsächliche Umsetzung lediglich an der praktischen Umstellung
des Buchungsprogramms scheiterte. Das genügt nach den dargelegten Grundsätzen, um von einer "Einbehaltung" von Mitteln durch
die Beklagte auszugehen. Die Voraussetzungen für eine rechtmäßige Einbehaltung waren indes bis zum Ablauf des Monats April
2004 nicht erfüllt.
c) Die Beklagte war in der Zeit nach Zugang ihres Schreibens vom 7.4.2004 bei der Klägerin nicht berechtigt, Rechnungseinbehalte
vorzunehmen. Anders als §
140d Abs
1 Satz 1
SGB V für die Einbehaltung voraussetzt, waren die von der Beklagten ab Zugang des Schreibens vom 7.4.2004 bis zum Ablauf des 30.4.2004
einbehaltenen Mittel nicht zur Umsetzung von nach §
140b SGB V geschlossenen Verträgen "erforderlich". Teilweise waren die zugrunde liegenden Verträge nämlich noch gar nicht geschlossen,
teilweise handelte es sich inhaltlich nicht um Verträge über integrierte Versorgung.
§
140d Abs
1 Satz 1
SGB V verlangt schon nach seinem klaren Wortlaut, dass die Mittel für die Umsetzung "geschlossener" Verträge erforderlich sein
sollen, nicht etwa aber auch für Verträge, die sich erst noch im Planungs- oder Verhandlungsstadium befinden. Dem entspricht
auch der Regelungszweck des §
140d SGB V, Einbehaltungen nur zur Umsetzung von Vorhaben der integrierten Versorgung zu gestatten, die auf rechtlich gesicherter Grundlage
stehen. Es bedarf hierfür nämlich mehr als einer bloßen konkreten Planung künftig abzuschließender Verträge (ebenso BSGE 100,
52 = SozR 4-2500 § 140d Nr 1 RdNr 11 mwN; aA Beule GesR 2004, 209, 213; Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Band 4, Stand August 2010, K §
140d RdNr 10 f). Denn die in der Einbehaltung liegende Aufrechnung lässt die geltend gemachte Forderung im aufrechenbaren Umfang
erlöschen und bewirkt insoweit, dass die zur Tilgung vorgesehenen Mittel nicht dem Gläubiger zufließen. Die den Gläubiger
mit der Einbehaltung treffende und ihn finanziell belastende Erfüllungswirkung erfordert eine hinreichende Berechenbarkeit
und Rechtsklarheit der Aktivitäten der betroffenen KK in Bezug auf Maßnahmen der integrierten Versorgung. Beides ist nur gewährleistet,
wenn bereits unzweifelhaft feststeht, wofür konkret der Mitteleinsatz auf KKn-Seite erfolgen soll.
Anders als vom Gesetz vorausgesetzt, waren hier der Vertrag "Hausärzte", der Vertrag "Fachärzte" und der Vertrag "Praxisklinik
Sudenburg" bis Ende April 2004 noch nicht geschlossen. Der Hausärzte- und der Fachärztevertrag sehen vielmehr als Datum für
die Unterzeichnung erst den 25.6.2004 vor, ohne dass das LSG festgestellt hat, dass diese Verträge tatsächlich abgeschlossen
worden sind. Die Beklagte hat dem LSG diesbezüglich sogar überhaupt keinen unterschriebenen Vertrag vorgelegt. Der Vertrag
mit der Praxisklinik Sudenburg, der ausweislich der übersandten Vertragsurkunde erst am 27.4.2004 unterzeichnet wurde, war
ebenfalls im Rechtssinne nicht bis zum Ablauf des April 2004 geschlossen. Nach § 9 dieses Vertrages vereinbarten die Vertragspartner
nämlich erst bis zum 30.4.2004 ein Dokumentationskonzept. Die darin enthaltene Dokumentation ist nach dem Vertragsinhalt gemäß
§
140b Abs
3 SGB V jedem Beteiligten im jeweils erforderlichen Umfang zugänglich. Die Regelung verdeutlicht, dass das Dokumentationskonzept
als gesetzlich vorgesehener, zwingender integraler Bestandteil eines Vertrags zur integrierten Versorgung auch am 27.4.2004
noch nicht existierte, sodass unter Berücksichtigung des selbst gesetzten Datums erst frühestens für die Zeit ab 1.5.2004
Einbehaltungen hätten stattfinden dürfen. Das LSG hat im Übrigen nicht festgestellt, dass später ein Dokumentationskonzept
vereinbart worden ist. Auf eine weitere Prüfung dieser Verträge kommt es nicht an. Eine rückwirkende Inkraftsetzung der Verträge,
wie sie der Vertrag vom 27.4.2004 mit der Regelung über sein Inkrafttreten zum 1.4.2004 vorsieht, ist rechtlich nicht zulässig.
Denn es handelt sich um Verträge, die einen Status begründen, insoweit vergleichbar etwa dem Abschluss eines Versorgungsvertrags
mit einem Krankenhaus (vgl zur fehlenden Rückwirkung der Genehmigung eines Krankenhaus-Versorgungsvertrags zB BSG GesR 2006,
368 = USK 2006-14).
Die weiteren von der Beklagten vorgelegten Verträge sind zwar im Rechtssinne "geschlossen", aber keine Verträge "nach §
140b SGB V", die eine Einbehaltung rechtfertigen konnten. Der erkennende Senat sieht insoweit eine bloß überschlägige, die Grundvoraussetzungen
eines Vertrags über integrierte Versorgung einbeziehende Prüfung als ausreichend an. Andernfalls würde jeder einzelne Rechtsstreit
über die Einbehaltung von Mitteln zur Anschubfinanzierung einen Anreiz für Konkurrenten der integrierten Versorgung bieten,
Verträge über die integrierte Versorgung im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung von Einbehaltungen zu Fall zu bringen. Um
dies zu verhindern, begnügt sich §
140d Abs
1 Satz 1
SGB V damit, für Einbehaltungen lediglich zu verlangen, dass die einbehaltenen Mittel "zur Umsetzung von nach § 140b geschlossenen
Verträgen" erforderlich sind. Eine weitergehende Detailprüfung verlangt das Gesetz dagegen nicht.
Auch unter Berücksichtigung dieses reduzierten Prüfmaßstabs erfüllt der Vertrag der Beklagten mit dem Diakonissenkrankenhaus
Dessau gGmbH nicht die Grundvoraussetzungen eines Vertrags über integrierte Versorgung. §
140b Abs
1 SGB V erläutert im Einzelnen, mit wem KKn Verträge nach §
140a Abs
1 SGB V abschließen können. Nach §
140a Abs
1 Satz 1
SGB V können die KKn abweichend von den übrigen Regelungen dieses Kapitels Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende
Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung mit den in §
140b Abs
1 SGB V genannten Vertragspartnern abschließen.
Der Vertrag "Diakonissenkrankenhaus" zielt insoweit zwar auf eine sektorenübergreifende Versorgung ab. Nach seiner Präambel
regelt der Vertrag eine integrierte Versorgung auf der Grundlage der §§ 140a ff
SGB V. Ziel der Vereinbarung ist die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten mit dem Krankenhaus. Gegenstand
ist die Behandlung der als Anlage 1 dieser Vereinbarung aufgeführten Indikationen in Form einer interventionellen Versorgung
mit postoperativer Nachsorge im überwachten Bett. Teilnehmende Ärzte sind nach § 1 des Vertrages zuweisende und nachbehandelnde
Ärzte gemäß § 3 der Vereinbarung und kooperierende Ärzte gemäß § 2 der Vereinbarung. Zu den zuweisenden und/oder nachbehandelnden
Ärzten soll nach § 3 des Vertrages "jeder zugelassene Vertragsarzt" gehören. Eine solche vertragliche Ausgestaltung deutet
durchaus die Zielrichtung an, eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung zu schaffen.
Gleichwohl sind die Voraussetzungen des §
140b iVm §
140a SGB V nicht erfüllt. Die KK muss einen Vertrag über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten
mit solchen Vertragspartnern aus dem Kreis der abschließend in §
140b Abs
1 SGB V Aufgeführten "geschlossen" haben, dh auf einer vertraglichen Grundlage sichergestellt haben, dass die Vertragspartner eine
integrierte Versorgung auch rechtlich leisten können. Soll - wie hier - die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen
Vertragsärzten mit einem Krankenhaus stattfinden, ist ein Vertrag von hinreichender Qualität daher erst "abgeschlossen", wenn
tatsächlich auch die als potenzielle Vertragsteilnehmer angesprochenen Vertragsärzte vertraglich einbezogen worden sind. Daran
fehlt es beim Vertrag "Diakonissenkrankenhaus". Eine Einbeziehungsvereinbarung mit Vertragsärzten, wie sie § 3 des Vertrages
anspricht, liegt nicht vor, nicht einmal in Form eines - hierfür aber auch nicht ausreichenden - Musters. Dass tatsächlich
in der Zeit, in der die Beklagte im dargelegten Rechtssinne Mittel einbehalten hat, Einbeziehungsvereinbarungen mit Vertragsärzten
bereits geschlossen worden waren, hat das LSG nicht festgestellt, auch die Beklagte hat dies nicht dargelegt, obwohl die Klägerin
das Fehlen einer solchen Vereinbarung bei dem LSG gerügt hat. Unter diesen Umständen kann der erkennende Senat nicht von einem
"nach § 140b geschlossenen Vertrag" ausgehen.
Gleiches gilt für den Vertrag mit dem Krankenhaus Sankt Elisabeth und der Saale-Klinik Halle, Praxisklinik für operative Medizin,
bei dem im Klage- und Berufungsverfahren allerdings schon der Vertragstext nicht in unterzeichneter Form vorgelegt worden
ist. Auch dieser Vertrag enthält eine Präambel wie der Vertrag mit dem Diakonissenkrankenhaus Dessau gGmbH, sieht eine Regelung
über zuweisende und/oder nachbehandelnde Ärzte in seinem § 3 vor und will insoweit allgemein "jeden" zugelassenen Vertragsarzt
einbeziehen. Der Vertragstext enthält sich aber einer vertraglichen Einbeziehung von konkreten Vertragsärzten, die von dieser
ihnen eingeräumten Option auch Gebrauch machten. Auch insoweit hat das LSG keine Einbeziehungsvereinbarungen für den betroffenen
Zeitraum festgestellt noch sind diese sonst aktenkundig. Im Übrigen werden nach § 6 dieses Vertrages im Rahmen einer Übergangsregelung
bis zur Bereitstellung von geeigneten Räumlichkeiten im Krankenhaus Operationen übergangsweise nach der dargelegten Vertragslage
lediglich von den Ärzten der Praxisklinik (§
115 Abs
2 Satz 1 Nr
1 SGB V) nur an den - dafür vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung abgenommenen - drei Standorten der Praxisklinik erbracht,
sodass nicht von einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung der Versicherten auszugehen ist. Eine interdisziplinär/fachübergreifende
Versorgung ist mit dem Vertrag weder beabsichtigt noch ergibt sie sich aus dem beigefügten OP-Katalog.
Entsprechendes gilt schließlich für den Vertrag mit dem Diakoniekrankenhaus. Auch dieser Vertrag, der nach seiner Präambel
auf die integrative Zusammenarbeit von niedergelassenen Vertragsärzten in der Region mit dem Diakoniekrankenhaus abzielt,
sieht in der Übergangsregelung (§ 3 des Vertrags) lediglich Operationen in der Praxisklinik vor. Eine verschiedene Leistungssektoren
übergreifende Versorgung findet dagegen nicht statt. Auch insoweit kann der erkennende Senat nicht von einem geschlossenen
Vertrag über integrierte Versorgung ausgehen.
3. Die vom LSG zuerkannte Forderung von Prozesszinsen ist entsprechend der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl BSG
SozR 4-2500 § 69 Nr 7 RdNr 14; vgl auch BSGE 96, 133 = SozR 4-7610 § 291 Nr 3) nicht zu beanstanden, zumal die Klägerin lediglich einen an der Pflegesatzvereinbarung orientierten
Zinssatz von 4 % geltend macht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
154 Abs
1 VwGO, diejenige über den Streitwert aus §
197a Abs
1 Satz 1 Halbs 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.