Erstattung der Kosten für eine selbst beschaffte bimaxilläre Umstellungsosteotomie
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Erstattung der Kosten iHv 40.831,37
Euro für eine selbst beschaffte bimaxilläre Umstellungsosteotomie (kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische
Behandlung zur Korrektur der Lagebeziehung von Ober- und Unterkiefer) zur Behandlung des bei ihr vorliegenden Schlafapnoe-Syndroms
bei der Beklagten und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Ein Kostenerstattungsanspruch
nach §
13 Abs
3 SGB V bestehe nicht. Die selbstbeschaffte Leistung sei nicht unaufschiebbar gewesen und die Beklagte habe die Kostenübernahme zu
Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs ergäben sich aus §
28 Abs
2 Satz 7
SGB V iVm §
29 Abs
4 Satz 1
SGB V und den Kieferorthopädie-Richtlinien (KFO-RL) des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen (jetzt des Gemeinsamen
Bundesausschusses). Keine der in der KFO-RL festgelegten Indikationsgruppen habe bei der Klägerin vorgelegen. Der Leistungsausschluss
umfasse auch die kieferchirurgischen Maßnahmen. Dass diese den Schwerpunkt der Behandlung gebildet und die Maßnahmen letztlich
der Behandlung einer Schlafapnoe gedient hätten, sei unerheblich. Die Ablehnung der Leistung durch die Beklagte sei auch nicht
kausal für die der Klägerin entstandenen Kosten gewesen. Die Klägerin habe die kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische
Behandlungsmaßnahme begonnen, bevor die Beklagte insgesamt hierüber entschieden habe, und sie sei hierauf auch schon vorfestgelegt
gewesen. Ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3a Satz 7
SGB V (Genehmigungsfiktion) scheide insofern ebenfalls aus. Die Beklagte habe die Anträge der Klägerin auch jeweils fristgerecht
beschieden (Urteil vom 27.10.2021).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des Verfahrensmangels (dazu 1.) und der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 2.).
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet
werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.
Die Klägerin macht geltend, das LSG habe die Unaufschiebbarkeit der Leistung lediglich abstrakt verneint und sich nicht mit
ihrem bei der Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Schreiben vom 25.1.2014 auseinandergesetzt, in dem sie insbesondere
darauf hingewiesen habe, dass nach den Ausführungen im Rahmen eines sozialmedizinischen Gutachtens bei ihr aufgrund einer
vorhandenen Tagesmüdigkeit eine absolute Fahruntauglichkeit vorgelegen hat. Soweit diesem Vorbringen eine Rüge der Verletzung
ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) zu entnehmen sein sollte, trägt die Klägerin keine besonderen Umstände vor, aus denen sich ergeben sollte, dass ihr Vorbringen
entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sein sollte (vgl zu den Darlegungsanforderungen insoweit BSG vom 17.12.2020 - B 1 KR 32/20 B - juris RdNr 11 mwN).
2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren
und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig
und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 -
1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Die Klägerin formuliert schon keine abstrakte Rechtsfrage, die sie für grundsätzlich klärungsbedürftig hält.
Sofern sich ihrem Vorbringen sinngemäß die Rechtsfrage entnehmen lassen sollte, ob der in §
28 Abs
2 Satz 6 und 7
SGB V iVm §
29 Abs
4 SGB V und den KFO-RL geregelte grundsätzliche Ausschluss kieferorthopädischer Behandlungsmaßnahmen bei Erwachsenen auch kombinierte
kieferchirurgische und kieferorthopädische Maßnahmen zur Behandlung eines Schlafapnoe-Syndroms erfasst, fehlt es jedenfalls
an Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit und zur Klärungsfähigkeit dieser Rechtsfrage.
a) Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung
hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten
ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen
soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991
- 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
Nach der auch vom LSG wiedergegebenen Entscheidung des BSG vom 9.12.1997 - 1 RK 11/97 - (BSGE 81, 245 ff = SozR 3-2500 § 28 Nr 3) sind die gesetzlichen Regelungen zum Anspruch auf kieferorthopädische Behandlung als abschließend anzusehen. Der gesetzliche
Leistungsausschluss für kieferorthopädische Behandlungen bei über achtzehnjährigen Versicherten ist nicht einschränkend dahin
zu verstehen, dass er nur für Maßnahmen gilt, die aus ästhetischen Gründen oder wegen mangelnder zahnmedizinischer Vorsorge
erfolgen (aaO, RdNr 13). Er greift auch ein, wenn die kieferorthopädischen Maßnahmen zur Behandlung einer anderen Erkrankung erforderlich sind (aaO, RdNr 15).
Im Übrigen liegt es nach der stRspr des BVerfG und des BSG im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der GKV näher
zu bestimmen (vgl BSG vom 19.6.2001 - B 1 KR 4/00 R - BSGE 88, 166, 170 = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29 f; BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 25/18 R - BSGE 128, 154 = SozR 4-2500 § 34 Nr 21, RdNr 20; BSG vom 27.8.2019 - B 1 KR 37/18 R - BSGE 129, 52 = SozR 4-2500 § 52 Nr 1, RdNr 26; alle Entscheidungen mwN zur Rspr des BVerfG; BSG vom 10.11.2021 - B 1 KR 7/21 R - juris RdNr 20). Das Verfassungsrecht nimmt es grundsätzlich hin, dass der Gesetzgeber den Leistungskatalog der GKV unter Abgrenzung der
Leistungen ausgestaltet, die der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25, 45 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 26). Die Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung
der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25, 46 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 27; zu verfassungsunmittelbaren Leistungsansprüchen in Fällen einer - hier nicht bestehenden
- notstandsähnlichen Situation aufgrund einer lebensbedrohlichen oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit vgl BVerfG
vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25, 44 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 24; BVerfG vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12 - BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 18; BVerfG vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - SozR 4-2500 § 137c Nr 8 RdNr 22).
Inwiefern vor dem Hintergrund dieser höchstrichterlichen Rspr die von ihr (sinngemäß) aufgeworfene Rechtsfrage noch klärungsbedürftig
sein sollte, legt die Klägerin nicht dar.
b) Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt hierüber entscheiden müsste, die Frage also entscheidungserheblich ist (vgl
BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Wie das Vorliegen grundsätzlicher Bedeutung insgesamt, ist dies auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu beurteilen.
Auch Darlegungen zur Klärungsfähigkeit müssen sich also auf die Tatsachen beziehen, die das LSG im angegriffenen Urteil mit
Bindungswirkung für das BSG (§
163 SGG) festgestellt hat (vgl BSG vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris RdNr 10 mwN). Dem wird die Klägerin nicht gerecht.
Das LSG hat die Ablehnung des Kostenerstattungsanspruchs nicht allein auf das Fehlen eines Sachleistungsanspruchs gestützt,
sondern auch darauf, dass die Klägerin den sogenannten Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Unter anderem hat das LSG in
diesem Zusammenhang ausgeführt, die Klägerin sei auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistungen vorfestgelegt gewesen.
Dies folge daraus, dass sie bereits am 10.9.2013 eine Behandlung auf privater Basis vereinbart und nachfolgend Leistungen
auf Privatrechnung (klinische Funktionsanalyse am 30.10.2013) in Anspruch genommen habe. Auch sei die Behandlung am 23.12.2013
und damit vor Erlass des maßgeblichen Bescheides vom 22.1.2014 erbracht worden.
Inwiefern die von ihr (sinngemäß) aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage dieser Feststellungen unter Berücksichtigung
der stRspr des BSG zur sogenannten "Vorfestlegung" (vgl zuletzt BSG vom 10.3.2022 - B 1 KR 6/21 R - juris RdNr 17 mwN) in einem Revisionsverfahren klärungsfähig sein sollte, legt die Klägerin nicht dar.
3. Soweit die Klägerin im Kern ihres Beschwerdevorbringens “Rechtsanwendungsfehler“ des LSG rügt, kann dies der Beschwerde
schon im Ansatz nicht zum Erfolg verhelfen. Denn die Frage, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat,
ist nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (stRspr; vgl BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18; BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 107/12 B - juris RdNr 21; BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B - juris RdNr 6).
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.