Anspruch auf Versorgung mit einer Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen bei einem Colonkarzinom in der gesetzlichen
Krankenversicherung
Kostenerstattung im Wege der Genehmigungsfiktion
Anforderungen an die Revisionsbegründung im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einer Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen.
Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte, an einem Kolonkarzinom leidende Kläger beantragte befundgestützt eine
Behandlung mit dendritischen Zellen (21.5.2014). Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) mit der Begutachtung (22.5.2014), ohne den Kläger hierüber zu unterrichten. Der MDK meinte, die weder unmittelbar lebensbedrohliche
noch dem gleichzustellende Erkrankung sei mit Chemotherapie behandelbar. Die Beklagte lehnte es ab, die Therapie zu bewilligen
(Bescheid vom 12.6.2014; Widerspruchsbescheid vom 14.8.2014). Das SG hat die Klage auf Gewährung der Therapie abgewiesen (Urteil vom 19.5.2016). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen:
Bei der Immuntherapie handele es sich um eine neue, bisher nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) empfohlene Behandlungsmethode
(§
135 Abs
1 SGB V). Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedürfe, liege nicht vor. Die Leistung gelte nicht nach §
13 Abs
3a S 6
SGB V als genehmigt. Die Beklagte habe den Antrag des Klägers rechtzeitig innerhalb der Fünf-Wochen-Frist abgelehnt. Der Lauf dieser
Frist sei nach dem Wortlaut des §
13 Abs
3a S 1
SGB V allein daran geknüpft, dass eine gutachtliche Stellungnahme des MDK eingeholt werde. Zwar habe die Beklagte den Kläger hierüber
nicht - wie in §
13 Abs
3a S 2
SGB V gefordert - unterrichtet. Die Verletzung dieser Pflicht führe aber - anders als das BSG meine (BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33) - nicht dazu, dass die Drei-Wochen-Frist gelte (Urteil vom 21.2.2017).
Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung von §
13 Abs
3a S 6
SGB V. Er hält die vom LSG abgelehnte Auffassung des BSG aus näher dargelegten Gründen für vorzugswürdig.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2017 und des Sozialgerichts Ulm vom 19. Mai 2016 aufzuheben
und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August
2014 zu verurteilen, ihm eine Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2017 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beklagte rügt, die Revisionsbegründung genüge auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Großen Senats des BSG vom 13.6.2018 - GS 1/17 - nicht den Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG. Es mangele an hinreichendem Sachvortrag zum Tatbestandsmerkmal der subjektiven Erforderlichkeit der beantragten Leistung.
Sie hält in der Sache die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist zulässig (dazu 1.) und begründet (§
170 Abs
1 S 1
SGG). Zu Unrecht hat das LSG seine Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Das LSG-Urteil verletzt materielles revisibles Recht. Die zulässige Klage (dazu 2.) ist begründet. Der Kläger
hat aufgrund fingierter Genehmigung seines Antrags einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit der beantragten Immuntherapie
mit autologen dendritischen Zellen (dazu 3.). Die Ablehnungsentscheidung der beklagten KK (Bescheid vom 12.6.2014; Widerspruchsbescheid
vom 14.8.2014) ist rechtswidrig (dazu 4.).
1. Die Revision des Klägers ist zulässig erhoben. Die Revisionsbegründung entspricht insbesondere den Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG.
Gemäß §
164 Abs
2 S 1
SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Nach S 3 dieser Vorschrift muss die Begründung "einen bestimmten Antrag enthalten,
die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben". Der
Große Senat des BSG hat auf Vorlage des erkennenden Senats in dieser Sache (Beschluss vom 26.9.2017 - B 1 KR 3/17 R - Juris = NZS 2018, 102 = KHE 2017/111) entschieden, dass (1) eine Revisionsbegründung bei Sachrügen den gesetzlichen Anforderungen des §
164 Abs
2 S 3
SGG genügt, wenn neben der Stellung eines bestimmten Antrages und der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm die Gründe aufgezeigt
werden, die nach Auffassung des Revisionsklägers aufgrund einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen
Entscheidung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen, und (2) die Bezeichnung von Tatsachen bei Sachrügen kein formelles
Zulässigkeitserfordernis ist, sondern es der Bezeichnung von Tatsachen nur bedarf, soweit dies zum Verständnis der gerügten
Rechtsverletzung unerlässlich ist (BSG Großer Senat Beschluss vom 13.6.2018 - GS 1/17).
Der erkennende Senat ist an diese Entscheidung des Großen Senats gebunden (vgl §
41 Abs
7 S 3
SGG; zur Bindungswirkung vgl Hauck in Zeihe/Hauck,
SGG, Stand April 2018, §
41 Anm 38a bis 38c; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, Stand 19.9.2018, §
41 RdNr 90). Der erkennende Senat muss nicht darauf eingehen, ob und inwieweit vor Zustellung des Beschlusses des Großen Senats
ergangene Entscheidungen anderer Senate (vgl zB BSG Beschluss vom 27.6.2018 - B 14 AS 44/17 R - Juris; BSG Beschluss vom 2.7.2018 - B 10 ÜG 2/17 R - Juris) von jener des Großen Senats abweichen.
Die Revisionsbegründung des Klägers genügt den bindend vorgegebenen Anforderungen. Zu Recht ziehen die Beteiligten nicht in
Zweifel, dass der Kläger einen bestimmten Antrag stellt und die verletzte Rechtsnorm bezeichnet. Er rügt die Verletzung des
§
13 Abs
3a S 6
SGB V. Er zeigt aber auch - entgegen der Ansicht der Beklagten - hinreichend die Gründe auf, die nach seiner Auffassung aufgrund
einer rechtlichen Auseinandersetzung mit den Gründen des LSG-Urteils dieses als unrichtig erscheinen lassen: Zu Unrecht sei
das LSG von der Fünf-Wochen-Frist (§
13 Abs
3a S 1 2. Alt
SGB V) ausgegangen, obwohl ihn die Beklagte nicht über die Einschaltung des MDK informiert habe. Maßgeblich sei die Drei-Wochen-Frist
(§
13 Abs
3a S 1 1. Alt
SGB V). Da keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes erfolgt sei, gelte die Leistung nach Ablauf der Frist entsprechend der
Rspr des erkennenden Senats (BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33) und Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen der Ansicht des LSG als genehmigt
(vgl §
13 Abs
3a S 6
SGB V).
Die Beklagte verkennt die Anforderungen, indem sie rügt, der Kläger habe die für das Verständnis der gerügten Rechtsverletzung
unerlässlichen Tatsachen nicht bezeichnet, nämlich keine Tatsachen zu dem Tatbestandsmerkmal der subjektiven Erforderlichkeit
der beantragten Leistung. Der Kläger muss nach den Vorgaben des Beschlusses des Großen Senats nicht darlegen, dass eine vom
LSG angenommene Abweichung von einer Entscheidung des BSG entscheidungserheblich ist (vgl BSG Großer Senat Beschluss vom 13.6.2018 - GS 1/17 - Juris RdNr 39). Einer Wiedergabe der getroffenen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bedarf es bei bloßen Sachrügen
in aller Regel nicht. Die vorinstanzlichen Feststellungen sind allen Beteiligten und dem Gericht aufgrund ihrer Kenntnis der
angegriffenen Entscheidung bekannt. Ihre Wiederholung in der Revisionsbegründung zu fordern, wäre eine bloße, unnötige Förmelei.
Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Revisionsbegründung das Revisionsgericht vom eigenständigen Lesen und
Durchdringen des Urteils entlasten soll. Die Rechtsausführungen für die Sachrüge in der Revisionsbegründung müssen lediglich
verdeutlichen, wieso der Revisionskläger sich aus seiner Sicht durch die Rechtsanwendung der Vorinstanz verletzt sieht (vgl
BSG Großer Senat Beschluss vom 13.6.2018 - GS 1/17 - Juris RdNr 37 mwN).
2. Gegenstand des Rechtsstreits sind zwei in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§
56 SGG) zusammen verfolgte zulässige Klagebegehren: Die allgemeine Leistungsklage auf Versorgung mit einer Immuntherapie mit autologen
dendritischen Zellen (dazu a) und die (isolierte) Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung (dazu b).
a) Die von dem Kläger erhobene allgemeine Leistungsklage ist zulässig. Nach §
54 Abs
5 SGG kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt
nicht zu ergehen hatte. Hierfür genügt es, dass ein bindender Verwaltungsakt (§
77 SGG) vorliegt, der Leistungsträger aber gleichwohl nicht leistet (vgl BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 §
54 Nr 40 S 22 f; s ferner Zeihe in Zeihe/Hauck,
SGG, Stand April 2018, §
54 RdNr 43b). Ist die Genehmigung einer beantragten Leistung kraft Fiktion erfolgt, steht dies der Bewilligung der beantragten
Leistung durch einen Leistungsbescheid gleich. Die Genehmigungsfiktion bewirkt ohne Bekanntgabe (§§ 37, 39 Abs 1 SGB X) einen in jeder Hinsicht voll wirksamen Verwaltungsakt iS von § 31 S 1 SGB X. Durch den Eintritt der Fiktion verwandelt sich der hinreichend inhaltlich bestimmte Antrag in den Verfügungssatz des fingierten
Verwaltungsakts. Er hat zur Rechtsfolge, dass das in seinem Gegenstand durch den Antrag bestimmte Verwaltungsverfahren beendet
ist und dem Versicherten unmittelbar ein Anspruch auf Versorgung mit der Leistung zusteht (vgl zum Ganzen BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 8 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 9, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Die allgemeine Leistungsklage tritt nicht hinter die Feststellungsklage zurück (§
55 Abs
1 Nr
1 SGG). Mit der allgemeinen Leistungsklage kann ein Kläger effektiven Rechtsschutz (Art
19 Abs
4 S 1
GG) erlangen, wenn sich eine KK - wie hier - weigert, eine durch Verwaltungsakt zuerkannte Leistung zu erbringen. Ihm bleibt
nur die Leistungsklage, um einen Vollstreckungstitel zu erhalten (§
199 Abs
1 Nr
1 SGG). Eine Vollstreckung aus Verwaltungsakten gegen die öffentliche Hand ist nicht vorgesehen (vgl BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40 S 23; BSGE 75, 262, 265 = SozR 3-8560 § 26 Nr 2 S 15). Die allgemeine Leistungsklage und nicht eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage
(§
54 Abs
4 SGG) ist statthaft. Denn der Kläger stützt sein Begehren gerade auf den Eintritt der fingierten Genehmigung seines Antrags (§
13 Abs
3a S 6
SGB V), auf einen fingierten Leistungsbescheid, der in Bestandskraft erwachsen ist. §
86 SGG findet keine Anwendung.
b) Die gegen die Ablehnungsentscheidung neben der allgemeinen Leistungsklage erhobene isolierte Anfechtungsklage ist zulässig
(vgl BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 10 mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 11, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Die Beklagte setzte mit ihrer Leistungsablehnung nicht das
mit Eintritt der Genehmigungsfiktion beendete, ursprüngliche Verwaltungsverfahren fort, sondern eröffnete ein neues eigenständiges
Verfahren.
3. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Versorgung mit einer Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen
als Naturalleistung. Er entstand kraft fingierter Genehmigung des Antrags (dazu a). Die Voraussetzungen der Fiktion der Genehmigung
sind erfüllt. §
13 Abs
3a SGB V (idF durch Art 2 Nr 1 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten [PatRVerbG] vom 20.2.2013, BGBl I 277) erfasst die von
dem Kläger beantragte Leistung nicht nur zeitlich (vgl dazu BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 15 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9), sondern auch als ihrer Art nach der Genehmigungsfiktion zugängliche Leistungsart (dazu
b). Der Kläger war leistungsberechtigt (dazu c). Er erfüllte mit seinem Antrag die Voraussetzungen eines genehmigungsfähigen,
den Lauf der Frist auslösenden Antrags auf Versorgung mit einer Immuntherapie (dazu d). Der Kläger durfte die beantragte Leistung
für erforderlich halten (dazu e). Die Beklagte hielt die gebotene Frist für eine Verbescheidung nicht ein (dazu f). Die Genehmigung
ist schließlich auch nicht später erloschen (dazu g).
a) Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig
durchsetzbarer Anspruch. Ein solcher Anspruch auf Leistung, den ein Versicherter aufgrund fingierter Genehmigung erlangt,
gehört zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV - (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 LS 1, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; aA, aber ohne neue Argumente Schneider, NZS 2018, 753, 756 ff; Felix, KrV 2018, 177, 182). Der Anspruch ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen auf Freistellung von der Zahlungspflicht
gerichtet, wenn die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (vgl
BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 16, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 12 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25). Ausdrücklich regelt das Gesetz, dass, wenn keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes
erfolgt, die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt gilt (§
13 Abs
3a S 6
SGB V). Der Wortlaut des §
13 Abs
3a S 6
SGB V steht dem Naturalleistungsanspruch nicht bloß nicht entgegen, sondern gebietet diesen sogar. Ohne den nachfolgenden S 7 bliebe
es allein bei diesem Anspruch. Denn eine KK darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (vgl §
2 Abs
2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es das
SGB V oder das
SGB IX vorsehen (vgl §
13 Abs
1 SGB V). Nach dem Regelungssystem entspricht dem Naturalleistungsanspruch der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion
voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz. §
13 Abs
3a S 7
SGB V begrenzt den sich aus der Genehmigungsfiktion ergebenden Anspruch schon nach seinem Wortlaut nicht, sondern erweitert die
Handlungsoptionen neben der Inanspruchnahme der Leistung in Natur um die Selbstbeschaffung mit Kostenerstattung. Dies vermeidet
eine sachwidrige Ungleichbehandlung iS von Art
3 Abs
1 GG. Denn nur der Naturalleistungsanspruch kraft Genehmigungsfiktion ermöglicht auch mittellosen Berechtigten, die nicht in der
Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren (vgl LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss
vom 23.5.2014 - L 5 KR 222/14 B ER - Juris RdNr 7 mwN). Für diese Auslegung spricht auch der Sanktionscharakter der Norm (vgl ausführlich BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 16 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 12 f mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25; Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488 S 32, zu Art 2 Nr 1).
b) Die Regelung des §
13 Abs
3a S 6
SGB V ist auf den Antrag des Klägers sachlich anwendbar. Die Regelung erfasst ua Ansprüche auf Krankenbehandlung, nicht dagegen
Ansprüche gegen KKn, die unmittelbar auf eine Geldleistung oder auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtet
sind (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 18, auch für BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 14 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 §
13 Nr 33, RdNr 11 ff); auf letztere finden die §§
14 f
SGB IX Anwendung (§
13 Abs
3a S 9
SGB V). Der Kläger begehrt demgegenüber die Gewährung von Krankenbehandlung in Form von ärztlicher Behandlung (§
27 Abs
1 S 2 Nr
1 iVm §
28 Abs
1 SGB V), ggf auch Krankenhausbehandlung (§
27 Abs
1 S 2 Nr
5 iVm §
39 SGB V).
c) Der Kläger ist als bei der Beklagten Versicherter leistungsberechtigt im Sinne der Regelung. "Leistungsberechtigter" ist
derjenige, der berechtigt ist, Leistungen nach dem
SGB V zu beanspruchen. Hierzu zählen ua in der GKV Versicherte im Verhältnis zu ihrer jeweiligen KK (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 19, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 16 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 22).
d) Der Kläger beantragte als Leistung hinreichend bestimmt eine Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen. Damit eine
Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Der Antrag hat eine Doppelfunktion als Verfahrenshandlung
(vgl dazu oben II 2. a) und als materiell-rechtliche Voraussetzung (vgl zur Doppelfunktion zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 14). Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die
auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 20, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 23). Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz
ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei
ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt,
sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten
des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr; vgl nur BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 17 mwN). Der Verfügungssatz, einen Naturalleistungsanspruch auf eine bestimmte Krankenbehandlung
(§
27 SGB V) zu gewähren, verschafft dem Adressaten - wie dargelegt - ua eine Rechtsgrundlage dafür, mittels Leistungsklage einen Vollstreckungstitel
auf das Zuerkannte zu erhalten (vgl näher BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 18 mwN).
Der Antrag des Klägers vom 21.5.2014 genügte diesen Anforderungen. Er war auf die Versorgung mit einer Immuntherapie mit autologen
dendritischen Zellen gerichtet, ohne dass sich der Kläger auf eine bestimmte Leistungsart - stationär oder ambulant - oder
die Art der ggf behandelnden Praxis bzw des ggf behandelnden Krankenhauses festgelegt hätte (vgl entsprechend BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 19 mwN).
e) Der Antrag des Klägers betraf auch eine Leistung, die er für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb
des Leistungskatalogs der GKV liegt. Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht
ausdrücklich an, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck.
Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen,
die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten
erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen,
indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (vgl BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 21 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 26).
Dieser Auslegung steht weder das Qualitätsgebot (§
2 Abs
1 S 3
SGB V) noch das Wirtschaftlichkeitsgebot (§
12 Abs
1 SGB V) entgegen. Die in der Durchbrechung dieser Grundsätze liegende Ungleichbehandlung Versicherter ist als gezielte, durch rechtmäßiges
Verwaltungshandeln vermeidbare Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen noch vor dem allgemeinen Gleichheitssatz (vgl Art
3 Abs
1 GG) gerechtfertigt (vgl BSG Urteil vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - Juris RdNr 22, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 §
137e Nr
1 vorgesehen). §
13 Abs
3a SGB V weicht gerade als Sanktionsnorm von den genannten Anforderungen ab, indem er in seinem S 6 selbst in den Fällen, in denen
eine KK einen im oben dargestellten Sinn fiktionsfähigen Antrag völlig übergeht, die Fiktion der Genehmigung anordnet und
damit bewusst in Kauf nimmt, dass die Rechtsauffassung des Antragstellers nur "zufällig" rechtmäßig ist, mithin die Leistung
auch dann als genehmigt gilt, wenn der Antragsteller auf diese objektiv ohne die Genehmigungsfiktion keinen materiell-rechtlichen
Anspruch hat. Wären nur die auf sonstige materiell-rechtlich bestehende Leistungsansprüche außerhalb von §
13 Abs
3a SGB V gerichteten Anträge fiktionsfähig, wäre die Regelung des §
13 Abs
3a S 6
SGB V obsolet (vgl BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 §
13 Nr 36, RdNr 22 mwN; dies verkennend zB LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.5.2014 - L 16 KR 154/14 B ER, L 16 KR 155/14 B - Juris RdNr 26 ff = NZS 2014, 663; Schneider, NZS 2018, 753, 756 f, zudem unzutreffend auf die ursprüngliche geplante Regelung in Art 2 Nr 1 PatRVerbG-Entwurf der Bundesregierung [BT-Drucks
17/10488 S 7] abstellend; ebenso v. Koppenfels-Spies, NZS 2016, 601, 603 f und Knispel, SGb 2014, 374 ff sowie GesR 2017, 749, 752 f; zur Unmaßgeblichkeit des Ursprungsentwurfs in Art 2 Nr 1 PatRVerbG vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 17, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; die erst vom Ausschuss für Gesundheit eingefügte Genehmigungsfiktion
sollte es dem Versicherten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, vgl BT-Drucks 17/11710 S 30).
Die von dem Kläger begehrte Immuntherapie mit autologen dendritischen Zellen liegt nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs
der GKV (vgl etwa LSG Baden-Württemberg Urteil vom 22.2.2017 - L 5 KR 1653/15 - Juris = KHE 2017/6 zu §
2 Abs
1a SGB V - Immuntherapie zur Behandlung des rezidivierten Glioblastoms). Dem steht nicht entgegen, dass es sich um eine neue, bislang
nicht vom GBA empfohlene Methode zur Behandlung des Kolonkarzinoms handelt (§
135 Abs
1 SGB V). Der Kläger durfte aufgrund der fachlichen Befürwortung seines Antrags durch Dr. G. die Immuntherapie zur Behandlung seines
Kolonkarzinoms für geeignet und erforderlich halten, ohne Einzelheiten zu den Voraussetzungen ambulanter und stationärer Leistungserbringung
oder des §
2 Abs
1a SGB V wissen zu müssen (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 22).
f) Die Beklagte beschied den Antrag nicht innerhalb der ab dem 21.5.2014 (dazu aa) beginnenden Drei-Wochen-Frist (dazu bb),
sondern erst nach Fristablauf (dazu cc).
aa) Maßgeblich für den Fristbeginn war der Eingang des Antrags bei der Beklagten. Hierbei ist es unerheblich, ob die betroffene
KK meint, der maßgebliche Sachverhalt sei noch aufzuklären. Das folgt aus Wortlaut, Regelungssystem, Entstehungsgeschichte
und Regelungszweck. Nach §
13 Abs
3a S 1
SGB V hat die KK über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in
Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang
zu entscheiden. Wenn die KK eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und
die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§
13 Abs
3a S 2
SGB V). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§
13 Abs
3a S 3
SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der Durchführung eines im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte vorgesehenen
Gutachterverfahrens bestimmt (§
13 Abs
3a S 4
SGB V: ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen). Kann die KK die Fristen nach S 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten
unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§
13 Abs
3a S 5
SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§
13 Abs
3a S 6
SGB V; vgl ausführlich zum Fristbeginn BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 25 ff mwN; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 29 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Nach diesen Grundsätzen begann die Frist am 22.5.2014 zu laufen. Denn der maßgebliche Antrag des Klägers ging der Beklagten
am Mittwoch, dem 21.5.2014 zu (vgl § 26 Abs 1 SGB X iVm §
187 Abs
1 BGB).
bb) Die Frist endete am Mittwoch, dem 11.6.2014 (§ 26 Abs 1 SGB X iVm §
188 Abs
2 BGB). Nach dem aufgezeigten Regelungssystem galt die gesetzliche Drei-Wochen-Frist (vgl §
13 Abs
3a S 1 Fall 1
SGB V). Die Beklagte informierte den Kläger bereits nicht rechtzeitig innerhalb dieser Frist darüber, dass sie eine Stellungnahme
des MDK einholen wollte (vgl §
13 Abs
3a S 2
SGB V; vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 39 RdNr 33, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28). Ohne diese gebotene Information kann der Leistungsberechtigte nach Ablauf von drei Wochen
annehmen, dass sein Antrag als genehmigt gilt (vgl BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 28). Einziger Sinn und Zweck der Unterrichtungspflicht ist es, dem Versicherten Klarheit zu
verschaffen, ob die Drei- oder die Fünf-Wochen-Frist gilt (vgl Entwurf der Bundesregierung eines PatRVerbG, BT-Drucks 17/10488
S 32, zu Art 2 Nr 1). Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn die Verletzung dieser Pflicht sanktioniert wird, indem die Drei-Wochen-Frist
maßgeblich bleibt. Entgegen der Auffassung des LSG ist es hierfür nicht ausreichend, lediglich den Versicherten - etwa mithilfe
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs - zu schützen, der bereits Dispositionen getroffen hat (so aber Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, K §
13 RdNr 58e; Schifferdecker in Kasseler Komm,
SGB V, §
13 RdNr 122a; beide ohne Auseinandersetzung damit, wieso trotz einer von ihnen ausgeschlossenen Genehmigungsfiktion der sozialrechtliche
Herstellungsanspruch auf eine Leistung außerhalb des GKV-Leistungskatalogs gerichtet sein könnte).
cc) Die Beklagte beschied den Antrag nicht bis zum Fristablauf am 11.6.2014, sondern erst später mit Erlass des Bescheides
vom 12.6.2014.
g) Die entstandene Genehmigung ist auch nicht später erloschen. Auch eine fingierte Genehmigung - wie jene des Klägers - bleibt
wirksam, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere
Weise erledigt ist. Sind Bestand oder Rechtswirkungen einer Genehmigung für den Adressaten erkennbar von vornherein an den
Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird sie gegenstandslos, wenn die betreffende Situation nicht mehr besteht.
In diesem Sinne ist eine KK nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen.
Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen
über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich
nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§
13 Abs
3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs (BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 35; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 31; anders die Regelung des § 42a Abs 1 S 2 VwVfG). Diese vom erkennenden Senat zu §
13 Abs
3a SGB V entwickelten Grundsätze gelten in gleicher Weise für Naturalleistungsbegehren wie für Kostenerstattungsbegehren. Eine unterschiedliche
Behandlung der beiden Fallgruppen widerspräche der Gesetzeskonzeption, dem Sanktionscharakter der Regelung, die das Interesse
aller Versicherten an einem beschleunigten Verwaltungsverfahren schützt. Sie würde mittellose Versicherte sachwidrig ungleich
gegenüber jenen behandeln, die sich die Leistung nach fingierter Genehmigung selbst beschaffen können (vgl BSG Urteil vom 7.11.2017 - B 1 KR 7/17 R - Juris RdNr 31 mwN = KHE 2017/69).
Die Voraussetzungen eines Erlöschenstatbestands sind nicht erfüllt. Die Beklagte regelte mit der Ablehnung der Leistungen
weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme, eine Aufhebung oder einen Widerruf (vgl
hierzu §§ 45, 47, 48 SGB X) der fingierten Genehmigung (vgl auch BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 36 mwN; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 32). Geänderte Umstände, die die Genehmigung durch Eintritt eines erledigenden Ereignisses
entfallen lassen könnten, hat weder das LSG festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich.
4. Die Ablehnungsentscheidung der Beklagten (Bescheid vom 12.6.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.8.2014)
ist rechtswidrig. Sie verletzt den Kläger in seinem aus der fiktiven Genehmigung seines Antrags ergebenden Leistungsanspruch
(vgl dazu oben II 3.).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.