Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung in der gesetzlichen Krankenversicherung; Methodenwechsel von In-Vitro-Fertilisation
- IVF zu einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion - ICSI bei totalem Fertilisationsversagen
Gründe:
I
Streitig ist die Erstattung von (hälftigen) Kosten für eine Maßnahme zur künstlichen Befruchtung mittels Intracytoplasmatischer
Spermieninjektion (ICSI) in Höhe von 1416,99 Euro.
Die 1974 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin leidet an primärer Sterilität, einem polycystischen
Ovarialsyndrom sowie Oligomenorrhoe. Bei ihrem 1974 geborenen und bei der BKK Mobil Oil versicherten Ehemann besteht ua eine
primäre Sterilität und eine reduzierte Progressivmotilität der Spermien. Die Beklagte genehmigte der Klägerin auf der Grundlage
eines Behandlungsplans vom 25.9.2008 Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung durch In-Vitro-Fertilisation (IVF) für drei Versuche
(Bescheid vom 1.10.2008). Zu diesem Zeitpunkt war eine Indikation für eine ICSI-Behandlung nicht gegeben. Bei der Klägerin
wurden bei der ersten IVF-Behandlung im Februar 2009 18 Follikel punktiert und 11 Eizellen gewonnen. 10 Eizellen blieben unbefruchtet.
Bei einer Eizelle trat eine verzögerte Befruchtung ein. Bei der zweiten IVF-Therapie im Mai 2009 wurden 12 Follikel punktiert
und 8 Eizellen gewonnen, die alle unbefruchtet blieben. Den Antrag der Klägerin, ihr nun einen dritten Versuch mittels ICSI
anstelle von IVF zu gewähren (Schreiben vom 27.5.2009), lehnte die Beklagte ab: Ein Wechsel der Behandlungsmethode von IVF
zu ICSI sei nur nach dem ersten Versuch einer IVF bei einem totalen Fertilisationsversagen möglich (Bescheid vom 29.5.2009;
Widerspruchsbescheid vom 13.10.2009). Die Klägerin unterzog sich im November 2009 auf eigene Kosten einer ICSI-Behandlung.
Das SG hat ihre Klage abgewiesen (Urteil vom 26.8.2010). Das LSG hat die Beklagte zur Erstattung der (hälftigen) Kosten verurteilt:
Die Voraussetzungen für eine ICSI-Behandlung seien zwar nach dem Wortlaut der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
(GBA) über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (RL über künstliche Befruchtung [RL]) nicht erfüllt. Die RL seien
jedoch mit §
27a SGB V nicht vereinbar (Urteil vom 17.11.2011).
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des §
27a SGB V. Der GBA habe den Leistungsanspruch der Versicherten in den RL über künstliche Befruchtung rechtmäßig konkretisiert.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. November 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen
das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 26. August 2010 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet (§
170 Abs
2 S 1
SGG). Zu Unrecht hat das LSG das SG-Urteil und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte dazu verurteilt, 1416,99 Euro zu zahlen. Die Klägerin
hat keinen Anspruch auf Erstattung der Hälfte der in Betracht kommenden Kosten für die Maßnahme der künstlichen Befruchtung
mittels ICSI im November 2009 unter Aufhebung des Bescheides vom 29.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.2009.
1. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist allein §
13 Abs
3 S 1 Fall 2
SGB V (hier anzuwenden in der seit 1.7.2001 geltenden Fassung des Art 5 Nr 7 Buchst b
SGB IX vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Hat die KK danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst
beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig
war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus,
dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung
zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13 - Lorenzos Öl). Daran fehlt es.
Im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im November 2009 hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen zur Herbeiführung einer
Schwangerschaft mittels ICSI nach Maßgabe des §
27a SGB V (hier anzuwenden in der durch Art 2 Nr 2 KOV-Anpassungsgesetz 1990 [KOVAnpG 1990] vom 26.6.1990, BGBl I 1211 eingefügten und durch Art 1 Nr 14 GKVModernisierungsgesetz
[GMG] vom 14.11.2003, BGBl I 2190 geänderten Fassung). Denn nach den nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen und
deshalb verbindlichen Feststellungen des LSG (§
163 SGG) lagen die Voraussetzungen für eine Behandlung mittels ICSI weder wegen einer Fertilitätsstörung des Ehemannes noch wegen
totalen Fertilisationsversagens aufgrund der Fertilitätsstörung der Klägerin vor.
a) §
27a Abs
1 SGB V gibt Versicherten nur dann Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung, wenn insgesamt sieben im Gesetz näher umschriebene
Voraussetzungen erfüllt sind: Die Leistung muss erforderlich sein (Abs 1 Nr 1), hinreichende Erfolgsaussicht haben (Abs 1
Nr 2), miteinander verheiratete Eheleute (Abs 1 Nr 3), die die Altersgrenzen erfüllen (Abs 3 S 1), und eine homologe Insemination
betreffen (Abs 1 Nr 4), darf erst nach erfolgter Beratung stattfinden (Abs 1 Nr 5) und muss vor ihrem Beginn genehmigt sein
(Abs 3 S 2). Während früher der Bundesausschuss für Ärzte und KKn hierfür zuständig war, bestimmt heute der GBA in den RL
nach §
92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach §
27a Abs
1 SGB V (§
27a Abs
4 SGB V; vgl auch §
92 Abs
1 S 2 Nr
10 SGB V). Er hat zudem unter Achtung der Wertungen des §
27a SGB V über neue Behandlungsmethoden wie die ICSI Empfehlungen abzugeben (vgl §
135 Abs
1 SGB V; BSGE 88, 62, 72 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 33 f; zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 12).
Dieser Pflicht ist der Bundesausschuss nachgekommen. Der Bundesausschuss für Ärzte und KKn empfahl IVF und ICSI für den GKV-Leistungskatalog
und legte die Indikationen in RL über künstliche Befruchtung fest (vgl zu ICSI zunächst Nr 11.5 RL, Beschluss vom 26.2.2002,
BAnz Nr 92 vom 22.5.2002, S 10941, in Kraft getreten am 1.7.2002; zu späteren Änderungen s unten). Als medizinische Indikation
zur Durchführung von ärztlichen Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gilt für die ICSI zunächst eine genau bestimmte männliche
Fertilitätsstörung (Nr 11.5 RL). Hiervon ist der Ehegatte der Klägerin nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen
des LSG (§
163 SGG) nicht betroffen.
Eine zusätzliche Indikation für die ICSI besteht für die Fallkonstellation eines totalen Fertilisationsversagens nach dem
ersten Versuch einer IVF, die auch bei bestimmten weiblichen Fertilitätsstörungen in Betracht kommt (Nr 11.3 RL). In diesem
Fall kann in maximal zwei darauffolgenden Zyklen die ICSI zur Anwendung kommen, auch wenn die Voraussetzungen nach Nr 11.5
nicht vorliegen (vgl insgesamt Nr 8 S 6 und 7 RL idF des Beschlusses vom 15.11.2007, BAnz Nr 19 vom 5.2.2008, S 375, in Kraft
getreten am 6.2.2008). IVF und ICSI dürfen im Übrigen aufgrund der differenzierten Indikationsstellung nur alternativ angewandt
werden (vgl Nr 8 S 5 RL idF des Beschlusses vom 15.11.2005, BAnz Nr 31 vom 14.2.2006, S 922, in Kraft getreten am 15.2.2006).
Die Klägerin erfüllte nach den für den Senat verbindlichen Feststellungen des LSG (§
163 SGG) nicht die Voraussetzungen gemäß Nr 8 S 6 RL für den begehrten Wechsel von der IVF zur ICSI, da es im ersten IVF-Zyklus zu
keinem totalen Fertilisationsversagen gekommen war.
b) Nr 8 S 6 und 7 RL über künstliche Befruchtung idF des Beschlusses vom 15.11.2007 (BAnz Nr 19 vom 5.2.2008, S 375) ist entgegen
der Auffassung der Klägerin wirksam. RL sind in der Rechtsprechung des BSG seit Langem als untergesetzliche Rechtsnormen mit Bindungswirkung gegenüber allen Systembeteiligten anerkannt (vgl §
91 Abs
9 SGB V idF des GMG, jetzt §
91 Abs
6 SGB V). Das BSG zieht die Verfassungsmäßigkeit dieser Art der Rechtsetzung nicht mehr grundlegend in Zweifel. Es behält sich aber vor, die
vom GBA erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich
in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer
Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte, wenn und soweit hierzu auf Grund hinreichend substantiierten Beteiligtenvorbringens
konkreter Anlass besteht (stRspr; vgl grundlegend BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 14 mwN - LITT; siehe auch zB BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 21 mwN; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 17 mwN).
Hinsichtlich des Verfahrens und des sachlichen Gehalts ist die Rechtmäßigkeit der in den RL über künstliche Befruchtung festgelegten
Indikationen für die ICSI insbesondere an den Regelungen des
SGB V zu messen. Hierbei werden die bei sonstigen diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen zu beachtenden Qualitätskriterien
des §
135 Abs
1 S 1
SGB V für die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung durch §
27a SGB V modifiziert. Während grundsätzlich der Einsatz einer neuen Behandlungsmethode nicht dem anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse iS des §
2 Abs
1 S 3
SGB V entspricht, solange ihre Wirkungen und Risiken noch der Überprüfung bedürfen (BSGE 86, 54, 64 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 70 - aktivspezifische Immuntherapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 30 - neuropsychologische The- rapie), kommt es im Rahmen der künstlichen Befruchtung auf diesen Standard nicht
in gleicher Weise an (BSGE 88, 62, 69 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 30 f, unter Hinweis auf BT-Drucks 11/6760 S 15; vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 18 mwN).
Obwohl danach die in §
27a SGB V enthaltene Wertung auf die Entscheidung über die Anerkennung neuer Befruchtungstechniken durchschlagen muss (BSGE 88, 62, 72 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 33), entbindet dies doch nicht im Übrigen von der Beachtung der allgemeinen Vorgaben für die
Leistungen der GKV, dem Wirtschaftlichkeits- (§
12 Abs
1 SGB V) und dem Qualitätsgebot (§
2 Abs
1 S 3
SGB V). Der GBA hat deshalb die Aufgabe, zu präzisieren, bei welchen Indikationen die ICSI auf Kosten der GKV gerechtfertigt ist
(Hauck, SGb 2009, 321 ff). Soweit der dargelegte gesetzliche Regelungsgehalt reicht, verbleibt dem GBA kein Gestaltungsspielraum. Das gilt auch
für die Vollständigkeit der vom GBA zu berücksichtigenden Studienlage (vgl BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 37). Der GBA entscheidet erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes als Normgeber.
Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom GBA getroffenen Wertungen
setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrensbestimmungen
sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben, um den Gestaltungsspielraum
auszufüllen (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 19 mwN). Nach diesem Maßstab hat der GBA die Indikation für die ICSI bei totalem Fertilisationsversagen formell
und inhaltlich rechtmäßig festgelegt.
c) Der GBA hat die im Interesse der verfassungsrechtlichen Anforderungen der Betroffenenpartizipation umfassend durch Gesetz
und - inzwischen - Verfahrensordnung (vgl jetzt Kap 1 der VerfO des GBA) ausgestalteten und abgesicherten Beteiligungsrechte
ersichtlich gewahrt (vgl dazu BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 34; Hauck, NZS 2010, 600, 604). Die "Tragenden Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über Änderungen der Richtlinien über künstliche
Befruchtung: Methodenwechsel und Risikoberatung" vom 15.11.2007 belegen, dass der GBA der Bundesärztekammer gemäß §
91 Abs
8a SGB V (jetzt §
91 Abs
5 SGB V) Gelegenheit zur Stellungnahme gab.
d) Der GBA hat die Indikation für die ICSI auch inhaltlich rechtmäßig festgelegt. Er hat als Grundlage seiner Entscheidung
die Studienlage vollständig berücksichtigt, denn er hat sich auf die verfügbaren Fachveröffentlichungen gestützt (vgl zu 11.5
RL bereits BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 21 mwN; zu Nr 8 S 6 und 7 RL vgl Gutachten des KCQ Kompetenz-Centrums "Qualitätssicherung/Qualitätsmanagement"
der MDK-Gemeinschaft und der Spitzenverbände der GKV beim MDK Baden-Württemberg von November 2005). Der Ausgangspunkt seiner
Indikationsfestlegung ist rechtmäßig, nämlich dass Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nur durchgeführt werden dürfen, wenn
hinreichende Aussicht besteht, dass durch die gewählte Behandlungsmethode eine Schwangerschaft herbeigeführt wird (RL über
künstliche Befruchtung Nr 8 S 1). Das stimmt mit den eingangs dargelegten gesetzlichen Anforderungen überein (§
27a Abs
1 Nr
2 SGB V und §
12 Abs
1 SGB V). Dieser Ausgangspunkt schließt zugleich die Möglichkeit ein, dass nicht alle Versicherten, die von ungewollter Kinderlosigkeit
betroffen sind, in formal gleicher Weise Maßnahmen der künstlichen Befruchtung beanspruchen können, weil Methoden ohne hinreichende
Erfolgsaussicht nicht in den Leistungskatalog fallen (vgl insgesamt BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 21 mwN).
Die Konkretisierung und Begrenzung der Leistungspflicht auf einen Methodenwechsel von IVF zu ICSI bei totalem Fertilisationsversagen
lediglich nach dem ersten IVF-Zyklus (Nr 8 S 6 und 7 RL) knüpft - wie die Indikationsstellung nach 11.5 RL - an die rechtlich
geforderte Konzeptionswahrscheinlichkeit als Maßstab der hinreichenden Erfolgsaussicht an. Sie hält sich im Rahmen vertretbarer
Schlussfolgerung aus dem begrenzten Aussagegehalt der ermittelten Studienlage zum Methodenwechsel von IVF zu ICSI. Danach
gab es 2005 lediglich Hinweise dafür, dass bei einem totalen Fertilisationsversagen in einem IVF-Versuch der Wechsel zur ICSI
in einem weiteren Zyklus von Nutzen sein könne. Es besteht nachvollziehbar eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg
weiterer Befruchtungen mit Hilfe der gewählten Methode, wenn sie in einem ersten Versuch zu einem Fertilisationserfolg führte.
Ist dies nicht der Fall, hält es sich im Rahmen der Plausibilität, auch die Wahrscheinlichkeit für weitere Befruchtungen innerhalb
der Behandlungsmethode für umso geringer, den Methodenwechsel also für umso eher berechtigt zu halten.
Die an die Konzeptionswahrscheinlichkeit anknüpfende Grenzziehung der RL über künstliche Befruchtung bei Methodenwechsel ist
selbst dann nicht zu beanstanden, wenn - wie hier - eine alternative Methode der künstlichen Befruchtung nicht indiziert ist.
Es ist nicht Aufgabe der GKV, die Methode der ICSI lückenlos in allen Fällen zur Verfügung zu stellen, in denen sie medizinisch
machbar ist und die Voraussetzungen für andere Methoden der künstlichen Befruchtung nicht gegeben sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 22). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz handelt es sich insoweit nicht um einen Wertungsfehler, den Leistungsanspruch
zu begrenzen, selbst wenn nicht auszuschließen ist, dass bei einem Fertilisationsversagen nach einem zweiten IVF-Versuch der
Wechsel zu ICSI in einem dritten Versuch von Nutzen sein kann. Mit dieser Begrenzung verbleibt der GBA innerhalb des ihm zukommenden
Gestaltungsspielraums.
e) Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die geltende RL-Regelung der medizinischen Indikation für ICSI bei
Fertilisationsversagen im November 2009 nicht mehr in Einklang mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse stand. Ohne
abweichende, zwingende Hinweise kann der Senat davon ausgehen, dass der GBA als Normgeber die sich ständig ändernde Entwicklung
des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse im Blickfeld hat (vgl BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 26 mwN). Für die Beachtung der Beobachtungspflicht des GBA spricht im Übrigen, dass er inzwischen (16.8.2012)
das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen damit beauftragt hat, nach Erscheinen der 5. Aufl des
WHO-Laborhandbuchs die Studienlage zu den Spermiogrammparametern (Nr 11.5 RL; hierzu BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 13 f, 25) neu zu bewerten, und sich mit der Fallkonstellation eines totalen Fertilisationsversagens im zweiten IVF-Behandlungsversuch
auseinanderzusetzen (Auftrag abrufbar unter www.g-ba.de).
f) Die angegriffene Regelung der medizinischen Indikationen für ICSI verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
(Art
3 Abs
1 GG). Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats reichen hinreichende sachliche Gründe aus, um eine unterschiedliche
Behandlung Betroffener zu rechtfertigen, wenn ein gesetzliches Regelungskonzept - wie das, welches §
27a SGB V zugrunde liegt (vgl BVerfGE 117, 316, 326 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3, RdNr 35), - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 27). Solche hinreichenden Sachgründe liegen - wie dargelegt - auch der Grenzziehung zum Methodenwechsel von IVF
zu ICSI in den RL über künstliche Befruchtung zugrunde. Die Indikation für den Methodenwechsel führt zwar dazu, dass Versicherte
mit totalem Fertilisationsversagen erst im zweiten IVF-Versuch gegenüber Versicherten mit totalem Fertilisationsversagen bereits
im ersten IVF-Versuch von einer Behandlung mit ICSI zu Lasten der GKV ausgeschlossen und dementsprechend benachteiligt werden.
Die Grenzziehung beruht indessen auf den medizinischen Erkenntnissen über die Konzeptionswahrscheinlichkeit und hieran anknüpfenden
nachvollziehbaren Schlussfolgerungen für den Nutzen einer Methode. Bei ihrer Bewertung ist zu berücksichtigen, dass gerade
kein Kernbereich der GKV-Leistungen betroffen ist. Der RL-Geber muss nicht auf eine unbeschränkte Öffnungsklausel ausweichen,
um jedem Versicherten zu Lasten der GKV gleitend den Methodenwechsel von der IVF zur ICSI zu ermöglichen (vgl zum Ganzen auch
BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 13 RdNr 28 mwN). Entgegen der Auffassung des LSG sieht demgegenüber auch der Entwurf eines Kinderwunschförderungsgesetzes
vom 18.4.2012 keine Neuausrichtung im Sinne einer unbegrenzten Gleichstellung vor, sondern lediglich eine anteilige Kostenübernahme
des Bundes für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung bei Paaren mit Kinderwunsch (vgl zu den Entwürfen eines Kinderwunschförderungsgesetzes
- KiwunschG - Gesetzesantrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern BR-Drucks 478/11 und Gesetzentwurf des Bundesrates BT-Drucks
17/9344).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.