Notwendigkeit einer Zahnimplantatversorgung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an einer operierten linksseitigen Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalte
(LKG) und einem größeren Zahnverlust im Oberkiefer. Er legte einen privatzahnärztlichen Heil- und Kostenplan (HKP) des Universitätsklinikums
(UK) vom 8.9.2015 vor, der als Voraussetzung einer prothetischen Versorgung (HKP vom selben Tag) eine Versorgung mit zwei
Implantaten (Zähne 11 und 13) vorsieht. Die Beklagte holte zwei zahnmedizinische Gutachten ein. D bejahte die Notwendigkeit
der Implantatversorgung. T verneinte sie; die Implantatversorgung sei zwar medizinisch indiziert, es bestünden aber alternative
Behandlungsmöglichkeiten. Die Beklagte lehnte es ab, den Kläger mit den beantragten implantologischen Leistungen zu versorgen
(Bescheid vom 1.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 21.4.2016). Das SG hat die Beklagte verurteilt, "die Kosten für die Interimsversorgung im Oberkiefer antragsgemäß zu übernehmen". Es liege eine
Ausnahmeindikation vor. Eine Behandlungsalternative bestehe nicht. Dies folge aus dem Befundbericht des UK. Danach sei ein
schleimhautgelagerter Schaltsattel im Spalt- und Frontzahnbereich ohne eine Unterstützung durch Implantate "nicht zu empfehlen"
(Urteil vom 25.7.2017). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Anspruch des Klägers scheitere daran, dass es nicht um eine - wie von §
28 Abs
2 Satz 9
SGB V gefordert - medizinische Gesamtbehandlung gehe, die sich aus human- und zahnmedizinisch notwendigen Bestandteilen zusammensetzen
müsse. Selbst im Falle einer unterstellten Ausnahmeindikation schließe der UK-Bericht eine konventionelle prothetische Versorgung
nicht aus. Er empfehle sie lediglich nicht. Die Möglichkeit einer solchen Versorgung schließe einen Anspruch auf eine Implantatversorgung
aus. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung des BSG letztere außerhalb einer medizinischen Gesamtbehandlung selbst dann ausgeschlossen, wenn es zahnmedizinisch keine Alternative
gebe (Urteil vom 1.10.2020).
Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des hier allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen
Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 14/19 B - juris RdNr 4 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 f mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
Der Kläger formuliert zwei Aussagen, denen er grundsätzliche Bedeutung beimisst.
"Wird im Einzelfall ärztlicherseits eine Behandlung empfohlen, für die nach den Behandlungsrichtlinien des G-BA eine Kostenübernahme
durch die Krankenkassen nicht vorgesehen ist, ist eine Ablehnung der Kostenübernahme unter pauschaler Bezugnahme auf die abstrakte
Richtlinie unstatthaft, da mit einer individuellen Behandlungsempfehlung grundsätzlich auch die Schlüssigkeit der die Kostenübernahme
für die fragliche Behandlung ablehnende Richtlinie in Zweifel gezogen wird."
"Wird in einem Kostenübernahmerechtsstreit zwischen einer Krankenkasse und einem Versicherten aufgrund einer ärztlichen Stellungnahme
eine bestimmte Behandlung als 'nicht zu empfehlen' bezeichnet, gilt diese Behandlung für den Fall der Durchführbarkeit einer
Alternativbehandlung als 'nicht durchführbar' bzw. 'nicht möglich' im Sinne einschlägiger Behandlungsrichtlinien."
Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung fehlt es an der Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage. Sofern der Kläger
mit den zitierten Aussagesätzen in der Sache Fragen formulieren wollte, legt er jedenfalls nicht die Klärungsfähigkeit der
zwei "Fragen" dar. In Bezug auf die Klärungsfähigkeit wäre darzustellen gewesen, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfenen Fragen entscheiden müsste, die Fragen also entscheidungserheblich
sind (vgl BSG vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8). Wird ein Urteil nebeneinander auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, kann eine Beschwerde nur dann zur
Zulassung der Revision führen, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt und formgerecht
gerügt wird (vgl BSG vom 24.9.1980 - 11 BLw 4/80 - SozR 1500 § 160a Nr 38 S 55). Hieran fehlt es.
Beide "Fragen" beziehen sich im Kern nur darauf, ob Anspruch auf Zahnimplantate bereits dann besteht, wenn eine konservative
Prothetik nicht zu empfehlen ist. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht damit auseinander, dass das LSG (unter Hinweis auf BSG vom 19.6.2001 - B 1 KR 4/00 R - BSGE 88, 166, 169 = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29; BSG vom 7.5.2013 - B 1 KR 19/12 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 6 RdNr 9; BSG vom 4.3.2014 - B 1 KR 6/13 R - SozR 4-2500 § 28 Nr 7 RdNr 14) einen Anspruch des Klägers schon daran scheitern lässt, dass es für die Erfüllung der in §
28 Abs
2 Satz 9
SGB V als Anspruchsvoraussetzung genannten "medizinischen Gesamtbehandlung" nicht ausreichend sei, die Wiederherstellung der Kaufunktion
im Rahmen eines zahnärztlichen Gesamtkonzepts anzustreben. Ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel müsse der Behandlung
ihr Gepräge geben. Der Kläger referiert dies zwar in der Beschwerdebegründung, setzt sich jedoch mit dieser tragenden Argumentation
nicht auseinander. Hinsichtlich der ersten "Frage" legt er nicht dar, warum die für den Einzelfall behauptete Nichtanwendbarkeit
einer Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) Auswirkung auf eine vom Gesetz selbst geregelte Anspruchsvoraussetzung
haben könnte, die er nach der Auffassung des LSG nicht erfüllt. Insoweit geht er inhaltlich nicht auf die für die Entscheidung
maßgeblichen Gründe des LSG zur medizinischen Gesamtbehandlung ein. Er zeigt auch hinsichtlich der zweiten "Frage" nicht auf,
welche Bedeutung eine Nichtempfehlung der konservativen Prothetik durch das den Kläger behandelnde UK dafür haben kann, dass
das LSG eine Gesamtbehandlung verneint hat.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.