Beginn des Verletztengeldes aus der gesetzlichen Unfallversicherung, Karenzzeit
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Verletztengeld für die Zeit seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit
vom 2. bis 22. Dezember 2002 hat.
Der Kläger war im Jahre 2002 bei der Südwestlichen Bau-Berufsgenossenschaft, der Rechtsvorgängerin der beklagten Berufsgenossenschaft
(BG), als selbstständiger Bauunternehmer freiwillig unfallversichert. Nach § 50 Abs 2 der Satzung der Rechtsvorgängerin der
Beklagten wird Verletztengeld für die Dauer der ersten 6 Wochen der Arbeitsunfähigkeit nicht gezahlt; dies gilt nicht für
Versicherte, die bei einer Krankenkasse mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind. Gleichzeitig war der Kläger freiwilliges
Mitglied der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) mit Anspruch auf Krankengeld ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit.
Er erlitt am 30. November 2002 einen Arbeitsunfall und war nach ärztlicher Feststellung unfallbedingt vom 2. bis 24. Dezember
2002 arbeitsunfähig.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten gewährte dem Kläger Verletztengeld lediglich für die Zeit vom 23. bis 24. Dezember 2002;
für die Zeit vom 2. bis 22. Dezember 2002 bestehe kein Anspruch, weil für diesen Zeitraum im Falle einer nicht auf einem Arbeitsunfall
beruhenden Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld gegenüber seiner Krankenkasse nicht bestanden hätte
(Bescheid vom 20. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2003).
Das Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. September 2003). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat die Berufung
des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 4. März 2004). Ein Anspruch des Klägers auf Verletztengeld für die Zeit vom 2. bis
22. Dezember 2002 sei nach §
46 Abs
2 Satz 1 und
2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) iVm §
50 der Satzung der Südwestlichen Bau-BG ausgeschlossen. Diese Vorschriften seien nach ihrem Sinn und Zweck dahingehend auszulegen,
dass Verletztengeld erst für die Zeit nach Ablauf der Karenzzeit für die Entstehung eines Krankengeldanspruchs des Klägers
bei einer nicht unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit zu gewähren sei. Der Wortlaut des §
46 Abs
2 Satz 2
SGB VII lasse diese einschränkende Auslegung zu.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Verletztengeld sei für freiwillige
Mitglieder einer Krankenkasse mit Anspruch auf Krankengeld nach §
46 Abs
1 SGB VII grundsätzlich vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an zu zahlen. Die vom LSG vorgenommene Auslegung des §
46 Abs
2 Satz 2
SGB VII sei mit dessen eindeutigem Wortlaut nicht zu vereinbaren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. März 2004 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 5.
September 2003 aufzuheben, den Bescheid der Südwestlichen Bau-Berufsgenossenschaft vom 20. Februar 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 17. März 2003 abzuändern und ihm auch für die Zeit vom 2. bis 22. Dezember 2002 Verletztengeld
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es stelle eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar, einem freiwillig
Versicherten, dessen Anspruch auf Krankengeld erst nach einer Karenzzeit beginne, im Falle einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit
bereits ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Verletztengeld zuzubilligen.
II. Die Revision ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Verletztengeld auch für die Zeit vom 2. bis 22. Dezember 2002.
Der damals bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten freiwillig gegen Arbeitsunfall und Berufskrankheit versicherte Kläger war
nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) im fraglichen Zeitraum nach
ärztlicher Feststellung wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig, so dass die Voraussetzungen für die Erbringung
von Verletztengeld nach §
45 Abs
1 SGB VII erfüllt waren. Der Verletztengeldanspruch ist auch nicht durch andere Vorschriften ausgeschlossen.
Gemäß §
46 Abs
1 SGB VII wird Verletztengeld von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird, oder mit dem Tag des
Beginns einer Heilbehandlungsmaßnahme, die den Versicherten an der Ausübung einer ganztägigen Erwerbstätigkeit hindert. Maßgebend
ist der Zeitraum, für den ärztlich Arbeitsunfähigkeit festgestellt wurde. Dies gilt nach dem eindeutigen Wortlaut des §
46 Abs
1 SGB VII auch dann, wenn der erste Tag der Arbeitsunfähigkeit vor dem Tag der ärztlichen Feststellung liegt (so im Ergebnis auch Krasney
in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung,
SGB VII, 12. Aufl Stand Oktober 2004/Januar 2005, §
46 RdNr 9; Nehls in: Hauck/Noftz,
SGB VII, Stand März 2005, §
46 RdNr 4; ders in: Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Stand Dezember 2004, 350 S 10; Mehrtens in: Bereiter-Hahn-Mehrtens, Gesetzliche
Unfallversicherung,
SGB VII §
46 RdNr 3; Jung in: Wannagat/Eichenhofer,
SGB VII, Stand Januar 2004, §
46 RdNr 6; aA Ricke in: Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2004,
SGB VII §
46 RdNr 2; Kater in: Kater/Leube,
SGB VII, §
46 RdNr
5). Die Voraussetzungen für die Gewährung von Verletztengeld iS des §
46 Abs
1 SGB VII für die Zeit ab dem 2. Dezember 2002 liegen daher bei dem Kläger hier auch dann vor, wenn - was den Feststellungen des LSG
nicht zu entnehmen ist - die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit rückwirkend erfolgt sein sollte.
Entgegen der Auffassung des LSG entfällt ein Anspruch des Klägers auf Verletztengeld für die Zeit vom 2. bis 22. Dezember
2002 nicht deshalb, weil er nach den bindenden Festsstellungen des LSG als freiwilliges Mitglied bei der DAK mit Anspruch
auf Krankengeld ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit versichert war (§ 15 Abs 7 iVm § 21 Abs 1 der Satzung der DAK vom 1.
Januar 1989 idF des 44. Nachtrags).
Ein entgegen der allgemeinen Regelung erst am 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit beginnender Anspruch des Klägers auf Zahlung
von Verletztengeld ergibt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht aus §
46 Abs
2 Satz 1 und
2 SGB VII iVm §
50 der Satzung der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Nach §
46 Abs
2 Satz 1
SGB VII kann die Satzung zwar bestimmen, dass für Unternehmer, ihre Ehegatten oder ihre Lebenspartner und für den Unternehmern nach
§
6 Abs
1 Nr
2 SGB VII Gleichgestellte Verletztengeld längstens für die Dauer der ersten 13 Wochen nach dem sich aus §
46 Abs
1 SGB VII ergebenden Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht gezahlt wird. §
46 Abs
2 Satz 1
SGB VII gilt gemäß Satz 2 aaO indes nicht für Versicherte, die bei einer Krankenkasse mit einem Anspruch auf Krankengeld versichert
sind. Für diesen Kreis von Versicherten ist die BG mithin nicht ermächtigt, eine von dem Beginn der Zahlung von Verletztengeld
nach §
46 Abs
1 SGB VII abweichende Regelung durch Satzungsrecht zu treffen. Eine gleichwohl verabschiedete Satzungsregelung wäre wegen Verstoßes
gegen höherrangiges Recht unwirksam.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des §
46 Abs
2 Satz 2
SGB VII betrifft das Verbot einer Satzungsregelung hinsichtlich des Beginns der Zahlung von Verletztengeld alle bei einer Krankenkasse
mit einem Anspruch auf Krankengeld versicherten Personen iS des §
46 Abs
2 Satz 1
SGB VII, ohne dass es darauf ankäme, von welchem Zeitpunkt an ihnen Krankengeld nach der Satzung der betreffenden Krankenkasse zu
gewähren wäre; für eine differenzierende Regelung findet sich im Text kein Hinweis. Der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch
zu entnehmende Wortsinn bildet indes den Ausgangspunkt und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung, da das, was jenseits
des möglichen Wortsinns liegt, mit ihm auch bei "weitester" Auslegung nicht mehr vereinbar ist, nicht als Inhalt des Gesetzes
gelten kann (vgl Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl, S 163, 164). Dies wäre etwa der Fall bei einer
Auslegung, nach der eine Satzungsregelung des Unfallversicherungsträgers möglich wäre, Verletztengeld nur zu gewähren, "soweit"
dem Versicherten bei einer nicht unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld gegen die Krankenkasse zustünde.
Selbst wenn der Gesetzgeber eine solche Regelung gewollt hätte, wofür indes keine Anhaltspunkte zu erkennen sind, könnte dies
bei der Auslegung der Norm keine Berücksichtigung finden, weil es keinen Ausdruck im Gesetzestext gefunden hätte.
Der Kläger gehörte zu dem von § 50 Abs 2 Satz 4 der Satzung der Südwestlichen Bau-BG erfassten Personenkreis, für den eine
Regelung nach §
46 Abs
2 Satz 1
SGB VII nicht getroffen werden konnte, weil er bei der DAK, die als Ersatzkasse eine Krankenkasse ist (§ 4 Abs 2, § 168 Abs 1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch), mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Unabhängig davon, ob diese Satzung eine Regelung
über einen von §
46 Abs
1 SGB VII abweichenden Leistungsbeginn auch für diesen Personenkreis enthält oder nicht, richtet sich der Leistungsbeginn mithin allein
nach dieser Vorschrift.
Nach alledem musste die Revision des Klägers in vollem Umfang Erfolg haben. Die Beklagte war unter Aufhebung der vorinstanzlichen
Urteile und entsprechender Abänderung der angefochtenen Bescheide zur Leistung für den gesamten Zeitraum der unfallbedingten
Arbeitsunfähigkeit zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.