Anerkennung einer Berufskrankheit in der gesetzliche Unfallversicherung bei einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule,
Berücksichtigung des Mainz-Dortmunder-Dosismodells
Gründe:
I. Streitig sind die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) und Ansprüche auf Zahlung von Übergangsleistung, Verletztengeld
und Verletztenrente.
Der im Jahre 1961 geborene Kläger absolvierte vom 1.9.1978 bis 15.7.1980 eine Ausbildung zum Kfz-Schlosser (VEB Kombinat B.
V.), anschließend war er dort bis 29.11.1980 beschäftigt. Es schloss sich eine Tätigkeit vom 1.12.1981 bis 30.10.1991 als
Kfz-Schlosser beim VEB H. K. an, die durch die Ableistung des Wehrdienstes vom 5.5.1981 bis 29.10.1982 unterbrochen war. Der
Kläger war auch während des Wehrdienstes truppendienstlich überwiegend als Kfz-Schlosser eingesetzt. Vom 1.11.1991 bis 5.1.1993
war er in seinem Beruf für die E. Nutzfahrzeuge Vertriebs GmbH tätig. Seit Juli 1993 war er als angestellter Verkaufsberater
beschäftigt.
Im Jahre 1993 stellte er den Antrag auf Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als BK. Die beklagte Berufsgenossenschaft
der Bauwirtschaft lehnte den Antrag zunächst hinsichtlich einer BK nach Nr 70 der Verordnung über die Verhütung, Meldung und
Begutachtung von Berufskrankheiten vom 21.4.1981 der früheren DDR (GBl I Nr 12) ab. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei nicht
in rentenberechtigendem Grad gemindert (Bescheid vom 16.4.1996, Widerspruchsbescheid vom 30.10.1997).
Die Beklagte lehnte auf Grundlage einer Berechnung ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell
(MDD) auch die Anerkennung einer BK nach Nr 2108 der Anlage zur
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV; im Folgenden BK 2108) ab. Der zu fordernde Umfang wesentlicher Hebe- und Tragebelastungen sei nicht erreicht (Bescheid vom
21.12.1998, Widerspruchsbescheid vom 30.3.1999).
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin von der Beklagten eine überarbeitete Berechnung des TAD angefordert. Danach habe beim Kläger eine Gesamtbelastung
von 5,882 MNh vorgelegen, der Richtwert von 25 MNh sei damit deutlich unterschritten. Das SG hat mit Beschluss vom 13.7.2001 die damalige Norddeutsche Metall-BG notwendig zum Rechtsstreit beigeladen. Nach Ermittlungen
hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer BK 2108 Entschädigungsleistungen, insbesondere eine Verletztenrente
nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 vH zu zahlen (Urteil vom 22.3.2002 - S 67 U 294/99). Die Voraussetzungen der BK 2108 seien erfüllt. Der Kläger habe beim VEB Hochbau eine für die Bejahung der BK hinreichend
belastende Tätigkeit ausgeübt, denn nach dem im Merkblatt zur BK 2108 belegten Kenntnisstand reiche hierfür eine berufliche
Einwirkung auf die Lendenwirbelsäule (LWS) mit einer Dauer von 10 Jahren aus.
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten von deren TAD eine Neuberechnung nach dem MDD angefordert.
Dieser ist darin auf eine Gesamtbelastung von 3,67 MNh gekommen. Das LSG hat auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) das arbeitsmedizinische Gutachten des Prof. Dr. B. -A. vom 23.11.2005 eingeholt. Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 25.9.2007 - L 2 U 33/02). Das MDD stelle ein geeignetes Modell dar, um die kritische Belastungsdosis des Versicherten zu ermitteln. Der Grenzwert
für die Gesamtbelastung sei mit 20 MNh anzunehmen. Der Kläger erreiche die erforderliche Gesamtdosis nach dem MDD nicht, sondern
lediglich eine solche von knapp 18 MNh. Da diese die Vorgaben des MDD um mehr als 20 vH unterschreite, sei eine maßgebliche
berufliche Einwirkung iS der BK 2108 nicht gegeben.
Mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen (Beschluss vom 18.3.2008) - Revision macht der Kläger geltend, das Urteil
des LSG verletze Bundesrecht. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer BK 2108 seien
bei ihm gegeben. Die Berechnung der Gesamtbelastungsdosis des Klägers sei durch das LSG fehlerhaft erfolgt. Die Mindestdruckkraft,
die bei Männern auf die LWS einwirken dürfe, sei von 3200 N auf 2700 N abzusenken, auf eine Mindesttagesdosis sei zu verzichten
und der Orientierungswert für die Gesamtdosis bei Männern sei zu halbieren (unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 30.10.2007 -
B 2 U 4/06 R). Von der Entscheidung des BSG weiche das zeitlich frühere Urteil des LSG ab. Der Kläger verweist ergänzend auf die Ergebnisse
der Deutschen Wirbelsäulenstudie. Danach gehöre das MDD nicht zu den besten Dosismodellen für die Beschreibung der Dosis-Wirkungs-Beziehung.
Besser geeignet seien Modelle, die eine herabgesetzte Druckkraft zu Grunde legten und Wirbelsäulenbelastungen durch Ziehen
oder Schieben schwerer Lasten berücksichtigten. Zudem ergebe sie ein erhöhtes Risiko der Entwicklung einer Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung
bei beruflicher Schwingungseinwirkung. Im Hinblick auf die Gesamtdauer des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens sei eine Zurückverweisung
an das LSG unerträglich, das BSG sei zur Vermeidung weiterer Verzögerungen gehalten, abschließend zu entscheiden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 25.9.2007 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des Sozialgerichts Berlin vom 22.3.2002 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sofern das LSG in seinem Urteil die Grundsätze aus dem Urteil des BSG vom 30.10.2007 nicht berücksichtigt haben sollte, fehle
es an den erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, um den Rechtsstreit abschließend entscheiden zu können. Eine Zurückverweisung
sei auch geboten, da der medizinische Sachverhalt weiter klärungsbedürftig sei. Insbesondere seien, wie schon die von ihr
vorgelegten Stellungnahmen des Dr. E. zeigten, neue medizinische Erkenntnisse gewonnen worden, die bei der Kausalitätsbeurteilung
sowie ggf bei der Einschätzung der Höhe der MdE zu berücksichtigen seien.
Die Beigeladene beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die berufliche Exposition des Klägers in dem Mitgliedsbetrieb der Beigeladenen sei noch zu klären. Fraglich sei danach auch,
ob die Beklagte oder die Beigeladene der für den geltend gemachten Versicherungsfall zuständige Träger sei. Der Kläger sei
zwar zuletzt bei der E. GmbH, einem Mitgliedsunternehmen der Beigeladenen, beschäftigt gewesen. Nach den Feststellungen des
LSG sei der Kläger aufgrund der Beschäftigung bei der E. GmbH nicht einer beruflichen Einwirkung ausgesetzt gewesen, die die
Mindesttagesdosis erreicht habe. Danach wäre die Beklagte für die Feststellung der BK und ggf die Gewährung von Leistungen
zuständig.
II. Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG), da die vom LSG festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht ausreichen.
Gegenstand der Revision ist die vom Kläger erstrebte Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG, durch das sie zur Anerkennung der BK 2108 und zur Zahlung einer Übergangsleistung, von Verletztengeld und Verletztenrente
verurteilt worden ist. Die Klagen sind als Anfechtungsklage, gegen die ablehnenden Entscheidungen im Bescheid vom 21.12.1998
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.3.1999, verbunden mit der auf Feststellung einer BK gerichteten Feststellungsklage
und den auf die Verurteilung zu den abgelehnten Zahlungen gerichteten unechten Leistungsklagen zulässig.
Die erhobenen Ansprüche beurteilen sich nach den Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), weil die von dem Kläger im Jahre 1993 geltend gemachte BK spätestens vor diesem Zeitpunkt und damit vor Inkrafttreten des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) am 1.1.1997 aufgetreten sein soll (Art 36 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, §
212 SGB VII). Das Begehren des Klägers kann danach nur Erfolg haben, wenn er als Versicherter einen Versicherungsfall erlitten hat.
a) Ob ein Versicherungsfall eingetreten ist, den die Beklagte gegenüber dem Kläger festzustellen hat und aufgrund dessen dem
Kläger Ansprüche gegen die Beklagte zustehen könnten, kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht beurteilen.
Als Versicherungsfall macht der Kläger eine Berufskrankheit geltend. Nach § 551 Abs 1 Satz 1
RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit. Das sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung
mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet hat (aa) und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten (bb) erleidet (§ 551 Abs 1 Satz 2
RVO; jetzt §
9 Abs
1 Satz 1
SGB VII).
aa) Der Kläger macht eine in der Anlage zur
BKV bezeichnete BK geltend.
Die Bundesregierung ist ermächtigt, in einer Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die
nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte
Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs 1 Satz 3
RVO; jetzt §
9 Abs
1 Satz 2
SGB VII; sog Listenprinzip). Von der Ermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlass der
BKV Gebrauch gemacht. Sie hat in der Anlage zur
BKV unter Nr 2108 folgende Berufskrankheit bezeichnet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges
Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller
Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich
waren oder sein können".
bb) Ob der Kläger den Anforderungen des § 551 Abs 1 Satz 2
RVO (jetzt: §
9 Abs
1 Satz 1
SGB VII) entsprechend "Versicherter" war und als solcher bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545
RVO genannten Tätigkeiten die geltend gemachte BK erlitten hat, lässt sich dem Urteil des LSG nicht entnehmen.
Das LSG hat nicht festgestellt, ob der Kläger bei der Ausübung der Tätigkeit als Kfz-Schlosser "Versicherter" war. Dies erscheint
möglich (§§
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII), bedarf aber insbesondere für Zeiten der Beschäftigung im Beitrittsgebiet vor dem 1.1.1992 der Feststellung, dass die Voraussetzungen
gegeben sind, nach denen eine dort ausgeübte Beschäftigung einer Versicherung iS des § 539 Abs 1 Nr 1
RVO bzw §
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII gleichsteht oder als solche gilt (zB Art 24 §
2 Abs 1 des Gesetzes zum Vertrag vom 18.5.1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, BGBl II 518;
dazu auch Raschke BG 1991, 153, 158).
b) Der Senat kann auch nicht beurteilen, ob bei dem Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK 2108 erfüllt sind.
Nach dem Tatbestand der oben bezeichneten BK 2108 muss der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer
gehoben und getragen bzw in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen der versicherten Tätigkeit
zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch bestehen.
Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen
Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus
gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden
Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (BSG, Urteil vom 30.10.2007
- B 2 U 4/06 R - RdNr 16 f).
Das LSG hat hinreichende Einwirkungen auf den Kläger durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw Arbeit in Rumpfbeugehaltung
zu Unrecht verneint. Zwar war zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das LSG auf der Grundlage der damaligen Rechtsprechung
des BSG nicht zu beanstanden, dass das LSG ausgehend von dem MDD bei dem Kläger eine Gesamtbelastungsdosis deutlich unterhalb
des Orientierungswertes von 25 MNh festgestellt hat. Nach Maßgabe der im Urteil des Senats vom 30.10.2007 (B 2 U 4/06 R) aufgestellten Kriterien zur Bestimmung des Ausmaßes der erforderlichen Einwirkung bei der BK 2108 unter Berücksichtigung
der Erkenntnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie kann die vom LSG vorgenommene Berechnung der individuellen Belastungsdosis
des Klägers allerdings keinen Bestand mehr haben.
Das MDD ist, in den Grenzen seiner Thematik, zwar weiterhin eine geeignete Grundlage zur Konkretisierung der im Text der BK
2108 mit den unbestimmten Rechtsbegriffen "langjähriges" Heben und Tragen "schwerer" Lasten oder "langjährige" Tätigkeit in
"extremer Rumpfbeugehaltung" nur richtungweisend umschriebenen Einwirkungen (BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - RdNr 22). Allerdings legt das MDD selbst für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht
werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann.
Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere
die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu
verstehen. Von diesem Verständnis geht auch das aktuelle Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur
BK 2108 aus, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist (BArbBl 2006, Heft 10
S 30 ff). Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall
erreicht oder überschritten werden (ASUMed 1999, 112, 119); umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen
der BK nicht von vornherein aus (dazu BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - RdNr 18).
Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion
besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die Wirbelsäule belastende
Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt
werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken
des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so
deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen,
ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (BSG,
Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - RdNr 19).
Der Senat hat deshalb in der genannten Entscheidung seine frühere Rechtsprechung auf der Grundlage der Erkenntnisse der "Deutsche
Wirbelsäulenstudie" (www.dguv.de/inhalt/leistungen/versschutz/bk/wirbelsaeule/index.html) weiterentwickelt und entschieden,
dass das MDD in seiner Funktion als Konkretisierung des Ausmaßes der für die BK 2108 erforderlichen beruflichen Einwirkung
derzeit nicht durch ein anderes gleichermaßen geeignetes Modell ersetzt werden kann. Entgegen der Auffassung des Klägers ist
dabei unerheblich, welche Personen oder Institutionen das MDD erarbeitet haben, wenn sich - wie hier - die Ergebnisse des
Modells als wissenschaftlich gut bestätigt erweisen. Das MDD bedarf aber auf Grund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse
der Modifikation in folgender Hinsicht:
(1) Die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang ist bei Männern mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang
anzusetzen.
(2) Auf eine Mindesttagesdosis ist nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen,
die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft
mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuaddieren (BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - RdNr 23 f).
(3) Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen
Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene
medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die
Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh, also auf 12,5 MNh, herabzusetzen (BSG, Urteil vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - RdNr 25).
Auf Grund der neuen Maßstäbe für die Ermittlung der beruflichen Einwirkung, bei der weitere Belastungen berücksichtigt und
die Grenzwerte abgesenkt werden, gehören weit mehr Versicherte als bisher zu dem Personenkreis, bei dem eine Anerkennung von
Wirbelsäulenschäden als BK in Betracht kommt. Das bedeutet aber nicht, dass der (wesentliche) Ursachenzusammenhang zwischen
den beruflichen Einwirkungen und der festgestellten Wirbelsäulenerkrankung beim Erreichen der Mindestdosis gleichsam "automatisch",
dh ohne genaue (ua medizinische) Prüfung der Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist. Vielmehr sind Art, Umfang und Dauer
der beruflichen Exposition nur der Ausgangspunkt der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs (BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291, 294 RdNr 19 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7).
Das LSG hat die maßgeblichen beruflichen Einwirkungen in beiden genannten Punkten (Mindestdruckkraft, Grenzwert) nicht nach
Maßgabe der neueren Rechtsprechung des BSG ermittelt. Die im Urteil des LSG getroffenen Feststellungen reichen daher nicht
aus, um abschließend über die Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage des Klägers entscheiden zu können. Da das BSG
solche Einzelfalltatsachen nicht selbst ermitteln darf (§
163 SGG), ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen
(§
170 Abs
2 Satz 2
SGG), damit die noch notwendigen Feststellungen nachgeholt werden können. Art 6 Abs 1 Satz 1 Europäische Menschenrechtskonvention steht der Zurückverweisung entgegen der Ansicht des Klägers nicht entgegen, weil ohne sie kein Sachverhalt festgestellt werden
kann, der eine abschließende Entscheidung über den Rechtsstreit erlaubt.
Das LSG wird neben der Ermittlung der beruflichen Einwirkungen auf den Kläger nach den oben genannten Maßstäben auch die Frage
zu beantworten haben, ob der Kläger bei Ausübung der Erwerbstätigkeit in der ehemaligen DDR Versicherter iS des § 539 Abs 1 Nr 1
RVO bzw §
2 Abs
1 Nr
1 SGB VII gewesen ist. Weiter ist zu klären, im Zuständigkeitsbereich welcher Berufsgenossenschaft der Kläger zuletzt eine die Wirbelsäule
in hinreichendem Maße belastende Tätigkeit ausgeübt hat (vgl §
134 Halbsatz 1
SGB VII).
Das LSG hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.