Anerkennung eines Arbeitsunfalls als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung; haftungsbegründende Kausalität
zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis; Krampfanfall als mögliche Ursache eines Sturzes
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalls.
Der Kläger hatte am 31. Dezember 1994 und in der Nacht vom 28. auf den 29. März 1997 Bewusstseinsverluste erlitten. Am 9.
Juni 2001 stürzte er während seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Rettungssanitäter für die Johanniter-Unfall-Hilfe zu Boden,
als er für den Einsatz bei der "Rave Parade" benötigte Unterlagen holte. Dabei zog er sich eine Kopfverletzung zu. Der behandelnde
Notarzt wies in seinem Notarztprotokoll auf einen Krampfanfall hin. Die Beklagte lehnte es ab, einen Arbeitsunfall festzustellen
und Leistungen zu gewähren, weil ein Sturz aus sog innerer Ursache vorliege (Bescheid vom 9. Januar 2002, Widerspruchsbescheid
vom 14. August 2002).
Das Sozialgericht Konstanz (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 29. Januar 2004). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat die Berufung
des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 7. Dezember 2006). Das Ereignis vom 9. Juni 2001 sei kein Arbeitsunfall, weil es an
der haftungsbegründenden Kausalität fehle. Es stehe nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit fest, dass die versicherte
Verrichtung des Klägers wesentlich ursächlich das Unfallereignis herbeigeführt habe. Im Rahmen einer wertenden Gegenüberstellung
der ursächlichen Faktoren komme der Möglichkeit, dass der Kläger wegen eines Ausrutschens zu Fall gekommen sei, gegenüber
der Möglichkeit, dass er infolge eines Krampfanfalls gestürzt sei, kein deutliches Übergewicht zu. Bei nachweislich temporaler
Hirnläsion und vorausgegangenen zwei Gelegenheitsanfällen im Rahmen von Stressbedingungen hätten am Unfalltag gleichermaßen
Voraussetzungen vorgelegen, die zu einem weiteren Gelegenheitsanfall hätten führen können. Nach alledem sei es gleich wahrscheinlich,
dass der Kläger sturzbedingt einen Anfall erlitten habe oder anfallsbedingt gestürzt sei. Dass die haftungsbegründende Kausalität
zwischen versicherter Verrichtung und dem Unfallereignis nicht hinreichend wahrscheinlich sei, gehe nach dem im sozialgerichtlichen
Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Klägers.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des §
8 Abs
1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII). Das LSG sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen. Danach seien nur erwiesene körpereigene Ursachen bei der Abwägung
mit anderen äußeren Unfallursachen zu berücksichtigen. Ein epileptischer Anfall als sog innere Ursache sei nach den Feststellungen
des LSG aber gerade nicht nachgewiesen, sondern lediglich für möglich erachtet worden. In einem solchen Fall sei für die wertende
Gegenüberstellung einer nicht versicherten inneren Ursache mit einer versicherten äußeren Ursache kein Raum.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. Dezember 2006 und des Sozialgerichts Konstanz vom 29. Januar
2004 sowie die Ablehnung der Feststellung eines Versicherungsfalls im Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2002 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2002 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall des Klägers vom 9. Juni 2001
ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nachgewiesen sei das Vorliegen einer Grunderkrankung, nicht aber das Ausrutschen
als schädigendes Ereignis.
II
Die zulässige Revision, mit der nur noch die Feststellung eines Arbeitsunfalls als Versicherungsfall begehrt wird, ist begründet.
Das LSG hat insoweit zu Unrecht die Berufung gegen das die Klagen abweisende Urteil des SG zurückgewiesen und die angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 9. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. August 2002 bestätigt. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung des Unfalls vom 9. Juni 2001 als Arbeitsunfall.
Nach §
8 Abs
1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende
Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach
im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer
oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis
- geführt (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht
hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens
(haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl BSG vom 4. September 2007
- B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 9 mwN).
Diese Voraussetzungen sind nach den für den Senat bindenden (§
163 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllt. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt als ehrenamtlicher Rettungssanitäter
für die Johanniter-Unfall-Hilfe im Einsatz und damit als eine für ein Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen tätige Person
nach §
2 Abs
1 Nr
12 SGB VII versichert. Durch den Sturz hat der Kläger einen Unfall erlitten. Das von außen auf den Körper einwirkende Ereignis liegt
nicht nur bei einem besonders ungewöhnlichen Geschehen, sondern auch bei einem alltäglichen Vorgang, wie das Stolpern über
die eigenen Füße oder das Aufschlagen auf den Boden vor, weil hierdurch ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (BSG
vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22, jeweils RdNr 16; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 7; BSG vom 18. April 2000 - B 2 U 7/99 R - Juris RdNr 25 mwN). Seine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Holen von Unterlagen - gehörte zur versicherten
Tätigkeit und stand daher mit dieser in einem sachlichen Zusammenhang. Infolge des Sturzes hat der Kläger auch eine Kopfverletzung
und damit einen Gesundheitserstschaden erlitten.
Schließlich ist die Unfallkausalität gegeben, obwohl es nach dem Ergebnis des LSG gleich wahrscheinlich ist, dass der Kläger
sturzbedingt einen Krampfanfall erlitten hat oder krampfanfallbedingt gestürzt ist. Diese bestimmt sich nach der Theorie der
wesentlichen Bedingung (dazu 1.). Für die Prüfung der wesentlichen Verursachung ist danach nur dann Raum, wenn eine innere
Ursache als Konkurrenzursache zur versicherten Tätigkeit nicht nur möglicherweise, sondern tatsächlich kausal geworden ist
(dazu 2.). Ein Ursachenbeitrag ist vom LSG hingegen nur für die versicherte Tätigkeit, nicht aber für einen Krampfanfall festgestellt
worden (dazu 3.).
1. Der Begriff der Unfallkausalität kennzeichnet die Kausalität zwischen der mit der versicherten Tätigkeit im inneren Zusammenhang
stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls und dem Unfallereignis. Insoweit gilt ebenso wie für den ursächlichen Zusammenhang
zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14 jeweils RdNr 17). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach
der jedes Ereignis Ursache eines Erfolges ist, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non).
Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlichphilosophischen Ursachen für einen Erfolg ist allerdings zwischen Ursachen
zu unterscheiden, denen der Erfolg zugerechnet wird und die für den Erfolg rechtlich unerheblich sind. Als kausal und rechtserheblich
werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt
haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung
der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 jeweils RdNr 13 f mwN). Erst nachdem feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis eine naturwissenschaftliche
Ursache für einen Erfolg ist, stellt sich die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis.
2. Die erforderliche Kausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis liegt vor, wenn außer dem kausalen
Anknüpfungspunkt der versicherten Tätigkeit keine anderen Tatsachen festgestellt sind, die als Konkurrenzursachen wirksam
geworden sein könnten. Kann eine mögliche Konkurrenzursache schon nicht festgestellt werden, scheidet sie bereits im naturwissenschaftlich-philosophischen
Sinne als Ursache aus. Liegt hingegen eine Konkurrenzursache vor, ist die Unfallkausalität zu klären. Das ist typischerweise
in den Fällen einer inneren Ursache, einer gemischten Tätigkeit, einer unerheblichen Unterbrechung oder einer eingebrachten
Gefahr notwendig, denn bei diesen Fallgestaltungen kann gerade nicht ausgeschlossen werden, dass neben der im sachlichen Zusammenhang
mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung zur Zeit des Unfalls eine weitere, nicht versicherten Zwecken zuzurechnende
Ursache hinzutritt. Nur wenn eine solche konkurrierende Ursache neben der versicherten Ursache als naturwissenschaftliche
Bedingung für das Unfallereignis wirksam geworden ist, ist zu entscheiden, welche der Ursachen rechtserheblich nach der Theorie
der wesentlichen Bedingung ist (BSG vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R - BSGE 98, 79 = SozR 4-2700 § 8 Nr 22 jeweils RdNr 14 f).
Für den Ausschluss der versicherten Tätigkeit als wesentliche Ursache für das Unfallereignis reicht es daher nicht aus, festzustellen,
dass der Versicherte eine als Konkurrenzursache grundsätzlich in Frage kommende Grunderkrankung als innere Ursache in sich
trägt und damit ein konkurrierender körpereigener Umstand latent und abstrakt vorliegt. Feststehen muss vielmehr auch, dass
diese innere Ursache tatsächlich kausal geworden ist, dh einen Ursachenbeitrag gesetzt und das konkrete Unfallereignis (zumindest
mit-)verursacht hat. Erst wenn festgestellt ist, dass die vorhandene innere Ursache tatsächlich eine Bedingung ist, die nicht
hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg - hier das Unfallereignis - entfiele, ist in einem zweiten Schritt zu entscheiden,
ob die versicherte Tätigkeit oder die nicht versicherte innere Ursache wesentlich für den Eintritt des Unfallereignisses war.
Die bloße Möglichkeit der Mitverursachung durch eine innere Ursache vermag die festgestellte Ursächlichkeit der versicherten
Tätigkeit nicht zu verdrängen. Ist unklar, ob der Versicherte bereits vor dem Sturz einen Anfall erlitten hat, scheidet dieser
Anfall als Sturzursache und damit als Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne aus (vgl Ziegler, in:
SGB VII, Gesetzliche Unfallversicherung, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Aufl, §
8 RdNr 275). Die ursächliche Verknüpfung ist anhand der gegebenen Tatsachen zu beurteilen. Hypothetische Ereignisse kommen
als Ursachen nicht in Betracht. Insoweit ist zu beachten, dass für die Feststellung eines Arbeitsunfalls der volle Beweis
für das Vorliegen sowohl einer versicherten als auch einer inneren nicht versicherten Ursache geführt sein muss (BSG vom 7.
September 2004 - B 2 U 34/03 R - Juris RdNr 22 mwN) und lediglich für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt
(BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17 jeweils RdNr 20 mwN).
3. Nach diesen Maßstäben hat das LSG zu Unrecht den Ursachenzusammenhang zwischen der Verrichtung zur Zeit des Unfalls und
dem Unfallereignis verneint. Es hat zwar den kausalen Beitrag der versicherten Tätigkeit, nicht aber eines körpereigenen Anfallleidens
festgestellt.
Das LSG hat für den Senat bindend (§
163 SGG) festgestellt, dass der Kläger am 9. Juni 2001 während seiner versicherten Tätigkeit als ehrenamtlicher Rettungssanitäter
stürzte, als er der im inneren Zusammenhang damit stehenden Verrichtung des Holens von Unterlagen nachging. Aus den Gründen
der angefochtenen Entscheidung ergibt sich zwar weiterhin, dass zur Überzeugung des Berufungsgerichts ein anfallbedingter
Sturz ebenso wahrscheinlich war wie ein sturzbedingter Anfall. Gleichzeitig wird aber ausgeführt, dass eine "wesentliche"
Verursachung des Unfallereignisses durch die versicherte Verrichtung nicht hinreichend wahrscheinlich sei, weil der Möglichkeit,
ausgerutscht zu sein, gegenüber der Möglichkeit, infolge eines Krampfanfalls gestürzt zu sein, kein deutliches Übergewicht
zukomme. Damit steht nach dem Gesamtzusammenhang der getroffenen Feststellungen die versicherte Tätigkeit als für das Unfallereignis
kausal gewordene Ursache fest.
Demgegenüber hat es nicht festgestellt, dass eine mit der versicherten Tätigkeit sachlich nicht zusammenhängende Mitursache
für den Sturz vorgelegen hat. Dem angefochtenen Urteil mag noch die Feststellung zu entnehmen sein, dass bei dem Kläger ein
Anfallsleiden besteht und sich ein Krampfanfall am Unfalltag auch ereignet hat. Nicht festgestellt ist indes, dass sich das
Anfallsleiden im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne auch ursächlich auf den Sturz ausgewirkt hat. Das LSG hat sich
lediglich der Einschätzung von Prof. Dr. Dr. W. in dessen Gutachten vom 16. November 2004 angeschlossen, dass bei nachweislich
temporaler Hirnläsion und vorausgegangenen zwei Gelegenheitsanfällen im Rahmen von Stressbedingungen auch am Unfalltag Umstände
vorgelegen haben, die zu einem weiteren Gelegenheitsanfall hätten führen können. Damit ist nicht festgestellt, dass das Anfallsleiden
vor dem Sturz aufgetreten und damit als Konkurrenzursache eine nicht hinweg zu denkende Bedingung für das Unfallereignis war.
Eine Mitursächlichkeit der Vorerkrankung neben der versicherten Tätigkeit ist nur als möglich angesehen worden.
Steht der nachweislich kausal gewordenen versicherten Ursache - hier der versicherten Tätigkeit - aber allein eine nur hypothetisch
in Betracht kommende nicht versicherte Ursache - hier ein Krampfanfall - gegenüber, deren Mitursächlichkeit iS des Ingangsetzens
eines bestimmten Erfolgs - hier das Unfallereignis - nicht feststeht, sondern nur denkbar ist, bestehen an der Unfallkausalität
mangels Vorliegen einer wirksam gewordenen Konkurrenzursache keine Zweifel. In einem solchen Fall ist daher auch für die Zurechnungsprüfung
nach der Theorie der wesentlichen Bedingung kein Raum.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§
183,
193 SGG.