Zuständige Berufsgenossenschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung für eine Kassenärztliche Vereinigung
Gründe:
I. Die Klägerin begehrt die Überweisung ihres Unternehmens von der Beklagten an die Beigeladene.
Die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete, klagende Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) ist eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts und nimmt heute die ihr im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) übertragenen Aufgaben der vertragsärztlichen Versorgung wahr. Sie ist seit ihrem Bestehen Mitglied der beklagten Berufsgenossenschaft
(BG) für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Im Mai 1997 beantragte sie sinngemäß die Überweisung ihres Unternehmens
an die beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG). Die Beklagte lehnte dies ab unter Hinweis auf den Erlass des Reichsarbeitsministers
(RAM) vom 12. April 1943 (Amtliche Nachrichten [AN], II, 183), der die versicherten Personen in der Kassenärztlichen Vereinigung
Deutschlands (KVD) ihr zugeteilt habe; auch die Voraussetzungen des §
136 Abs
2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) seien nicht erfüllt (Bescheid vom 7. Dezember 1999; Widerspruchsbescheid vom 26. September 2000).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. April 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil
vom 7. Juni 2005) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe nie einer anderen BG angehört, sondern
sei in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, zu einem nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkt, durch Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis
der Beklagten deren Mitglied geworden. Hierüber habe es nach damaligen Recht keines gesonderten Bescheides bedurft. Die Voraussetzungen
des §
136 SGB VII für eine Überweisung seien nicht erfüllt: Eine anfängliche Unrichtigkeit der Zuordnung liege nicht vor. Schwerwiegende Unzuträglichkeiten
beim Festhalten an der Zuständigkeit der Beklagten seien nicht in Ansätzen zu erkennen, insbesondere sei die Ausbildung von
Sicherheitsfachkräften der Klägerin in von der Beigeladenen durchgeführten Kursen hierfür kein Beleg. Im Übrigen seien in
Unternehmen, für die die Beklagte unstreitig zuständig sei, wie zB Krankenhäuser, ein großer Anteil der Personen mit verwaltenden
Arbeiten beschäftigt.
Die Aufnahme der Klägerin in das Mitgliederverzeichnis der Beklagten widerspreche der Zuständigkeitsregelung jedenfalls nicht
eindeutig. Aufgrund der historisch gewachsenen Zuständigkeiten der BGen sei eine offensichtliche Unrichtigkeit in Zweifelsfällen
zu verneinen. Vorliegend spreche für die Zuständigkeit der Beklagten der Erlass des RAM vom 12. April 1943, der die versicherten
Personen der KVD der Beklagten zugeteilt habe. Die Bedenken der Klägerin gegen die Fortgeltung des Erlasses griffen nicht
durch. Es sei nicht erkennbar, dass er auf nationalsozialistischem Gedankengut beruhe und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen
nicht vereinbar sei. Unschädlich sei, dass der Erlass sich nach seinem Wortlaut nur auf die gegen Kriegsende untergegangene
KVD beziehe, denn der Erlass habe einen Zuständigkeitsstreit gelöst, in dem er die KVD wegen ihrer Nähe zum Gesundheitsdienst
der Beklagten zugewiesen habe und dies gelte auch für Unternehmen, die wie die Klägerin gleichartige oder ähnliche Aufgaben
wahrnehmen würden.
Auch ohne den Erlass des RAM vom 12. April 1943 widerspreche die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten nicht eindeutig
den Zuständigkeitsregelungen. Der durch das Sechste Gesetz über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl
I 107 - 6. UVÄndG) erfolgte Wandel von einer betriebs- zu einer tätigkeitsbezogenen Versicherung habe eine erhebliche Ausweitung
des Kreises der versicherten Unternehmen und Personen bewirkt und zu zahlreichen Abgrenzungsfragen geführt. Diese seien durch
Besprechungen, Verfügungen des Reichsversicherungsamtes (RVA) und Erlasse des RAM, wie den vom 12. April 1943, geklärt worden.
Im Unterschied zu privatärztlichen Verrechnungsstellen sei die Klägerin nicht nur ein Inkassounternehmen, sondern in besonderer
Weise in das System der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden und habe dessen Funktionsfähigkeit zu gewährleisten,
wie sich aus §§
72,
82 Abs
2, §§
96,
77 SGB V ergebe. Aus verfassungsrechtlichen Gründen und einem Vergleich mit den Krankenkassen folge nichts anderes, weil nicht die
erstmalige Aufnahme im Streit stehe, sondern die besonderen Voraussetzungen einer Überweisung nach §
136 SGB VII, die es mit sich bringen könnten, dass vergleichbare Unternehmen unterschiedlichen BGen angehörten, wenn ein eindeutiger
Verstoß gegen Zuständigkeitsregelungen nicht vorliege.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend, ihre Zuordnung zur Beklagten, wie
sie zB im Schreiben der Beklagten vom 1. Dezember 1950 an die Ärztekammer Westfalen zum Ausdruck komme, sei von Anfang an
unrichtig gewesen. Abzustellen sei auf Art und Gegenstand des Unternehmens (Hinweis auf BSG, Urteil vom 11. August 1998 -
B 2 U 31/97 R -) und die Klägerin habe eine verwaltende Tätigkeit im Bereich des damaligen Kassenarztrechts wahrgenommen. Sie sei "unstreitig"
nicht der Wohlfahrtspflege zuzuordnen. Dass sie auch nicht dem Gesundheitsdienst zuzuordnen sei, dürfte ebenfalls "unstreitig"
sein, da zum Gesundheitsdienst nur solche Tätigkeiten und Einrichtungen gehörten, welche die Beseitigung oder Besserung eines
krankhaften Zustandes oder die Pflege eines pflegebedürftigen Menschen bezweckten. Die Krankenkassen gehörten "unstreitig"
ebenfalls nicht zum Gesundheitswesen. Es gebe keine gesetzliche Legimitation für eine Zuständigkeit der Beklagten für die
Klägerin. Der Erlass des RAM vom 12. April 1943 sei keine Verordnung, keine Satzung und kein Gesetz, sondern eine Verwaltungsvorschrift.
Deshalb werde er von der Fortgeltungsklausel des Art
123 Abs
1 des Grundgesetzes (
GG) nicht erfasst. Der Erlass betreffe nur die KVD, nicht aber die KÄVen auf Länderebene. Die Klägerin sei keine Rechtsnachfolgerin
der KVD, die KVD sei nach nationalsozialistischem Recht die alleinige Vertreterin der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen
gewesen und habe die den örtlichen KÄVen obliegende Aufgaben und Befugnisse übernommen. Im Jahre 1945 habe es im Kassenarztrecht
einen praktisch rechtsfreien Raum gegeben, weder durch Gesetz noch in anderer Weise sei eine Nachfolge der regionalen KÄVen
in die Rechte und Pflichten der KVD angeordnet worden.
Die Beigeladene meint, dass sie für die Klägerin als büromäßig betriebenes Unternehmen zuständig sei.
Die Klägerin und die Beigeladene beantragen,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Juni 2005 und des Sozialgerichts Dortmund vom 24. April 2003
sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2000 aufzuheben
und die Beklagte zu verurteilen, das Unternehmen der Klägerin an die Beigeladene zu überweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Begriff "Gesundheitsdienst" sei weit auszulegen, und die KÄVen gäben
dem deutschen Gesundheitswesen einen eigenen Charakter. Deshalb sei im Jahre 1952 eine einvernehmliche Überweisung der privatärztlichen
Verrechnungsstellen von der Beigeladenen an die Beklagte und aller Apotheken von der BG Chemie an die Beklagte erfolgt. Die
Zuständigkeit der Beigeladenen für die Krankenkassen beruhe auf deren Zuständigkeit auch für private Versicherungsunternehmen.
Im Übrigen seien die KÄVen keine Versicherungsträger, sondern Organe im deutschen Gesundheitswesen. Zumindest liege kein eindeutiger
Verstoß gegen die Zuständigkeitsregelungen iS des §
136 SGB VII vor.
II. Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Überweisung ihres Unternehmens an die Beigeladene.
Da der Überweisungsantrag im Jahre 1997 gestellt wurde, ist das seit dem 1. Januar 1997 geltende
SGB VII anzuwenden. Gemäß §
136 Abs
1 Satz 4
SGB VII überweist ein Unfallversicherungsträger ein Unternehmen an den zuständigen Unfallversicherungsträger, wenn die Feststellung
der Zuständigkeit für das Unternehmen von Anfang unrichtig war oder die Zuständigkeit für das Unternehmen sich geändert hat.
Die Vorschrift greift hier ein, obwohl eine förmliche Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten für das Unternehmen der
Klägerin in der Vergangenheit möglicherweise nicht erfolgt ist. Satz 4 des §
136 Abs
1 SGB VII knüpft an Satz 1 desselben Absatzes an, wonach der Unfallversicherungsträger Beginn und Ende seiner Zuständigkeit für ein
Unternehmen durch schriftlichen Bescheid gegenüber dem Unternehmer feststellt. Daraus folgt aber nicht, dass der Anwendungsbereich
des Satzes 4 auf Fälle beschränkt ist, in denen ein solcher Feststellungsbescheid ergangen ist. Bis zum Inkrafttreten des
SGB VII am 1. Januar 1997 hatte das Gesetz eine Feststellung der Zuständigkeit durch Verwaltungsakt in der heutigen Form nicht verlangt.
Unternehmer, die versichert waren oder Versicherte beschäftigten, wurden nach Prüfung ihrer Zugehörigkeit zur Berufsgenossenschaft
in deren Unternehmerverzeichnis (früher: Betriebsverzeichnis) aufgenommen und erhielten einen Mitgliedsschein (§ 664 Abs 1 der
Reichsversicherungsordnung -
RVO - idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes - UVNG - vom 30. April 1963 - BGBl I 241; ursprünglich: §§ 658, 659
RVO aF). Ob bei Gründung des Unternehmens der Klägerin nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Weise verfahren wurde und wann genau
die Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten begonnen hat, hat das LSG ausweislich der Urteilsgründe nicht mehr feststellen
können. Darauf kommt es jedoch nicht an; denn auch in Fällen, in denen kein förmlicher Aufnahmebescheid oder Mitgliedsschein
erteilt wurde, ist nach Systematik und Zweck der gesetzlichen Regelung eine Überweisung erforderlich, wenn die Zuständigkeit
für ein Unternehmen von einem Unfallversicherungsträger zu einem anderen wechseln soll.
§
136 Abs
1 SGB VII soll, was die Feststellung des für das Unternehmen zuständigen Unfallversicherungsträgers anbelangt, Kontinuität und Rechtssicherheit
gewährleisten (Grundsatz der Katasterstetigkeit; siehe dazu BSGE 15, 282, 288 f = SozR Nr 1 zu § 666
RVO; BSGE 38, 187, 191 ff = SozR 2200 § 664 Nr 1 S 6 ff; BSG, Urteil vom 12. Dezember 1985 - 2 RU 57/84 - SGb 1986, 338; BSG, Urteil vom 11. August 1998 - B 2 U 31/97 R - HVBG-Info 1998, 2757; BSGE 94, 258 = SozR 4-2700 § 136 Nr 1, jeweils RdNr 9, 11). Das wird dadurch erreicht, dass eine einmal begründete und praktizierte Zuständigkeit nur in einem
geordneten Verfahren und unter erschwerten Bedingungen wieder geändert werden kann. Ausgehend von diesem Regelungszweck kann
eine Feststellung im Sinne des §
136 Abs
1 Satz 4
SGB VII auch darin liegen, dass die Beteiligten in der Vergangenheit einvernehmlich die Zugehörigkeit des Unternehmens zu der BG
angenommen und die Versicherung den gesetzlichen Vorschriften entsprechend durchgeführt haben. Da daran hier kein Zweifel
besteht, hat das LSG zu Recht auf diese Bestimmung abgestellt.
Die Voraussetzungen für eine Überweisung nach §
136 Abs
1 Satz 4
SGB VII sind im Fall des Unternehmens der Klägerin nicht erfüllt. Da vom LSG keinerlei Feststellungen zu Änderungen in dem Unternehmen
der Klägerin erfolgten und dies auch von den Beteiligten nicht gerügt wurde, kommt vorliegend nur die erste Alternative -
eine Überweisung wegen einer von Anfang an unrichtigen Zuständigkeit - in Betracht. Eine solche setzt voraus, dass die unrichtige
Zuständigkeit den Zuständigkeitsregeln eindeutig widerspricht oder das Festhalten an ihr zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten
führen würde (§ 136 Abs 2 Satz 1 SBG VII).
Das Vorliegen von schwerwiegenden Unzuträglichkeiten hat das LSG nachvollziehbar verneint, weil die Klägerin insofern nur
auf die mit Einverständnis der Beklagten durch die Beigeladenen durchgeführten Kurse für die Sicherheitsfachkräfte der Klägerin
verwiesen habe und die Beklagte im Übrigen für Unternehmen mit großen Verwaltungsabteilungen, wie Krankenhäuser, unstreitig
zuständig sei. Auch insofern sind seitens der Klägerin keine Rügen erhoben worden.
Die Voraussetzungen des von der Klägerin im Revisionsverfahren ausdrücklich noch geltend gemachten und nach dem Vorstehenden
alleine noch zu erörternden Überweisungsgrundes der unrichtigen Zuständigkeit von Anfang an, die den Zuständigkeitsregelungen
eindeutig widerspricht, sind ebenfalls nicht erfüllt.
Die Bestimmung der Zuständigkeiten der gewerblichen BGen richtet sich nach § 122 SBG VII. Nach dessen Abs 1 kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die sachliche Zuständigkeit
der gewerblichen BGen nach Art und Gegenstand der Unternehmen unter Berücksichtigung der Unfallverhütung und der Leistungsfähigkeit
der BGen bestimmen. Da diese Rechtsverordnung bisher nicht ergangen ist, bleibt nach §
122 Abs
2 SGB VII jede BG für die Unternehmensart sachlich zuständig, für die sie bisher zuständig war. Mit dieser Regelung knüpft §
122 SGB VII an Art 4 §
11 UVNG an, der im Wesentlichen denselben Inhalt hatte.
Mangels Tätigwerdens des Verordnungsgebers ist deshalb für die Zuständigkeit der BGen hinsichtlich der verschiedenen Unternehmen
immer noch der Beschluss des Bundesrates vom 21. Mai 1885 (AN 1885, 143) sowie die ihn ergänzenden Regelungen der verschiedenen
nachfolgenden Stellen maßgeblich (vgl das vom RVA aufgestellte "Alphabetische Verzeichnis der Gewerbezweige" und die vorgenommenen
Fortschreibungen in ua AN 1885, 254; AN 1886, 134; AN 1903, 404; Handbuch der Unfallversicherung, Band III, 1910, S 1 ff).
Die Rechtsgrundlage für die Zuständigkeit der beklagten BGW für die klagende KÄV ist - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat
- der Erlass des RAM vom 12. April 1943 (AN 1943, II, 183). Nach diesem werden versicherte Personen in "der Reichsärztekammer
und der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands" sowie anderen Organisationen "sämtliche mit ihren Landes-, Provinzial-
und Bezirksgruppen, Geschäftsstellen, Unterverbänden und Verrechnungsstellen" der Beklagten zugeteilt. Der Erlass ist vorkonstitutionelles
Recht iS des Art
123 Abs
1 GG (1), verstößt nicht gegen das
GG (2) und regelt die Zuständigkeit der Beklagten für die Klägerin als KÄV (3). Aus der Bezeichnung der Beklagten (4) und aus
einer - unterstellten - Nichtanwendbarkeit des Erlasses vom 12. April 1943 (5) folgt nichts anderes.
(1) Der Erlass des RAM vom 12. April 1943 gilt als vorkonstitutionelles Recht entgegen der Auffassung der Klägerin weiter
(stRspr des Senats zu vergleichbaren Regelungen seit Urteil vom 26. Juli 1963 - 2 RU 95/61 - SozR Nr 4 zu RAM-Erl [Gemeindl UV] Allg; BSGE 39, 112, 113 = SozR 2200 § 646 Nr 1; BSGE 71, 85, 86 = SozR 3-2200 § 646 Nr 1; SozR 3-2200 § 664 Nr 2; vgl zuletzt Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 34/04 R - RdNr
22 ff, vorgesehen für SozR). Denn nach Art
123 Abs
1 GG gilt Recht aus der Zeit vor dem (ersten) Zusammentritt des Deutschen Bundestages (7. September 1949) fort, soweit es dem
GG nicht widerspricht. Unter "Recht" sind hier Rechtssätze jeder Art und jeden Ranges aus jeder Zeit vor dem Zusammentritt des
Bundestages zu verstehen, also nicht nur förmliche Gesetze, sondern auch zB Rechtsverordnungen, Satzungen und Gewohnheitsrecht
(vgl BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, aaO, mwN). Bei dem hier umstrittenen Erlass des RAM handelt es sich um allgemeine (abstrakt-generelle)
Rechtssätze und nicht lediglich um Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen. Allgemeinverfügungen regeln einen konkreten
Einzelfall unter genereller Kennzeichnung der Adressaten (vgl BSGE 51, 260, 261 = SozR 2200 § 730 Nr 2). Die Zuständigkeitsbestimmungen, die hier durch den Erlass getroffen wurden, sind indes abstrakt
(bezogen auf den geregelten Sachverhalt) und generell (bezogen auf den Empfängerkreis), weil sie eine Vielzahl von Organisationen
als Gewerbezweige der beklagten BGW zuordnen und alle - auch künftig entstehende - Unternehmen, die der Pflichtversicherung
unterworfen sind, betreffen. Diese Bestimmungen sind auch nicht als - lediglich intern wirkende - Verwaltungsvorschriften,
die nicht unter Art
123 Abs
1 GG fallen (vgl Maunz/Dürig,
GG, Stand Februar 2005, RdNr
6; OVG Münster, Urteil vom 27. April 1955 - III A 421/52 - OVGE 9, 267, 271), ergangen. Sie entfalten vielmehr Außenwirkung, weil durch sie der Beklagten ein neuer Kreis von Gewerbezweigen
zugeordnet wird, woraus sich für die BG, die ihr zugeordneten Unternehmen und die Versicherten entsprechende Rechte und Pflichten
ergeben.
(2) Der Erlass gilt fort, weil er nicht dem
GG widerspricht. Denn unter "Widersprechen" iS des Art
123 Abs
1 GG ist nur der materielle - inhaltliche - Widerspruch zum
GG, insbesondere zu den Grundrechten und den tragenden Verfassungsprinzipien, nicht der formelle Widerspruch zu verstehen. Prüfungsmaßstab
für das Zustandekommen des jeweiligen Rechtssatzes ist mithin nicht das
GG, sondern die im Zeitpunkt des Erlasses geltenden Rechtsgrundsätze; ob die Rechtsvorschrift im Hinblick auf Form und Verfahren
noch unter dem
GG ergehen könnte, ist unbeachtlich (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 34/04 R - RdNr 23, vorgesehen für SozR, mwN).
a) Danach sind die hier maßgeblichen Rechtssätze formell rechtmäßig. Die Fachminister, hier der RAM, übernahmen spätestens
mit der Aufhebung des dem Bundesrat im Jahre 1919 nachfolgenden Reichsrates gemäß § 2 Abs 2 des Gesetzes über die Aufhebung
des Reichsrates vom 14. Februar 1934 (RGBl I 89) die Kompetenzen des alten Bundesrates (Friehe, AöR 109, 76, 81), der wiederum
durch § 15 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6. Juli 1884 (RGBl 69) zur Regelung der Zuständigkeiten der BGen ermächtigt
war. Durch Art 3 § 1 6. UVÄndG wurde der RAM ermächtigt, zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes Rechts- und Verwaltungsvorschriften
zu erlassen. Auf diese Rechtsgrundlage hat der RAM auch seinen Erlass vom 12. April 1943 ausdrücklich gestützt.
b) Der Erlass des RAM vom 12. April 1943 steht auch nicht materiell-rechtlich im Widerspruch zum
GG, insbesondere weder zu dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes (Art
20 Abs
3 GG iVm Art
2 Abs
1 GG) noch zu dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art
3 Abs
1 GG).
Der Erlass genügt dem Vorbehalt des Gesetzes. Um diesem Genüge zu tun, bedarf es zwar im Bereich jenseits der reinen Leistungsverwaltung
zur Regelung der Zuständigkeit von Behörden eines materiellen Gesetzes (vgl BVerfGE 2, 307, 316 ff; BVerfGE 8, 155, 166 f); zumindest sind die wesentlichen Grundzüge zu bestimmen (vgl BVerfGE 40, 237, 250). Für vorkonstitutionelles Recht gilt dieser Grundsatz jedoch nur eingeschränkt, weil dieses nach Art
123 Abs
1 GG unabhängig von seinem Rang und seiner formellen Rechtmäßigkeit weitergelten soll und selbst vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht
dem Gesetzesvorbehalt grundsätzlich entspricht (vgl BVerfGE 34, 293, 303; BVerfGE 54, 224, 234). Allerdings kann auch eine vorkonstitutionelle Regelung gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstoßen, wenn sie zu schwerwiegenden
Grundrechtseingriffen wie Freiheitsentzug und Verbot der Berufsausübung ermächtigt und die Ermächtigungsgrundlage, auf der
sie beruht, nach Art
129 Abs
3 GG erloschen ist (vgl BVerfGE 78, 179, 198 f).
Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass vom 12. April 1943 ist nicht schon nach Art
129 Abs
3 GG außer Kraft getreten. Ermächtigungen erloschen danach nur insoweit, als sie zur Änderung, Ergänzung oder zum Erlass von Rechtsvorschriften
an Stelle von Gesetzen ermächtigten. Hiermit sind gesetzesvertretende und -erweiternde Ermächtigungen gemeint (BVerfGE 2,
307, 329; Stettner in Dreier,
GG, 2000, Art
129 RdNr 15). Die Zuständigkeitsbestimmung beruht aber nicht auf der Ergänzungsermächtigung des Art 3 § 1 Satz 2 6. UVÄndG, sondern
auf dessen Durchführungsermächtigung in Satz 1. Dies ergibt sich nicht nur aus der Überschrift des Erlasses ("Durchführung
des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung; hier: Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst
und Wohlfahrtspflege"), sondern insbesondere aus dessen Inhalt: Denn Ergänzungsermächtigungen erlauben die Erweiterung der
eigenen Rechtsetzungsbefugnisse (Schulze in Sachs,
GG, 3. Aufl 2003, Art
129 RdNr 10), während Durchführungsermächtigungen lediglich zu Regelungen innerhalb des vom Gesetz gezogenen Rahmens ermächtigen
(BVerfGE 78, 179, 198; Wolff in von Mangoldt,
GG, 5. Aufl 2005, Art
129 RdNr 29). Der Erlass regelt ausschließlich die sachliche Zuständigkeit der Beklagten für bestimmte Organisationen, also lediglich
die Ausführung gesetzlich bereits geregelter Kompetenzen in Folge der Umstellung der gesetzlichen Unfallversicherung von einer
unternehmens- zu einer tätigkeitsbezogenen Versicherung durch das 6. UVÄndG. Ein besonderer Bezug zum nationalsozialistischen
System und dessen Anschauungen, wie zB dem Führerprinzip, ist dem Erlass - entgegen der nicht weiter begründeten Auffassung
der Klägerin - nicht zu entnehmen.
Die Zuständigkeitsregelung hat keine schwerwiegenden Grundrechtseingriffe zur Folge. Denn sie regelt nicht die Pflichtmitgliedschaft
in der gesetzlichen Unfallversicherung an sich, sondern nur die Mitgliedschaft in einer bestimmten BG statt in einer anderen.
Die Bestimmung der Zuständigkeit ist folglich neutral und greift nur hinsichtlich ihrer mittelbaren Folgen in den Rechtskreis
der Unternehmer ein, zB bei möglicherweise verschiedenen Unfallverhütungsvorschriften, Präventionsprogrammen und Beiträgen.
Der Erlass des RAM vom 12. April 1943 führt auch nicht zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung der betroffenen Unternehmen.
Die unterschiedliche Zuordnung der klagenden KÄV und der zum Vergleich von der Klägerin herangezogenen Krankenkassen beruht
auf sachlichen Gründen und ist nicht willkürlich.
Denn die Zuständigkeiten der BGen für die Unternehmen knüpfen seit dem Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 (RGBl 69)
bis zum heutigen
SGB VII (vgl dessen §
122 sowie die Anlage 1 zu §
114 SGB VII) an der Zuordnung der Unternehmen zu Gewerbezweigen an. Hinsichtlich dieser Zuordnung kommt es nicht auf die Art der Arbeitsplätze
in dem einzelnen Unternehmen an, sondern neben den Arbeitsbedingungen auf die hergestellten Erzeugnisse, die Produktionsweise,
die verwendeten Werkstoffe, die eingesetzten Maschinen und sonstigen Betriebseinrichtungen sowie die gesamte Arbeitsumgebung
im Rahmen einer Gesamtbetrachtung an (vgl zuletzt zusammenfassend zu dem Begriff Gewerbezweig: BSG, Urteil vom 5. Juli 2005
- B 2 U 32/03 R - BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2, jeweils RdNr 15). Von daher ist es nicht sachwidrig, Unternehmen, die für einen oder mehrere bestimmte
Gewerbezweige tätig sind, auch wenn diese Unternehmen selbst büromäßig organisiert sind, der BG zuzuordnen, die für diese(n)
Gewerbezweig(e) zuständig ist.
Die klagende KÄV ist - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat und sich auch aus den §§
72 ff
SGB V ergibt - nicht nur eine Inkassostelle für die Vertragsärzte in ihrem Bereich, sondern hat zahlreiche darüber hinausgehende
Aufgaben, insbesondere die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung in ihrem Bezirk (§
75 Abs
1 SGB V). Sie ist eine der zentralen Einrichtungen des Deutschen Gesundheitssystems. Die gesetzlichen Krankenkassen waren trotz ihrer
Bedeutung für das Gesundheitswesen in Deutschland jedenfalls in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die Zuständigkeiten
der BGen festgelegt wurden, kein derart immanenter Teil dieses Systems. Ihre damalige Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen
Versicherungsträgern und auch mit privaten (Kranken-)Versicherungen und die damit einhergehende Zuordnung zur Beigeladenen
beruht auf nachvollziehbaren Unterschieden und Abgrenzungen im Vergleich zur Klägerin. Die Krankenkassen haben im Gesundheitswesen
traditionell die Stellung eines Kostenträgers, der im Zweifel durch einen anderen Kostenträger ersetzt werden kann, während
die Klägerin eine Stelle ist, die einen wesentlichen Teil der Leistungserbringungen selbst organisiert.
(3) Für die Zugehörigkeit der Klägerin zur Beklagten aufgrund des Erlasses vom 12. April 1943 spricht in der Sache, dass die
in dem Erlass getroffene Zuständigkeitsregelung für die KVD auch für die Klägerin als KÄV gilt. Denn die Klägerin stand -
entgegen ihrem Revisionsvorbringen - in einer eindeutigen Beziehung zu der im Erlass genannten KVD. Denn die KÄVen waren aufgrund
der historischen Entwicklung Rechts- und Funktionsvorgängerinnen sowie zumindest auch Funktionsnachfolgerinnen der KVD.
In Ausführung der sog Vierten Notverordnung des Reichspräsidenten vom 8. Dezember 1931 (RGBl I 699) fasste der RAM mit Verordnung
vom 14. Januar 1932 (RGBl I 19) die §§ 368 ff der
RVO neu und schuf erstmals ua KÄVen, denen die Gewährleistung der kassenärztlichen Versorgung übertragen war und in denen jeder
zugelassene Kassenarzt Mitglied war (zu Einzelheiten vgl die damaligen § 368 Abs 2, §§ 368a, 368d
RVO). Durch die Verordnung des RAM vom 2. August 1933 (RGBl I 567) wurde die KVD errichtet und die regionalen KÄVen gingen in
diese als unselbstständige Träger auf. Das Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 führte zur Handlungsunfähigkeit und faktischen
Auflösung der KVD, deren rechtliche Auflösung erst durch das Gesetz über Kassenarztrecht (GKAR) vom 17. August 1955 (BGBl
I 513) erfolgte. Die einzelnen KÄVen, die ab dem Jahre 1933 als unselbstständige Verwaltungsstellen der KVD weiter bestanden
hatten, nahmen ihre Tätigkeit auf Landesebene wieder auf. Einige wurden durch Landesrecht bestätigt, ihre endgültige gesetzliche
Anerkennung erfolgte durch das GKAR. Dieses fasste die §§ 368 ff
RVO neu, stellte das Kassenarztrecht bundesweit wieder auf eine einheitliche Rechtsgrundlage, beseitigte die Zentralisierung
aus dem Jahre 1933 und kehrte auf die Linie der Jahre 1931 und 1932 zurück (vgl zur Geschichte im Übrigen: Schneider, Kassenarztrecht,
1983, S 25 ff; Schnapp in ders/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 2. Aufl 2006, § 1 RdNr 21 ff). Dass die regionalen
KÄVen an die Stelle der KVD zumindest im Wege der sog Funktionsnachfolge getreten waren, folgt aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zur ärztlichen Berufsgerichtsbarkeit (BVerfGE 4, 74, 88 ff). In dieser wird ausgeführt, dass nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes alle höchsten Staatsorgane handlungsunfähig
waren und daher die niedrigeren Organe berechtigt und verpflichtet waren, notfalls unter Überschreitung ihrer normalen Kompetenzen
zu handeln. Dass die Klägerin dies getan hat, ergibt sich aus den referierten allgemeinen historischen Erkenntnissen und dem
vom LSG festgestellten Sachverhalt.
Angesichts der dargestellten Herleitung der berufsgenossenschaftlichen Zuständigkeit der Beklagten für die Klägerin, die das
aufwändige Aufsuchen von Ketten vorkonstitutionellen untergesetzlichen Rechts erfordert, weist der Senat erneut daraufhin,
dass diese Vorschriften die gebotene Regelung der berufsgenossenschaftlichen Zuständigkeiten durch eine in §
122 Abs
1 Satz 1
SGB VII vorgesehene Rechtsverordnung, die auch schon in § 646 Abs 2
RVO in der Fassung durch das UVNG vom 30. April 1963 - also mittlerweile seit über 40 Jahren - vorgesehen war, nicht auf Dauer
zu ersetzen vermag (vgl BSG Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 34/04 R - RdNr 30, vorgesehen für SozR mwN).
(4) Aus der Bezeichnung der Beklagten als BG für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (so seit ihrer Gründung durch die
Verordnung des RAM vom 17. Mai 1929 [RGBl I 104] bis heute in der Anlage 1 zu §
114 SGB VII unter Nr 34) ist nichts gegen diese Zuständigkeitsregelung abzuleiten, sie wird vielmehr dadurch bestätigt. Wie der Senat
zu § 539 Abs 1 Nr 7
RVO - der Vorgängervorschrift des heutigen §
2 Abs
1 Nr
9 SGB VII - ausgeführt hat, umfasst der "Gesundheitsdienst" Tätigkeiten bzw Einrichtungen, die der Gesundheit der Allgemeinheit oder
eines Einzelnen dienen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 134 S 400). Genau dies ist auch die zentrale Funktion der Klägerin, wie sich
vor allem aus ihrem Auftrag, die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen, ergibt.
(5) Selbst wenn der Erlass des RAM vom 12. April 1943 nicht mehr anzuwenden wäre, wären die Voraussetzungen für eine Überweisung
der Klägerin an die Beklagte nicht erfüllt, weil die umstrittene Zuständigkeit der Beklagten für die klagenden KÄV, den Zuständigkeitsregelungen
zumindest nicht eindeutig widerspricht (vgl den Wortlaut des §
136 Abs
2 Satz 1
SGB VII), wie sich aus dem oben Gesagten, der zwischenzeitlich jahrzehntelangen Heranziehung zu Beiträgen und deren Zahlung ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung, die im vorliegenden Fall noch anzuwenden war, weil die Klage vor dem SG vor dem 1. Januar 2002 rechtshängig geworden ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24).