Anspruch auf Hinterbliebenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei fehlender Anmeldung des Entschädigungsanspruchs
Gründe:
I
Umstritten sind der Beginn und die Höhe einer Hinterbliebenenrente.
Die im Jahr 1955 geborene, aus Kasachstan stammende Klägerin ist die Witwe des am 13. September 1983 verstorbenen W. P. (P.).
Sie siedelte am 6. Juni 1992 mit ihren Kindern aus ihrer Heimat nach Deutschland über, erhielt den Vertriebenenausweis A und
die deutsche Staatsangehörigkeit. Wegen Ansprüchen auf Hinterbliebenenrente sprach sie bei der Geschäftsstelle Holzhausen
der Stadt Sulz am Neckar vor und unterschrieb dort am 14. September 1992 den von einer Mitarbeiterin der Stadt, der späteren
Zeugin K., ausgefüllten "Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter". Der Antrag und weitere
Unterlagen wurden an die Landesversicherungsanstalt Baden (LVA) weitergeleitet, die der Klägerin ab 6. Juni 1992 eine große
Witwenrente gewährte.
Am 31. Dezember 2000 beantragte die Klägerin bei der beklagten Unfallkasse Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung,
da P. an den Folgen eines Arbeitsunfalls gestorben sei. Mit Bescheid vom 20. November 2003 gewährte die Beklagte der Klägerin
ab 1. Januar 1997 Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Leistungen bis zum 31. Dezember 1996 seien ausgeschlossen,
weil die Klägerin nicht unmittelbar nach ihrer Übersiedlung ihren Leistungsanspruch angemeldet habe. Den mit einem sozialrechtlichen
Herstellungsanspruch aufgrund eines Beratungsmangels der städtischen Mitarbeiterin bei der Rentenantragstellung begründeten
Widerspruch wies die Beklagte zurück, weil sie sich deren mögliche Beratungsmängel nicht zurechnen lassen müsse (Widerspruchsbescheid
vom 18. April 2005).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin bereits ab 6. Juni 1992 Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
in gesetzlicher Höhe aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu gewähren (Urteil vom 28. November 2006). Das
Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 18. Oktober 2007) und zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt: Auf den Rentenanspruch der Klägerin sei noch die
Reichsversicherungsordnung (
RVO) und nicht das ab dem 1. Januar 1997 geltende Siebte Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) anzuwenden. Denn nicht der Zeitpunkt der verwaltungsverfahrensmäßigen Festsetzung der Witwenrente sei maßgeblich, sondern
der, in dem die materiellen Voraussetzungen für die Leistungen erfüllt seien, und dies sei hier vor dem 1. Januar 1997 gewesen.
Mit der Vorsprache bei der Stadt und dem Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung habe die
Klägerin auch einen Anspruch auf Leistungen wegen des Arbeitsunfalls des P. angemeldet und insoweit ebenfalls Witwenrente
beantragt. Selbst wenn eine damalige wirksame Antragstellung verneint werde, wäre die Klägerin aufgrund eines sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte sie den Antrag innerhalb der Frist der §§ 1546, 1548
RVO gestellt. Einen Rentenanspruch hätte sie dann im Hinblick auf § 44 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aber erst ab dem 1. Januar 1996. Die mangelhafte Beratung durch die städtische Mitarbeiterin K. sei der Beklagten nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG] (Hinweis auf BSG SozR 4-2600 § 4 Nr 2) zur arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung
durch mehrere Verwaltungsträger im Sinne einer Funktionseinheit zuzurechnen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts: Das LSG habe
§
16 Abs
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) verletzt. Es sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin am 14. September 1992 einen Antrag auf Witwenrente aus
der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt habe. Diese "Annahme" des LSG beruhe nicht auf Tatsachenfeststellungen, sondern
auf der rechtlichen Auslegung des von der Klägerin damals abgegebenen Antrags. Eine für einen Antrag erforderliche, auf Gewährung
einer solchen Leistung gerichteten Willenserklärung der Klägerin scheide aus, weil diese nach ihren Angaben keine Kenntnis
von der entsprechenden Sozialleistung gehabt habe. Die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs lägen
nicht vor. Selbst wenn K. eine Beratungspflicht verletzt habe, sei dies der Beklagten nicht zurechenbar. Außerdem habe das
LSG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2007 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. November
2006 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Die Klägerin stellt keinen Antrag.
II
Die Revision ist zulässig und begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben und die Klage ist abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung aufgrund des tödlichen Arbeitsunfalls ihres Ehemannes am 13. September 1983 in ihrer früheren Heimat Kasachstan
für die Zeit vor dem 1. Januar 1997.
Die Voraussetzungen für eine frühere Leistungsgewährung sind nicht erfüllt. Ein Rentenanspruch für die Zeit vor dem 1. Januar
1997 aufgrund des
SGB VII scheidet aus, weil dieses erst an diesem Tag in Kraft getreten ist und insofern keine Rückwirkung hat (Art 36 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch - UVEG - vom 7. August 1996, BGBl I 1254). Ein Anspruch auf Zahlung der Rente aufgrund der bis zu diesem Datum geltenden
RVO scheidet ebenfalls aus. Nach § 1548
RVO war der Anspruch auf Entschädigung für die Hinterbliebenen bei Tod eines Versicherten infolge eines Arbeitsunfalls spätestens
zwei Jahre nach dem Tod anzumelden, wenn die Entschädigung nicht von Amts wegen festgestellt wurde. Wurde der Anspruch später
angemeldet, so begannen die Leistungen mit dem Ersten des Antragsmonats, es sei denn, dass die verspätete Anmeldung durch
Verhältnisse begründet war, die außerhalb des Willens des Antragstellers lagen (§ 1548 Halbsatz 2, § 1546 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2
RVO).
Nach diesen Voraussetzungen hat die Klägerin unter der Geltung der
RVO keinen Anspruch auf Zahlung der Hinterbliebenenrente erworben, denn die Leistung war nicht von Amts wegen festgestellt worden
(dazu 1.). Die Klägerin hat vor dem 31. Dezember 2000 einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung
nicht angemeldet oder einen entsprechenden Antrag gestellt, obwohl sie seit ihrer Umsiedlung nach Deutschland im Juni 1992
durch nichts daran gehindert war, und hat damit die Zweijahresfrist versäumt (dazu 2.). Auch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
ist nicht gegeben (dazu 3.).
1. Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung werden von Amts wegen erbracht (§ 19 Satz 2 Halbsatz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch
[SGB IV]). Der heutige einschränkende zweite Halbsatz "soweit sich aus den Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung
nichts Abweichendes ergibt" ist erst durch das UVEG eingefügt worden und vorliegend ohne Bedeutung.
Voraussetzung für ein Handeln des Unfallversicherungsträgers von Amts wegen ist seine Kenntnis von möglicherweise leistungserheblichen
Tatsachen (vgl nur Hampel in jurisPKSGB IV, 2006, §
19 RdNr 34). Diese erlangt er typischerweise aufgrund der Anzeigepflicht der Unternehmer (§
193 SGB VII, früher § 1552
RVO) und Ärzte (§
202 SGB VII, §§
34, 36 Vertrag gemäß §
34 Abs
3 SGB VII zwischen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V., dem Bundesverband der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften
e.V. einerseits und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, K.d.ö.R., andererseits über die Durchführung der Heilbehandlung,
die Vergütung der Ärzte sowie die Art und Weise der Abrechnung der ärztlichen Leistungen bzw dessen Vorläufer) über einen
Versicherungsfall. Aber auch der verletzte Versicherte bzw dessen Hinterbliebenen können einen Versicherungsfall anzeigen
oder einen Antrag stellen.
Dass die Beklagte vor dem am 31. Dezember 2000 bei ihr eingegangenen Schreiben der Klägerin Kenntnis von dem Arbeitsunfall
des P. erlangt hat, ist den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen, die Klägerin hat insofern auch keine Rügen erhoben.
Eine mögliche Kenntniserlangung der Mitarbeiterin K. der Stadt am 14. September 1992 muss die Beklagte sich nicht zurechnen
lassen. Denn Kenntniserlangung beinhaltet ein rein tatsächliches Geschehen und angesichts der daran geknüpften Rechtsfolge
ist der Kreis der Personen, auf deren Kenntnis abzustellen ist, tendenziell eng auszulegen (vgl Urteil des Senats vom 26.
Juni 2001 - B 2 U 31/00 R - sowie Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, § 45 RdNr 83 ff zu § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X). Eine Erweiterung auf die Kenntniserlangung von Mitarbeitern einer anderen Behörde scheidet damit aus.
2. Eine Anmeldung des Anspruchs der Klägerin auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund des
Arbeitsunfalls des P. oder eine entsprechende Antragstellung ist nicht vor dem 31. Dezember 2000 erfolgt, insbesondere nicht
am 14. September 1992 während ihrer Vorsprache bei der Stadt. Die Anmeldefrist lief seit der Umsiedlung der Klägerin nach
Deutschland am 6. Juni 1992. Ab diesem Zeitpunkt war sie durch nichts daran gehindert, ihre Hinterbliebenenrente von der Beklagten
zu begehren (vgl nur BSG vom 19. August 2003 - B 2 U 9/03 R). Die Zweijahresfrist des § 1546 Abs 1
RVO ist damit versäumt.
Dass zwischen der Anmeldung eines Antrags nach § 1546 Abs 1
RVO und einem formlosen Antrag nicht zu unterscheiden ist, folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, die einerseits das Wort "anmelden"
und andererseits die Begriffe "Antragsmonat" für den Monat, in dem die Anmeldung erfolgt, und "Antragsteller" für die Person,
die die Anmeldung vornimmt, gebraucht.
Für die Stellung eines solchen Antrags gilt §
16 SGB I ebenso wie für Anträge auf andere Sozialleistungen. Insbesondere kann er auch bei einem unzuständigen Leistungsträger, einer
Gemeinde usw gestellt werden und ist dann von dort unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten (BSG SozR
3-5670 § 5 Nr 1; vgl zur ebenfalls nicht antragsabhängigen Sozialhilfe BSG vom 26. August 2008 - B 8/9b SO 18/07 R - RdNr
22).
Ein Antrag erfordert eine an einen Leistungsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich ein Leistungsbegehren ergibt;
die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Willenserklärungen (§§
116 ff
Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) sind entsprechend anzuwenden (vgl BSG SozR 3-5910 § 91a Nr 7 S 38 mwN). Eine Willenserklärung ist die Äußerung eines auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichteten Willens;
sie bringt einen Rechtsfolgewillen zum Ausdruck, dh einen Willen, der auf die Begründung, Änderung oder Beendigung eines Rechtsverhältnisses
abzielt (vgl nur Ellenberger in Palandt,
BGB, 68. Aufl 2009, Einf §
116 RdNr 1). Abzugrenzen ist ein Antrag von Tatsachenerklärungen (zB Arbeitslosmeldung, Arbeitsunfähigkeitsmeldung; BSGE 52,
254, 256 f = SozR 2200 § 216 Nr 5). Auch die Anmeldung eines Anspruchs nach § 1546 Abs 1
RVO ist nichts Anderes als ein Antrag. Vorbehaltlich besonderer Formvorschriften kann ein Antrag formlos, dh mündlich oder durch
konkludentes Handeln gestellt werden (vgl § 9 SGB X: Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens).
Dass die Klägerin am 14. September 1992 während ihrer Vorsprache bei der Stadt ausdrücklich einen Antrag auf Hinterbliebenenleistung
aus der gesetzlichen Unfallversicherung gestellt hat, hat das LSG nicht festgestellt.
Das LSG meint jedoch, die Klägerin habe mit ihrem förmlichen Antrag auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
zugleich auch Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beantragt, und verweist zur Begründung auf
das Urteil des BSG vom 21. September 1983 (4 RJ 41/82). In jenem Verfahren hatte der Kläger, der schon einmal Halbwaisenrenten nach seinem an den Folgen eines Arbeitsunfalls verstorbenen
Vater vom zuständigen Unfallversicherungsträger und vom Rentenversicherungsträger bezogen hatte, nach Beginn einer Lehre einen
"Antrag auf Zahlung meiner Halbwaisenrente aus den gegebenen gesetzlichen Grundlagen" bei dem Unfallversicherungsträger gestellt,
der daraufhin die Waisenrente wieder bewilligte und eine Durchschrift dieses Bescheides an den Rentenversicherungsträger sandte.
Dieser ging davon aus, dass ein Antrag auf Wiedergewährung der Waisenrente bei ihm nicht vorliege. Im nachfolgenden Klageverfahren
wurde der Rentenversicherungsträger vom BSG verurteilt, aufgrund des Antrags an den Unfallversicherungsträger auch die Halbwaisenrente
aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren. Dem Antrag des Klägers sei nicht zu entnehmen, dass er sein Begehren
auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung beschränken wolle, vielmehr habe er die Wiedergewährung der Waisenrente
vom jeweils zuständigen Leistungsträger begehrt. Wenn ein Lebenssachverhalt gleichzeitig mehrere Leistungsansprüche auslösen
könne, so genüge in der Regel die Antragstellung bei einem Leistungsträger. Nach dem Sinn des §
16 SGB I dürfe dem Leistungsberechtigten kein Nachteil daraus entstehen, dass er bei mehrfachem Leistungsanspruch seine Leistungsanträge
nicht an alle in Betracht kommenden Leistungsträger richte. Der erhobene Anspruch auf Wiedergewährung der Waisenrente sei
inhaltlich klar formuliert gewesen und, wenn Unklarheiten bestanden hätten, seien die Leistungsträger verpflichtet gewesen,
auf die Herbeiführung klarer und sachdienlicher Anträge hinzuwirken (§
16 Abs
3 SGB I).
Aus diesen Ausführungen kann für das vorliegende Verfahren nichts zugunsten der Klägerin hergeleitet werden. Der von der Klägerin
unterschriebene Antrag war kein Antrag auf "sämtliche" Hinterbliebenenleistungen aufgrund des Todes ihres Ehemannes, sondern
nur ein Antrag auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Unterschied zu dem Verfahren, das zu dem Urteil
vom 21. September 1983 führte, hat die Klägerin einen klaren Antrag gestellt, der auch (positiv) beschieden wurde. Gründe
für eine Nachfrage im Hinblick auf Leistungen sowohl aus der gesetzlichen Rentenversicherung als auch aus der gesetzlichen
Unfallversicherung sind vorliegend aufgrund des Antrags nicht zu erkennen. Aus den weiteren Angaben und Unterlagen, insbesondere
dem Eintrag "Fahrer" im Arbeitsbuch, der Todesursache "Bluterguss unter die Hirnhaut als Folge einer Asphyxie (Zusammenpressen
des Brustkorbes)" in der Sterbeurkunde und die Angabe "Verkehrsunfall (Herr P. fiel unter sein Fahrzeug und wurde erdrückt)"
seitens der Klägerin zur Todesursache, folgt nichts Anderes. Sie hat sogar die Frage nach bezogenen oder beantragten Leistungen
aus der gesetzlichen Unfallversicherung in dem schriftlichen Antrag ausdrücklich verneint.
Aus dem von einzelnen Senaten des BSG insbesondere im Bereich des Arbeitsförderungsrechts, der Grundsicherung für Arbeitsuchende
und der Sozialhilfe angenommenen "Meistbegünstigungsgrundsatz" (vgl BSG vom 26. August 2008 - B 8/9b SO 18/07 R - RdNr 22;
BSG vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 5/07 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 1) folgt jedenfalls nichts für die Antragstellung im Verhältnis zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung
und der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn diese stehen nicht wie das Arbeitslosengeld und die frühere Arbeitslosenhilfe
im Arbeitsförderungsrecht in einem Verhältnis "von mehr zu weniger" zueinander (vgl BSG SozR Nr 7 zu § 177 AVAVG aF, BSGE
44, 164, 167 = SozR 4100 § 134 Nr 3).
Die vom LSG in Vordergrund gestellte Aussage des Urteils vom 21. September 1983 - wenn ein Lebenssachverhalt gleichzeitig
mehrere Leistungsansprüche auslösen könne, so genüge in der Regel die Antragstellung bei einem Leistungsträger - kann hier
zu keiner anderen Entscheidung führen, weil der Bezug von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung von der Klägerin
verneint wurde und sich aus dem von ihr unterschriebenen Antrag nicht das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ergibt.
Selbst wenn von dem von der Klägerin zumindest mündlich geäußerten, tendenziell umfassenden Begehren auf Hinterbliebenenleistungen
wegen des Todes ihres Ehemannes ausgegangen wird, genügt dies nicht für die Annahme eines Antrags auf Hinterbliebenenleistung
aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn deren Hinterbliebenenleistungen setzen, abgesehen von der hier nicht einschlägigen
Sonderregelung für bestimmte Berufskrankheiten, den Tod eines Versicherten aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit
voraus (vgl §
63 Abs
1 Satz 2
SGB VII, § 589 Abs 1
RVO). Die Annahme eines Leistungsbegehrens auf Hinterbliebenenleistungen auch aus der gesetzlichen Unfallversicherung seitens
der Klägerin erfordert zumindest die Schilderung eines Lebenssachverhaltes, dem ein Tod infolge eines Arbeitsunfalls oder
einer Berufskrankheit zu entnehmen ist und der einen solchen Anspruch als möglich erscheinen lassen. Andernfalls ist nicht
im Ansatz ein Wille zu erkennen, der auf die Feststellung eines Versicherungsfalls aus der gesetzlichen Unfallversicherung
und von Leistungsansprüchen aus dieser abzielt.
Die Verwendung des Wortes "Arbeitsunfall" oder die nachvollziehbare Schilderung eines Geschehens, das laienhaft als solcher
gewertet werden könnte, durch die Klägerin bei ihrer Vorsprache am 14. September 1992 ist den Feststellungen des LSG nicht
zu entnehmen. Das LSG hat zwar einerseits ausgeführt, die Klägerin habe "den Unfall ihres Ehemannes im Einzelnen geschildert",
dies aber nicht weiter konkretisiert. Andererseits hat das LSG dargetan, dass die Sprachkenntnisse der Klägerin mangelhaft
gewesen seien und sie das deutsche Wort "Mähdrescher" nicht gekannt habe. Das Urteil des LSG lässt auch insofern keine klaren
Feststellungen zur Schilderung der Klägerin gegenüber der städtischen Mitarbeiterin erkennen, als das LSG einerseits wohl
von einem Unfall während der Arbeit ausgeht, bei dem der Ehemann der Klägerin unter einen Mähdrescher geriet und von ihm erdrückt
wurde - dies wäre ein Betriebsunfall nach §
8 Abs
1 SGB VII bzw § 548 Abs 1
RVO - während andererseits die Schilderung eines Unfalls auf dem Weg zur Arbeit erörtert wird - dies wäre ein Wegeunfall nach
§
8 Abs
2 Nr
1 SGB VII bzw § 551 Abs 1
RVO. Insgesamt bleibt die damalige Schilderung der Klägerin derart im Unklaren, dass ein nachvollziehbares Geschehen, das zu
einem Anspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung führen und Grundlage für ein damaliges Leistungsbegehren der Klägerin
gewesen sein könnte, nicht zu erkennen ist.
3. Die Klägerin kann den begehrten früheren Beginn ihrer Hinterbliebenenrente nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
ableiten.
Ungeachtet seiner dogmatischen Grundlegung wird ein Herstellungsanspruch vom BSG bejaht bei dem Vorliegen einer Nebenpflichtverletzung
eines Sozialleistungsträgers gegenüber einem Berechtigten, dem Eintritt eines sozialrechtlichen Schadens beim Berechtigten,
einem Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden sowie der Möglichkeit und rechtlichen Erlaubtheit
der Herstellung des Zustandes, der ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre (stRspr s BSGE 41, 126 = SozR 7610 § 242 Nr 5; vgl aus der neueren Rechtsprechung nur BSG SozR 3-5910 § 91a Nr 7; BSGE 91, 1 ff = SozR 4-2600 § 115 Nr 1; BSGE 96, 44 = SozR 4-1300 § 27 Nr 2).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Eine Pflichtverletzung der beklagten Unfallkasse selbst wurde vom LSG
nicht festgestellt und ist auch von der Klägerin nicht behauptet worden. Fraglich erscheint schon, ob überhaupt eine sozialrechtliche
Beratungspflicht der städtischen Mitarbeiterin der "Ortsbehörde für Rentenversicherung" gegeben war, die diese verletzt haben
könnte. Dies kann aber dahingestellt bleiben, weil die Beklagte sich entgegen der Auffassung des LSG das Verhalten der städtischen
Mitarbeiterin nicht zurechnen lassen muss.
Vom Grundsatz der Verantwortlichkeit nur für eigene Fehler hat die Rechtsprechung des BSG beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
in bestimmten Fallgestaltungen Ausnahmen gemacht und einem Leistungsträger die Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers
oder sonstigen Dritten wie eine eigene Pflichtverletzung zugerechnet (stRspr seit BSG 51, 89 = SozR 2200 § 381 Nr 44). Eine
solche Zurechnung wird insbesondere bejaht, wenn zwei Leistungsträger im Sinne einer Funktionseinheit mit einer Aufgabenerfüllung
arbeitsteilig betraut sind (BSGE 71, 217 = SozR 3-1200 § 14 Nr 8) oder ein Leistungsträger einen anderen Leistungsträger bzw Dritten in die Abwicklung eines Versicherungsverhältnisses
mit einbezogen hat (zum Verhältnis Krankenkasse - Kassenärzte: BSGE 52, 254, 256 f = SozR 2200 § 216 Nr 5; zum Verhältnis Unfallversicherungsträger - Ärzte: BSG SozR 3-5670 § 5 Nr 1) und wenn spezifische
Beratungspflichten aufgrund der Verknüpfung zweier Leistungsträger oder seitens eines Leistungsträgers aufgrund besonderer
Aufgaben bestehen (bejaht zum Verhältnis Arbeitsamt - Rentenversicherung: BSGE 73, 56 = SozR 3-1200 § 14 Nr 9; zum Verhältnis Krankenkasse - Rentenversicherung: BSG SozR 4-2600 § 4 Nr 2; verneint zum Verhältnis
Bafög-Amt - Kindergeld: BSGE 71, 217 = SozR 3-1200 § 14 Nr 8; zum Verhältnis Rentenversicherungsträger -
OEG-Anspruch: BSG SozR 3-3100 § 60 Nr 3).
Der Senat hat schon im Urteil vom 29. November 1963 (2 RU 69/61, SozR Nr 4 zu § 1547
RVO) einem Unfallversicherungsträger eine unrichtige Auskunft der Krankenkasse zugerechnet, die den Kläger von einer rechtzeitigen
Anspruchsanmeldung abhielt. Im Urteil vom 22. September 1988 (2/9b RU 36/87, BSGE 64, 89 = SozR 2200 § 545 Nr 8) hat er aufgrund von §
16 SGB I einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im Verhältnis zwischen einer Gemeinde und einem Unfallversicherungsträger hinsichtlich
der Stellung eines Antrags auf eine freiwillige Unternehmerversicherung für möglich gehalten. Im Urteil vom 9. Dezember 1993
(2 RU 49/92, SozR 3-2200 § 543 Nr 1) hat er einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch für einen Unternehmer hinsichtlich der Befreiung
von der Unternehmerpflichtversicherung verneint, auch wenn die Gemeinde die Gewerbeanmeldung an den Unfallversicherungsträger
nicht weitergeleitet habe, weil die insofern bestehende Pflicht der Gemeinde mit der bei einer Antragstellung nicht vergleichbar
sei.
Entscheidend für eine Zurechnung ist somit immer die konkrete Pflichtverletzung gegenüber dem Leistungsberechtigten und das
Verhältnis des im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Anspruch genommenen Leistungsträgers zu dem Dritten,
dem die Pflichtverletzung vorgeworfen wird. Dabei ist seitens des Leistungsberechtigten zu beachten, dass ihm keine Nachteile
daraus entstehen sollen, weil eine bestimmte Aufgabe auf mehrere Leistungsträger aufgeteilt oder weitere Stellen, einschließlich
ggf private Dritte, in die Leistungsabwicklung einbezogen werden, oder weil das gegliederte Sozialsystem für Betroffene oftmals
schwer zu überschauen ist. Aus Sicht des in Anspruch genommenen Leistungsträgers ist die Zurechnung der Pflichtverletzung
eines Dritten in den Fällen einer gesetzlich vorgesehenen Aufgabenteilung oder bewussten Einbeziehung eines Dritten in die
Aufgabenerfüllung sachgerecht. Die Zurechnung in den Fällen einer spezifischen Beratungspflicht des einen Leistungsträgers
für Aufgaben des anderen bedarf keiner grundlegenden Entscheidung, sondern ist von der jeweiligen Fallgestaltung abhängig,
wie die oben wiedergegebenen Entscheidungen zeigen.
Keine dieser Alternativen ist vorliegend erfüllt. Die Stadt Sulz war weder durch Gesetz noch durch Vereinbarung seitens der
beklagten Unfallkasse in deren Aufgabenerfüllung mit einbezogen. Aber auch die Voraussetzungen für eine spezifische Beratungspflicht
der Stadt in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung sind nicht gegeben.
Die Stadt war - wie das LSG festgestellt hat - nicht mit den Aufgaben eines Versicherungsamtes nach §
92 SGB IV betraut, das in allen Angelegenheiten der Sozialversicherung, also auch der gesetzlichen Unfallversicherung, Auskunft zu
erteilen hat (vgl dazu BSGE 57, 288 = SozR 1200 § 14 Nr 18). Die Stadt hatte lediglich die Funktion einer "Ortsbehörde für Rentenversicherung". Ihr kamen keine
Beratungspflichten hinsichtlich der gesetzlichen Unfallversicherung zu. Von daher hatten die Unfallversicherungsträger auch
keine Veranlassung, die Mitarbeiter der Stadt so wie die Mitarbeiter eines Versicherungsamtes oder in ihre Aufgabenerfüllung
einbezogene Ärzte zu schulen oder zu informieren, um mögliche Pflichtverletzungen derselben zu vermeiden, die sie sich als
Unfallversicherungsträger zurechnen lassen müssten. Der beklagten Unfallkasse eine mögliche Pflichtverletzung der städtischen
Mitarbeiterin dieser Ortsbehörde bei der Beratung der Klägerin zuzurechnen, wäre ebenso wenig sachgerecht, wie die Zurechnung
der Pflichtverletzung einer beliebigen anderen Stelle.
Soweit das LSG zur Begründung einer Funktionseinheit zwischen der beklagten Unfallkasse und der Stadt sowie der Einbindung
der Stadt in den Verwaltungsablauf der Beklagten darauf abstellt, dass die Stadt nach §
16 Abs
1 SGB I berechtigt und verpflichtet war, Anträge für die Beklagte entgegenzunehmen und nach §
15 SGB I Auskünfte zu erteilen, kann dem nicht gefolgt werden. Denn wie schon aus dem Wortlaut des §
16 Abs
1 SGB I folgt, sind alle Leistungsträger, Gemeinden usw verpflichtet, Anträge entgegenzunehmen, sodass - aus Sicht des LSG - sie
alle eine Funktionseinheit bilden und wechselseitig als in die Verwaltungsabläufe eingebunden gelten müssten. Dass dies den
Begriff der Funktionseinheit auflösen und jeglichen Sinns entleeren würde, liegt auf der Hand. Denn zwischen der Pflicht,
Anträge entgegenzunehmen und weiterzuleiten, und einer darüber hinausgehenden Einbindung in eine arbeitsteilige Aufgabenerfüllung
liegen erhebliche Unterschiede. Zudem bestand die angebliche Pflichtverletzung der städtischen Mitarbeiterin nach den Feststellungen
des LSG nicht in der mangelhaften Bearbeitung eines gestellten Antrags (im Unterschied zu BSGE 64, 89 = SozR 2200 § 545 Nr 8), sondern in einer vom LSG angenommenen mangelhaften Beratung vor und bei der Antragstellung. Angesichts
der zahlreichen, für Auskünfte nach §
15 Abs
1 SGB I zuständigen Stellen gilt insofern nichts anderes. Auch ist zwischen Auskünften einerseits und Beratung andererseits, für
die die Leistungsträger zuständig sind (§
14 Satz 2
SGB I), grundsätzlich zu unterscheiden.
Der Berechnung der Höhe der Hinterbliebenenrente der Klägerin ist ebenfalls die Rechtslage ab 1. Januar 1997 zugrunde zu legen,
weil sie keinen Anspruch auf einen früheren Beginn der Rente - wie ausgeführt - hat.