Unzulässigkeit der Entscheidung über die Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren durch den Einzelrichter
Ermessensfehler und nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts bei Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache
Gründe:
I
Im Streit steht die Feststellung einer Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung.
Der Kläger beantragte die Feststellung seiner Versicherungspflicht nach dem KSVG und gab dabei ua an, schwerpunktmäßig im Bereich Objektbau und Dekoration selbständig künstlerisch tätig zu sein. Die beklagte
Künstlersozialkasse lehnte den Antrag ab. Der Kläger unterliege nicht der Versicherungspflicht, weil seine Tätigkeit im Rahmen
der Innenraumgestaltung bzw Innenarchitektur nicht als künstlerisch im Sinne des KSVG angesehen werden könne (Bescheid vom 20.8.2018; Widerspruchsbescheid vom 7.2.2019).
Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger seit Antragstellung der Versicherungspflicht
nach dem KSVG unterliegt. Er übe erwerbsmäßig und selbständig eine künstlerische Tätigkeit aus, denn es überwiege die eigenschöpferische
Leistung des Klägers bei der Erschaffung "schöner Formen" im Raum (Urteil vom 24.10.2019). Das LSG hat mit Einverständnis
der Beteiligten durch die Berichterstatterin auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben, die Klage abgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen: Der Kläger sei kein Künstler
im Sinne des KSVG, denn der Schwerpunkt seiner vielschichtigen Tätigkeit liege im Bereich der Herstellung von Objekten und der Dekoration und
Gestaltung von Räumen. Die Zuordnung seiner Tätigkeit zur kreativen Innen- und Außen-Raumgestaltung bzw -verschönerung und
-anreicherung rechtfertige keine Einstufung als Künstler (Urteil vom 26.1.2021).
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 2 Satz 1 KSVG. Er sei aufgrund seiner eigenschöpferischen Leistungen als bildender Künstler einzustufen, dessen Raumkonzepte und Installationen
Ausdruck eines kreativen Entstehungsprozesses seien und dessen Werke im Raum stehende unabhängige Kunstwerke darstellten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. Januar 2021 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das LSG erfolgreich (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Das angefochtene Urteil unterliegt der Aufhebung bereits deshalb, weil es an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden
Verfahrensmangel leidet.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Entscheidungen und die eine Versicherungspflicht in
der Künstlersozialversicherung ablehnenden Bescheide der Beklagten, gegen die sich der Kläger zutreffend mit der kombinierten
Anfechtungs- und Feststellungsklage wendet (§
54 Abs
1 Satz 1, §
55 Abs
1 Nr
1 SGG). Mit seiner Revision begehrt der Kläger, das Urteil des SG wiederherzustellen, mit dem seine Künstlereigenschaft im Sinne des KSVG und Versicherungspflicht seit Antragstellung festgestellt worden sind.
2. An einer Sachentscheidung hierüber ist der Senat indes gehindert. Entschieden hat das LSG über die Berufung der Beklagten
durch die sog konsentierte Einzelrichterin, die mit Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden kann (§
155 Abs
3 und
4 SGG). Dieser Entscheidungsform sind jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen Grenzen gesetzt (vgl BVerfG [stattgebender Kammerbeschluss]
vom 28.9.2017 - 1 BvR 1510/17 - juris RdNr 14 ff). Das - hier vorliegende - Einverständnis der Beteiligten berechtigt zur Einzelrichterentscheidung nur,
wenn diese Entscheidungsform nicht ermessensfehlerhaft ist (vgl nur BSG vom 6.9.2018 - B 2 U 3/17 R - mwN zur Rspr des BSG; kritisch hierzu BSG vom 12.12.2018 - B 6 KA 50/17 R - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 §
95 Nr 35, RdNr 18 ff; abweichend für die
VwGO BVerwG vom 4.9.2008 - 5 C 30.07 - BVerwGE 132, 10 RdNr 10). In der Rechtsprechung des BSG ist anerkannt, dass es grundsätzlich ermessensfehlerhaft ist, wenn das LSG durch den Einzelrichter entscheidet und selbst
die Revision zum BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der entschiedenen Rechtssache zulässt (vgl letztens BSG vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 13 ff mwN). Die Entscheidung solcher Rechtssachen ist grundsätzlich dem LSG-Senat in seiner vollen Besetzung
und mit ehrenamtlichen Richtern (§
33 Abs
1 Satz 1
SGG) vorbehalten. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, wenn das LSG in einem Parallelverfahren zu einem Rechtsstreit entscheidet, den der LSG-Senat in voller Besetzung
bereits entschieden hat, oder wenn beim BSG bereits Revisionen zu Parallelfällen anhängig sind, auf die das LSG Bezug nimmt, oder wenn zu einer beabsichtigten Revisionszulassung
die Beteiligten zuvor ihr Einverständnis erklärt haben (vgl näher BSG vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 18 mwN).
3. Vorliegend greift keine der anerkannten Ausnahmen ein. Insbesondere hat das LSG durch die Einzelrichterin Maßstäbe für
die Künstlereigenschaft im Sinne des KSVG formuliert und angewandt, ohne hierfür Bezug auf insoweit bereits vorliegende Leitentscheidungen des LSG-Senats oder auf
beim BSG bereits anhängige Revisionen zu nehmen, und es hat selbst der entschiedenen Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen
und deshalb - für das BSG bindend (§
160 Abs
3 SGG) - die Revision zugelassen.
Die Entscheidung des LSG durch die konsentierte Einzelrichterin ist hiernach ermessensfehlerhaft und führt zur nicht vorschriftsmäßigen
Besetzung des erkennenden Gerichts bei seiner mit der Revision angefochtenen Entscheidung. Dieser Verfahrensmangel stellt
einen absoluten Revisionsgrund dar (§
202 Satz 1
SGG iVm §
547 Nr 1
ZPO), der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt, ohne dass es auf die durch die Rechtssache aufgeworfenen materiell-rechtlichen
Fragen ankommt. Dem Revisionsgericht ist vorliegend auch nicht aus anderen Gründen eine abschließende Entscheidung ausnahmsweise
ermöglicht; insbesondere fehlt es nicht bereits an einer von Amts wegen festzustellenden Sachurteilsvoraussetzung, sodass
nur ein Prozessurteil in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.