Zahlungsansprüche aus der sozialen Pflegeversicherung nach einem Härtefall der Pflegestufe III bei vollstationärer Pflege
Gründe:
I. Im Revisionsverfahren allein noch streitig sind Zahlungsansprüche aus der sozialen Pflegeversicherung nach einem Härtefall
der Pflegestufe III bei vollstationärer Pflege ab 1.1.2006.
Die im Jahre 1912 geborene, bei der beklagten Pflegekasse versicherte Klägerin leidet an schwerer Demenz mit vollständiger
Desorientierung, Wahrnehmungsstörungen, Apraxie, kompletter Harn- und Stuhlinkontinenz, Gang- und Standstörungen, Rumpfinstabilität,
Sprachstörungen, Schwerhörigkeit, Osteoporose sowie degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen.
Sie lebt seit 1982 im Pflegeheim M. in Essen. Die Beklagte gewährte Sachleistungen bei vollstationärer Pflege nach der Pflegestufe
I ab 1.8.1998 und nach der Pflegestufe II ab 1.7.2000. Einen Höherstufungsantrag vom 22.2.2005 lehnte die Beklagte nach Einholung
von Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 6.4.2005 und 1.8.2005 ab, weil der zeitliche Mindestwert
der Pflegestufe III von 4 Stunden täglicher Grundpflege nicht erreicht werde (Bescheid vom 6.5.2005, Widerspruchsbescheid
vom 17.11.2005).
Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, sie müsse ab 1.2.2005 nicht nur der Pflegestufe III zugeordnet, sondern
darüber hinaus als Härtefall der Pflegestufe III anerkannt werden.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zum erforderlichen Pflegeaufwand durch das Sozialgericht (SG) hat sich die Beklagte durch - am 21.6.2006 angenommenes - Teilanerkenntnis vom 22.5.2006 verpflichtet, der Klägerin Leistungen
nach der Pflegestufe III ab 1.1.2006 zu gewähren, was seit März 2007 - mit entsprechender Nachzahlung für 14 Monate - auch
geschieht (Ausführungsbescheid vom 20.2.2007). Streitig blieben die Zuordnung der Klägerin zur Pflegestufe III nebst Anerkennung
als Härtefall für die Zeit vom 1.2.2005 bis zum 31.12.2005 sowie die Anerkennung als Härtefall für die weitere Zeit ab 1.1.2006.
Das SG hat die Klage abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen (Urteil vom 13.2.2007).
Es hat ausgeführt, erst durch eine deutliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin um die Jahreswende 2005/2006
sei der Grundpflegebedarf auf einen die Pflegestufe III rechtfertigenden Umfang angestiegen, sodass die Pflegestufe II bis
zum 31.12.2005 zutreffend geblieben sei. Die Voraussetzungen eines Härtefalls habe die Beklagte jedoch zu Recht verneint.
Zwar seien für die Grundpflege in der Regel zwei, manchmal auch drei Personen erforderlich, um die permanente Abwehrhaltung
der Klägerin zu überwinden, sodass insoweit ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand ab 1.1.2006 zu bejahen sei. Die Anerkennung
als Härtefall scheide aber aus, weil der erhöhte Sachleistungsbetrag für Härtefälle (monatlich 1.688 statt 1.432 Euro bei
vollstationärer Pflege) nur gezahlt werden dürfe, wenn die Heimpflege einen über den normalen Pflegesatz der Pflegeklasse
III hinausreichenden Betrag erfordere.
Daran fehle es hier. Die Klägerin zahle dem Heimträger nur den vereinbarten normalen Pflegesatz der Pflegeklasse III, habe
also zur Sicherstellung der täglichen Grundpflege, medizinischen Behandlungspflege und sozialen Betreuung keinen finanziellen
Mehraufwand im Vergleich zu anderen Heimbewohnern der Pflegestufe III.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin nur noch das Ziel, ab 1.1.2006 als Härtefall anerkannt zu werden und entsprechend höhere
Leistungen zu erhalten. Das Urteil des SG ist nicht angefochten worden, soweit es um die Zeit bis zum 31.12.2005 geht.
Die Klägerin rügt die Verletzung materiellen Rechts. Weder der Tatbestand des §
43 SGB XI noch die Härtefall-Richtlinien (HRi) von 1996 verlangten einen finanziellen Mehraufwand.
Entscheidend sei allein der außerordentlich hohe Pflegeaufwand, der ab 1.1.2006 gegeben sei.
Die HRi von 2005 sähen zwar bei stationärer Pflege den Nachweis eines solchen finanziellen Mehraufwandes für die Anerkennung
als Härtefall vor, seien aber zumindest für die Zeit bis zum 31.8.2006 nicht einschlägig, weil sie erst am 1.9.2006 in Kraft
getreten seien. Zudem seien die neuen Richtlinien in diesem Punkt rechtswidrig, weil es auf diese Weise unmöglich werde, die
nach dem Gesetz anzustrebende Anerkennungsquote von 5 % aller Pflegebedürftigen der Pflegestufe III in Heimen zu erreichen.
Außerdem hätten Pflegekassen bis in die jüngste Vergangenheit hinein Härtefälle anerkannt, ohne dass ein finanzieller Mehraufwand
erkennbar gewesen sei. Soweit sich das SG auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahre 2001 berufe, liege ein Rechtsirrtum vor, weil das BSG
einen Fall zu beurteilen gehabt habe, in dem der außerordentlich hohe Pflegebedarf erst aus einer Kombination von Grundpflege
und - vom Heim damals gesondert berechneter - medizinischer Behandlungspflege (Beatmungspflege) entstanden sei. Nur für eine
solche Konstellation habe das BSG das Erfordernis eines zusätzlichen finanziellen Aufwandes entwickelt. Im vorliegenden Fall
beruhe der außerordentlich hohe Pflegebedarf allein auf der Grundpflege.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Duisburg vom 13.2.2007 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 6.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 17.11.2005 insgesamt aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie für die Zeit von Januar 2006 bis März 2008 den
Betrag von 6.912 Euro nebst Zinsen und ab April 2008 jeweils 1.688 Euro zum 15.
eines jeden Monats zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil des SG als zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Klägerin ab 1.1.2006 als Härtefall
der Pflegestufe III anzuerkennen und entsprechende Leistungen zu erbringen. Der Klägerin stehen lediglich - wie anerkannt
- Leistungen nach der Pflegestufe III zu.
1) Die Sprungrevision ist zulässig (§
161 SGG). Das SG hat die Sprungrevision im Urteil zugelassen.
Die Klägerin hat dieses Urteil nur hinsichtlich der Zeit ab 1.1.2006 angefochten.
Insoweit hat die Beklagte der Einlegung der Sprungrevision auch zugestimmt. Die Zustimmungserklärung der Beklagten vom 21.3.2007
war der Revisionsschrift beigefügt (§
161 Abs
1 Satz 3
SGG).
2) Die Klägerin verlangt zu Unrecht die Zahlung des Differenzbetrages von monatlich 256 Euro an sich selbst.
a) Für die Vergangenheit, also die Zeit vom 1.1.2006 bis zum 31.3.2008, kann die Klägerin nicht Zahlung an sich selbst, sondern
- allenfalls - an die Stadt Essen verlangen. Die Klägerin erhält seit Jahren laufend Pflegewohngeld nach § 35 SGB XII, weil
ihre Rente und die Pflegesachleistungen der Beklagten bei Weitem nicht ausreichen, das Gesamtheimentgelt (§
87a Abs
1 SGB XI) abzudecken, das sich aus den Pflegesätzen, den Entgelten für Unterkunft und Verpflegung sowie den gesondert berechenbaren
Investitionskosten zusammensetzt (§§
84,
87 und
82 Abs
3 SGB XI). Zuletzt betrug das Pflegewohngeld monatlich 535,70 Euro (Bescheid der Stadt Essen vom 21.12.2004). Da der Sozialhilfeträger
für die nicht abgedeckten Heimkosten in der Vergangenheit aufgekommen ist, kann die Klägerin insoweit nicht mehr einen Sachleistungsanspruch
geltend machen (vgl BSGE 89, 50, 56 = SozR 3-3300 § 12 Nr 1), weil ihr Anspruch durch die Zahlung des Sozialamts als erfüllt gilt (§ 107 Abs 1 SGB X). Auch ein Erstattungsanspruch der Klägerin analog §
13 Abs
3 SGB V scheidet aus, weil sie die Kosten nicht aus eigenen Mitteln aufgebracht hat. Vielmehr stünde der Stadt Essen ein Erstattungsanspruch
gegen die Beklagte nach § 104 Abs 1 SGB X zu. Offen bleiben kann die Frage, ob die Klägerin aus prozessökonomischen Gründen befugt wäre, diesen - fremden - Erstattungsanspruch
geltend zu machen, und dazu die Stadt Essen notwendig beizuladen wäre (§
75 Abs
2 SGG); denn die Klägerin war nicht als Härtefall anzuerkennen und deshalb auch ein solcher Erstattungsanspruch ausgeschlossen.
b) Für die Zukunft, also ab April 2008, käme zwar ein Sachleistungsanspruch der Klägerin in Betracht. Allerdings kann ein
Pflegebedürftiger bei Heimpflege auch insoweit nicht Zahlung an sich selbst verlangen. Die Pflegekasse muss den Zahlungsbetrag
vielmehr nach §
87a Abs
3 Satz 1
SGB XI unmittelbar an das Heim leisten. Daher müsste ein entsprechender Leistungsantrag auf Zahlung an das jeweilige Pflegeheim
gerichtet sein. Der Sachleistungsanspruch beträfe die Zeit ab 1.4.2008, weil insoweit der Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung (10.4.2008) maßgebend ist und für die davor liegenden Zeiträume die Ansprüche des Pflegeheimes auf das Gesamtheimentgelt
bereits erfüllt sind. Der Leistungsbetrag für den Monat April 2008 ist nach §
87a Abs
3 Satz 3
SGB XI am 15.4.2008 fällig, also zu einem erst nach der letzten mündlichen Verhandlung liegenden Zeitpunkt, sodass ab April 2008
die Klage auf Zahlung an das Pflegeheim gerichtet sein müsste. Selbst ein derart umgestellter Zahlungsantrag wäre hier allerdings
unbegründet, weil die Klägerin auch derzeit nicht als Härtefall anerkannt werden kann.
3) Rechtsgrundlage des Sachleistungsanspruchs bei Härtefällen der Pflegestufe III in stationärer Pflege war für die Zeit bis
zum 31.3.2007 §
43 Abs
3 Satz 1 und Abs
5 Satz 1 Nr
4 SGB XI in der Fassung des Gesetzes vom 21.3.2005 (BGBl I 818). Für die Zeit ab 1.4.2007 findet sich die Rechtsgrundlage allein in
§
43 Abs
3 Satz 1
SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 28.3.2007 (BGBl I 378), nachdem der Gesetzgeber die bis dahin gültige Einschränkung, die
Pflegekassen seien nur bis zum 30.6.2007 auch für die Erbringung der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeheimen zuständig,
ersatzlos gestrichen und den bisherigen Abs 5 der Vorschrift aufgehoben hat. Hiernach können die Pflegekassen in besonderen
Ausnahmefällen zur Vermeidung von Härten bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III im stationären Bereich die pflegebedingten
Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung sowie - seit dem 1.4.2007 zeitlich unbeschränkt - die Aufwendungen für
Leistungen der medizinischen Behandlungspflege bis zum Gesamtbetrag von 1.688 Euro monatlich übernehmen, wenn ein außergewöhnlich
hoher und intensiver Pflegeaufwand erforderlich ist, der das übliche Maß der Pflegestufe III weit übersteigt, beispielweise
bei Apallikern, bei schwerer Demenz oder im Endstadium von Krebserkrankungen. Eine vergleichbare Regelung für die häusliche
Pflege findet sich in §
36 Abs
4 SGB XI, wobei sich der Höchstbetrag dort auf 1.918 Euro beläuft. Was in beiden Vorschriften unter den unbestimmten Rechtsbegriffen
"außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand" (§
36 Abs
4 SGB XI) bzw "außergewöhnlich hoher und intensiver Pflegeaufwand" (§
43 Abs
3 SGB XI) zu verstehen ist, hat der Gesetzgeber nicht selbst definiert, sondern dies den - hier streitigen - Richtlinien der Spitzenverbände
der Pflegekassen (§
17 SGB XI) und daneben einer Verordnung (§
16 SGB XI) des BMG überlassen, die aber bisher nicht erlassen worden ist.
Auswirkungen auf die Anerkennungsverfahren nach §
36 Abs
4 und §
43 Abs
3 SGB XI hat dies jedoch nicht (vgl Urteil des Senats vom 30.10.2001 - B 3 P 2/01 R, BSGE 89, 44 = SozR 3-3300 § 36 Nr 3).
Nach §
17 Abs
1 Satz 3
SGB XI haben die Spitzenverbände der Pflegekassen unter Beteiligung des MDK gemeinsam und einheitlich Richtlinien zur Anwendung
der Härtefallregelungen des §
36 Abs
4 SGB XI und des §
43 Abs
3 SGB XI zu beschließen. Diesem Auftrag sind die Spitzenverbände der Pflegekassen durch die HRi vom 10.7.1995 idF der Beschlüsse vom
19.10.1995 und 3.7.1996 nachgekommen. Das damals noch zuständige BMA hat die HRi, wie nach §
17 Abs
2 SGB XI vorgeschrieben, genehmigt (Schreiben vom 15.7.1996). Ziffer 4 der HRi definiert die Merkmale für einen außergewöhnlich hohen
Pflegeaufwand: "Der Pflegeaufwand wird bestimmt durch die Art, die Dauer und den Rhythmus der erforderlichen Pflegemaßnahmen.
Dieser kann sich aufgrund der individuellen Situation des Pflegebedürftigen als außergewöhnlich hoch bzw intensiv darstellen,
wenn die täglich durchzuführenden Pflegemaßnahmen das übliche Maß der Grundversorgung im Sinne von Ziff 4.1.3 der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien
(PflRi) qualitativ und quantitativ weit übersteigen. Das ist der Fall, wenn die Grundpflege für den Pflegebedürftigen auch
des Nachts nur von mehreren Pflegekräften gemeinsam (zeitgleich) erbracht werden kann oder Hilfe bei der Körperpflege, der
Ernährung oder Mobilität mindestens sieben Stunden täglich, davon wenigstens zwei Stunden in der Nacht, erforderlich ist.
Zusätzlich muss ständige Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein".
Diese HRi sind bis zum 31.8.2006 in Kraft gewesen. Der erkennende Senat hat zwar in seinen Urteilen vom 30.10.2001 - B 3 P 2/01 R und B 3 KR 27/01 R (BSGE 89, 44 = SozR 3-3300 § 36 Nr 3 und BSGE 89, 50 = SozR 3-3300 § 12 Nr 1) eine Überarbeitung wegen einiger inhaltlicher Fragen gefordert, die weitere Anwendung dieser HRi
bis zum Erlass einer Neuregelung aber gebilligt. Die HRi sind im Jahre 2005 überarbeitet worden, wobei die Vorgaben aus den
genannten Urteilen in umfassender Weise berücksichtigt worden sind. Es handelt sich nun um die HRi in der Fassung vom 28.10.2005,
die vom BMG mit Schreiben vom 21.6.2006 gemäß §
17 Abs
2 SGB XI genehmigt und mit Wirkung ab 1.9.2006 in Kraft gesetzt worden sind. Sie lauten, soweit hier von Interesse:
"4. Merkmale für einen außergewöhnlich hohen Pflegeaufwand Der Pflegeaufwand wird bestimmt durch die Art, die Dauer und den
Rhythmus der erforderlichen Pflegemaßnahmen. Dieser kann sich auf Grund der individuellen Situation des Pflegebedürftigen
als außergewöhnlich hoch bzw. intensiv darstellen, wenn die täglich durchzuführenden Pflegemaßnahmen das übliche Maß der Grundversorgung
im Sinne von Ziffer 4.1.3 (Pflegestufe III) der Pflegebedürftigkeits-Richtlinien quantitativ oder qualitativ weit übersteigen.
Das ist der Fall, wenn
- Hilfe bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens sechs Stunden täglich, davon mindestens dreimal
in der Nacht, erforderlich ist. Bei Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen ist auch die auf Dauer bestehende
medizinische Behandlungspflege zu berücksichtigen.
oder
- die Grundpflege für den Pflegebedürftigen auch des Nachts nur von mehreren Pflegekräften gemeinsam (zeitgleich) erbracht
werden kann. Das zeitgleiche Erbringen der Grundpflege des Nachts durch mehrere Pflegekräfte erfordert, dass wenigstens bei
einer Verrichtung tagsüber und des Nachts neben einer professionellen Pflegefachkraft mindestens eine weitere Pflegeperson,
die nicht bei einem Pflegedienst beschäftigt sein muss (z.B. Angehörige), tätig werden muss.
Zusätzlich muss ständige Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein.
Ein solche außergewöhnlich hoher bzw. intensiver Pflegeaufwand kann insbesondere bei folgenden Krankheitsbildern vorliegen:
- Krebserkrankungen im Endstadium
- AIDS-Erkrankungen im Endstadium
- hohe Querschnittslähmung und Tetraplegie
- Enzephalomyelitis disseminata im Endstadium
- Wachkoma
- schwere Ausprägung der Demenz
- bei schweren Fehlbildungssyndromen und Fehlbildungen im Säuglings- und Kleinkindalter
- schwerste neurologische Defektsyndrome nach Schädelhirnverletzungen
- Endstadium der Mukoviszidose
5. Anerkennung des Härtefalles bei Pflegebedürftigen in vollstationären Pflegeeinrichtungen Voraussetzung für die Anerkennung
eines Härtefalles ist, dass stationär versorgte Schwerstpflegebedürftige mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand (Ziffer 4)
zur Deckung ihres Pflegebedarfs zusätzliche Kosten aufbringen müssen. Das kann der Fall sein, wenn sich die vollstationäre
Pflegeeinrichtung konzeptionell auf einen Personenkreis mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand spezialisiert hat (z.B. auf
Wachkomapatienten) und einen Pflegesatz der Pflegeklasse III berechnet, der den verbundenen personellen Mehraufwand von vornherein
einkalkuliert und deutlich über den Pflegesätzen der Pflegeklasse III liegt, die in nicht spezialisierten vollstationären
Pflegeeinrichtungen erhoben werden. Dies gilt auch für vollstationäre Pflegeeinrichtungen, die eine wirtschaftlich getrennt
geführte, selbstständige Abteilung für Schwerstpflegebedürftige mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand und eigenständigem
Pflegesatz eingerichtet haben, der über dem außerhalb dieser Abteilung berechneten Satz der Pflegestufe III liegt."
Mit der Aufnahme des Erfordernisses eines zusätzlichen Kostenaufwandes im Vergleich zum normalen Pflegesatz der Pflegeklasse
III bei stationärer Pflege haben die Spitzenverbände der Pflegekassen in den neuen HRi ein Versäumnis korrigiert, das den
alten HRi anhaftete. Der Senat hatte dazu in seinem Urteil vom 30.10.2001 - B 3 KR 27/01 R (BSGE 89, 50, 60 = SozR 3-3300 § 12 Nr 1) ausgeführt: "Die Pflegekassen haben in der bisherigen Anerkennungspraxis insofern einen unrichtigen
(anerkannte Betroffene sogar begünstigenden) Maßstab angelegt, als sie in der Regel nicht berücksichtigt haben, dass Schwerstpflegebedürftige
auch dann nur den normalen Pflegesatz der Pflegeklasse III zu zahlen haben, wenn sie einen die Kriterien der HRi erfüllenden
außergewöhnlich hohen Pflegebedarf aufweisen. Der Pflegebedarf wird auch bei ihnen durch die Heimpflege gedeckt, ohne dass
sie deswegen einen höheren Pflegesatz zu entrichten hätten. Die Bestimmungen über die Bemessungsgrundsätze (§
84 SGB XI) sehen nur, angelehnt an die drei Pflegestufen, drei Pflegeklassen vor. Schwerstpflegebedürftige fallen auch dann in die
Pflegeklasse III, wenn ihr Pflegeaufwand außergewöhnlich hoch ist. Der Gesetzgeber hat - bewußt oder versehentlich - darauf
verzichtet, die Härtefallregelung des §
43 SGB XI um eine Vorschrift über eine gesonderte Pflegeklasse für Härtefälle in §
84 SGB XI zu ergänzen. Dies bedeutet, dass Schwerstpflegebedürftige in Heimen zur Deckung eines außergewöhnlich hohen Pflegeaufwands
in der Regel keine erhöhten Kosten aufzubringen haben; sie fallen wie alle weniger schwer betroffenen Schwerstpflegebedürftigen
in die Pflegeklasse III und werden dennoch, entsprechend dem Versorgungs- und Sicherstellungsauftrag der Pflegekassen, umfassend
gepflegt. Damit entfällt aber die Rechtfertigung für die Anerkennung als Härtefall, die den Schwerstpflegebedürftigen in den
Stand versetzen soll, sich weitere, sonst durch die Pflegekassen wegen der Wertgrenzen nicht mehr zu erbringende Pflegeleistungen
zu beschaffen, wie dies im ambulanten Bereich durch die Möglichkeit, zusätzliche Pflegeeinsätze im Werte von 486 Euro abzurufen
(§
36 Abs
4 SGB XI), immer der Fall ist. Die Pflegekassen werden in Zukunft also nur noch solche stationär versorgten Schwerstpflegebedürftigen
mit außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand als Härtefall anerkennen dürfen, die zur Deckung ihres Pflegebedarfs tatsächlich zusätzliche
Kosten aufbringen müssen."
Hiermit ist klargestellt gewesen, dass das Erfordernis eines zusätzlichen Kostenaufwandes im Vergleich zum normalen Pflegesatz
der Pflegeklasse III bei stationärer Pflege auch schon unter der Geltung der alten HRi zu beachten war, und zwar unabhängig
davon, ob der außergewöhnlich hohe Pflegeaufwand aus einer Kombination von Grundpflege und - im damaligen Fall gesondert in
Rechnung gestellter - medizinischer Behandlungspflege oder - so hier - allein im Bereich der Grundpflege anfällt, und auch
unabhängig davon, ob durch dieses Erfordernis die nach dem Gesetz als Obergrenze vorgesehene (vgl §
43 Abs
3 Satz 2
SGB XI) und in der Praxis auch anzustrebende (vgl BSGE 89, 44, 49 = SozR 3-3300 § 36 Nr 3) Anerkennungsquote von 5 vH der bei der jeweiligen Pflegekasse versicherten Pflegebedürftigen
der Pflegestufe III nach den tatsächlichen Verhältnissen am Pflegemarkt derzeit möglicherweise nur schwer erreicht werden
kann. Die Klägerin kann sich daher nicht darauf berufen, die alten HRi enthielten das Erfordernis eines zusätzlichen Kostenaufwandes
noch nicht, sodass zumindest bis zum 31.8.2006 ein Härtefall angenommen werden müsse. Sie übersieht dabei, dass sich dieses
Erfordernis nicht erst aus den neuen HRi, sondern von Anfang an unmittelbar aus den Tatbeständen des §
36 Abs
4 Satz 1
SGB XI und des §
43 Abs
3 Satz 1
SGB XI ergibt. Das Tatbestandsmerkmal "zur Vermeidung von Härten" ist im Sinne der Vermeidung finanzieller Härten auszulegen. Dies
ergibt sich aus dem dargestellten Sinn und Zweck der Härtefall-Regelungen und auch aus einem Vergleich mit dem Tatbestand
des §
37 SGB XI, der für den Bereich des Pflegegeldes eine Härtefall-Klausel gerade nicht kennt. Da die ehrenamtliche Pflege unentgeltlich
erfolgt und insoweit auch ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand keine "Zusatzkosten" verursacht, fehlt es beim Pflegegeld,
das von den Pflegebedürftigen regelmäßig nur als (außervertragliche) Anerkennung für geleistete ehrenamtliche Pflege an die
Pflegeperson weitergeleitet wird, von vornherein an dem eigentlichen Grund für die Härtefall-Regelung, sich durch einen Zusatzbetrag
der Pflegekasse zusätzliche Pflegeleistungen dienstvertraglich beschaffen zu können, die sonst aus eigenen Mitteln oder durch
die Sozialhilfe zu finanzieren wären. Die HRi vom 28.10.2005 haben somit das vom Gesetzgeber vorgeschriebene und vom erkennenden
Senat in der genannten Entscheidung vom 30.10.2001 konkretisierte Erfordernis eines finanziellen Mehraufwandes als Voraussetzung
für die Anerkennung eines Härtefalls bei stationärer Pflege nur noch nachvollzogen.
Die Klägerin kann danach keine Leistungen als Härtefall verlangen. Sie hat nach den bindenden (§
163 SGG) Feststellungen des SG zwar einen außergewöhnlich hohen und intensiven Pflegebedarf, weil die Grundpflege zur Überwindung ihrer demenzbedingten
Abwehrreaktionen in der Regel den Einsatz von zwei oder gar drei Pflegekräften erfordert. Die Anerkennung als Härtefall scheidet
aber sowohl für die Zeit bis zum 31.8.2006 als auch für die Folgezeit aus, weil die Klägerin nach den Feststellungen des SG bis heute nur den im M. haus geltenden normalen Pflegesatz der Pflegeklasse III zu zahlen hat, sie also zur Deckung ihres
notwendigen Pflegebedarfs keine darüber hinausgehenden Kosten aufbringen muss.
Soweit einzelne Pflegekassen - wie die Klägerin behauptet - in der Vergangenheit in Einzelfällen einen Härtefall auch dann
anerkannt haben, wenn die Pflegebedürftigen keine zusätzlichen Kosten für die Heimpflege aufzubringen hatten, handelte es
sich um rechtswidrige Leistungsbewilligungen.
Die Anerkennung der Klägerin als Härtefall kann insoweit nicht auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art
3 Abs
1 GG gestützt werden, weil es einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nicht gibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.