Ermessens- und Gestaltungsfreiheit in der vertragsärztlichen Versorgung
Gründe:
I. Der Kläger, Facharzt für Chirurgie, begehrt von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung höheres Honorar für gastroenterologische
Leistungen (Quartale I/2000, III und IV/2001).
Die Beklagte vergütete ihm diese Leistungen nach Maßgabe der Regelungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche
Leistungen (EBM-Ä) und ihres Honorarverteilungsmaßstabes mit Punktwerten zwischen 6,62 und 8,55 Pfennig. Der Kläger begehrt
indessen eine Vergütung von 9,5 Pfennig, wie sie für die Nr 741, 746, 750, 751, 752, 763, 764, 765, 768 EBM-Ä in einem Strukturvertrag
geregelt war, den die Beklagte und die Krankenkassen (KKn) - die Gesamtvertragspartner - nach §
73a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) abschlossen. Er hält die im Strukturvertrag vorgenommene Begrenzung auf Leistungen fachärztlicher Internisten für rechtswidrig.
Wer wie er gleichermaßen für die genannten Leistungen qualifiziert sei, müsse einbezogen werden und die gleiche Vergütung
erhalten.
Der Kläger ist mit seiner Klage und seiner Berufung erfolglos geblieben. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist ausgeführt,
seinem Begehren nach höherer Vergütung stehe die Begrenzung im Strukturvertrag entgegen, der auf Leistungen fachärztlicher
Internisten habe beschränkt werden können. Der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit sei insoweit nur bedingt anwendbar,
weil nicht die Honorarverteilung, sondern Honorargewährungen auf Grund von Strukturverträgen außerhalb der Gesamtvergütungen
betroffen seien. Die Gesamtvertragsparteien seien grundsätzlich nicht zum Abschluss von Strukturverträgen verpflichtet. Selbst
wenn die Begrenzung des Vertrages und der darin geregelten höheren Vergütung auf fachärztliche Internisten rechtswidrig wäre,
ergäbe sich daraus noch kein Anspruch des Klägers, gleichermaßen diese Vergütung zu erhalten. Die Vertragsparteien könnten,
statt einen Vertrag unter Einbeziehung der Chirurgen abzuschließen, ihn auch gänzlich abschaffen. Davon abgesehen erweise
eine inhaltliche Prüfung den Vertrag und die Vertragsbegrenzung aber ohnehin als rechtmäßig. Dessen Ziel, durch erhöhte feste
Vergütungen für ambulant-operative Leistungen diese zu fördern und teurere stationäre Leistungen zu vermeiden, sei nicht zu
beanstanden, verpflichte aber nicht zur Einbeziehung aller Vertragsärzte, die diese Leistungen erbringen. Dies könne vielmehr
wegen der Begrenztheit der Finanzmittel - auch mit Blick auf den Grundsatz der Beitragssatzstabilität - auf bestimmte Leistungserbringer
begrenzt werden. Deren Auswahl sei, wie sie im vorliegenden Fall getroffen worden sei, nicht sachwidrig. Für die im Strukturvertrag
benannten Leistungen seien die fachärztlichen Internisten "in besonderer Weise zuständig", wie sich aus dem EBM-Ä und der
Weiterbildungsordnung (WBO) ergebe. Die Leistungen seien für die Chirurgen zwar nicht fachfremd, sie stellten im Bereich der Chirurgie aber keinen besonderen
Schwerpunkt dar und würden typischerweise von fachärztlichen Internisten und deutlich seltener von Chirurgen erbracht. Deshalb
könne das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Januar 1999 zu Nr 16 EBM-Ä nicht herangezogen werden, weil dieses
die Einbeziehung der damals normativ ausgeschlossenen Orthopäden unter anderem gerade wegen der größeren Zahl von orthopädischen
als internistischen Leistungserbringern gefordert habe.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache geltend.
II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Sein Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Seine Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung
sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich)
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14;
s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf
die Rechtsfrage ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, ebenso dann, wenn
zwar keine klare normative Regelung dieses Falles und auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung
bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung
der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort siehe zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR
3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich
(vgl zB BVerfG [Kammer], Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG [Kammer], DVBl 1995, 35).
Die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen - hier sinngemäß verkürzt -,
ob der Abschluss bzw Inhalt eines Strukturvertrages, der unter anderem Leistungen nach Nr 741, 763, 764, 768 EBM-Ä außerhalb der Gesamtvergütung fördert, gegen Art
3 Abs
1 GG verstößt, wenn er nur fachärztliche Internisten, nicht aber Chirurgen einbezieht, obgleich beide Arztgruppen berufs- und
vertragsarztrechtlich berechtigt sind, diese Leistungen zu erbringen und abzurechnen,
und
ob diese Leistungen, im Vergleich zu Chirurgen, dem primären Zuständigkeitsbereich der Internisten bzw sogar dem Kernbereich
ihres Fachgebiets zuzuordnen sind,
sind nicht klärungsbedürftig bzw nicht klärungsfähig.
Bei den Fragen nach der Notwendigkeit einer Gleichbehandlung der Chirurgen mit den fachärztlichen Internisten und nach der
primären Zuständigkeit der Internisten fehlt die Klärungsbedürftigkeit. Die Antworten auf diese Fragen ergeben sich ohne weiteres
aus der normativen Rechtslage iVm der bisherigen Rechtsprechung, ohne dass ein Bedarf nach weiterer Klärung in einem Revisionsverfahren
ersichtlich ist.
Nach der Rechtsprechung von Bundesverfassungs-, -verwaltungs- und -sozialgericht haben öffentlich-rechtliche Institutionen
bei Vertragsschlüssen im Regelfall ein Ermessen, ob sie solche Verträge überhaupt und mit welchem Inhalt sie sie abschließen.
Der ihrer Hoheitsgewalt Unterworfene hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Abschluss eines Vertrages mit bestimmtem Inhalt,
es sei denn, die zu Grunde liegenden Rechtsnormen enthielten entsprechende Vorgaben. Anhaltspunkte dafür, dass dies beim Abschluss
von Verträgen gemäß §§
72 Abs
2,
83 SGB V und auch bei Strukturverträgen gemäß §
73a SGB V grundsätzlich anders sein könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Ermessen wird in §
73a SGB V zudem durch dessen Ausgestaltung als "Kann"-Vorschrift besonders betont.
Die Ermessens- bzw Gestaltungsfreiheit ist im Bereich von Abschluss und Ausformung öffentlich-rechtlicher Verträge, jedenfalls
im Rahmen des §
73a SGB V, größer als bei der Schaffung und Ausgestaltung des EBM-Ä. Während dieser die Vergütungsgrundregelung für die Honorierung
darstellt, sehen fakultative Strukturverträge zusätzliche Vergütungen vor. Aus den vom Kläger herangezogenen Urteilen des
BSG zu Nr 16 EBM-Ä (Urteile vom 20. Januar 1999, BSGE 83, 218 = SozR 3-2500 § 87 Nr 21 und MedR 1999, 432) kann zudem deshalb nichts für den vorliegenden Fall hergeleitet werden, weil das BSG in jenen Fällen unter anderem darauf
abgestellt hat, dass rheumatisch entzündliche Erkrankungen häufiger von Orthopäden als von Internisten behandelt werden (s
BSGE aaO S 222 bzw SozR aaO S 111 und BSG MedR aaO S 433 f), während die vorliegend betroffenen gastroenterologischen Leistungen
deutlich seltener von Chirurgen als von fachärztlichen Internisten erbracht und abgerechnet werden.
Auch wenn die Ermessensfreiheit bei Abschluss und Ausformung von Strukturverträgen und deren Vergütungsregelungen mithin weit
ist, so unterliegt sie doch insofern einer Begrenzung, als öffentlich-rechtliche Institutionen bei ihrer Tätigkeit die Grenze
der Sachwidrigkeit beachten müssen (Art
3 Abs
1 Grundgesetz). Die Ansicht des Klägers, die Beklagte und die KKn hätten mit ihrem Strukturvertrag diese Grenze überschritten, ist aber
ohne ausreichende Grundlage. Das Berufungsgericht hat vielmehr seine gegenteilige Auffassung, die Beschränkung des Strukturvertrages
auf fachärztliche Internisten sei unbedenklich, fundiert begründet, ohne dass ein Bedarf nach weiterer Klärung in einem Revisionsverfahren
ersichtlich ist.
Das LSG hat ausgeführt, eine Begrenzung von Strukturverträgen auf bestimmte Arztgruppen - mit dem Ziel, Leistungen aus dem
stationären in den ambulanten Bereich zu verlagern - sei aus Gründen beschränkter Finanzmittel und mit Blick auf den Grundsatz
der Beitragssatzstabilität nicht sachwidrig. Auch die Beschränkung, wie sie konkret im vorliegenden Fall vorgenommen wurde,
nämlich die Eingrenzung auf fachärztliche Internisten und der Ausschluss der Chirurgen ungeachtet der bei ihnen gleichfalls
gegebenen berufs- und vertragsarztrechtlichen Berechtigung zur Erbringung der nach diesem Vertrag zu fördernden Leistungen,
sei nicht sachwidrig. Dies hat das LSG damit begründet, dass die Internisten für diese "in besonderer Weise zuständig" seien.
Diese Leistungen stünden vom Inhalt des EBM-Ä und vom Inhalt der WBO her den Internisten näher als den Chirurgen und würden tatsächlich auch typischerweise von Internisten und nur in relativ
geringem Umfang von Chirurgen erbracht (s dazu LSG-Urteil S 15 f). Gesichtspunkte dafür, dass und inwiefern diese auf das
Normgefüge von EBM-Ä und WBO und auf die Typik der Leistungserbringung gestützten Ausführungen weiterer Klärung bedürfen könnten, sind aus der Beschwerdebegründung
nicht ersichtlich.
Nach diesen Ausführungen war es ungeachtet der gleichen fachlichen Qualifikation der Chirurgen für die nach dem Strukturvertrag
zu fördernden Leistungen sachlich gerechtfertigt, den Strukturvertrag und die darin geregelte, auf 9,5 Pfennig erhöhte Vergütung
auf die fachärztlichen Internisten zu beschränken. Anhaltspunkte dafür, dass dies weitere Klärungen in einem Revisionsverfahren
erfordern könnte, sind nicht ersichtlich. Die Beschwerdebegründung befasst sich nicht näher mit den eingehenden Ausführungen
des LSG zu den Regelungen des EBM-Ä und der WBO mit dem Ergebnis größerer fachlicher Nähe der Leistungen zu den Internisten als zu den Chirurgen und seinen tatsächlichen
Feststellungen der deutlich größeren Zahl von Leistungen durch die Internisten. Die Ansicht, es sei von grundsätzlicher Bedeutung,
ob die Annahme des LSG einer primären Zuständigkeit der Internisten zutreffe, reicht ohne substantielle Auseinandersetzung
mit den Ausführungen des Berufungsurteils für die Anerkennung einer Klärungsbedürftigkeit nicht aus.
Die vom Kläger ferner aufgeworfene Frage, ob die im Strukturvertrag geregelten Leistungen dem Kernbereich des internistischen
Fachgebiets zuzuordnen sind, ist nicht klärungsfähig, nämlich nicht entscheidungserheblich. Denn für die Begrenzung des Strukturvertrages
auf fachärztliche Internisten und den Ausschluss der Chirurgen reicht es aus, dass die nach dem Vertrag zu fördernden Leistungen
den Internisten näher stehen als den Chirurgen und die Leistungen in deutlich größerer Zahl von Internisten als von Chirurgen
erbracht werden. Es kommt also nicht darauf an, ob noch zusätzlich zu der vom LSG verwendeten Formulierung der "in besonderer
Weise zuständigen fachärztlichen Internisten" (Urteil S 15) weitergehend eine Zugehörigkeit zum Kernbereich gegeben ist. Darauf
hat das LSG in seinen Entscheidungsgründen im Übrigen auch nicht abgestellt. Nur das Sozialgericht hatte auf die Zuordnung
zum Kernbereich abgehoben, was im Berufungsurteil dementsprechend lediglich im Tatbestand (aaO S 4) erwähnt ist.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm geführten erfolglosen Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO). Eine Erstattung von Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil sie sich im Beschwerdeverfahren nicht beteiligt
haben (§
162 Abs
3 VwGO).