Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Honorierung vertragsärztlicher Leistungen; Umfang der Aufklärung der Wirtschaftlichkeit
der Behandlungs- oder Verordnungsweise durch die Prüfgremien
Gründe:
I
Im Streit steht die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Beigeladenen zu 1. in den Quartalen II/1998 bis III/1999.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, die Beigeladene zu 1. eine Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft),
in der im streitgegenständlichen Zeitraum zwei Zahnärzte für Oralchirurgie und ein Allgemein-Zahnarzt tätig waren. Auf Antrag
der Krankenkassen(-Verbände) prüfte der Prüfungsausschuss die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Beigeladenen zu
1. in den Quartalen II bis IV/1998 sowie in den Quartalen I bis III/1999; mit Bescheiden vom 19.8.1999 (Quartale II bis IV/1998)
sowie vom 6.6.2000 (Quartale I bis III/1999) lehnte der Ausschuss die Festsetzung von Honorarkürzungen ab. Gegen den Bescheid
vom 19.8.1999 erhoben die Gemeinsame Beratungs- und Prüfstelle der Primärkassen sowie die Ersatzkassenverbände Widersprüche,
gegen den Bescheid vom 6.6.2000 die "BKK-IKK-LKK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz" sowie die Ersatzkassenverbände. Der
beklagte Beschwerdeausschuss gab den Widersprüchen mit Bescheid vom 29.8.2001 zunächst teilweise statt und setzte - nach Durchführung
einer Prüfung nach Durchschnittswerten - wegen Überschreitung bestimmter "Relationen" bei den Gebührennr 37-Nbl2 Einheitlicher
Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (Bema-Z) ("Stillung einer übermäßigen Blutung durch Abbinden oder Umstechen
eines Gefäßes oder durch Knochenbolzung"), 38-N Bema-Z ("Nachbehandlung nach chirurgischem Eingriff oder Tamponieren oder
dergleichen, je Kieferhälfte oder Frontzahnbereich, als selbständige Leistung, je Sitzung") und 47a-Ost1 Bema-Z ("Entfernen
eines Zahnes durch Osteotomie einschließlich Wundversorgung") in den Quartalen II/1998 bis III/1999 eine Honorarkürzung in
Höhe von 19 470,22 DM (= 9954,97 Euro) fest. Hiergegen erhob die Beigeladene zu 1. Klage. Im Laufe des Klageverfahrens teilte
der Beklagte dem SG mit, dass er den angefochtenen Bescheid nicht für "rechtsfähig" halte und diesen "ersetzen" werde. Das SG wertete dies als verfahrensbeendendes Anerkenntnis. Mit erneutem Widerspruchsbescheid vom 6.4.2006 wies der Beklagte sodann
die Widersprüche zurück. Zur Begründung führte er aus, ein statistischer Vergleich des (Gesamt-)Fallwerts der Beigeladenen
zu 1. mit dem der Gruppe der Oralchirurgen habe in den geprüften Quartalen nach Bereinigung des Gesamtfallwerts um anerkannte
Praxisbesonderheiten keine Überschreitung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis, die er mit 40 % angesetzt habe,
ergeben. Er habe bei der Ermittlung des aus der Praxisbesonderheit "Fälle mit überdurchschnittlichem Behandlungsbedarf" resultierenden
Mehraufwandes überprüft, ob statistisch auffällige Gebührenpositionen wirtschaftlich abgerechnet worden seien. Bei dieser
Prüfung habe sich zwar ein unwirtschaftlicher Mehraufwand von 1.015 Punkten bei der Gebührennr 37-Nbl2 Bema-Z, von 11.936
Punkten bei der Nr 38-N Bema-Z und von 7.452 Punkten bei der Nr 47a-Ost1 Bema-Z ergeben, um den der Mehraufwand wegen anerkannter
Praxisbesonderheiten bereinigt worden sei; die Notwendigkeit von Honorarkürzungen sei damit aber nicht gegeben.
Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 16.4.2008, Urteil des LSG vom 4.3.2010). Das LSG hat ausgeführt, der Beklagte habe im Rahmen seiner Prüfung der gesamten
zahnärztlichen Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. zu Recht auf den Gesamtfallwert abgestellt. Er sei nicht gehalten gewesen,
eine Sparten- oder Einzelleistungsprüfung vorzunehmen. Der angefochtene Bescheid sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil
der Beklagte den Prozentsatz des offensichtlichen Missverhältnisses zu hoch angesetzt habe. Diese Festlegung unterliege dem
Beurteilungsspielraum des Beklagten, den dieser nicht überschritten habe. Wegen der Spannbreite möglicher rechtmäßiger Entscheidungen
könne jedenfalls in der Regel ein niedrigerer Grenzwert als 40 % von den beteiligten Krankenkassenverbänden nicht erzwungen
werden. Auch stelle das vom Beklagten genannte erhöhte Risiko der Inhomogenität der Vergleichsgruppe einen sachlichen Gesichtspunkt
dar, der Beurteilungsfehler nicht erkennen lasse.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht. Wenn die Prüfgremien im Rahmen der Prüfung der Praxisbesonderheiten
feststellten, dass Leistungen teilweise unwirtschaftlich erbracht worden seien und damit nicht als Praxisbesonderheiten anerkannt
werden könnten, dann seien diese Unwirtschaftlichkeiten zu beziffern und ein "Regress" festzusetzen. Es könne nicht richtig
sein, dass dem Vertrags(zahn)arzt unwirtschaftlich erbrachte Leistungen sehenden Auges honoriert würden. Im Übrigen widerspreche
es der Rechtsprechung des BSG, bei Anerkennung von Praxisbesonderheiten die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei 40 % zu belassen. Würden - wie
vorliegend - Praxisbesonderheiten in so erheblichem Umfang anerkannt, sei die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis weit
unter 40 % festzulegen, zumal eine Bereinigung der Fachgruppe nicht erfolgt sei.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 4.3.2010 und des SG Mainz vom 16.4.2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 6.4.2006
aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses
vom 19.8.1999 und 6.6.2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte, die Beigeladene zu 1. und (schriftsätzlich) die Beigeladene zu 2. beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der Beklagte und die zu 2. beigeladene Kassenzahnärztliche Vereinigung
führen aus, die bei der Bewertung von Praxisbesonderheiten festgestellten Korrekturbeträge hätten nicht zu einem Regress führen
können, weil es sich nicht um eine Einzelfallprüfung gehandelt habe. Die vom Beklagten durchgeführten Einzelfall- und Relationsbetrachtungen
hätten lediglich der rechnerisch eindeutigen Quantifizierung der Praxisbesonderheiten im Rahmen einer statistischen Vergleichsprüfung
gedient. Die Beigeladene zu 1. macht Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage geltend und verweist auf den Beurteilungs-
und Ermessensspielraum des Beklagten, den dieser nicht überschritten habe.
Die übrigen Beigeladenen haben weder Anträge gestellt noch Stellung genommen.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und - im Sinne einer Verpflichtung des Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung
des erkennenden Gerichts erneut über die gegen die Bescheide des Prüfungsausschusses vom 19.8.1999 und 6.6.2000 erhobenen
Widersprüche zu entscheiden - begründet. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht die Entscheidung des Beklagten für rechtmäßig gehalten,
von Kürzungsmaßnahmen abzusehen.
1. Die von der Beigeladenen zu 1. geltend gemachten prozessualen und formellen Bedenken greifen allerdings nicht durch. Insbesondere
war die von der Klägerin erhobene Klage zulässig. Im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach §
106 SGB V wirkt der von einer Krankenkasse bzw einem Krankenkassenverband erhobene Widerspruch auch zugunsten der übrigen Beteiligten
und verhindert den Eintritt der Bestandskraft des Bescheides (zur Einheitlichkeit des Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung
siehe schon BSGE 60, 69, 71 f = SozR 2200 § 368n Nr 42 S 139 f; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 18 S 98). Die Krankenkassen und ihre Verbände sind - unabhängig von einer Hinzuziehung nach § 12 Abs 2 SGB X - Beteiligte des Prüfverfahrens (BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 20). Die Prüfgremien treffen Entscheidungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die vertragsärztliche Versorgung
haben und die Verpflichtung der genannten Institutionen berühren können, für eine ordnungsgemäße Versorgung Sorge zu tragen
(BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 22). Es ist für die Rechtsmittelbefugnis der Institutionen ohne Belang, ob die das Verfahren
ggf letztlich allein weiterbetreibende Krankenkasse (bzw der Krankenkassenverband) in den vorangegangenen Verfahrensstufen
jeweils selbst Rechtsmittel eingelegt hat. Vielmehr wirken von einzelnen Krankenkassen(-Verbänden) eingelegte Rechtsmittel
grundsätzlich auch zugunsten der übrigen beteiligten Institutionen. Ob Abweichendes gilt, wenn ein Kostenregress zu Gunsten
einer einzelnen Krankenkasse Streitgegenstand ist, bedarf hier keiner Erörterung. Auch eine Stellung von Prüfanträgen durch
gemeinsame Einrichtungen der Krankenkassen begegnet keinen Bedenken.
2. Der Bescheid des Beklagten vom 6.4.2006, der alleiniger Streitgegenstand des Verfahrens ist (stRspr des BSG, zuletzt Urteil vom 29.6.2011 - B 6 KA 16/10 R - RdNr 10, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), ist rechtswidrig.
a. Ob die vom Beklagten durchgeführte, auf den Gesamtfallwert bezogene Prüfung nach Durchschnittswerten für sich genommen
rechtmäßig ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
Zweifel könnten sich insoweit ergeben, als der Beklagte die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis bei einer Überschreitung
des Gesamtfallwertes der Vergleichsgruppe um mehr als 40 % angesetzt hat. Grundsätzlich steht den Prüfgremien allerdings hinsichtlich
der Festlegung des für das offensichtliche Missverhältnis maßgeblichen Grenzwerts ein Beurteilungsspielraum zu (vgl ua BSGE
76, 53, 58 = SozR 3-2500 § 106 Nr 26 S 149; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 267; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 12). Jedoch könnte es in Anbetracht der VorabBerücksichtigung von Praxisbesonderheiten unter Umständen geboten
sein, den Grenzwert niedriger anzusetzen. So hat der Senat darauf hingewiesen, dass die Prüfgremien zumindest berechtigt sind,
die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis niedriger anzusetzen, seitdem Praxisbesonderheiten bereits auf der ersten Prüfungsstufe
zu berücksichtigen sind (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 41 S 226; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 43 S 239); wenn die Prüfgremien Besonderheiten der Praxis von vornherein in den Fallwertvergleich einbezogen haben, sind
auch 40 % unterschreitende Grenzwerte zulässig (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 17). Zudem bedarf noch der Klärung, wie die nach Herausrechnung der Praxisbesonderheiten verbleibenden Überschreitungen
noch gerechtfertigt werden können und ob die Prüfgremien ggf nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet sind, niedrigere
Grenzwerte anzusetzen.
Der Beklagte hat seine Entscheidung damit begründet, er habe bei der Grenzziehung das Risiko der Inhomogenität des Abrechnungsverhaltens
der Vergleichsgruppe berücksichtigt. Auch wenn sich das Problem der Inhomogenität bei einer genauen Quantifizierung kostenerhöhender
Umstände relativiert (s hierzu Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand September 2011, K §
106 RdNr 348), kann nicht außer Betracht bleiben, dass gerade die Gruppe der Oralchirurgen kein einheitliches Leistungsspektrum
aufweist (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 12 RdNr 21, 22; s auch Engelhard aaO RdNr 331b). Ob dieses Argument für sich genommen tragfähig ist, um den vom Beklagten
zugrunde gelegten hohen Grenzwert zu rechtfertigen, kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Entscheidung des Beklagten bereits
aus anderen Gründen rechtswidrig ist.
b. Der Beklagte durfte die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der zu 1. beigeladenen Gemeinschaftspraxis
nicht mit der Feststellung beenden, dass sich der Gesamtfallwert nicht im Bereich des offensichtlichen Missverhältnisses bewege
und daher kein Raum für eine Honorarkürzung sei. Vielmehr wäre er ungeachtet des ihm insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums
bei Beachtung des Gebots der Effektivität von Wirtschaftlichkeitsprüfungen verpflichtet gewesen, den von ihm erkannten Unwirtschaftlichkeiten
unter Anwendung anderer Prüfmethoden - namentlich im Wege einer Einzelleistungsprüfung nach Durchschnittswerten, ggf auch
einer Einzelfallprüfung - nachzugehen. Sofern sich der Beklagte an der Anwendung anderer, von der Rechtsprechung generell
als geeignet anerkannter, Prüfmethoden gehindert gesehen haben sollte, hätte er in der Begründung seiner Entscheidung darlegen
müssen, warum er diese an sich gebotenen Prüfungen unterlassen hat.
aa. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stehen den Prüfgremien bei der Auswahl der im Einzelfall geeigneten Prüfmethode
Entscheidungsspielräume zu (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 13; BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 23 RdNr 13). Diese sind rechtlich als Beurteilungsspielraum zu qualifizieren (vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 31 S 177 mwN; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 267/268; soweit in der jüngeren Rechtsprechung des Senats von einem "Ermessen" der Prüfgremien gesprochen wird, wird hieran nicht
festgehalten), weil es sich bei der Auswahl der Prüfmethode um eine Fragestellung handelt, die einer Bewertung unter Heranziehung
der besonderen Fachkunde der Mitglieder der Prüfgremien bedarf (BSG SozR 2200 § 368n Nr 31 S 106; vgl auch BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 36 mwN). Von diesem Beurteilungsspielraum ist grundsätzlich auch die Entscheidung umfasst,
ob der Vergleichsprüfung die Gesamtfallwerte oder nur der Aufwand in einzelnen Leistungssparten oder bei bestimmten Einzelleistungen
zugrunde gelegt werden (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 54 S 300).
Die Kontrolle der Gerichte beschränkt sich bei der Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen, denen ein Beurteilungsspielraum
zugrunde liegt, darauf, ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, ob der Verwaltungsentscheidung
ein richtiger und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die Verwaltung die Grenzen eingehalten hat, die sich
bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Wirtschaftlichkeit" ergeben, und ob sie ihre Subsumtionserwägungen so verdeutlicht
und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zu treffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar
ist (stRspr des BSG, BSGE 72, 214, 216 = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 S 7; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 20; vgl zuletzt BSGE 102, 21 = SozR 4-2500 § 101 Nr 3, RdNr 16 - zu Sonderbedarfszulassungen).
bb. Die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist auch unter Berücksichtigung des begrenzten Umfangs der gerichtlichen Überprüfung
rechtswidrig. In Anbetracht der deutlichen Überschreitung der Vergleichswerte der Fachgruppe durch die beigeladene Gemeinschaftspraxis
und namentlich der von ihm festgestellten Unwirtschaftlichkeiten bei einzelnen Leistungspositionen hätte sich dem Beklagten
die ergänzende Anwendung einer anderen Prüfmethode geradezu aufdrängen müssen. Die Begründung des angefochtenen Bescheides
lässt nicht hinreichend erkennen, warum der Beklagte vorliegend von einer Honorarkürzung bzw von der Anwendung einer anderen
Prüfmethode abgesehen hat.
(1) Zu den erforderlichen Subsumtionserwägungen bei der Auswahl einer Prüfmethode gehören nicht zuletzt Ausführungen, die
erkennen lassen, dass sich die Prüfgremien den Grenzen ihres Beurteilungsspielraums bewusst gewesen sind. Zu diesen Grenzen
gehört zum einen, dass der Senat die statistische Vergleichsprüfung bzw Prüfung nach Durchschnittswerten auf der Grundlage
des bis zum 31.12.2003 geltenden Rechts in ständiger Rechtsprechung als "Regelprüfmethode" bezeichnet hat (vgl BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, RdNr 6; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 23 RdNr 13 mwN), von der nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden durfte.
Zum anderen ergibt sich eine Einschränkung des Entscheidungsspielraums der Prüfgremien bei der Auswahl der Prüfmethode aus
dem Gebot, "effektive" Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchzuführen. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung die Verpflichtung
der Prüfgremien betont, auf festgestellte bzw vorliegende Unwirtschaftlichkeiten zu reagieren. Diese haben die Frage der Unwirtschaftlichkeit
mit allen dazu geeigneten und zulässigen Beweismitteln aufzuklären (BSGE 70, 246, 254 = SozR 3-2500 § 106 Nr 10 S 51 f; BSGE 75, 220, 224 = SozR 3-2500 § 106 Nr 24 S 135), ggf sachgerechte Prüfungsarten zu entwickeln und Prüfverfahren stets der gesetzlichen
Intention entsprechend auszugestalten und durchzuführen, alle Ärzte einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu unterziehen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 295 f). Es entspricht der Zielsetzung des Gesetzes, dass das Abrechnungs- und Verordnungsverhalten aller Ärzte zu
jeder Zeit einer effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen muss (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 55 S 309/310 unter Hinweis auf BSGE 84, 85, 87 = SozR 3-2500 § 106 Nr 47 S 250; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 51 S 274; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 295 f; BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 32 S 185; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 61; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 14). Unter Hinweis auf das Gebot effektiver Wirtschaftlichkeitsprüfungen hat der Senat festgestellt, dass eine
andere Prüfmethode gewählt werden "darf bzw muss", soweit eine Prüfung anhand von Durchschnittswerten nicht effektiv ist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 14), bzw dass die Prüfgremien "berechtigt und verpflichtet" sind, ausnahmsweise auch andere Prüfmethoden anzuwenden
bzw neu zu entwickeln, wenn sich im Einzelfall die Prüfung nach Durchschnittswerten "als nicht aussagekräftig oder nicht durchführbar"
erweist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 8 RdNr 10).
Als "nicht effektiv" im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Senats anzusehen ist eine Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht
erst dann, wenn die Prüfung in der gewählten Form zu überhaupt keinen Ergebnissen führt - etwa, weil sie mangels ausreichender
Datengrundlagen (wie zB bei Richtgrößenprüfungen, vgl hierzu BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11) überhaupt nicht durchgeführt werden kann. Vielmehr ist dies bereits dann der Fall, wenn die Voraussetzungen
für die Durchführung einer Prüfung zwar vorliegen, der gewählte Prüfungsansatz aber strukturell den Zugriff auf festgestellte
Unwirtschaftlichkeiten verstellt. Dies kommt namentlich dann in Betracht, wenn offensichtliche oder bei Durchführung der Regelprüfmethode
festgestellte Unwirtschaftlichkeiten in einzelnen Leistungssparten oder bei bestimmten Leistungspositionen bestehen, der Gesamtfallwert
jedoch nicht die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis überschreitet. Denn nach der Rechtsprechung des Senats muss die
ärztliche bzw zahnärztliche Behandlung sowohl insgesamt als auch in jedem Teilbereich wirtschaftlich sein, also nicht nur
beim Gesamtfallwert, sondern auch in jeder einzelnen Sparte und bei Einzelleistungen sowie in jedem Einzelfall (vgl BSG 3-2500 § 106 Nr 42 S 232 f; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 9; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 15).
(2) Den schon aus dem Beurteilungsspielraum abzuleitenden und durch das Effektivitätsgebot verstärkten Anforderungen genügen
die Ausführungen des Beklagten im angefochtenen Bescheid nicht. Denn angesichts der vom Beklagten im Rahmen der Überprüfung
von Praxisbesonderheiten festgestellten Unwirtschaftlichkeiten (nach den in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben der
Klägerin überschritt der Gesamtfallwert der beigeladenen Gemeinschaftspraxis vor Bereinigung um Praxisbesonderheiten in den
strittigen Quartalen den Fachgruppendurchschnitt in einem Umfang von 60,2 % bis 107,1 %) hätte sich bei Beachtung der sich
aus dem Gebot zur Durchführung effektiver Wirtschaftlichkeitsprüfungen ergebenden Anforderungen ein Wechsel der Prüfmethode
bzw eine Ergänzung der auf den Gesamtfallwert bezogenen Prüfung nach Durchschnittswerten aufgedrängt.
(a) In Anbetracht der vom Beklagten festgestellten Unwirtschaftlichkeiten bei einzelnen Leistungspositionen hätte es in erster
Linie nahe gelegen, eine auf diese Positionen bezogene Einzelleistungsprüfung nach Durchschnittswerten durchzuführen. Einer
entsprechenden Regelung in der Prüfvereinbarung bedurfte es nicht, da die Einzelleistungsprüfung einen Unterfall der - seinerzeit
durch §
106 Abs
2 Satz 1 Nr
1 SGB V in der bis 31.12.1994 geltenden Fassung gesetzlich vorgegebenen und durch die Rechtsprechung des Senats konkretisierten -
Auffälligkeitsprüfung darstellt.
Einem ergänzenden bzw alternativen Einzelleistungsvergleich steht nicht entgegen, dass innerhalb der Prüfung nach Durchschnittswerten
kein Vorrang von Sparten- und Einzelleistungsprüfungen gegenüber Gesamtfallwertvergleichen bestand (s hierzu Engelhard in
Hauck/Noftz,
SGB V, Stand September 2011, K §
106 RdNr 398 mwN). Zwar hat der Senat auf die Gefahren eines Sparten- oder Einzelleistungsvergleichs hingewiesen, da deren Aussagewert
tendenziell geringer und die Gefahr einer Fehlinterpretation größer ist als bei einem Gesamtvergleich, weil sich die unterschiedlichen
Diagnose- und Behandlungsmethoden hier naturgemäß stärker auswirken (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 11 S 57/58; vgl auch BSGE 69, 138, 144 = SozR 3-2500 § 106 Nr 6 S 27). Diesen Gefahren wird jedoch durch die Anforderungen, die der Senat für die Zulässigkeit
speziell des Einzelleistungsvergleichs aufgestellt hat, in ausreichendem Maße begegnet. Danach setzt ein derartiger Vergleich
voraus, dass davon Leistungen betroffen sind, die für die gebildete Vergleichsgruppe typisch sind und zumindest von einem
größeren Teil der Fachgruppenmitglieder regelmäßig in nennenswerter Zahl erbracht werden (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 9 mwN). Eine fachgruppentypische Leistung liegt (insbesondere) dann vor, wenn sie von über 50 % der Mitglieder
der Vergleichsgruppe erbracht werden (BSG aaO RdNr 11).
Auch der Gesichtspunkt der "Gesamtwirtschaftlichkeit" steht einer Verpflichtung der Prüfgremien, die Behandlungsweise der
Klägerin bezogen auf einzelne Leistungen zu überprüfen, ebenfalls nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Senats darf
zwar die Wirtschaftlichkeit einzelner Leistungen oder Leistungssparten nicht losgelöst von der Gesamttätigkeit und den Gesamtfallkosten
des Vertragsarztes beurteilt werden (vgl zB BSGE 71, 194, 199 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 91; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 9). Jedoch folgt daraus nicht, dass bei einem im Vergleich zur Fachgruppe unauffälligen Gesamtkostendurchschnitt
eine unwirtschaftliche Erbringung bestimmter Leistungsarten oder Einzelleistungen ausgeschlossen wäre (in diesem Sinne ua
BSGE 71, 194, 199 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 91; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 3 RdNr 9). Im Übrigen liegt der Gesamtfallwert der Beigeladenen zu 1. auch nach Bereinigung um Praxisbesonderheiten weiterhin
deutlich über den Vergleichswerten der Fachgruppe - wenn auch nach Einschätzung des Beklagten nicht im Bereich des offensichtlichen
Missverhältnisses -, so dass es bereits an einer "Unauffälligkeit" des Gesamtfallwerts fehlt. Weiter steht einer - separat
durchgeführten - ergänzenden oder alternativen Einzelleistungsprüfung auch die Aussage des Senats nicht entgegen, dass Prüfmethoden
nicht miteinander vermengt werden dürfen, weil jede von ihnen nur dann zu rechtlich tragbaren Ergebnissen führt, wenn die
ihr eigenen Gesetzmäßigkeiten beachtet werden (vgl ua BSGE 55, 110, 111 = SozR 2200 § 368n Nr 27 S 82; BSGE 71, 194, 196 = SozR 3-2500 § 106 Nr 15 S 87).
(b) Sofern die Voraussetzungen für einen Einzelleistungsvergleich nicht erfüllt wären, wäre die Durchführung einer Einzelfallprüfung
in Erwägung zu ziehen. Letztlich hat der Beklagte eine derartige Prüfung bereits ansatzweise durchgeführt, denn seine Erkenntnisse,
dass die Berechnung bestimmter Leistungen "nicht in jedem Fall" nachvollziehbar sei, geht auf eine zumindest stichprobenartige
Prüfung der einzelnen Fälle zurück. Eine derartige Prüfung kommt insbesondere in Form einer eingeschränkten Einzelfallprüfung
(s hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 14, 16; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 14) in Betracht, ggf in Form einer Einzelfallprüfung mit Hochrechnung (s hierzu BSGE 70, 246, 254 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 10 S 52 f). Die Prüfgremien sind an einer Anwendung dieser Prüfmethoden auch dann nicht gehindert,
wenn die Prüfvereinbarung sie nicht explizit vorsieht; dies gilt jedenfalls dann, wenn andernfalls die Durchführung einer
effektiven Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht möglich wäre.
Einer Einzelfallprüfung steht vorliegend auch nicht entgegen, dass die Prüfung nach Durch schnittswerten die Regelprüfmethode
darstellt. Zwar hat das BSG wiederholt die Entscheidung der Prüfgremien für eine Einzelfallprüfung als Überschreitung der Grenzen des Beurteilungsspielraums
gewertet (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 8 RdNr 10 unter Hinweis auf BSGE 77, 53, 56 = SozR 3-2500 § 106 Nr 33 S 187). Dem lag jedoch eine andere Konstellation zugrunde, da die Prüfgremien ihre Auswahl
damit begründet hatten, die Einzelfallprüfung sei gegenüber einer Vergleichsprüfung die genauere und gerechtere Prüfmethode.
Demgegenüber hat der Senat - wie bereits oben dargestellt - gerade unter Hinweis auf das Gebot effektiver Wirtschaftlichkeitsprüfungen
die Wahl einer anderen Prüfmethode gebilligt, soweit eine Prüfung anhand von Durchschnittswerten nicht effektiv ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 8 RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 14).
(c) Der Beklagte hat weder ergänzende Prüfmaßnahmen durchgeführt noch dies (offenbar) überhaupt in Erwägung gezogen. Jedenfalls
enthält der angefochtene Bescheid keine ausreichende Begründung dafür, warum von einer weitergehenden Prüfung abgesehen wurde.
Auf Seite 5 des angefochtenen Bescheides wird lediglich ausgeführt, dass keine Gründe vorgelegen hätten, von der Vergleichsprüfung
abzugehen, und dass die Durchführung "einer strengen Einzelfallprüfung" nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten
möglich gewesen wäre. Die Möglichkeit eines statistischen Einzelleistungsvergleichs oder die Durchführung einer eingeschränkten
Einzelfallprüfung (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 14, 16; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 14) - ggf auch einer Einzelfallprüfung mit Hochrechnung (s hierzu BSGE 70, 246, 254 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 10 S 52 f) - hat der Ausschuss damit erkennbar nicht in Betracht gezogen.
3. Der Beklagte wird daher die Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise der Beigeladenen zu 1. erneut unter Beachtung der Ausführungen
des Senats zur Aussagekraft der bereinigten Gesamtfallwertüberschreitungen und unter Heranziehung alternativer Prüfmethoden
zu überprüfen haben. Sollte er dabei zu dem Ergebnis kommen, dass andere Prüfmethoden aus Rechtsgründen ausgeschlossen sind,
wird er dies in der Begründung seines Bescheides so zu verdeutlichen haben, dass erkennbar und überprüfbar wird, dass er alle
in Frage kommenden Prüfmethoden berücksichtigt und deren Anwendbarkeit aus durchgreifenden Sachgründen verneint hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach haben der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1. und 2. die Kosten des Verfahrens zu gleichen Teilen zu tragen, da
sie unterlegen sind (§
154 Abs
1 und
3 iVm §
159 Satz 1
VwGO). Eine Erstattung der Kosten der Beigeladenen zu 3. bis 6. ist nicht veranlasst, da diese keine Anträge gestellt haben (§
162 Abs
3 VwGO, vgl dazu BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 §
63 Nr
3, RdNr 16).