Zulässigkeit von Punktwertstützungsmaßnahmen der Kassenärztlichen Vereinigungen bei dauerhaftem Absinken des Punktwertes einer
Arztgruppe
Gründe:
I. Streitig ist die Höhe der Vergütung von Anästhesieleistungen.
Die Klägerin, die als Fachärztin für Anästhesiologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, begehrt eine höhere
Vergütung bestimmter von ihr in den Quartalen I/1996 bis I/1997 im Primärkassenbereich erbrachter Leistungen.
Der ab dem 1.1.1996 im Primärkassenbereich geltende Honorarverteilungsmaßstab (HVM-PK) der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung
(KÄV) sah eine Honorarverteilung auf der Grundlage fachgruppenspezifischer Honorarkontingente (sog "F-Leistungen") und bei
der Fachgruppe der Anästhesisten ein gesondertes Honorarkontingent vor, nach dem die in den Abschnitten B VI und B VII des
Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) aufgeführten Zuschläge für Leistungen des ambulanten
Operierens sowie die damit verbundenen Operations- und Anästhesieleistungen (sog "
AO-Leistungen") vergütet wurden. Für die F-Leistungen galt ein Mindestpunktwert (Interventionspunktwert) in Höhe von 75 % des
landesdurchschnittlichen Anforderungspunktwertes aller niedersächsischen Kostenträger. In den streitbefangenen Quartalen wurden
die F-Leistungen bei der Fachgruppe der Anästhesisten jeweils nur mit dem Interventionspunktwert honoriert, der zwischen 4,2895
und 5,0372 Pfennig lag. Der Punktwert für die
AO-Leistungen errechnete sich nach dem Quartalspunktwert für F-Leistungen der jeweiligen Facharztgruppe, der um einen Aufstockungsbetrag
erhöht wurde. Ab dem Quartal I/1997 wurden diese Leistungen mit einem Mindestpunktwert von 8 Pfennig vergütet. Die Punktwerte
der
AO-Leistungen im Primärkassenbereich betrugen zwischen 5,4367 und 9,0426 Pfennig.
Der ab dem 1.1.1996 für den Ersatzkassenbereich geltende HVM der Beklagten (HVM-EK) sah leistungsspezifische Honorarkontingente
ua für "übrige Leistungen" und für "ambulantes Operieren" ("
AO-Leistungen") vor. Diese Kontingente bildete die Beklagte auf der Grundlage der im Kalenderjahr 1995 in den einzelnen Quartalen
von den Ersatzkassen gezahlten Vergütungen unter Berücksichtigung der Mitgliederentwicklung und einer Steigerungsrate. Die
Punktwerte für die "übrigen Leistungen", die auch für die Vergütung von Leistungen der Anästhesisten einschlägig waren, lagen
zwischen 6,4945 und 7,7413 Pfennig und für die
AO-Leistungen zwischen 6,7102 und 7,9824 Pfennig.
Die Klägerin legte gegen die Honorarbescheide für die Quartale I/1996 bis I/1997 unter Hinweis auf die aus ihrer Sicht zu
niedrigen Punktwerte für F-Leistungen im Primärkassenbereich jeweils Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, die Beklagte
habe es versäumt, das Honorarkontingent im Primärkassenbereich den steigenden Arzt- und Fallzahlen der Anästhesisten anzupassen.
Weiter habe die Beklagte die sich innerhalb dieses Kontingents ergebenden Punktwerte, die im Vergleich zu anderen Facharztgruppen
überproportional stark gesunken seien, nur unzureichend - nämlich ausschließlich über den Interventionspunktwert - gestützt.
Die Beklagte wies die Widersprüche zurück (Widerspruchsbescheid vom 17.11.1998).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben, die angefochtenen Honorarbescheide abgeändert und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine höhere Vergütung für Anästhesieleistungen zu gewähren. Die Vertreterversammlung
der Beklagten habe es versäumt, auf die von der Fachgruppe der Anästhesisten nicht zu vertretende Leistungsausweitung ambulanter
Operations- und Narkoseleistungen angemessen zu reagieren (Urteil vom 27.8.2003). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht
(LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Honorarverteilung der Beklagten auf der Grundlage
fachgruppenbezogener Honorarkontingente und unterschiedlicher Punktwerte stehe mit höherrangigem Recht in Einklang. Zwar habe
sich der kontingentabhängige Punktwert der F-Leistungen im Primärkassenbereich in den Jahren 1991 bis 1995 in einer Weise
entwickelt, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Änderung des HVM mit dem Ziel einer Punktwerterhöhung
in Erwägung zu ziehen gewesen sei. Gleichwohl habe die Beklagte ihren Gestaltungsspielraum als Satzungsgeberin des HVM nicht
überschritten, soweit sie im streitigen Zeitraum von einer weiteren, über einen Interventionspunktwert hinausgehenden Stützung
der ausschließlich für den Primärkassenbereich maßgeblichen Punktwerte abgesehen habe. Bei ihrer Entscheidung habe sie zum
einen berücksichtigen dürfen, dass die für den Punktwertverfall ursächliche Leistungsausweitung gleichzeitig zu überproportionalen
Einnahmen in anderen Bereichen, nämlich über die Zuschläge für Anästhesien/Narkosen bei ambulanten Operationsleistungen, geführt
habe. Zum anderen seien die durchschnittlichen Quartalshonorare je Anästhesist in den Jahren 1990 bis 1995 von 60.861 DM auf
74.590 DM gestiegen, während die Vertragsärzte im Bereich der Beklagten insgesamt im selben Zeitraum eine Honorarminderung
von 74.955 DM auf 69.939 DM hätten hinnehmen müssen. Vor diesem Hintergrund könne es einer KÄV nicht versagt werden, auf eine
zusätzliche Stützung einzelner Punktwerte zu verzichten (Urteil vom 8.11.2006 - juris).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin zunächst einen Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens. Das LSG habe in seinem Urteil
zwar über verschiedene Aspekte der Honorarverteilung für Anästhesisten in Niedersachsen entschieden, nicht jedoch über die
streitgegenständliche Frage der Punktwertentwicklung im Bereich der Primärkassen. Das Berufungsurteil sei daher im Ergebnis
nicht mit Gründen versehen. In der Sache verstoße es gegen §
85 Abs
4 SGB V iVm dem Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, dass das Honorarkontingent der Anästhesisten für F-Leistungen im Primärkassenbereich
auf der Basis des Kalenderjahres 1990 gebildet und der Punktwert in den Quartalen II/1993 bis I/1997 auf dem Interventionspunktwert
und damit 25 % unter dem Durchschnittspunktwert aller Arztgruppen gehalten worden sei. Der Beklagten sei die Verlagerung früher
stationär erbrachter Operationsleistungen in den ambulanten Bereich und die daraus resultierende, von der Fachgruppe der Anästhesisten
nicht zu vertretende Leistungsausweitung schon lange vor den hier betroffenen Quartalen bekannt gewesen, ohne dass sie dem
bei der Honorarverteilung Rechnung getragen habe. Sie sei daher ihrer Beobachtungs- und Reaktionspflicht nicht ausreichend
nachgekommen. Soweit das LSG auf die Anhebung der Punktzahlbewertung bei einigen Gebührenziffern des EBM-Ä für ambulante Operationen
bzw der Zuschlagsziffer für Anästhesien ab dem 1.1.1996 hingewiesen habe, werde übersehen, dass dies eine Honoraraufstockung
bei der Fachgruppe der Anästhesisten und nicht eine Beibehaltung des zu niedrigen Honorarniveaus habe bewirken sollen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 8.11.2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das
Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 27.8.2003 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie sieht das Berufungsurteil als zutreffend an. Sie - die Beklagte - habe den Punktwert für anästhesiologische Leistungen
jeweils auf den Interventionspunktwert gestützt und darüber hinaus berücksichtigt, dass allenfalls 50 % der vertragsärztlichen
Leistungen der Klägerin im Primärkassenbereich als F-Leistungen erbracht worden seien. Der übrige Teil sei als
AO-Leistungen mit einem höheren Punktwert vergütet worden, so dass im Rahmen einer Gesamtbetrachtung für alle Leistungen ein
höherer als der Interventionspunktwert erreicht worden sei.
II. Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale I/1996
bis I/1997 rechtmäßig sind. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein höheres als mit den angefochtenen Bescheiden festgesetztes
Honorar.
Die Verfahrensrüge der Klägerin, das Berufungsurteil sei fehlerhaft, weil es keine ausreichenden Entscheidungsgründe enthalte,
greift nicht durch. Sie macht geltend, das LSG habe seine Entscheidung nicht auf die streitgegenständliche Frage einer Punktwertstützung
bei F-Leistungen der Fachgruppe der Anästhesisten im Primärkassenbereich in den Quartalen I/1996 bis I/1997 beschränkt. Auf
diesen (Teil-)Aspekt der Honorarverteilung der Beklagten hat die Klägerin ihre Klage ausdrücklich eingegrenzt. In der Sache
rügt sie damit einen Verstoß gegen §
123 SGG wegen der Missachtung der in der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Dispositionsmaxime (vgl hierzu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Aufl 2005, vor §
60 RdNr 3 sowie Meyer-Ladewig, aaO, § 123 RdNr 1). Diese Rüge ist nicht begründet.
Der Vertragsarzt ist in Honorarstreitverfahren nach der Rechtsprechung des Senats berechtigt, sein Klagebegehren zu beschränken
(vgl BSG SozR 4-1500 § 92 Nr 2 RdNr 7). Dem Honorarteilhabeanspruch der zugelassenen Vertragsärzte liegt ein komplexes und
ausdifferenziertes System der vertragsärztlichen Honorarverteilung zu Grunde (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 12). Deshalb
entspricht es im Regelfall dem Interesse eines klagenden Vertragsarztes an einem zielgerichteten und effektiven Rechtsschutz,
seinen jeweiligen Rechtsbehelf auf diejenigen Maßnahmen und Regelungen der Honorarverteilung zu beschränken, die ihn in seiner
konkreten Situation beschweren. Dies hat das LSG entgegen der Auffassung der Klägerin zutreffend erkannt und ausdrücklich
eine dem Klagebegehren entsprechende, auf die F-Leistungen im Primärkassenbereich beschränkte Teilanfechtungs- und Bescheidungsklage
angenommen. Soweit sich das LSG zum Honorarkontingent für ambulantes Operieren sowie zur allgemeinen Honorarsituation der
Anästhesisten im maßgeblichen Zeitraum äußert, steht dies im Zusammenhang mit der Prüfung einer möglichen Beobachtungs- und
Reaktionspflicht der Beklagten bei einem Punktwertverfall innerhalb einer kontingentierten Honorarverteilung und verletzt
nicht die Vorgaben des §
123 SGG.
Auch in der Sache ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden. Die für die Honorierung der vertragsärztlichen
Leistungen der Klägerin maßgeblichen Bestimmungen im HVM-PK der Beklagten stehen, soweit eine Überprüfung veranlasst ist,
mit Bundesrecht in Einklang.
Rechtsgrundlage für die mit der Klage angegriffenen Honorarverteilungsbestimmungen ist §
85 Abs
4 Satz 1 bis
4 SGB V (hier anzuwenden in der bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes [GRG] vom 20.12.1988, BGBl I
2477). Danach hat die KÄV die Gesamtvergütung nach Maßgabe des HVM an die Vertragsärzte zu verteilen; bei der Verteilung sind
Art und Umfang der medizinischen Leistungen zugrunde zu legen und gleichzeitig sicherzustellen, dass eine übermäßige Ausdehnung
der vertragsärztlichen Tätigkeit verhütet wird.
Bei der Ausformung der satzungsrechtlichen Honorarverteilungsregelungen steht den KÄVen als Normgeber nach der ständigen Rechtsprechung
des Senats eine Gestaltungsfreiheit zu (zusammenfassend dazu BSG - Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 30, mwN; Urteil vom 8.2.2006 - B 6 KA 25/05 R - BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, jeweils RdNr 25). Diese geht typischerweise mit Rechtssetzungsakten einher und wird erst dann rechtswidrig
ausgeübt, wenn die jeweilige Gestaltung in Anbetracht des Zwecks der konkreten Ermächtigung unvertretbar oder unverhältnismäßig
ist (vgl hierzu BVerwGE 80, 355, 370, mwN). Als Rahmenvorgaben sind von den KÄVen dabei der bereits im Gesetzeswortlaut von §
85 Abs
4 Satz 3
SGB V angesprochene Grundsatz der leistungsproportionalen Verteilung der Gesamtvergütung sowie der aus Art
12 Abs
1 iVm Art
3 Abs
1 GG herzuleitende Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit zu beachten. Das bedeutet allerdings nicht, dass gleiche Leistungen
stets gleich vergütet werden müssen (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 48 S 410 f; SozR 4-2500 § 85 Nr 2 RdNr 19). Beide Prinzipien
gelten nur grundsätzlich; eine Abweichung aus sachlichem Grund ist zulässig (vgl BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 6; BSGE 92, 233 = SozR 4-2500 § 85 Nr 9, jeweils RdNr 9).
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der Normgeber des HVM - wie in der entsprechenden Satzung der Beklagten
geschehen - für Arztgruppen und/oder Leistungsbereiche Honorarkontingente festlegen (stRspr; grundlegend BSGE 83, 1 = SozR 3-2500 § 85 Nr 26) und bei deren Bemessung an Leistungs- und Honorarmengen vergangener Zeiträume anknüpfen darf (vgl
BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 14). Dabei zielt die Bildung unterschiedlicher Honorarkontingente für die verschiedenen
Arztgruppen gerade darauf ab, dass sich für diese entsprechend der bei ihnen stattfindenden Steigerung oder Verminderung der
Leistungsmengen unterschiedliche Punktwerte ergeben. Hierdurch soll verhindert werden, dass einzelne Arztgruppen durch eine
Ausweitung ihrer Leistungen ihren jeweiligen Anteil an der Gesamtvergütung zu Lasten anderer Arztgruppen absichern oder vergrößern.
Stattdessen werden durch die Kontingente die Punktwerte in den einzelnen Leistungsbereichen stabilisiert, sodass die Ärzte
ihre vertragsärztlichen Einnahmen sicherer kalkulieren können (BSGE 93, 258 = SozR 4-2500 Nr 12, jeweils RdNr 15). Auch die Überweisungsgebundenheit einer Leistung steht der Zuordnung zu einem Honorarkontingent
nicht entgegen; es können auch Leistungen erfasst werden, die einer Mengenausweitung nicht zugänglich sind (BSG, aaO mwN).
Schließlich ist die Bildung unterschiedlicher Honorarkontingente für Primärkassen und für Ersatzkassen zulässig (vgl hierzu
§
85 Abs
4 Satz 3 2. Halbsatz
SGB V idF von Art 1 des Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte vom 11.12.2001, BGBl I
3526; für den Zeitraum davor vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 34).
Die Klägerin stellt die Rechtmäßigkeit derartiger Honorarverteilungsregelungen auch nicht in Frage. Sie ist vielmehr der Auffassung,
dass die Beklagte angesichts des Punktwertverfalls innerhalb des Honorarkontingents für die F-Leistungen der Anästhesisten
im Primärkassenbereich spätestens ab dem Kalenderjahr 1996 eine Änderung bzw Weiterentwicklung der entsprechenden Honorarverteilungskriterien
im Rahmen ihrer Beobachtungs- und Reaktionspflicht hätte vornehmen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden. Eine Verpflichtung
der Beklagten, angesichts der insgesamt positiven Entwicklung der vertragsärztlichen Honorare für Anästhesisten im streitbefangenen
Zeitraum den Punktwert in einem (Teil-)Kontingent gesondert zu stützen, bestand nicht.
Nach der Rechtsprechung des Senats geht mit der Bildung von Honorarkontingenten eine Beobachtungs- und Reaktionspflicht der
KÄVen als Normgeber einher. Eine Reaktionspflicht bei der Honorarverteilung kann danach gegeben sein, wenn sich bei einer
Arztgruppe ein auf das Honorar mindernd auswirkender dauerhafter Punktwertabfall von mehr als 15 % unter das sonstige Durchschnittsniveau
ergibt, von dem Punktwertverfall ein wesentlicher Leistungsbereich betroffen ist, die dem Punktwertverfall zugrunde liegende
Mengenausweitung nicht von der Arztgruppe selbst zu verantworten ist und die Honorarrückgänge in dem wesentlichen Leistungsbereich
nicht durch andere Effekte kompensiert werden (grundlegend zur Beobachtungs- und Reaktionspflicht: BSGE 83, 1, 4 ff = SozR 3-2500 § 85 Nr 26 S 186 ff; s weiter zB BSGE 93, 258 = SozR 4-2500 § 85 Nr 12, jeweils RdNr 25 ff). Ob aus dem Punktwertverfall in einem wesentlichen Leistungsbereich eine Verpflichtung
der KÄV zur Korrektur der Honorarverteilung folgt, kann damit nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, also unter Einbeziehung
aller einer Arztgruppe zuzuordnenden Honorarkontingente bzw der daraus resultierenden Punktwerte und Honorarbeträge, ermittelt
werden. Das beruht darauf, dass sich der Anspruch eines Vertragsarztes auf Honorarteilhabe aus §
72 Abs
1 Satz 2 iVm §
85 Abs
4 Satz 1 bis
3 SGB V unter der Geltung begrenzter Gesamtvergütungen erst durch sämtliche, einem bestimmten Leistungsbereich zuzuordnende Honorarkontingente
und die für diese Honorarkontingente berechneten Verteilungspunktwerte zu einem der Höhe nach individualisierten Honoraranspruch
konkretisiert. Die isolierte Betrachtung einzelner Honorarkontingente und der dafür auszuzahlenden Punktwerte hingegen kann
die tatsächliche Höhe der Vergütung einer Arztgruppe für deren vertragsärztliche Leistungen regelmäßig nur unzureichend widerspiegeln.
Demgemäß hat der Senat in seinen Entscheidungen zur angemessenen Vergütung vertragsärztlicher Leistungen, bei deren Nichtvorliegen
eine Stützungspflicht der KÄVen gegeben sein könnte, entscheidend auf die durchschnittlichen Gesamteinkünfte einer Arztgruppe
in einem Bezugszeitraum abgestellt (Urteile vom 9.12.2004 - ua BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 140 f; s auch Beschluss vom 23.5.2007 - B 6 KA 85/06 B - juris, RdNr 12). Unter Beachtung dieser Prämissen waren die Voraussetzungen für eine Reaktionspflicht der Beklagten bis
zu dem streitbefangenen Quartal I/1997 noch nicht gegeben.
Einziger und damit zugleich wesentlicher Leistungsbereich der Fachgruppe der Anästhesisten - mit Ausnahme vorwiegend schmerztherapeutisch
tätiger Ärzte - ist die anästhesistische Begleitung ambulanter Operationen. Die Klägerin selbst stellt ihre ärztliche Tätigkeit
als einheitlichen medizinischen (Narkose-)Vorgang dar, der sich unter Gebührengesichtspunkten über den EBM-Ä mit insgesamt
6 Gebührenziffern abschließend erfassen lässt. Hierunter fallen neben der Ordinationsgebühr (Nr 1 EBM-Ä in der bis zum 31.3.2005
geltenden Fassung; im Folgenden: aF, bewertet mit 340/555 Punkten) die Vollnarkose bzw die Verlängerung einer Vollnarkose
(Nr 462 EBM-Ä aF und 463 EBM-Ä aF, bewertet mit 950 bzw 450 Punkten), die Aufwachgebühr (Nr 490 EBM-Ä aF, bewertet mit 320
Punkten), die Zuschlagsziffer für ambulante Operationen (Nr 90 EBM-Ä aF, bewertet mit 1500 Punkten) und - soweit tatsächlich
als vertragsärztliche Leistung von einem Anästhesisten erbracht - die Beobachtung und Betreuung eines Kranken während der
Aufwach- und/oder Erholungszeit bis zum Eintritt der Transportfähigkeit (Nr 63 bis 66 EBM-Ä aF, bewertet mit 900 bis zu 2500
Punkten).
Nach den Feststellungen des LSG sind die F-Leistungen im Primärkassenbereich bei der Fachgruppe der Anästhesisten in den streitbefangenen
Quartalen lediglich mit dem Interventionspunktwert, also mit dem um 25 % verminderten landesdurchschnittlichen Anforderungspunktwert
(zu dessen Anwendbarkeit als Vergleichsbasis vgl BSGE 83, 1, 5 = SozR 3-2500 § 85 Nr 26 S 187), vergütet worden. Im Hinblick auf den begrenzten Anteil, den die nach dem HVM-PK abgerechneten
F-Leistungen an dem Gesamtleistungsbedarf der Gruppe der Anästhesisten generell ausmachen, unter Berücksichtigung bereits
erfolgter Stützungsmaßnahmen der Beklagten sowie angesichts der Gesamtsituation bei der Honorarentwicklung der Anästhesisten
in diesen Quartalen ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte eine Anpassung der fachgruppenbezogenen Honorarkontingente
in diesem Leistungsbereich erst ab dem Quartal II/1997 bezogen auf das Basisjahr 1996 vorgenommen hat.
Die Beklagte hat zunächst in den streitbefangenen Quartalen unmittelbar das Honorarkontingent für die F-Leistungen im Primärkassenbereich
durch die im gesamten Zeitraum erfolgte Stützung des Punktwerts dieser Leistungen so erhöht, dass er jeweils 75 % des landesdurchschnittlichen
Anforderungspunktwertes betragen hat, und das Honorarkontingent auf der Grundlage des erhöhten Umfanges fortgeschrieben. Dadurch
sind tatsächlich höhere Vergütungen ausgezahlt worden, als es dem ursprünglich konzipierten Umfang des Honorarkontingentes
entsprach. Die für diese Stützung erforderlichen Beträge sind vorab aus der Gesamtvergütung entnommen und damit von allen
niedersächsischen Vertragsärzten finanziert worden. Aus diesem Grund trifft die Kritik der Klägerin, die Folgen des Fallzahlanstiegs
bei den Anästhesisten seien allein von dieser Arztgruppe zu tragen gewesen, nicht zu. Hinzu kommt, dass bei ambulanten Operationen
ein großer Teil der Leistungen - nach den Feststellungen des LSG bei der Fachgruppe der Anästhesisten knapp 50 % - im Primärkassenbereich
aus dem Honorarkontingent für
AO-Leistungen und eben nicht aus dem der F-Leistungen mit der Folge deutlich höherer Punktwerte vergütet wurde. Die Beklagte
hat einen weiteren Schritt zur Anhebung des Honorarniveaus der Anästhesisten unternommen, nämlich ab dem Quartal I/1997 für
AO-Leistungen im Primärkassenbereich einen Mindestpunktwert von 8 Pfennigen eingeführt, wobei in diesem Quartal tatsächlich
ein Punktwert von 9,0426 Pfennig gezahlt wurde. Dieser lag knapp 42 % über dem landesdurchschnittlichen Anforderungspunktwert.
Auch die Vergütung der "übrigen Leistungen" im Ersatzkassenbereich, die bei einer Gesamtbetrachtung der Vergütungssituation
nicht außer Acht gelassen werden kann, spricht gegen die Annahme, dass die Beklagte auf Grund der Punktwertentwicklung der
F-Leistungen im Primärkassenbereich mit einer (weiteren) Punktwertstützung hätte reagieren müssen. Die Punktwerte der "übrigen
Leistungen" lagen deutlich über denen der F-Leistungen im Primärkassenbereich und in allen streitbefangenen Quartalen auch
oberhalb des landesdurchschnittlichen Anforderungspunktwertes.
Zu berücksichtigen ist schließlich in diesem Zusammenhang ein weiterer Gesichtspunkt. Durch den zum 1.1.1996 in Kraft getretenen
EBM-Ä sind die Punktzahlbewertungen für die anästhesistischen Leistungen wesentlich angehoben worden. Dies sollte, wie die
Klägerin zu Recht ausführt, zu einer Verbesserung der Vergütung der Anästhesisten führen. Das ist insoweit umgesetzt worden,
als diese Leistungen in das Honorarkontingent der
AO-Leistungen fielen, das einer zusätzlichen Stützung unterlag. Die Beklagte durfte in dieser Situation abwarten, wie sich die
EBM-Ä-Reform auf die Honorarsituation der Anästhesisten auswirkt.
Aus den dargestellten Gesamtmaßnahmen erschließt sich auch die positive Entwicklung des durchschnittlichen Honorarniveaus
der Anästhesisten in den Jahren 1990 bis 1995 trotz eines dauerhaft niedrigen Punktwertes für deren F-Leistungen im Primärkassenbereich.
Die durchschnittlichen Quartalshonorare je Anästhesist sind in diesem Zeitraum um 23 % von 60.861 DM auf 74.590 DM gestiegen,
obwohl im selben Zeitraum die Vertragsärzte im Bereich der Beklagten eine Minderung des durchschnittlichen Quartalshonorars
von 74.955 DM auf 69.939 DM haben hinnehmen müssen.
Die gebotene Gesamtbetrachtung der Abrechnungsergebnisse lässt damit erkennen, dass die Honorarverteilung der Beklagten selbst
unter Berücksichtigung der vom LSG festgestellten Steigerung der Arzt- und Fallzahlen im Bereich der anästhesistischen Begleitung
ambulanter Operationen (von 34,25 Anästhesisten im Jahr 1990 auf durchschnittlich 81,5 Anästhesisten im Jahr 1995 und von
8.752,75 Fällen je Quartal 1990 auf 25.586,25 Fälle je Quartal in 1995) einen dem höheren Leistungsumfang entsprechenden Anstieg
des vertragsärztlichen Honorarumsatzes in der Fachgruppe der Anästhesisten zuließ.
Aus den Reformvorgaben im EBM-Ä zum 1.1.1996 kann die Klägerin ebenfalls keine Handlungspflicht der Beklagten im Hinblick
auf das Honorarkontingent für F-Leistungen im Primärkassenbereich herleiten. Die Vertragspartner des EBM-Ä haben zum 1.1.1996
tiefgreifende Veränderungen der Vergütungsstrukturen in der ambulanten Versorgung eingeleitet (zu den Einzelheiten vgl Fischer,
ErsK 1995, 442). Dies hat ua zu einer Trennung zwischen den Leistungen der Schmerztherapie und denen der Anästhesie sowie
zu teilweise erheblichen Punktzahlanhebungen bei den Anästhesieleistungen geführt. Diese zielten auf die vom Gesetzgeber bereits
in §
85 Abs
3a Satz 6
SGB V eingeleitete Verlagerung von Operationen vom stationären in den ambulanten Sektor. Die Beklagte ist im Rahmen der ihr nach
§
85 Abs
4 Satz 4
SGB V obliegenden Honorarverteilung an diese Regelungen gebunden und darf sich nicht in Widerspruch zu den verbindlichen Vergütungsvorgaben
setzen (vgl BSGE 86, 16, 25 = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 124). Allerdings lässt sich weder den gesetzlichen Vorschriften noch den zum 1.1.1996 reformierten
Bestimmungen des EBM-Ä entnehmen, dass die vertragsärztlichen Leistungen der Fachärzte für Anästhesiologie vollständig von
mengensteuernden Regelungen der Honorarverteilung, wie sie die Zuordnung zu fachgruppen- oder leistungsbezogenen Kontingenten
darstellen kann, freigestellt werden müssten. Der Senat hat bereits früher zum Leistungsbereich des ambulanten Operierens
klargestellt (vgl BSGE 77, 279, 287 = SozR 3-2500 § 85 Nr 10 S 59 und SozR 3-2500 § 85 Nr 12 S 79 f), dass ein solcher Rückschluss auch nicht aus der Tatsache
hergeleitet werden kann, dass kraft Gesetzes in §
85 Abs
3a Satz 6
SGB V das Ausgabenvolumen für diesen Leistungsbereich erhöht worden ist. Eine unmittelbar gesetzlich vorgegebene Punktwertgarantie
hat sich aus §
85 Abs
4a Satz 1
SGB V (idF des 4.
SGB V-Änderungsgesetz vom 4.12.1995, BGBl I 1558) ergeben, wonach die KÄVen im Rahmen ihrer Honorarverteilung sicherstellen mussten,
dass die Ausweitungen der Zahl der abgerechneten Leistungen keine Auswirkungen auf den Punktwert der hausärztlichen Grundvergütung
nach §
87 Abs
2a SGB V aF hatte. Eine vergleichbar strikte Förderungsverpflichtung hat der Gesetzgeber für Leistungen des ambulanten Operierens
nicht normiert.
Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Honorarverteilung der Beklagten im Bereich der anästhesistischen Begleitung ambulanter
Operationen die dargelegten Reformvorgaben des EBM-Ä auch nicht konterkariert. Vielmehr hat die KÄV - wie bereits oben angesprochen
- durch ihre Verteilungsregelungen den über die EBM-Reform ua vermittelten Anreiz, Operationsleistungen vermehrt ambulant
durchzuführen, wesentlich gestützt. Für die Fachgruppe der Anästhesisten wird das daran deutlich, dass die zum 1.1.1996 neu
eingeführte und mit 950 Punkten relativ hoch bewertete Nr 462 EBM-Ä aF für eine Vollnarkose sowie die von 550 auf 1500 Punkte
aufgestockte Zuschlagsziffer Nr 90 EBM-Ä aF für ambulante Operationen kassenartenübergreifend als
AO-Leistungen bewertet und dementsprechend in allen streitbefangenen Quartalen mit einem Punktwert vergütet worden sind, der
deutlich über demjenigen für F-Leistungen der Fachgruppe im Primärkassenbereich gelegen hat. Insoweit hat die Beklagte davon
ausgehen können, ihre entsprechende Honorarkontingentierung werde im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nicht zu Lasten des Punktwertes
für die überweisungsabhängigen Anästhesieleistungen gehen. Auch vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass die
KÄV eine Anpassung ihrer Honorarverteilungsregelungen erst nach dem hier streitbefangenen Zeitraum vorgenommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 und 4
SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).