Vergütung vertragsärztlicher Leistungen; Bewilligung von Budgeterhöhungen bzw. Budgeterweiterungen bei der vermehrten Durchführung
ambulanter Operationen
Gründe:
I
Streitig ist das Begehren der Klägerin auf Erhöhung des ihrer Praxis zugeordneten sog individuellen Punktzahlvolumens (Individualbudgets).
Die Klägerin, eine Anästhesistin, ist seit 1992 vertragsärztlich tätig. Das ihrer Praxis zugeordnete Individualbudget wurde
2003 auf ca 430.000 Punkte festgelegt und 2004 auf ca 480.000 Punkte erhöht; später - im Prozess - ist es für 2005 weiter
auf 551.000 Punkte angehoben worden.
Die Klägerin beantragte, das ihrer Praxis zugeordnete Individualbudget weiter zu erhöhen bis zur fachgruppendurchschnittlichen
Höhe von 692.598 Punkten. Sie begründete ihren Antrag damit, dass sie sich nach dem Älterwerden ihrer Kinder nunmehr ihrer
Praxis wieder voll widmen könne und es zudem im weiteren Umfeld eine neue Klinik (...) gebe, für die sie anästhesiologische
Leistungen erbringen wolle bzw seit 2004 auch erbringe.
Ebenso wie die beklagte Kassenärztliche Vereinigung und das Sozialgericht hat auch das Landessozialgericht (LSG) eine weitere
Erhöhung des Individualbudgets abgelehnt (Urteil des LSG vom 9.4.2008): Dessen Erhöhung könne gemäß § 7 Abs 9 Honorarverteilungsmaßstab
(HVM) nur aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung erfolgen. Ein zusätzlicher Mehrbedarf bestehe aber nicht - auch nicht
durch die neue Klinik -. Der Leistungsbedarf sei vielmehr rückläufig, und die Fallzahlen seien tendenziell gleichbleibend.
Der Versorgungsbedarf der Klinik sei kein äußerer Umstand, der die Klägerin zur Leistungsvermehrung nötige und deshalb eine
Erhöhung des Individualbudgets rechtfertigen könne. Sie habe vielmehr eigenverantwortlich die Tätigkeit für die Klinik übernommen.
Diese sei nicht im Krankenhausbedarfsplan ausgewiesen; es handele sich um ein auf ambulante gynäkologische Eingriffe zugeschnittenes
Operationszentrum, mit dem sich ein Gynäkologe ein neues Tätigkeitsfeld erschlossen habe. Ein Erhöhungsanspruch ergebe sich
auch nicht aus Härtegründen. Ein atypischer oder nicht vorhersehbarer Fall liege nicht vor. Was den anderen von der Klägerin
geltend gemachten Gesichtspunkt - bisherige Kindererziehung - betreffe, so bestehe kein Gebot, alle aus Mutterschaft und Kindererziehung
resultierenden beruflichen und wirtschaftlichen Belastungen auszugleichen. Eine Heranziehung etwa des §
95 Abs
11a und
11b SGB V könne eine Sonderbehandlung nur für drei Jahre je Kind begründen, sodass sich auch daraus angesichts der Geburtsjahre der
Kinder 1982 und 1986 nichts zugunsten der Klägerin herleiten ließe.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG), entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Ihre Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung
sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich)
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-1500 § 153
Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt
ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar
beantworten lässt (hierzu s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21
S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Anforderungen sind
verfassungsrechtlich unbedenklich (s die Bundesverfassungsgerichts [BVerfG]-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13
sowie BVerfG [Kammer] SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).
1. Nach diesen Maßstäben kommt der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie formuliert
mit Blick auf § 7 Abs 9 HVM (heute inhaltlich vergleichbar mit dem §
6 Abs
1 Buchst b des Vertrages gemäß §§
87 ff
SGB V, Rheinisches Ärzteblatt 2009, 58, 64) die Rechtsfrage,
"ob die Erbringung stationsersetzender Leistungen eine Ausnahme von der Regelung der Honorierung im HVM darstellt" (Beschwerdebegründung
S 1).
Die so gefasste - in ihrer Bedeutung so nur schwer erfassbare - Rechtsfrage bedarf, um eine Grundlage für die Beurteilung
ihrer grundsätzlichen Bedeutung zu bieten, zunächst der Auslegung. Aus den übrigen Ausführungen in der Beschwerdebegründung
ergibt sich, dass die Klägerin die Rechtsfrage aufwirft, ob für ambulante operative Leistungen im Hinblick darauf, dass diese
stationär zu erbringende Leistungen ersetzen (können), aus Sicherstellungsgründen gemäß § 7 Abs 9 HVM ein Zuschlag auf das
Individualbudget zu bewilligen ist.
Diese Frage ist indessen nicht klärungsbedürftig. Denn (a) in ihren Grundzügen geklärt sind sowohl die Maßstäbe für die Bewilligung
von Erhöhungen eines Individualbudgets gemäß einer Regelung wie § 7 Abs 9 HVM als auch die Honorarfragen im Zusammenhang mit
der vermehrten Erbringung ambulanter Operationen. Wird mit Blick auf die bereits geklärten Eckpunkte berücksichtigt, (b) welche
Feststellungen im Berufungsurteil getroffen worden sind, so ist (c) ein Bedarf für weitere grundsätzliche Klärungen nicht
ersichtlich.
a) Nach der Rechtsprechung des BSG sind auf der Grundlage von Bestimmungen wie § 7 Abs 9 HVM Budgeterhöhungen bzw -erweiterungen
einem Arzt dann zu bewilligen, wenn er entweder seine Praxis in seiner Struktur neu ausrichtet auf Leistungen, die er bisher
nicht angeboten hat und für die ein Versorgungsbedarf besteht, oder - ohne Neuausrichtung seiner Praxis - wenn die von ihm
angebotenen Leistungen plötzlich dadurch erheblich mehr nachgefragt werden, weil ein anderer Versorger ausfällt (vgl BSGE
83, 52, 61 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 210 zur Änderung der Behandlungsausrichtung von allgemeinzahnärztlicher zu oral-chirurgischer
Tätigkeit; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 30, 32 zu einer Praxisstruktur, die durch operative Tätigkeit vom Durchschnitt
der Arztgruppe deutlich abweicht; BSGE 83, 52, 61 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 210 zum plötzlichen Tod eines Kieferorthopäden in einer kleineren Stadt). Unzureichend ist
hingegen eine bloße Verlagerung des Leistungsschwerpunkts ohne strukturelle Änderungen, zB von traditionell zahnärztlichen
zu zahnerhaltenden Behandlungen oder zu vermehrten Wurzelbehandlungen (BSG USK 99119 S 689). Die Härtefall-Zuerkennung erfordert
im Übrigen außer dem Vorliegen eines besonders gelagerten Einzelfalls auch eine Ermessensausübung, die aber nur dann zur Bewilligung
einer Budgeterhöhung führen darf, wenn sowohl die wirtschaftliche Existenz der Praxis gefährdet ist als auch ein unabweisbarer
Bedarf zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung besteht.
Zu Honorierungsfragen speziell im Zusammenhang mit der vermehrten Erbringung ambulanter Operationen hat das BSG ebenfalls
bereits grundsätzliche Klärungen vorgenommen. Es hat sich mit verschiedenen gesetzlichen Regelungen befasst, die darauf ausgerichtet
sind, dass Operationsleistungen vermehrt ambulant durchgeführt werden. In einem Urteil hat es dazu ausgeführt, dass aber eine
Verpflichtung, die Leistungen des ambulanten Operierens auch honorarmäßig zu fördern, nicht normiert worden ist (vgl BSG SozR
4-2500 § 85 Nr 40 RdNr 28 f). Das BSG hat bereits in den 1990er Jahren ausgeführt, dass sachgerechterweise eine Verlagerung
ursprünglich stationärer Leistungen in den ambulanten Bereich mit einer entsprechenden Erhöhung der Gesamtvergütungen einhergehen
müsste (vgl BSGE 76, 59, 65 f = SozR 3-5520 § 20 Nr 1 S 8). Ein Anspruch eines Vertragsarztes, im Falle vermehrter ambulanter Operationen bzw der
Mitwirkung daran höheres Honorar zu Lasten der übrigen Vertragsärzte zu erhalten, kann aber grundsätzlich nicht in Betracht
kommen (vgl hierzu BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 12 S 81 unten). Dies könnte allenfalls dann anders sein, wenn insoweit ein Versorgungsbedarf
konkret festgestellt wäre, was vorliegend nach den Ausführungen des LSG im Berufungsurteil indessen nicht der Fall ist.
b) Das LSG hat einen zusätzlichen Versorgungsbedarf für ambulante Operationen im vorliegenden Fall der Klägerin gerade verneint.
Es hat ausgeführt, ein gestiegener Bedarf der Versicherten an ambulanten Operationen - und damit zugleich an den von der Klägerin
erbrachten Anästhesieleistungen - sei nicht feststellbar. Der in der Tagesklinik tätige Gynäkologe habe für sich ein neues
Tätigkeitsfeld erschlossen und die Klägerin habe sich dem in freier Entscheidung angeschlossen, indem sie die dort nun erforderlichen
anästhesiologischen Leistungen erbringe. Eine Ausrichtung auf einen gesteigerten Bedarf der Versicherten der gesetzlichen
Krankenkassen an ambulanten gynäkologischen Leistungen sei nicht feststellbar. Es bleibe die Ausrichtung primär auf die wirtschaftliche
Existenz der Klinik bzw auf den Verdienst des dort tätigen Gynäkologen und der hinzugezogenen Anästhesisten. Auf der Grundlage
dieser Feststellungen des LSG ist kein ausreichender Ansatzpunkt für die Annahme gegeben, es könnte ein Versorgungsbedarf
für ambulante Operationen - und damit auch für vermehrte Anästhesieleistungen - gegeben sein, der zudem so gewichtig ist,
dass deshalb der Klägerin eine Honorarerhöhung, die zu Lasten anderer Vertragsärzte ginge, zu bewilligen sei.
c) Vor diesem tatsächlichen Hintergrund ist ein Bedarf an weiteren grundsätzlichen Klärungen über diejenigen hinaus, die -
wie unter a) dargestellt - in der Rechtsprechung des BSG bereits erfolgt sind, nicht ersichtlich.
Sollte die Klägerin im Übrigen meinen, ihr könne im Ermessenswege (§ 7 Abs 9 HVM: "kann") eine Budgeterhöhung gewährt werden,
ist daran zu erinnern (vgl oben a), dass eine solche Ermessensentscheidung eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der
Praxis und das Vorliegen eines unabweisbaren Versorgungsbedarfs voraussetzt (§ 7 Abs 9 HVM: "kann ... aus Sicherstellungsgründen
..."). Zudem können Fragen der richtigen Ermessensausübung im Regelfall nicht über den Einzelfall hinaus zu grundsätzlichen
Klärungen führen.
2. Keines Eingehens bedarf es auf die Ausführungen der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung, es liege ein Subsumtionsfehler
vor (Beschwerdebegründung S 4). Denn eine fehlerhafte Subsumtion ergäbe nur einen Rechtsfehler im Einzelfall, nicht aber die
grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3, § 40 Gerichtskostengesetz. Seine Bemessung erfolgt entsprechend der Berechnung der Vorinstanz, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden
ist (s Streitwertfestsetzung laut Sitzungsniederschrift des LSG vom 9.4.2008).