Fortbestand einer Gemeinschaftspraxis bei schwebender Auseinandersetzung um Forderungen und Verbindlichkeiten; Ermächtigung
der Kassenärztlichen Vereinigung zu Sicherungseinbehalten im Honorarverteilungsmaßstab; Verfassungsmäßigkeit
Gründe:
I
Streitig ist, ob die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) Honorarauszahlungen wegen geltend gemachter Gegenansprüche
über mehrere Jahre einbehalten darf.
Die Klägerin ist eine Labor-Gemeinschaftspraxis, die in den 1990er Jahren bis 2006 aus den zwei Laborärzten Dres. R. und K.
bestand. Gegen Dr. R. wurden im Jahr 1998 ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren - mit sechswöchiger Untersuchungshaft
- und in 1999/2000 ein Verfahren auf Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung eingeleitet. Das staatsanwaltliche
Verfahren führte im Jahr 2003 zur Anklageerhebung. Im November 2005 verurteilte das Landgericht Mannheim ihn wegen Betruges
in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, die es zur Bewährung aussetzte, und zu einer Gesamtgeldstrafe
von 1 Mio Euro. Dem lag der Vorwurf der Falschabrechnung zugrunde. Dr. R. habe in den vier Quartalen IV/1996 bis III/1997
in zahlreichen Behandlungsfällen die bei bestimmten Untersuchungen je Behandlungsfall bestehenden Abrechnungsobergrenzen betrügerisch
umgangen. Bei größeren Untersuchungsaufträgen in einem Behandlungsfall habe er im Zusammenwirken mit seinen Mitarbeitern und
dem jeweils überweisenden Arzt durch sog Scheinsplitting den Anschein mehrerer in größerem zeitlichen Abstand erteilter Untersuchungsaufträge
erweckt. Im Zuge des Strafverfahrens zahlte Dr. R. 3,5 Mio Euro an die KÄV, um - so die Feststellungen im Urteil des Landgerichts
Mannheim vom 17.11.2005 - ein Zeichen der Einsicht und des guten Willens zu setzen, und gab die Erklärung ab, zum 30.6.2006
auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zu verzichten.
Damals und später kam der Verdacht noch weiterer Unregelmäßigkeiten auf. So wurde die Klägerin verdächtigt, Honorarzahlungen
von ca 6,7 Mio Euro im Jahr 2002 und von ca 20 Mio Euro in den Jahren 2003 bis 2006 erhalten zu haben, die ihr jeweils wegen
nicht genehmigter Beschäftigung von Assistenten nicht zugestanden hätten. Deswegen wurde ein weiteres Strafverfahren eingeleitet.
Ferner kam der Verdacht auf, sie müsse 1,7 Mio Euro wegen sachlich-rechnerischer Richtigstellungen für die Quartale II/1997
bis III/2000 und ca 235.000 Euro wegen weiterer sachlich-rechnerischer Richtigstellungen erstatten (vgl LSG-Akten Bl 283 -
293 und 329 und LSG-Urteil S 17 f).
Ab dem 1.7.2006 führte Dr. K. die Praxis allein weiter.
Im vorliegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen den Honorarbescheid vom 15.1.2001, mit dem die Beklagte ihr einerseits
Honorarauszahlungen für das Quartal III/2000 bewilligte, andererseits ihr die Auszahlung fälliger Nachvergütungen von ca 755.000
Euro für die Quartale III und IV/1999 versagte, weil sie diese zur vorläufigen Sicherung geltend gemachter Gegenforderungen
einbehielt. Die Beklagte berief sich für diesen Einbehalt auf § 9 Buchst e des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) in der Fassung
vom 17.5.2000, die 2008 noch gegolten hat. Mit ihrem Widerspruch blieb die Klägerin ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom
9.9.2003).
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Auszahlung der einbehaltenen ca 755.000 Euro verurteilt (Urteil vom 31.7.2006): Zweifelhaft sei, ob
eine HVM-Regelung zu solchem Einbehalt ermächtigen könne. Jedenfalls sei der Einbehalt unverhältnismäßig; eine "vorläufige"
Sicherung im Sinne des § 9 Buchst e HVM sei nach so langer Zeit nicht mehr gegeben. Das SG hat das Begehren der Klägerin auf weitergehende Zahlungen abgewiesen.
Berufung ist zunächst sowohl von der Klägerin als auch von der Beklagten eingelegt worden; die Klägerin hat ihre Berufung
im Januar 2007 wieder zurückgenommen. Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens erließ die Beklagte einen neuen Bescheid
vom 7.5.2008: Die Nachvergütungen für die Quartale III und IV/1999 seien weiterhin einzubehalten, und zwar auf der Grundlage
des § 6 Abs 8 der Abrechnungs-Richtlinien, zur Sicherung der zahlreichen Gegenforderungen, insbesondere derer wegen ungenehmigter
Beschäftigung von Assistenten in den Quartalen I bis IV/2002 (ca 6,7 Mio Euro) und in den Jahren von 2003 bis 2006 (ca 20
Mio Euro). Das Sicherungsbedürfnis bestehe, weil Dr. R. nicht mehr Vertragsarzt sei und das Gleiche bei Dr. K. aufgrund des
gegen ihn eingeleiteten Zulassungsentziehungsverfahrens zu befürchten sei.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG geändert und die Klage in vollem Umfang - auch soweit sie sich gegen den Bescheid vom 7.5.2008 gerichtet hat - abgewiesen
(Urteil vom 4.6.2008). Es hat den Sicherungseinbehalt, den die Beklagte mit Bescheid vom 15.1.2001 vorgenommen und durch den
Bescheid vom 7.5.2008 weiterhin abgesichert habe, als rechtmäßig erachtet. Der Einbehalt habe seine Grundlage in den Regelungen
des HVM (§ 9 Buchst e bzw - nach dem Zulassungsverzicht des Dr. R. - §
8 Buchst d HVM). Diese Bestimmungen seien von der Ermächtigungsgrundlage des §
85 Abs
4 SGB V gedeckt. Der Einbehalt sei auch nicht unverhältnismäßig. Eine Übersicherung könne der Beklagten nicht vorgeworfen werden,
denn erhebliche Rückforderungen aus fehlerhaften Abrechnungen bzw Falschabrechnungen hätten in Rede gestanden und stünden
immer noch im Raum. Dabei seien Rückforderungen wegen Abrechnungsbetrugs - betr die Quartale IV/1996 bis III/1997 - noch nicht
berücksichtigt, ebenso wenig Forderungen aus damals noch anhängigen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren. Ferner sei durch
Bescheid vom 30.12.2004 eine weitere Forderung von ca 2,2 Mio Euro wegen Richtigstellung der Nr 4468 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs
für vertragsärztliche Leistungen festgesetzt worden.
Eine Unverhältnismäßigkeit ergebe sich auch nicht aus der von Dr. R. Ende 2005 geleisteten Akonto-Zahlung von 3,5 Mio Euro,
die "zur Schadenswiedergutmachung" erfolgt und dementsprechend - auch aufgrund des Zusammenhangs mit dem damals anhängigen
Strafverfahren wegen Abrechnungsbetrugs - als Zahlung auf Forderungen aus der Zeit bis zum Quartal IV/1996 zu werten sei.
Die Dauer des Einbehalts sei nicht unangemessen lang. Der Begriff "vorläufige Sicherung" in § 9 Buchst e HVM bezeichne keine
Zeitdauer, sondern setze einen Schwebezustand bis zur endgültigen Entscheidung und ein Sicherungsbedürfnis der KÄV voraus.
Bei der Anwendung dieser Bestimmung sei die Komplexität der Angelegenheit zu berücksichtigen, die durch stets neue tatsächliche
und rechtliche Schwierigkeiten bei der Aufklärung sowie immer wieder neu entdeckte weitere Unregelmäßigkeiten der Klägerin
geprägt sei.
Der Sicherungseinbehalt diene der Honorarverteilung im Sinne einer Vorstufe für die spätere Durchsetzung von Honorarberichtigungen.
Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz liege nicht vor. Die Dauer des Einbehalts sei vor dem Hintergrund der
ganz erheblichen Schadenssummen nicht unangemessen lang.
Der Einbehalt aufgrund des Bescheides vom 15.1.2001/9.9.2003 gründe sich auf § 9 Buchst e HVM. Außer dieser Bestimmung, die
bei Anhängigkeit von Zulassungsentziehungsverfahren, Anklagen und Strafurteilen wegen Abrechnungsbetrugs anzuwenden sei, habe
seit dem 2006 erklärten Zulassungsverzicht von Dr. R. § 8 Buchst d HVM als weitere Einbehaltensgrundlage zur Verfügung gestanden,
die den Einbehalt nunmehr zusätzlich stütze.
Ebenfalls abzuweisen sei die Klage gegen den während des Berufungsverfahrens neu erlassenen Bescheid vom 7.5.2008 (LSG-Urteil
S 33 ff). Dieser Bescheid, mit dem die Beklagte erneut einen Sicherungseinbehalt erklärt habe - nunmehr aufgrund des §
6 Nr 8 ihrer Abrechnungs-Richtlinien -, sei gemäß §
96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, und er sei rechtmäßig. Aufgrund des §
6 Nr 8 der Abrechnungs-Richtlinien habe die Beklagte einen Sicherungseinbehalt für Schadensersatzansprüche erklären dürfen,
die sie aufgrund sachlich-rechnerischer Richtigstellungen wegen ungenehmigter Beschäftigung von Assistenten in den Quartalen
I bis IV/2002 festgesetzt habe (s Bescheide vom 12.10.2006 und vom 28.3.2007); zudem sei auch der in § 6 Nr 8 aaO angeführte
Fall staatsanwaltlicher Ermittlungen bei dringendem Tatverdacht wegen Abrechnungsbetrugs gegeben.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht die Klägerin Verfahrensmängel und die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Parteistellung als Klägerin und Beschwerdeführerin kommt im vorliegenden Verfahren weiterhin der Gemeinschaftspraxis zu.
Denn die Gesellschaft gilt für schwebende Auseinandersetzungen um Forderungen und Verbindlichkeiten als fortbestehend (§
730 Abs
2 Satz 1
BGB, vgl dazu Bundessozialgericht [BSG] SozR 4-2500 §
87 Nr
15 RdNr 14 und BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31 RdNr 11).
Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen (unten 1.) wie auch ihre Rügen grundsätzlicher Bedeutung (unten 2.) sind unbegründet.
1. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG) sind zwar zulässig, aber unbegründet.
a) Die Rüge, das LSG habe zu Unrecht den Bescheid vom 7.5.2008 gemäß §
96 Abs
1 SGG in das Verfahren einbezogen (Beschwerdebegründung S 6 ff), ist unbegründet. Denn die Voraussetzungen des §
96 Abs
1 SGG (in der seit dem 1.4.2008 geltenden Fassung) sind erfüllt gewesen. Danach wird ein neuer Verwaltungsakt dann Gegenstand des
Verfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder
ersetzt. Ein solcher Fall liegt vor. Denn der Regelungsgegenstand des neuen Bescheides vom 7.5.2008 war mit demjenigen vom
15.1.2001/9.9.2003 zum Teil identisch. Beide sprachen einen Einbehalt der Nachvergütungen für die Quartale III und IV/1999
aus, wenn auch unter Verweisung auf unterschiedliche Gegenforderungen. Insofern regelte der neue Bescheid - jedenfalls teilweise
- dasselbe Rechtsverhältnis wie der bisherige, er beeinflusste den bereits anhängigen Prozessstoff (zu diesen Kriterien der
Identität des Regelungsgegenstandes und der Regelung desselben Rechtsverhältnisses vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
96 RdNr 4a und 5, jeweils mit Rspr-Angaben; ebenso BSG, Senatsurteil vom 23.2.2005 - B 6 KA 45/03 R - SozR 4-1500 § 86 Nr 2 RdNr 10 mwN). Insofern hat der Fall eines teilweise ändernden - genauer: modifizierenden - neuen
Bescheides vorgelegen, der von §
96 Abs
1 SGG erfasst wird (zum modifizierenden Bescheid als Unterfall eines ändernden oder ersetzenden Bescheides vgl BSG, aaO, RdNr 11
am Ende).
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für die Anwendung des §
96 Abs
1 SGG unschädlich, dass die Bescheide auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen gestützt sind, vielmehr ist entscheidend, dass die
Verfügungssätze beider Bescheide denselben Honorareinbehalt betreffen (vgl Leitherer, aaO, RdNr 4a und BSG, aaO, RdNr 10,
jeweils mwN). Die Beifügung einer Rechtsbehelfsbelehrung, die auf die Einlegung eines Widerspruchs lautet, hindert die Anwendung
des §
96 Abs
1 SGG nicht (vgl Behrend in Hennig [Hrsg],
SGG, §
96 RdNr
13 aE, 82). Unschädlich ist ferner, dass das LSG einen "ersetzenden" statt eines modifizierenden Bescheides angenommen hat.
Dies ist nur eine unschädliche falsche Bezeichnung ("falsa demonstratio non nocet"); ein Fall unzulässiger analoger Anwendung
des §
96 SGG liegt nicht vor (zur Unzulässigkeit analoger Anwendung schon vor der Gesetzesänderung zum 1.4.2008 siehe BSG, aaO, RdNr 13
aE mwN).
b) Ebenfalls unbegründet ist die weitere Verfahrensrüge, das LSG habe keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme zu
den von ihm zugrunde gelegten Tatsachen und Beweisergebnissen gegeben. Die damit erhobene Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs
(§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) greift nicht durch.
Dies betrifft zunächst die Beanstandung, das LSG sei aufgrund der Forderungsübersichten, die die Beklagte erst in der mündlichen
Verhandlung eingereicht habe, unerwartet von einem fortlaufenden Sicherungsinteresse ausgegangen (Beschwerdebegründung S 9
iVm 13 ff). Dieser Vorhalt ist erfolglos. Wesentlicher Inhalt der Übersichten sind Forderungen der Beklagten gegen die Klägerin
gewesen, die bereits früher Gegenstand schriftsätzlicher Erörterungen gewesen waren; und der Klägerin ist bekannt gewesen,
dass das LSG diese Übersichten angefordert hatte. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat sich mithin sowohl auf den Inhalt
der Forderungsübersichten einstellen als auch damit rechnen können und müssen, dass angesichts der Vielzahl und der Größenordnung
der Forderungen ein erhebliches - auch fortbestehendes - Sicherungsinteresse angenommen werden könnte.
Ohne Erfolg ist das Vorbringen der Klägerin, von den in den Übersichten aufgeführten Forderungen seien überhaupt nicht so
viele offen gewesen, dass sie das fortbestehende Sicherungsinteresse überhaupt noch hätten tragen können. Deshalb sei es sachlich
verfehlt, dass das LSG dieses Sicherungsinteresse trotzdem auf die Forderungsübersichten gestützt habe; dies sei dadurch zugleich
unerwartet und überraschend gewesen. Hätte das LSG sie - die Klägerin - auf die von ihm beabsichtigte Interpretation hingewiesen,
hätte sie es auf seine Fehlsicht hingewiesen, sodass das der Fehler vermieden worden wäre. Diese Ausführungen können indessen
aus zwei Gründen einen Verfahrensmangel der Gehörsverletzung nicht begründen:
Zum einen wird mit diesem Vorbringen die Pflicht zur Gehörsgewährung (erst) daran festgemacht, dass ein Inhaltsfehler vorgelegen
habe; dieser wäre bei Gehörsgewährung - und dadurch veranlasster Stellungnahme der Klägerin - vermieden worden. Eine solche
Argumentation, die eine Gehörsgewährungspflicht daraus herleitet, dass ein Inhaltsfehler vorliege, würde letztlich dazu führen,
im Rahmen einer Gehörsrüge eine inhaltliche Überprüfung des angefochtenen Urteils zu eröffnen, was über den Gegenstand der
Verfahrensrüge der Gehörsverletzung hinausginge (vgl dazu zB BVerfGE 64, 1, 12; 80, 269, 286; 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 3 f mwN).
Zum anderen kann auch schwerlich angenommen werden, dass - wie es für einen Erfolg der Gehörsrüge erforderlich ist - das LSG
aufgrund des Vorbringens der Klägerin, das diese bei Gewährung der von ihr vermissten Gelegenheit zur Stellungnahme vorgebracht
hätte, zu einem anderen Urteilsspruch gelangt wäre (vgl BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5 S 35 mwN). Die Klägerin benennt als gegen sie gerichtete "echte Honorarrückforderungen" schon
ihrerseits Beträge von ca 2,9 Mio Euro (Beschwerdebegründung S 13 f, - unklar ist indes der Aussagewert des Satzes auf S 14:
"Von offenen Forderungen ... kann somit keine Rede sein."). Außerdem standen noch Rückforderungen gegen die Klägerin wegen
nicht genehmigter Beschäftigung von Assistenten im Raum, die ca 6,7 Mio Euro für das Jahr 2002 und ca 20 Mio Euro für die
Jahre 2003 bis 2006 betragen hatten, wie oben ausgeführt worden ist. Vor diesem Hintergrund ist nicht plausibel, dass das
LSG aufgrund des vorgenannten Vorbringens der Klägerin jegliches fortbestehende Sicherungsinteresse am weiteren Einbehalt
der Nachvergütung von ca 755.000 Euro für die Quartale III und IV/1999 verneint hätte. Mithin fehlt es an der für einen Erfolg
der Gehörsrüge erforderlichen Voraussetzung, dass das LSG aufgrund des Vorbringens der Klägerin, dass diese bei Gewährung
der von ihr vermissten Gelegenheit zur Stellungnahme vorgebracht hätte, zu einem anderen Urteilsspruch gelangt wäre.
Eine Gehörsverletzung kann schließlich auch nicht daraus abgeleitet werden, dass das LSG (Urteil S 20 f) die von Dr. R. Ende
2005 "zur Schadenswiedergutmachung" geleistete Akonto-Zahlung von 3,5 Mio Euro als Leistung auf Forderungen aus der Zeit bis
zum Quartal IV/1996 gewertet hat (Beschwerdebegründung S 9 iVm 10 ff). Die Klägerin gibt selbst an, dass bereits darüber gestritten
worden sei, ob die Zahlung für die Zeit bis zum Quartal IV/1996 oder für die Zeit ab dem Quartal IV/1996 erfolgt sei (aaO,
S 13 und Schriftsatz vom 12.1.2009 S 8). Also hat die Klägerin mit der Deutung als Zahlung für die Zeit bis zu diesem Quartal
rechnen müssen.
Im Übrigen lässt diese Deutung (LSG-Urteil S 21), gegen die die Klägerin keine weitere Rüge erhoben hat, auch in inhaltlicher
Hinsicht keinen Ansatzpunkt für eine bundesrechtliche Beanstandung erkennen. Die Sachverhaltsfeststellung und -würdigung ist
einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich und mithin nicht zu beanstanden; sie könnte im Übrigen ohnehin nur
im Falle einer über einen Subsumtionsfehler hinausgehenden grundsätzlichen Bedeutung zu der von der Klägerin begehrten Revisionszulassung
führen.
2. Die von der Klägerin erhobenen Rügen grundsätzlicher Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) sind ebenfalls unbegründet.
Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Ihre Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung
sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich)
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG
SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn
sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt
(hierzu s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR
3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich
(s die BVerfG-Angaben in BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG [Kammer] SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f).
Nach diesen Maßstäben kommt den von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen, soweit sie überhaupt klärungsfähig (entscheidungserheblich)
sind, keine grundsätzliche Bedeutung zu.
a) Dies gilt zunächst für die - hier verkürzt wiedergegebene - Rechtsfrage,
ob für die Regelung eines Sicherungseinbehalts in einem HVM eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage in §
85 Abs
4 SGB V vorhanden ist (Beschwerdebegründung S 16 ff).
Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig. Die Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot sind im Zusammenhang mit Honorarverteilungsregelungen
bereits im Grundsätzlichen geklärt. Das BSG hat wiederholt zur Frage hinreichender Bestimmtheit des §
85 Abs
4 SGB V Stellung genommen (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 §
72 Nr 2 RdNr 28, 29; daran anknüpfend BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 19 RdNr 14 und BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 37 RdNr 11). Diese Ausführungen
sind, ohne dass es dafür der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf, auf die Frage übertragbar, ob diese Vorschrift in
hinreichender Weise zur Regelung eines Sicherungseinbehalts im HVM ermächtigt. Dies ist zu bejahen. Insoweit besteht ein ausreichender
Bezug zu dem der Rechtsnorm zugrundeliegenden Ziel gerechter Honorarverteilung, nämlich Wahrung der Interessen der übrigen
Vertragsärzte am Erhalt des ihnen zustehenden Honorars und an der Rückführung übermäßiger Entnahmen durch andere - falsch
abrechnende - Vertragsärzte sowie an der Erfüllung von Erstattungs- und Schadensersatzpflichten. Insofern haben Honorareinbehalte
einen ausreichenden Bezug zur Honorarverteilung. Dies hat das LSG in seinem Urteil (S 28, 29) zutreffend ausgeführt; darauf
wird verwiesen.
Die daraus erwachsenden Beschränkungen sind auch mit Art
12 Abs
1 GG vereinbar. Denn es handelt sich um eine Regelung nur der Berufsausübung - und nicht der Berufswahl -, die unter erleichterten
Voraussetzungen einschränkbar ist. Die Grenzen, denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des
BSG Beschränkungen aufgrund des Art
12 Abs
1 Satz 2
GG unterliegen, sind gewahrt (zu den mit Art
12 und
14 GG vereinbaren Zielen gerechter Honorarverteilung s zB BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, jeweils RdNr 27, 30; BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, jeweils RdNr 23, 27; zu den zulässigen Beschränkungen desr Art
12 und
14 GG s weiterhin BSGE 100, 43 = SozR 4-2500 § 95 Nr 14, jeweils RdNr 11, 13; BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, jeweils RdNr 37; - je mit Nachweisen zur Rspr des BVerfG).
b) Grundsätzlich bedeutsam sind auch nicht die von der Klägerin aufgeworfenen - hier ebenfalls verkürzt wiedergegebenen -
Rechtsfragen,
ob die Regelung eines Sicherungseinbehalts in einem HVM, die einen zeitlich unbegrenzten Einbehalt in unbegrenzter Höhe für
lediglich mögliche Erstattungsansprüche vorsieht, ohne dass die KÄV dafür konkrete Gegenforderungen anführen muss, mit den
Bestimmtheitsanforderungen vereinbar ist (Beschwerdebegründung S 27 ff),
und
ob die Regelung eines Sicherungseinbehalts in einem HVM, die einen zeitlich unbegrenzten Einbehalt in unbegrenzter Höhe für
lediglich mögliche Erstattungsansprüche vorsieht, ohne dass die KÄV dafür konkrete Gegenforderungen anführen muss, mit dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist (Beschwerdebegründung S 31 ff).
Diese Fragen sind in dieser abstrakten Formulierung vor dem Hintergrund der Umstände des vorliegenden Falles nicht klärungsfähig
(entscheidungserheblich). Die Fragen stellen sich in dieser Form hier nicht. Relevant für den vorliegenden Fall ist allein,
ob ein HVM einen Honorareinbehalt für solche Fälle über Jahre hinweg vorsehen kann, in denen weitaus höhere mögliche Gegenforderungen
der KÄV gegen den Arzt - ebenfalls über Jahre hinweg - im Raum stehen. Diese Frage ist ohne Weiteres zu bejahen. Ein solcher
Honorareinbehalt dient dem Interesse der Vertragsärzteschaft daran, die allen Ärzten zustehenden Gesamtvergütungen gerecht
zu verteilen und die Ärzteschaft gegen Honorarausfälle abzusichern, indem Honorarauszahlungen an Ärzte, die später möglicherweise
ihrerseits zu Rückzahlungen verpflichtet sind, bis zur abschließenden rechtlichen Klärung einstweilen einbehalten werden.
Dieses Interesse stellt einen ausreichend gewichtigen Sachgrund dar, um die Beschränkungen der durch Art
12 Abs
1 GG geschützten beruflichen Betätigungsfreiheit zu rechtfertigen (vgl hierzu die Ausführungen unter zuvor a).
Die Regelung ist auch nicht deshalb bedenklich, weil sie nur in einer Satzung - dem HVM - normiert worden ist (vgl zur Rechtsnatur
eines von den Gesamtvertragspartnern vereinbarten Honorarverteilungsvertrages nach neuem Recht: Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, §
85 RdNr 157b). Vielmehr entspricht dies dem begrenzten Wirkungskreis der Regelung. Sie gilt nur für die Mitglieder der Körperschaft
im Verhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen. Zugleich dient sie dem Ausgleich der Interessen der Mitglieder untereinander.
Diejenigen Ärzte, die nicht im Verdacht unrechtmäßiger Abrechnung oder der Erstattungs- und/oder Schadensersatzpflichten stehen,
haben ein schutzwürdiges Interesse an vorläufigen Sicherungseinbehalten, damit unrechtmäßigen Schmälerungen der Gesamtvergütungen
zu ihren Lasten vorgebeugt wird. Dem kommt Bedeutung insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden zu, in dem die Gefahr
besteht, dass die Realisierung von Forderungen gegen die möglichen Schuldner schwierig werden kann, falls diese nämlich ihren
Vertragsarztstatus schon verloren haben oder ihn alsbald verlieren könnten.
c) Grundsätzliche Bedeutung kommt ferner nicht der - hier ebenfalls verkürzt wiedergegebenen - Rechtsfrage zu,
ob ein Sicherungseinbehalt von mehr als drei Jahren noch "vorläufig" ist (Beschwerdebegründung S 36 ff).
Grundsätzliche Bedeutung für eine Zulassung der Revision kann nur solchen Fragen zukommen, zu deren Klärung das Revisionsgericht
berufen ist. Dies ist bei der Auslegung von Bestimmungen und Begriffen in einem HVM nicht der Fall. Honorarverteilungsregelungen
stellen grundsätzlich kein im Sinne des §
162 SGG revisibles Recht dar. Es handelt sich vielmehr um Landesrecht, dessen Auslegung grundsätzlich den Gerichten des Landes vorbehalten
und dem BSG nicht zugänglich ist. Eine Ausnahme gilt dann, wenn das LSG die Bestimmung unberücksichtigt gelassen hat (vgl
zB BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Dies ist hier indessen nicht der Fall: Das LSG (Urteil S 21 f) hat zur Auslegung
des Begriffs "vorläufige Sicherung" eingehend Stellung genommen, ohne dass ihm eine Verkennung der allgemeinen Maßstäbe der
Auslegungsmethodik angelastet werden kann. Diese Auslegung ist entgegen der Ansicht der Klägerin auch mit Art
12 Abs
1 GG vereinbar (hierzu vgl oben 2. a aE).
d) Grundsätzliche Bedeutung kommt schließlich auch nicht der Rechtsfrage zu,
ob die Aufrechterhaltung eines konkreten Sicherungseinbehalts nach Erlass eines konkreten Rückforderungsbescheides mit Art
19 Abs
4 GG vereinbar ist (Beschwerdebegründung S 38 ff).
Diese Frage ist, ohne dass es der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf, zu bejahen. Dies folgt aus der besonderen Funktion
des Sicherungseinbehalts, der nicht etwa überflüssig wird mit Ergehen des Rückforderungsbescheids. Während dieser nur die
Rückforderung zum Gegenstand hat, ohne aber die Realisierung der Rückforderung zu gewährleisten, dient der Einbehalt schon
im Vorfeld der Absicherung für den Fall, dass die Rückforderung bzw der Rückforderungsbescheid bestandskräftig wird. Diese
zusätzliche Zielsetzung macht auch noch Sinn nach dem Erlass eines Rückforderungsbescheides. Der aus Art
19 Abs
4 GG resultierende Anspruch des Betroffenen auf gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Rückzahlungsverlangens wird durch
den Einbehalt rechtlich nicht geschmälert.
e) Grundsätzliche Bedeutung kommt im Übrigen auch nicht der - hier verkürzt wiedergegebenen - Rechtsfrage zu,
ob für die Regelung eines Sicherungseinbehalts in einer Abrechnungs-Richtlinie eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage
in §
85 Abs
4 SGB V vorhanden ist (Beschwerdebegründung S 42).
Diese Frage ist, ohne dass es der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf, zu bejahen. Dies ergibt sich aus obigen Ausführungen
unter 2. a) und b). Darauf wird verwiesen.
f) Grundsätzliche Bedeutung kommt ferner nicht den - hier verkürzt wiedergegebenen - Rechtsfragen zu,
ob die Regelung eines Sicherungseinbehalts, die einen zeitlich unbegrenzten Einbehalt in unbegrenzter Höhe für lediglich glaubhaft
gemachte Schadensersatzansprüche vorsieht, ohne dass die KÄV dafür konkrete Gegenforderungen anführt, in einer Abrechnungs-Richtlinie
mit den Bestimmtheitsanforderungen vereinbar ist (Beschwerdebegründung S 42 f),
und
ob die Regelung eines Sicherungseinbehalts, die einen zeitlich unbegrenzten Einbehalt in unbegrenzter Höhe für lediglich glaubhaft
gemachte Schadensersatzansprüche vorsieht, ohne dass die KÄV dafür konkrete Gegenforderungen anführt, in einer Abrechnungs-Richtlinie
mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar ist (Beschwerdebegründung S 43).
Der Unterschied zu den oben unter 2. b) angeführten Rechtsfragen, die auf einen Sicherungseinbehalt in einem HVM zugeschnitten
sind, liegt hier in der Ausrichtung auf einen Sicherungseinbehalt, der in einer sog Abrechnungs-Richtlinie normiert ist. Inhaltlich
sind die Regelungen im HVM und in der Abrechnungs-Richtlinie vergleichbar. Unterschiede grundsätzlicher Art sind in der Beschwerdebegründung
nicht aufgezeigt worden und somit nicht Gegenstand der Frage des Vorliegens grundsätzlicher Bedeutung. Damit kann auf die
obigen Ausführungen unter 2. b) verwiesen werden, wonach ein Bedarf nach einer Klärung in einem Revisionsverfahren nicht besteht.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm §
63 Abs
2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3, § 40 Gerichtskostengesetz. Seine Bemessung erfolgt entsprechend der Berechnung der Vorinstanz, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden
ist (siehe Streitwertfestsetzung im LSG-Urteil).