Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG
Leistungsausschluss bei fehlender SGB II-Leistungsberechtigung aufgrund nicht vorhandener Erwerbsfähigkeit – hier bei einem Bezug von Renten wegen voller Erwerbsminderung
bei einem Restleistungsvermögen von unter drei Stunden
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Kinderzuschlag von Februar 2018 bis Dezember 2020.
Die 1992 geborene Klägerin ist Mutter von drei Kindern (geboren 2012, 2013 und 2019), die mit ihr und ihrem Ehemann in einem
gemeinsamen Haushalt leben. Die Kinder verfügen nicht über Einkommen oder Vermögen. Die Klägerin erhält Kindergeld, Elterngeld
und Wohngeld.
Die Klägerin und ihr Ehemann beziehen (befristete) Renten wegen voller Erwerbsminderung bei einem Restleistungsvermögen von
unter drei Stunden. Zuletzt verlängerte der jeweilige Rentenversicherungsträger die Rentenbewilligung für die Klägerin bis
zum 30.6.2022 und für ihren Ehemann bis zum 31.3.2023.
Die beklagte Familienkasse lehnte einen Antrag auf Weiterbewilligung von Kinderzuschlag für die Zeit ab Februar 2018 mit der
Begründung ab, durch den Kinderzuschlag werde keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden (§ 6a Abs 1 Nr 4
BKGG in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung, im Folgenden "aF"). Kein Familienmitglied sei leistungsberechtigt nach dem SGB II. Beide Elternteile seien nicht erwerbsfähig und keines der Kinder habe das 15. Lebensjahr vollendet (Bescheid vom 31.1.2018;
Widerspruchsbescheid vom 2.3.2018).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 6.2.2019). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 10.12.2020).
Streitzeitraum sei Februar 2018 bis zur berufungsgerichtlichen Entscheidung. In diesem Zeitraum habe kein Anspruch auf Kinderzuschlag
bestanden. Es fehle an der Anspruchsvoraussetzung, dass mit Hilfe des Kinderzuschlags Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden werde bzw - seit dem 1.1.2020 - bei Bezug des Kinderzuschlags Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II nicht bestehe (§ 6a Abs 1 Nr 3
BKGG idF des Starke-Familien-Gesetzes vom 29.4.2019, BGBl I 530, im Folgenden "nF"). Weder die Klägerin noch ihr Ehemann oder
die Kinder seien leistungsberechtigt nach dem SGB II. Im Haushalt lebe keine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person, von der die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
Leistungsansprüche ableiten könnten. Dies schließe sowohl nach der alten als auch nach der neuen Fassung von § 6a
BKGG Leistungen aus. Dieses Ergebnis sei nicht verfassungswidrig. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art
3 Abs
1 GG liege nicht vor. Das Gesetz unterscheide anhand des Kriteriums der Erwerbsfähigkeit von mindestens einem Haushaltsmitglied.
Dies sei konsequent, denn der Kinderzuschlag trete an die Stelle eines Anspruchs auf Alg II bzw Sozialgeld, der ebenfalls
die Erwerbsfähigkeit mindestens einer haushaltsangehörigen Person voraussetze. Auf diese Weise solle der Kinderzuschlag einen
Arbeitsanreiz durch gezielte Förderung einkommensschwacher Familien schaffen.
Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung
gegenüber anderen Haushalten, in denen jedenfalls ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter lebe. Es sei nicht nachvollziehbar,
dass sie zB dann leistungsberechtigt wäre, wenn sie eine sog Arbeitsmarktrente beziehe oder eine Altersrente vor Erreichen
der Regelaltersgrenze oder sobald eines der Kinder das 15. Lebensjahr vollende (und der durch den Kinderzuschlag gesetzte
"Arbeitsanreiz" nicht dazu führe, dass das Kind aufgrund eigenen Einkommens aus der Bedarfsgemeinschaft ausscheide). Für die
Rechtslage seit dem 1.1.2020 stehe der Wortlaut der Regelung einem Anspruch ohnehin nicht entgegen, denn Hilfebedürftigkeit
nach dem SGB II bestehe auch dann nicht, wenn schon dem Grunde nach kein SGB II-Leistungsanspruch bestehe. Seit der Neuregelung sei jedenfalls eine verfassungskonforme Auslegung möglich. Hierfür spreche
auch § 6a Abs 1a
BKGG nF.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Dezember 2020 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Duisburg vom 6. Februar 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 2. März 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr - der Klägerin - für Februar 2018 bis Dezember 2020 Kinderzuschlag
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§
170 Abs
1 Satz 1
SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Klägerin im Zeitraum Februar 2018 bis Dezember 2020 keinen Anspruch auf Kinderzuschlag
hat.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 31.1.2018 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2018, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zahlung von Kinderzuschlag ab Februar
2018 abgelehnt hat, sowie deren Verurteilung zur Zahlung von Kinderzuschlag ab diesem Monat; im Fall der hier vorliegenden
vollständigen Ablehnung einer Leistung begrenzt bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen
(BSG vom 14.3.2012 - B 14 KG 1/11 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 3 RdNr 13).
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Die Klägerin verfolgt den von
ihr geltend gemachten und von der Beklagten abgelehnten Anspruch auf Kinderzuschlag zu Recht mit einer kombinierten Anfechtungs-
und Leistungsklage (§
54 Abs
1 Satz 1, Abs
4 SGG).
3. Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Kinderzuschlag ist § 6a
BKGG (hier zunächst in der bis zum 30.6.2019 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie
und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20.12.2016, BGBl I 3000, sowie mit den zum 1.7.2019
und zum 1.1.2020 in Kraft getretenen Änderungen durch das Starke-Familien-Gesetz vom 29.4.2019, BGBl I 530). Danach erhalten
Personen für in ihrem Haushalt lebende unverheiratete oder nicht verpartnerte Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet
haben, dann einen Kinderzuschlag, wenn ua durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird (§ 6a Abs 1 Nr 4
BKGG in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung) bzw bei Bezug des Kinderzuschlags keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II besteht (§ 6a Abs 1 Nr 3
BKGG in der ab dem 1.1.2020 geltenden Fassung). Diese Voraussetzung ist sowohl nach der bis zum 31.12.2019 (4.) als auch nach
der seit dem 1.1.2020 geltenden Regelung (5.) nicht erfüllt, wenn - wie vorliegend - keiner der Haushaltsangehörigen leistungsberechtigt
nach dem SGB II ist. Dieses Ergebnis verletzt kein Verfassungsrecht (6.).
4. Für den Zeitraum bis zum 31.12.2019 hat die Klägerin bereits deshalb keinen Anspruch auf einen Kinderzuschlag, weil durch
ihn Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II nicht vermieden wird. Soweit der Anspruch auf Kinderzuschlag dies nach § 6a Abs 1 Nr 4
BKGG aF voraussetzte, war dies einerseits Ausdruck des wechselseitigen Ausschlusses und des Alternativverhältnisses, in dem Leistungen
nach dem SGB II und nach § 6a
BKGG zueinander standen. Andererseits sind beide Leistungssysteme aufeinander bezogen (BSG vom 25.10.2017 - B 14 AS 35/16 R - BSGE 124, 243 = SozR 4-4200 § 11 Nr 82, RdNr 25; zuletzt BSG vom 30.10.2019 - B 4 KG 1/19 R - SozR 4-5870 § 6a Nr 8 RdNr 16, jeweils mwN). Dies entspricht der gesetzlichen Zielsetzung des Kinderzuschlags: Eltern sollen
nicht nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Alg II und Sozialgeld in Anspruch nehmen müssen und durch den Kinderzuschlag
einen Anreiz zur Aufnahme oder Ausweitung einer Erwerbstätigkeit erhalten. Dementsprechend ist der Kinderzuschlag nur für
Familien vorgesehen, die ohne ihn allein wegen des Unterhaltsbedarfs für ihre Kinder Anspruch auf Alg II und Sozialgeld hätten
(zu allem BT-Drucks 15/1516 S 83 f). Daraus folgt, dass Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II dann nicht vermieden wird, wenn keines der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II erhalten kann (BSG vom 15.12.2010 - B 14 KG 1/09 R - RdNr 13 zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II; BSG vom 19.6.2012 - B 4 KG 2/11 B - RdNr 7).
Die Klägerin und ihre Familie erfüllen nicht die Voraussetzungen für Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin und ihr Ehemann sind nicht erwerbsfähig, weil sie nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG wegen
Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 Abs 1 SGB II). Die Kinder der Klägerin haben schon nicht das erforderliche Mindestalter (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II), um erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu sein und ihren erwerbsunfähigen Eltern einen Sozialgeldanspruch zu vermitteln
(vgl § 19 Abs 1 Satz 2 SGB II).
5. Der (mittelbare) Ausschluss vom Kinderzuschlag bei einer fehlenden SGB II-Leistungsberechtigung für den Fall der Nichtgewährung des Kinderzuschlags gilt auch nach § 6a Abs 1 Nr 3
BKGG nF, wonach der Anspruch ua voraussetzt, dass "bei Bezug des Kinderzuschlags keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch" besteht (Kühl in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 6a
BKGG RdNr 52; Schnell in Estelmann, SGB II, § 6a
BKGG RdNr 55 ff, Stand Dezember 2020; Silbermann in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 6a
BKGG RdNr 48 ff; Susnjar in Hohm, GK-SGB II, § 6a
BKGG RdNr 145.2 f, Stand August 2021; aA Geiger, ZFSH SGB 2021, 71, 72; Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, § 6a
BKGG RdNr 36, Stand November 2021; Schuster/Voigt, AsylM 2022, 109, 118). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Regelung und ihrer
systematischen Stellung sowie ihrem Sinn und Zweck unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte.
Bereits aus dem Wortlaut von § 6a Abs 1 Nr 3
BKGG nF folgt, dass ein Anspruch auf Kinderzuschlag dann ausscheidet, wenn kein Mitglied des Haushalts ohne den Kinderzuschlag
leistungsberechtigt nach dem SGB II ist. Zwar kommt das Erfordernis einer grundsätzlichen SGB II-Leistungsberechtigung nach der Neufassung der Vorschrift nicht mehr so deutlich zum Ausdruck wie zuvor. Dies ändert aber
nichts daran, dass bereits nach dem Wortsinn "bei Bezug des Kinderzuschlags" Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II nur dann nicht "besteht", wenn sie jedenfalls hypothetisch bestehen könnte (Schnell in Estelmann, SGB II, § 6a
BKGG RdNr 57, Stand Dezember 2020). In dem geänderten Wortlaut kommt sowohl die - grundsätzliche, wenn jetzt auch eingeschränkte
- Alternativität als auch das Aufeinander-bezogen-Sein beider Leistungssysteme hinreichend deutlich zum Ausdruck. Entgegen
der Ansicht der Klägerin lässt es insbesondere der Wortlaut nicht zu, bei Bezug des Kinderzuschlags das Nichtbestehen von
Hilfebedürftigkeit nach einem dem SGB II strukturell gleichwertigen Existenzsicherungssystem genügen zu lassen, denn die gesetzliche Regelung knüpft an "Hilfebedürftigkeit
nach § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch" an.
Systematisch spricht für dieses Verständnis, dass § 6a
BKGG nF, wie auch die Vorläuferregelung, durchgehend auf das SGB II Bezug nimmt. So bestimmt § 6a Abs 1 Nr 3
BKGG nF, dass bei der Frage, ob bei Bezug des Kinderzuschlags keine Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II besteht, Bedarfe nach § 28 SGB II außer Betracht bleiben. Ausgangspunkt für die Berechnung des Kinderzuschlags sind zudem das Vorliegen von Einkommen und Vermögen
iS der §§ 11 ff SGB II.
Hiergegen spricht entgegen der Ansicht der Klägerin nicht § 6a Abs 1a Nr 3
BKGG nF, wonach ein Anspruch auf Kinderzuschlag ausnahmsweise auch für bestimmte Schwellenhaushalte besteht, "wenn kein Mitglied
der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten oder nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch erhält oder beantragt hat". Hieraus kann nicht abgeleitet werden, eine Leistungsberechtigung nach dem SGB XII berechtige ebenso wie nach dem SGB II zum Bezug von Kinderzuschlag. Die Regelung ist zudem insoweit nicht neu, sondern geht zurück auf § 6a Abs 1 Nr 4 Satz 2
BKGG idF des Gesetzes zur Änderung des
Bundeskindergeldgesetzes vom 24.9.2008 (BGBl I 1854), mit dem der Gesetzgeber - insbesondere zugunsten von Alleinerziehendenhaushalten - ein sog "kleines
Wahlrecht" bei Ansprüchen auf existenzsicherungsrechtliche Mehrbedarfe eingeführt hat (vgl hierzu BT-Drucks 16/9792 S 9 f).
Zutreffend hat das LSG hierzu ausgeführt, die Nennung des SGB XII bei dieser zunächst bis zum 31.12.2023 befristeten "erweiterten Zugangsmöglichkeit" (vgl § 20 Abs 2
BKGG) beziehe sich auf Fälle einer sog gemischten Bedarfsgemeinschaft (hierzu zuletzt BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 89/20 R - SozR 4-4200 § 5 Nr 6, vorgesehen auch für BSGE). Dies ändert aber nichts daran, dass auch diese Sonderregelung das Nichtbestehen
von Hilfebedürftigkeit "nach dem SGB II" bezweckt (so ausdrücklich BT-Drucks 19/7504 S 45), so wie sie das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft voraussetzt, die das
SGB XII nicht kennt.
Dass der Gesetzgeber den Anspruch auf Kinderzuschlag durch die Neuregelung des § 6a Abs 1 Nr 3
BKGG nF nicht erweitern wollte auf Personen, die nach dem SGB II nicht leistungsberechtigt wären, folgt zudem aus dem Sinn und Zweck der Regelung unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte.
Die Neuregelung dieser Leistungsvoraussetzung bezweckte allein die Abschaffung einer "Abbruchkante" (BT-Drucks 19/7504 S 43
f), die Folge der strikten Alternativität zwischen Kinderzuschlag und SGB II-Leistungen war, wie sie in der Voraussetzung der Vermeidung von Hilfebedürftigkeit zum Ausdruck kam. Demgegenüber kann nach
der Neuregelung ausnahmsweise Alg II bzw Sozialgeld parallel zum Kinderzuschlag bezogen werden (BT-Drucks 19/7504 S 43 f).
Das Kinderzuschlagsrecht bestimmt mit der Einführung eines Bemessungszeitraums für die Ermittlung des zu berücksichtigenden
Einkommens (§ 6a Abs 8 Satz 1
BKGG) die "Hilfebedürftigkeit nach § 9 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch" im Vergleich zur originären Anspruchsprüfung nach dem SGB II nunmehr anhand unterschiedlicher Zeiträume, also "ungleichzeitig" (hierzu BT-Drucks 19/7504 S 44). Dies ändert aber nichts
daran, dass auch § 6a
BKGG nF (allein) das SGB II ergänzt, indem der Kinderzuschlag dafür sorgen soll, dass Eltern, die ihren Bedarf durch eigenes Einkommen selbst decken
können, nicht nur wegen des Bedarfs ihrer Kinder auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sind (so - nach wie vor - BT-Drucks 19/7504 S 1, 32).
6. Der (mittelbare) Ausschluss vom Kinderzuschlag nach § 6a
BKGG für Personen, die nach dem SGB II nicht leistungsberechtigt wären, ist verfassungsgemäß (vgl bereits BSG vom 15.12.2010 - B 14 KG 1/09 R - RdNr 14 zum Ausschluss des Anspruchs im Hinblick auf Asylbewerberleistungsberechtigte; BSG vom 19.6.2012 - B 4 KG 2/11 B - RdNr 7 ff zum Ausschluss des Anspruchs für Pflegekinder; vgl auch Schnell in Estelmann, SGB II, § 6a
BKGG RdNr 60, Stand Dezember 2020; aA Münzner in Münder/Geiger, LPK-SGB II, 7. Aufl 2021, Anh § 12a RdNr 22). Hieran hat sich durch die Neuregelungen des Starke-Familien-Gesetzes vom 29.4.2019 (BGBl I 530) nichts geändert,
die den Zugang zum Kinderzuschlag erweitert haben, wenn auch nicht für den Personenkreis, dem die Klägerin angehört.
Die von der Klägerin gerügte Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots liegt nicht vor. Art
3 Abs
1 GG bestimmt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich
Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für Belastungen und Begünstigungen. Art
3 Abs
1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Sie bedarf aber stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel
und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter
verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen
unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (stRspr; vgl zuletzt nur BVerfG vom 7.4.2022 - 1 BvL 3/18 - RdNr 239 mwN). Die Grenzen für den Gesetzgeber reichen dabei vom bloßen Willkürverbot bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen,
wobei eine strenge Bindung des Gesetzgebers insbesondere dann anzunehmen ist, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale
anknüpft, die für den Einzelnen nicht verfügbar sind oder die sich denen des Art
3 Abs
3 GG annähern. Umgekehrt erweitern sich die Gestaltungs- und Bewertungsspielräume des Gesetzgebers bei steigender "Typisierungstoleranz"
insbesondere im Bereich der leistenden Massenverwaltung (vgl zu allem ausführlich BSG vom 20.5.2020 - B 13 R 23/18 R - BSGE 130, 153 = SozR 4-2600 § 51 Nr 4, RdNr 51 mwN aus der Rspr des BVerfG).
Mit dem SGB II hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, für erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft
lebenden Familienangehörigen oder Partner ein erwerbszentriertes Existenzsicherungssystem einzuführen (vgl hierzu nur BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 43; vgl auch BSG vom 27.1.2009 - B 14/11b AS 9/07 R - SuP 2009, 578 juris RdNr 38), wobei er bestimmte erwerbsfähige Personen - insbesondere aus aufenthaltsrechtlichen Gründen
- wieder von Leistungen ausgenommen hat (vgl im Einzelnen zu den differenzierten Leistungsausschlüssen des SGB II BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 41 ff; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 15/15 R - RdNr 27). Hiermit verbunden war die gesetzgeberische Entscheidung, zeitgleich mit dem SGB II eine Alg II und Sozialgeld vorgelagerte und auf diese abgestimmte familienpolitische Leistung (hierzu zuletzt BSG vom 9.3.2022 - B 7/14 KG 1/20 R - RdNr 39 mwN, vorgesehen für BSGE und SozR) einzuführen, die zusammen mit dem Kindergeld und dem auf Kinder entfallenden
Wohngeldanteil den durchschnittlichen SGB II-Bedarf von Kindern abdeckt. Diese Leistung soll zugleich die Erwerbsanreize des SGB II verstärken, indem sich die Arbeitsaufnahme oder die Fortführung von Erwerbstätigkeit dann lohnt, wenn Eltern ihren eigenen
SGB II-Bedarf, wenn auch nicht den der Familie, erwirtschaften (zu allem BT-Drucks 15/1516 S 3, 48). Ausdruck dieses Erwerbsanreizes
ist die Privilegierung von Erwerbseinkommen gegenüber anderem Einkommen im Hinblick auf die Minderung des Kinderzuschlags
(vgl hierzu bereits § 6a Abs 4 Satz 5
BKGG idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954), die zuletzt weiter ausgebaut
worden ist (§ 6a Abs 6 Satz 3
BKGG idF des Starke-Familien-Gesetzes vom 29.4.2019, BGBl I 530).
Im vorliegenden Fall, in dem die "Systemabgrenzung" anhand des Kriteriums der Erwerbsfähigkeit erfolgt, was der gesetzlichen
Typik entspricht, ist die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber Erwerbsfähigen, die gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II jedenfalls dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, gerechtfertigt. Zwar handelt es sich beim Merkmal der Erwerbsfähigkeit
grundsätzlich um ein für den Einzelnen nicht verfügbares Persönlichkeitsmerkmal. Dass die Kinderzuschlagsberechtigung (mittelbar)
an dieses Merkmal anknüpft, macht die gesetzliche Regelung aber nicht unverhältnismäßig. Die Anknüpfung ist Ausdruck der gesetzgeberischen
Grundentscheidung zur Neuordnung der Existenzsicherungssysteme zum 1.1.2005 mit der Einführung eines erwerbszentrierten Leistungssystems
für alle Erwerbsfähigen und ihre Angehörigen sowie der Schaffung einer flankierenden Leistung im Kindergeldrecht. Zur Erreichung
des (legitimen) gesetzgeberischen Ziels, durch Schaffung eines Erwerbsanreizes Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, ist sie geeignet,
erforderlich und im engeren Sinn verhältnismäßig.
Die von der Klägerin ebenfalls gerügte Ungleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen in "SGB II-Haushalten" einer- und in "SGB XII-Haushalten" andererseits im Hinblick auf die Sicherstellung ihres existenzsichernden Bedarfs liegt schon deshalb nicht vor,
weil § 6a
BKGG nur Ansprüche des kindergeldberechtigten Elternteils regelt und der existenzsichernde Bedarf von Kindern und Jugendlichen
sowohl nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII sicherzustellen ist (vgl zur grundsätzlichen Gleichrangigkeit beider Existenzsicherungssysteme zuletzt nur BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 89/20 R - SozR 4-4200 § 5 Nr 6 RdNr 17 mwN, vorgesehen auch für BSGE).
Soweit die Klägerin Fallgruppen benennt, in denen eine Leistungsberechtigung nach § 6a
BKGG ebenfalls bestehe, ohne dass die gesetzgeberische Zielsetzung, die die Ungleichbehandlung typischerweise rechtfertigt, erreicht
werden könne, folgt hieraus nichts anderes. Zwar ist es zutreffend, dass nach allgemeiner Ansicht Personen, die zwar selbst
nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte iS von § 7 Abs 1 SGB II sind oder die nach § 7 Abs 1, 4 und 4a SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen sind, dennoch kinderzuschlagsberechtigt sein können, wenn sie über eine andere Person einer
Bedarfsgemeinschaft iS von § 7 Abs 3 SGB II angehören (so ausdrücklich Familienkasse Direktion, Durchführungsanweisung Kinderzuschlag >DA-KiZ<, Ziffer B.1.2. Abs 4 Satz
1, S 10 sowie Ziffer D.2., S 49 ff, Stand 1.1.2020; ebenso zB LSG NRW vom 23.8.2018 - L 7 BK 1/17 - juris RdNr 30; Kühl in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 6a
BKGG RdNr 54; Schnell in Estelmann, SGB II, § 6a
BKGG RdNr 58, Stand Dezember 2020; Silbermann in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 6a
BKGG RdNr 50). Dies soll nach Ansicht der Beklagten auch für Bezieher einer vorgezogenen Altersrente (Leistungsausschluss nach
§ 7 Abs 4 Satz 1 Var 2 SGB II) gelten, die nicht mit einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person zusammenleben, weil diese gleichwohl eine Bedarfsgemeinschaft
gründen könnten (Ziffer D.2. Abs 2, S 51 f DA-KiZ, Stand 1.1.2020; so auch Kühl in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 6a
BKGG RdNr 55; vgl aber G. Becker in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 7 RdNr 93; S. Knickrehm in KKW, 7. Aufl 2021, § 7 SGB II RdNr 29; Leopold in jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 7 RdNr 198). Für den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass es für den Anspruch der Klägerin auf Kinderzuschlag trotz
fortbestehender Erwerbsunfähigkeit ausreichen würde, wenn ihr Ehepartner erwerbsfähig wäre oder ein Kind das 15. Lebensjahr
vollendet.
In den von der Klägerin geschilderten Ausnahmefällen kann - jedenfalls im Hinblick auf den Kinderzuschlagsberechtigten - das
gesetzgeberische Ziel, einen Erwerbsanreiz zu schaffen, nicht erreicht werden. Erkennbar ging der Gesetzgeber bei Einführung
des Kinderzuschlags von dem "Normalfall" aus, dass Eltern, die für ihre dem Haushalt angehörenden Kinder Kindergeld beziehen,
erwerbsfähig sind. Soweit - über dieses gesetzliche Leitbild hinaus - weitere Personengruppen profitieren, ist dies als zulässige
Form einer bevorzugenden Typisierung hinzunehmen (vgl hierzu nur BVerfG vom 24.7.1963 - 1 BvL 30/57, 11/61 - BVerfGE 17, 1 - juris RdNr 60; BVerfG vom 12.2.1964 - 1 BvL 12/62 - BVerfGE 17, 210 - juris RdNr 34). Sie ist letztlich "der Preis" dafür, den Kinderzuschlag als eine auf das SGB II abgestimmte Leistung einzuführen, was die dem SGB II eigentümliche Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft einschließt. Ohnehin ist es für die Verhältnismäßigkeit einer gesetzlichen
Regelung unerheblich, ob der Gesetzgeber die denkbar "beste Lösung" gewählt hat. Auch in den von der Klägerin benannten Fallgruppen
kann der Kinderzuschlag zudem seine Funktion, ein gegenüber dem SGB II vorgelagertes Leistungssystem zu sein, erfüllen, weil ein SGB II-Leistungsbezug mit seiner Hilfe verhindert wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.