Zwischenverfahren über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Art des Klagebegehrens
Abgrenzung zu zivilrechtlichen Streitigkeiten
1. Nach §
51 Abs.
1 Nr.
2 Hs. 1
SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten u.a. in Angelegenheiten der
Asylbewerberleistungen.
2. Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es an einer ausdrücklichen
Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird.
3. Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von §
13 GVG (Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten) als auch von §
51 Abs
1 SGG (Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit).
4. Die Abgrenzung muss von der Sache her getroffen werden; Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welcher Art
das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt ist.
5. Deshalb ist entscheidend darauf abzustellen, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete
Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des Sozialrechts geprägt wird.
Gründe:
I
Im Streit ist im Rahmen eines Zwischenverfahrens die Zulässigkeit des von der Klägerin beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten
der Sozialgerichtsbarkeit.
Die Klägerin betreibt seit Juli 2015 eine Unterkunft für Asylbewerber. Sie begehrt mit ihrer beim Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage für erbrachte Unterbringungsleistungen für Asylbewerber von dem Beklagten die Zahlung von 198 300
Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit. Zur Begründung hat
sie Bezug genommen auf von ihr erstellte Abrechnungen für die Unterbringung von Asylbewerbern für regelmäßig 50 Euro pro Person
und Nacht, die sie auf der Grundlage der ihr von Asylbewerbern übergebenen Kostenübernahmeerklärungen des Beklagten aufgestellt
und die der Beklagte bisher nur zum Teil beglichen habe.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das
Landgericht Berlin verwiesen (Beschluss vom 15.8.2016). Die dagegen von der Klägerin eingelegte Beschwerde hat das Landessozialgericht
(LSG) Berlin-Brandenburg zurückgewiesen (Beschluss vom 30.9.2016). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt,
dass keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des
Asylbewerberleistungsgesetzes (
AsylbLG) nach §
51 Abs
1 Nr
6a Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gegeben sei, sondern eine zivilrechtliche Streitigkeit nach §
13 Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG). Die Klägerin begehre die Zahlung offener Rechnungen aus Miet- und Beherbergungsverträgen, deren Begleichung wegen der gegenüber
den Asylbewerbern erteilten Kostenübernahmeerklärungen von dem Beklagten verlangt werde. Die rechtliche Konstellation in Fällen
wie dem vorliegenden sei vergleichbar mit derjenigen des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses im Bereich des Leistungserbringungsrechts
der Sozialhilfe. Zwar fehle es hier an einer öffentlich-rechtlichen Vertragsbeziehung zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger;
das
AsylbLG enthalte auch keine den §§ 75 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) vergleichbare Vorschriften oder nehme sie in Bezug. Wenn aber nicht einmal die öffentlich-rechtliche Überlagerung des Rechtsverhältnisses
zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger in der Sozialhilfe dazu führe, dass die Zahlungsansprüche des Leistungserbringers
gegenüber dem Leistungsträger öffentlich-rechtliche seien, dann gebe es hierfür erst Recht keinen zwingenden Grund, wenn es
an entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen fehle.
Dagegen hat die Klägerin die vom LSG zugelassene weitere Beschwerde eingelegt.
II
Die weitere Beschwerde (§
17a Abs
4 Satz 4
GVG) ist zulässig und in der Sache begründet. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für eröffnet
angesehen. Für den vorliegenden Rechtsstreit sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.
Nach §
51 Abs
1 Nr
2 Halbsatz 1
SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten ua in Angelegenheiten der Asylbewerberleistungen
(§
51 Abs
1 Nr
6a SGG). Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen
Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dieser Grundsatz
bestimmt die Auslegung sowohl von §
13 GVG (Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten) als auch von §
51 Abs
1 SGG (Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit). Die Abgrenzung muss von der Sache her getroffen
werden. Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt
ist (stRspr; vgl etwa BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 5; BSG SozR 4-1720 § 17a Nr 3 RdNr 9 mwN). Deshalb ist entscheidend darauf abzustellen, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die
aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des Sozialrechts geprägt wird (vgl BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 14 RdNr 15). Die in dieser Weise vorzunehmende Abgrenzung weist das Streitverhältnis in diejenige Verfahrensordnung, die
ihm nach der gesetzgeberischen Wertung in der Sache am besten entspricht, und bewirkt zugleich, dass regelmäßig diejenigen
Gerichte anzurufen sind, die durch ihre Sachkunde und Sachnähe zur Entscheidung über den in Frage stehenden Anspruch besonders
geeignet sind (vgl BSG SozR 4-1300 § 116 Nr 1 RdNr 8; BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 6 Hausverbot für die Räume des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber einem Leistungsempfänger; BGHZ
89, 250, 252; BSG SozR 4-1720 § 17a Nr 3).
Hiervon ausgehend ist die vorliegende Streitigkeit eine öffentlich-rechtliche in Angelegenheiten der Asylbewerberleistungen.
Die Klägerin macht einen Anspruch auf "Erstattung" von Kosten für die Unterbringung von Asylsuchenden geltend. Diesen Anspruch
leitet sie laut Klagebegründung aus Kostenübernahmeerklärungen des Beklagten ab. Die Klägerin geht ersichtlich davon aus,
dass es sich insoweit um sie unmittelbar berechtigende hoheitliche Akte des Beklagten handele, die ihre Grundlage im Asylbewerberleistungsrecht
haben.
Ob daneben oder anstelle dessen nicht (vielmehr) ein Anspruch zivilrechtlicher Natur die geltend gemachte Zahlung der Klägerin
zu stützen vermöchte, weil die Erklärung der Sache nach als Schuldbeitritt zu einer zivilrechtlichen Schuld der Asylbewerber
gegenüber der Klägerin zu qualifizieren sein könnte, steht der Richtigkeit des Sozialrechtswegs nicht entgegen. In solchen
Fällen, in denen der Klageanspruch bei identischem Streitgegenstand auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete (auch
tatsächlich und rechtlich selbstständige) Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene Gericht nach §
17 Abs
2 Satz 1
GVG zur Entscheidung über sämtliche Klagegründe verpflichtet, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist (stRspr
seit BGHZ 114, 1). Damit nimmt der Gesetzgeber seit der Novellierung von §
17 Abs
2 Satz 1
GVG zum 1.1.1991 durchaus gewisse Zufälligkeiten hin, die sich aus dem Vortrag der Klägerin und weiteren Besonderheiten des Einzelfalls
ergeben (vgl Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] Beschluss vom 30.4.2002 - 4 B 72/01 - NJW 2002, 2894; vgl dazu auch schon BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 5).
Dies darf zwar nicht dazu führen, dass der Rechtsweg vollständig zur Disposition der Beteiligten steht. Anspruchsgrundlagen,
die offensichtlich nicht gegeben sind bzw erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten
Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung des Rechtswegs außer Betracht zu bleiben (vgl etwa BVerwG Buchholz
300 §
17a GVG Nr 5). Der Vortrag der Klägerin ist hier aber nicht zielgerichtet zur Begründung allein des Rechtswegs erfolgt und auch nicht
offensichtlich haltlos (vgl Ladage, SGb 2013, 553, 556; Eicher, SGb 2013, 127, 131). Es ist nicht abwegig, die "Kostenübernahmeerklärung" eines Leistungsträgers gegenüber einem Vermieter als (abstraktes)
Schuldanerkenntnis zu qualifizieren.
So hat das BSG etwa im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in einer (vorbehaltlosen) Kostenübernahmeerklärung gegenüber dem
Leistungserbringer ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis gesehen, mit dem die Krankenkasse ihre Zahlungspflicht dem Grunde
nach anerkenne (BSGE 86, 166 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1). Im Falle eines durch einen Vermieter geltend gemachten Zahlungsanspruchs aus einer an ihn gerichteten
Erklärung des Sozialhilfeträgers hat das BVerwG die Richtigkeit des Verwaltungsrechtswegs ausdrücklich bejaht (BVerwGE 96,
71, 77). Die zivilrechtliche Qualifizierung des hier geltend gemachten Anspruchs liegt jedenfalls nicht näher als die Qualifizierung
als öffentlich-rechtliches Schuldanerkenntnis. Anderes gilt in der hier nicht vorliegenden Konstellation eines aus den Vorschriften
des 10. Kapitels des SGB XII entwickelten sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses, in denen regelmäßig der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht
mehr begründet werden kann, weil die "Kostenübernahme" hier im Regelfall als Schuldbeitritt zu einer zivilrechtlichen Schuld
zu qualifizieren ist (BSG SozR 4-3500 § 75 Nr 5).
Die - im Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde grundsätzlich erforderliche (BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 6 RdNr 19, 20; BSG SozR 4-1500 §
51 Nr 13) - Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Es erscheint angemessen, für die Vorabentscheidung über den Rechtsweg von einem Fünftel des Wertes des geltend gemachten
Anspruchs auszugehen (vgl BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 4 RdNr 85; BSG Beschluss vom 29.7.2014 - B 3 SF 1/14 R RdNr 18 - insoweit nicht in SozR 4-1500 § 51 Nr 13 abgedruckt). Dies ergibt einen Wert von 39 660 Euro.