Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen zur künstlichen Befruchtung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung mittels IN-Vitro-Fertilisation (IVF) in
Verbindung mit einem Verfahren der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI).
Die im Februar 1975 geborene Klägerin und der im November 1968 geborene Kläger sind miteinander verheiratet. In die Ehe hat
die Klägerin zwei Kinder eingebracht. Ein gemeinsames Kind wurde im Februar 1997 geboren. Im Dezember 1997 ließ sich der Kläger
freiwillig sterilisieren. Eine im April 2001 zur Wiederherstellung seiner Zeugungsfähigkeit durchgeführte Vasovasostomie (Verbindung
der Samenleiterstümpfe) hatte keinen Erfolg.
Im Dezember 2001 beantragten die Kläger bei der Beklagten als ihrer gemeinsamen Krankenkasse die Kostenübernahme für eine
IVF-Behandlung mit Durchführung der ICSI. Sie bezogen sich dabei auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April
2001 (B 1 KR 40/00 R - BSGE 88, 62 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3) zur Übernahme der Kosten für das ICSI-Verfahren sowie die ärztliche Bescheinigung von Dr. K.
über die medizinische Notwendigkeit der Behandlung und einen Befundbericht von Prof. Dr. R. /Dr. K.
vom Zentrum für Gynäkologie und Geburtshilfe der Universität H.
, wonach ein starker Wunsch der Kläger nach einem zweiten gemeinsamen Kind bestehe und eine operative Samengewinnung
mit anschließender ICSI-Behandlung die einzige Chance sei, noch zu einem gemeinsamen Kind zu kommen. Die Beklagte lehnte den
Antrag mit Bescheid vom 11. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juni 2002 ab. Zur Begründung verwies
sie auf die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen; danach bestehe nach einer Sterilisation grundsätzlich
kein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung.
Im Klageverfahren haben die Kläger ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt, dass sich der Kläger seinerzeit
unter Zeitdruck zu der Sterilisiation entschieden habe und dies der größte Fehler seines Lebens gewesen sei, und sie haben
betont, wie wichtig es für sie sei, ein weiteres Kind zu bekommen. Das Sozialgericht Halle (SG) hat eine Auskunft der Dr. K. vom 1. Oktober 2002 eingeholt, wonach der Kläger 1997 eine normale Fertilität
aufgewiesen habe und das jetzige Fehlen von Spermien auf die Vasektomie und die fehlgeschlagene Refertilisierung zurückgeführt
werden müsse. Mit Urteil vom 22. Januar 2003 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids verurteilt, die Kosten für eine künstliche Behandlung mittels ICSI
nebst hormonellen Vorbehandlungen zu übernehmen. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG)
mit Urteil vom 11. Dezember 2003 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Anspruch auf die beantragten
Leistungen ergebe sich aus §
27a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V). Beide Kläger seien bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und erfüllten die gesetzlichen Voraussetzungen für medizinische
Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft gemäß §
27a Abs
1 Nr
1 bis 5
SGB V. Den Unterlagen lasse sich zwar nicht entnehmen, ob die Kläger bereits von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst vornehme,
über die Therapie unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte unterrichtet worden seien,
eine etwa noch erforderliche Unterrichtung könne aber noch nachgeholt werden. Die vorzunehmende ICSI-Behandlung gehöre nach
Ziff 10.5 der Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung in der Fassung vom 14. August 1990, zuletzt
geändert durch Bekanntmachung vom 26. Februar 2002 (BAnz Nr 92 vom 22. Mai 2002 S 10941) zu den zugelassenen Methoden; auch
die weiteren medizinischen Indikationen gemäß Ziff 11.5 der Richtlinien seien gegeben. Die auf eigenen Wunsch des Klägers
früher durchgeführte Sterilisation stehe dem Anspruch der Kläger nicht entgegen. Soweit der Bundesausschuss unter Ziff 2 Satz
4 und 5 seiner gemäß §
27a Abs
5 SGB V erlassenen Richtlinien geregelt habe, dass nach einer Sterilisation grundsätzlich kein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen
Befruchtung bestehe, verstoße diese untergesetzliche Regelung gegen das Gesetz, das in §
27a SGB V weder einen solchen Leistungsausschluss vorsehe noch den Bundesausschuss ermächtige, ihn zu regeln. Für ihre Auffassung,
dass eine künstliche Befruchtung nur bei körpereigener oder durch Krankheit verursachter Unfruchtbarkeit bzw Zeugungsunfähigkeit
zulässig sei, könne sich die Beklagte auch nicht auf §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V berufen, wonach eine Refertilisierung nach einer freiwilligen Sterilisation keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
sei. Eine direkte oder analoge Ausdehnung dieser Einschränkung des Leistungsumfangs für eine Krankenbehandlung auf die Leistungen
zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sei unzulässig, weil Maßnahmen der künstlichen Befruchtung kein Unterfall der Krankenbehandlung
seien, sondern sich auf einen eigenständigen Versicherungsfall bezögen. Ihre gesetzessystematische Zuordnung zur Krankenbehandlung
stelle lediglich sicher, dass die Versicherten im Rahmen dieser Maßnahmen Anspruch auf Krankenbehandlung nach §
27 Abs
1 Satz 2
SGB V hätten, wenn die für diese Leistungen erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Eine Regelungslücke sei nicht
erkennbar. Trotz ihrer sachlichen Nähe unterschieden sich Anspruch auf Refertilisierung und künstliche Befruchtung beträchtlich;
während im Mittelpunkt des §
27a SGB V der Kinderwunsch des Ehepaares stehe, erreiche die Refertilisierung zunächst nur den einzelnen betroffenen Versicherten;
sie könne allein im Rahmen der Erforderlichkeit bzw der Erfolgsaussichten der künstlichen Befruchtung eine Rolle spielen.
Der Ausschluss des Anspruchs auf eine künstliche Befruchtung bei vorangegangener freiwilliger Sterilisation treffe zudem direkt
auch den zeugungsfähigen Ehepartner, der möglicherweise keinen Einfluss auf die Entscheidung des anderen Ehepartners gehabt
habe. Gerade deshalb möge der Gesetzgeber erwogen haben, von einem Ausschluss, wie er unmittelbar in §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V geregelt sei, bei der künstlichen Befruchtung abzusehen. Im Übrigen habe das BSG in seinem Urteil vom 3. April 2001 auch
die Auffassung vertreten, dass es im Rahmen der künstlichen Befruchtung auf die Ursache der Infertilität nicht ankomme; dies
müsse dann ebenfalls für eine Infertilität infolge einer freiwilligen Sterilisation gelten. Da der Gesetzgeber insoweit keinen
Versagungsgrund geregelt habe, habe ihn der Bundesausschuss auch nicht über die Richtlinien schaffen können. §
27a Abs
5 SGB V ermächtige ihn nur, die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen der künstlichen Befruchtung
zu bestimmen. Der Ausschluss von Leistungen wegen vorangegangener Sterilisation sei keine medizinische Einzelheit, welche
den fachlichen Sachverstand des Bundesausschusses benötige, sondern eine tatbestandliche Voraussetzung über den Zugang zu
Leistungen dem Grunde nach, welche allein dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Der Umstand, dass die Kinderlosigkeit der Eheleute
wegen vorangegangener Sterilisation bestehe, sei eine Tatsache, für die es einer Regelung durch den Bundesausschuss nur insoweit
bedürfe, als Art und Umfang der Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung bei dieser Art der Zeugungsunfähigkeit zu bestimmen
seien. Die von der Beklagten nicht geprüfte Ausnahmevorschrift dürfte außerdem zu unbestimmt sein, weil sie den Rahmen des
Ermessens hinsichtlich der Ausnahme nicht deutlich abstecke.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von §§ 27a und 27 Abs 1 Satz 4
SGB V. Sie trägt vor, die künstliche Befruchtung nach §
27a SGB V stelle nach ihrer Auffassung eine Maßnahme der Krankenbehandlung dar; neben den speziellen Voraussetzungen des §
27a SGB V müsse daher auch das allgemeine Merkmal der Krankheit iS des §
27 SGB V gegeben sein. Die Unfruchtbarkeit der Ehegatten sei sehr wohl eine körperliche oder psychische Regelwidrigkeit iS von §
27 SGB V, diese könne nur medizinisch nicht erklärt bzw nicht auf einen Ehegatten bezogen werden. Die Kenntnis der Entstehungsgründe
sei aber nicht Voraussetzung für den Versicherungsfall der Krankheit und für Leistungen der Krankenbehandlung; es sei ausreichend,
wenn ein regelwidriger Gesundheitszustand vorliege, der dann ggf nur in seinen Symptomen bekämpft werden könne. Aus §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V sei zu schließen, dass die Unfruchtbarkeit nur dann als Krankheit angesehen werden könne, wenn sie schicksalhaft bestehe
oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation eingetreten oder die ursprünglich vorhandene Zeugungs- oder
Empfängnisfähigkeit durch Krankheit verloren gegangen sei. Der vom Versicherten ohne medizinische Indikation bewusst und gewollt
herbeigeführte Zustand der Unfruchtbarkeit stelle ebenso wenig eine Krankheit dar wie ein nach einer auf freiem Willensentschluss
beruhenden Sterilisation eingetretener Sinneswandel als Krankheit angesehen werden könne. Wenn mit dem Urteil des 1. Senats
des BSG vom 30. April 2001 für Leistungen nach §
27a SGB V von einem eigenständigen Versicherungsfall ausgegangen werde, sei der von den Klägern geltend gemachte Anspruch ebenfalls
nicht gegeben. Denn dann bestehe nach den Urteilen des 8. und des 1. Senats des BSG vom 25. Mai 2000 (B 8 KN 3/99 KR R - SozR
3-2500 § 27a Nr 1 S 4) und vom 9. Oktober 2001 (B 1 KR 33/00 R - SozR 3-2500 §
27a Nr 4 S 38 f) zwischen §
27a und §
27 SGB V ein Verhältnis der Spezialität, bei der die in der allgemeinen Vorschrift getroffenen grundsätzlichen Aussagen Gültigkeit
auch für die Spezialnorm hätten, sofern dort nichts Abweichendes geregelt sei. Insoweit enthalte §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V eine Grundaussage, zu der §
27a SGB V nichts Abweichendes geregelt habe und bedeute daher im Rahmen des §
27a SGB V, dass die Versichertengemeinschaft auch nicht die Kosten für medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft
zu übernehmen habe, wenn die Unfähigkeit des Ehepaares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, darauf zurückzuführen sei,
dass ein Partner sich bewusst oder gewollt habe sterilisieren lassen. Denn die künstliche Befruchtung sei dann nichts anderes
als die Beseitigung der bewusst oder gewollt herbeigeführten Unfruchtbarkeit. Dieses Verständnis spiegele im Übrigen auch
die Formulierung "Das Gesetz knüpft die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht an einen regelwidrigen Körper- und Geisteszustand
ihres Mitglieds, sondern an die ungewollte Kinderlosigkeit des Ehepaares..." im Urteil des 1. Senats vom 3. April 2001 (B 1 KR 22/00 R - BSGE 88, 51, 55 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 14) wider. Die Richtlinien des Bundesausschusses stimmten daher mit dem Gesetz überein.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 11. Dezember 2003 und das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22.
Januar 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend und verweisen auf die Gründe der erst- und der zweitinstanzlichen Entscheidung.
Ergänzend tragen sie vor, selbst wenn §
27a SGB V voraussetze, dass der Kinderwunsch "ungewollt" nicht erfüllt werden könne, sei ihr Anspruch auf Leistungen zur künstlichen
Befruchtung gegeben, weil sie sich zu der beim Kläger am 29. Dezember 1997 durchgeführten Sterilisation nur auf Grund einer
psychischen Zwangslage gedrängt gefühlt hätten. Die Einnahme oraler Kontrazeptiva habe bei der Klägerin vor der Geburt des
gemeinsamen Kindes zu erheblichen Unverträglichkeiten geführt, deswegen hätten sie nach der Geburt durch Verwendung von Kondomen
verhütet. Bis Ende 1997 habe sich durch die Verwendung dieser Verhütungsmittel ein erhebliches Wundsein der Klägerin herausgestellt,
sodass auch diese Art der Verhütung nicht weiter machbar gewesen sei. Durch die Medien seien sie auf die Möglichkeit der Sterilisation
des Mannes als dauerhafte Empfängnisverhütung aufmerksam geworden. Bei dem Urologen Dr. E. habe der Kläger lediglich
zur Beratung einen Termin am 29. Dezember 1997 vereinbart. Die Beratung sei allein in Anwesenheit des Klägers erfolgt. Der
Urologe habe ihm dargestellt, die Möglichkeit der Sterilisation bestehe, der Kläger müsse sich aber bis zum nächsten Tag entscheiden,
da ab dem 1. Januar 1998 die Krankenkassen die Kosten dafür nicht mehr tragen würden. Sodann habe ihn der Urologe darüber
belehrt, dass trotz einer Sterilisation noch die Möglichkeit bestehe, dass der Kläger Kinder zeugen könne, und habe sich dafür
einen Haftungsausschluss vom Kläger unterschreiben lassen. Danach habe der Kläger nur noch eine Nacht gemeinsam mit seiner
Frau Zeit gehabt, sich über eine mögliche Sterilisation Gedanken zu machen. Auf Grund der drohenden alleinigen Kostentragung
hätten sie sich Hals über Kopf entschlossen, die Sterilisation durchführen zu lassen; sie seien zum damaligen Zeitpunkt bereits
mehrere Jahre arbeitslos gewesen und hätten keine Perspektive für die Zukunft gehabt. Nach der in der Praxis des Urologen
ambulant durchgeführten Sterilisation sei es zu Komplikationen gekommen, der Kläger habe für eine Notoperation in die Ambulanz
des Klinikums M. aufgenommen werden müssen und habe sich dort über den Jahreswechsel stationär befunden.
Bereits am 31. Dezember 1997 hätten sie sich verständigt, dass die Sterilisation ein Fehler gewesen sei und sie es sich nicht
reiflich hätten überlegen können. Sie hätten dann den Entschluss rückgängig machen wollen, was jedoch trotz entsprechender
Operation nicht mehr möglich gewesen sei.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Ein Anspruch der Kläger auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung ist
nicht gegeben. Das LSG hätte daher auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufheben und die Klage abweisen müssen.
1. Nach §
27a Abs
1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn diese
Maßnahmen (1) nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, (2) eine hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen
eine Schwangerschaft herbeigeführt wird, (3) die Personen, die die Maßnahmen beanspruchen wollen, miteinander verheiratet
sind, (4) ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und (5) sich die Ehegatten vor Durchführung der
Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer
medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der
Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach §
121a SGB V erteilt worden ist. Nach §
27a Abs
3 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 14 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz) vom 14. November 2003 (BGBl
I 2190) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 (Art 37 GKV-Modernisierungsgesetz) besteht der Anspruch auf Leistungen der künstlichen
Befruchtung zudem nicht, wenn männliche Versicherte das 50. Lebensjahr bzw weibliche Versicherte das 40. Lebensjahr bereits
vollendet haben. Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen nach §
27a Abs
1 SGB V werden nach §
27a Abs
4 SGB V durch die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (seit 1. Januar 2004: Gemeinsamer Bundesausschuss) gemäß §
92 SGB V zu erlassenden Richtlinien bestimmt.
Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, gehören zu den Leistungen iS von §
27a Abs
1 SGB V im Grundsatz auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Wege der künstlichen Befruchtung mittels
ICSI. Diese in die Richtlinien über künstliche Befruchtung des Bundesausschusses idF vom 26. Februar 2002 (BAnz Nr 92 vom
22. Mai 2002 S 10941) aufgenommene Technik der extrakorporalen Befruchtung wird im Wesentlichen bei Ehepaaren angewandt, die
infolge einer Fruchtbarkeitsstörung des Mannes auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können. In solchen Fällen genügt
es in der Regel nicht, Samen und Eizelle zur spontanen Verschmelzung im Reagenzglas oä zusammenzubringen (IVF). Vielmehr muss
ein einzelnes Spermium mit Hilfe einer mikroskopisch dünnen Nadel unmittelbar in die vorher nach Hormonbehandlung durch Follikelpunktion
gewonnene Eizelle injiziert werden. Nach dem so außerhalb des weiblichen Körpers vorgenommenen Befruchtungsvorgang wird der
entstandene Embryo in den Körper der Frau übertragen (Embryotransfer). Sofern zur Anwendung dieser Methode keine ausreichende
Menge Spermien im Ejakulat vorhanden ist, können Spermien im Wege der testikulären Spermienextraktion (TESE) durch einen operativen
Eingriff am Hoden gewonnen werden. Nach der Rechtsprechung des BSG konnten Versicherte für Maßnahmen der IVF mittels ICSI
trotz deren Ausschluss in Nr 10.5 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen "über ärztliche Maßnahmen
zur künstlichen Befruchtung" in der Fassung vom 1. Oktober 1997 (BAnz Nr 243 vom 31. Dezember 1997 S 15232) ab 1. Januar 1998
von ihrer Krankenkasse vorab eine Kostenübernahme verlangen, wenn feststand, dass die Leistung ansonsten in jedem Fall von
ihr zu gewähren war. Die Leistungspflicht der beklagten Krankenkasse gemäß §
27a Abs
3 SGB V erstreckt sich im Fall der ICSI zusätzlich zu den unmittelbar am Körper der bei ihr versicherten beiden Kläger vorzunehmenden
Maßnahmen auch auf die extrakorporalen Behandlungsmaßnahmen (BSG Urteil vom 3. April 2001 - B 1 KR 40/00 R, BSGE 88, 62, 67 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 27 f, 35 f).
2. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG sind im Fall der Kläger die Voraussetzungen des §
27a Abs
1 Nr
1 bis 4
SGB V erfüllt. Ein Ausschluss nach §
27a Abs
3 Satz 1 Halbsatz 2
SGB V kommt von vornherein nicht in Betracht. Die nach §
27a Abs
1 Nr
5 SGB V erforderliche Unterrichtung und Überweisung kann, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, noch nachgeholt werden, da die beantragte
Maßnahme noch aussteht (BSG Urteil vom 3. April 2001 - B 1 KR 40/00 R - BSGE 88, 62, 63 = SozR 3-2500 §
27a Nr 3 S 23). Leistungen nach §
27a SGB V zur Herbeiführung einer Schwangerschaft setzen aber voraus, dass der Kinderwunsch "ungewollt" nicht erfüllt werden kann.
Diese Voraussetzung ist von den Klägern nicht erfüllt.
a) Vom Erfordernis der ungewollten Kinderlosigkeit als Voraussetzung für Leistungen nach §
27a SGB V ist der 1. Senat bereits in seinem Urteil vom 3. April 2001 (B 1 KR 22/00 R - BSGE 88, 51, 57 = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 16) ausgegangen und hat dies in seinem Urteil vom 22. März 2005 (B 1 KR 11/03 R - zur Veröffentlichung bestimmt) näher ausgeführt. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Da sich das Merkmal
der ungewollten Kinderlosigkeit auf das betroffene Ehepaar bezieht, ist die Kinderlosigkeit dann nicht "ungewollt", wenn auch
nur einer der beiden Ehegatten seine Zeugungsfähigkeit ohne medizinische Indikation aufgibt. Dies ergibt sich aus dem systematischen
Zusammenhang der Norm und wird durch ihre Entstehungsgeschichte bestätigt. Die Richtlinien des Bundesausschusses geben insoweit
nur einen (allerdings ungenauen) Hinweis auf eine gesetzliche Einschränkung des Anspruchs auf künstliche Befruchtung.
aa) Gemäß §
2 Abs
1 Satz 1
SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im Dritten Kapitel des
SGB V genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung, so weit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung
des Versicherten zugerechnet werden. Leistungen, die nicht notwendig sind, dürfen die Krankenkassen nicht bewilligen (§
12 Abs
1 Satz 2 Halbsatz 2
SGB V). In diesem Sinn müssen auch Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung erforderlich und nicht der Eigenverantwortung zuzurechnen
sein.
Nach §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V kommen Maßnahmen zur Herstellung der Zeugungs- und Empfängnisfähigkeit nach erfolgter Sterilisation nur ausnahmsweise, nämlich
dann in Betracht, wenn diese Fähigkeit von vornherein nicht vorhanden war oder sie durch Krankheit oder wegen einer durch
Krankheit erforderlichen Sterilisation verloren gegangen war; andernfalls fällt die aus der Sterilisation folgende Unfruchtbarkeit
in die Eigenverantwortung der Versicherten. Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass Maßnahmen zur Herstellung der Zeugungs- und
Empfängnisfähigkeit ausgeschlossen sind, wenn die Sterilisation andere als die in §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V genannten Gründe hatte. Denn die Wertung des Gesetzes würde unterlaufen, wenn Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nach
§
27a SGB V zu erbringen wären, obgleich die an sich vorrangigen Leistungen zur (Wieder-)Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit
nach §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V ausgeschlossen sind. Ein solcher Ehegatte ist fortan nicht mehr "ungewollt" kinderlos. Kommt es bei dem Betreffenden später
zu einem Sinneswandel und verlangen er oder sein Ehegatte nunmehr Maßnahmen nach §
27a SGB V zur künstlichen Befruchtung, kollidiert dies mit dem früheren Verhalten zumindest eines Ehegatten. Eine Einstandspflicht
der Solidargemeinschaft kann insoweit nicht angenommen werden, vielmehr beruht der Bedarf nach den gewünschten Leistungen
zur künstlichen Befruchtung dann wesentlich auf einer Entscheidung der Betroffenen hinsichtlich ihrer Lebensführung und -planung
und ist nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung abzudecken, sondern - wie die nicht aus den in §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V genannten Gründen erfolgte Sterilisation - der Eigenverantwortung der Ehegatten zuzurechnen.
bb) Aus der Entstehungsgeschichte des §
27a SGB V ergibt sich, dass das an zentraler Stelle in der Begründung der Initiative des Freistaats Bayern zum Entwurf eines Gesetzes
zur Regelung der künstlichen Befruchtung beim Menschen enthaltene Wort "ungewollt" (BR-Drucks 535/88 vom 15. November 1988
S 1) zwar in der Folge zur Begründung für die Einführung des §
27a SGB V nicht wieder ausdrücklich genannt wurde. Indes gingen auch die im engen Zusammenhang mit der Einführung des §
27a SGB V vorangetriebenen Arbeiten zu einem Fortpflanzungsmedizingesetz von dem zu regelnden Problem der "ungewollt kinderlosen" Ehepaare
aus (BT-Drucks 11/1856 S 1, 2). Weiterhin wurde zur Begründung der Einführung des §
27a SGB V die Kinderlosigkeit als "schwere Beeinträchtigung des Lebens der betroffenen Paare und deren Lebensplanung" bezeichnet. Beruht
die Zeugungsunfähigkeit eines Ehepartners auf einer medizinisch nicht notwendigen Sterilisation, kann von einer Beeinträchtigung
der Lebensplanung "durch Kinderlosigkeit" keine Rede sein.
cc) Ein Widerspruch zu den Ausführungen des 1. Senats in seinem Urteil vom 3. April 2001 (B 1 KR 40/00 R - BSGE 88, 62, 64 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 24), dass der Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht an den regelwidrigen
Körper- oder Geisteszustand des versicherten Ehegatten, sondern an die Unfruchtbarkeit des Ehepaares anknüpfe und es unerheblich
sei, welche Umstände die Infertilität verursachten oder ob ihr eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn zu Grunde
liege, besteht nicht. Diese Ausführungen verstehen sich im Zusammenhang damit, dass - wie der 1. Senat weiter ausgeführt hat
- nicht Krankheit den Versicherungsfall für einen Anspruch nach §
27a SGB V bilde, sondern die aus der Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Weg Kinder zu zeugen, resultierende Notwendigkeit einer
künstlichen Befruchtung. Mit der Voraussetzung ungewollter Kinderlosigkeit wird nicht auf eine Krankheit abgestellt, vielmehr
wird insoweit die Rangfolge berücksichtigt, in der nach dem Gesetz die vom Leistungsumfang der Krankenkassen erfassten Maßnahmen
stehen. Die Frage einer Sterilisation spielte im Übrigen in dem der vorgenannten Entscheidung des 1. Senats zu Grunde liegenden
Fall keine Rolle.
b) Die Feststellungen des LSG, wonach sich der Kläger im Dezember 1997 freiwillig hat sterilisieren lassen, und das Vorbringen
der Kläger ergeben keinen Anhalt dafür, dass es sich dabei um eine iS des §
27 Abs
1 Satz 4
SGB V "durch" Krankheit erforderliche Sterilisation gehandelt haben könnte. Diese Einschränkung, die auf Grund der Änderung von
§
24b Abs
1 Satz 1
SGB V durch Art 1 Nr
11 Buchst a GKV-Modernisierungsgesetz mit Wirkung ab 1. Januar 2004 auch den Leistungsanspruch bei Durchführung einer Sterilisation
begrenzt, setzt voraus, dass die Sterilisation zur Behandlung einer Krankheit notwendig ist oder dass die Zeugungs- bzw Empfängnisfähigkeit
wegen eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands zuverlässig und auf Dauer beseitigt werden soll (vgl auch BSG Urteil
vom 22. März 2005 - B 1 KR 11/03 R - zur Veröffentlichung bestimmt, Umdruck S 10; Knispel in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, §
24b SGB V, RdNr 10). Nach ihrem Vortrag wählten die Kläger nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes die Sterilisation als Mittel der
"dauerhaften Empfängnisverhütung", weil die von ihnen zuvor angewandten Verhütungsmethoden zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen
der Klägerin geführt hatten. Dass es aus gesundheitlichen Gründen geboten war, eine Empfängnis der Klägerin dauerhaft auszuschließen,
behaupten sie nicht und ist auch nicht ersichtlich. Wird die Sterilisation aber lediglich als Methode der Empfängnisverhütung
gewählt, bleibt die Entscheidung dazu in der Eigenverantwortung der Versicherten. Deshalb ist es für die Frage der ungewollten
Kinderlosigkeit auch unerheblich, wenn sich die Kläger - wie sie weiter vortragen - zu der Sterilisation des Klägers aus finanziellen
Gründen unter Zeitdruck entschieden haben sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 SGG.